Androgeos

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„Und? Gut geschlafen?"

Tess' Frage, nicht gerade leise gestellt, schreckt mich aus wirren Träumen hoch. Medea hat darauf bestanden, dass wir Andé nicht sofort aufsuchen, sondern erst am nächsten Morgen. Begründet hat sie das damit, dass dieser Tag schon aufregend und anstrengend genug gewesen ist. Vor allem für mich. Und wir die Geschehnisse erstmal verarbeiten müssen. Damit hat sie durchaus recht gehabt.

In meinen Träumen habe ich das alles noch einmal erlebt, nur völlig durcheinandergewürfelt. Erneut bin ich auf Apollons Sonnenwagen gesprungen, diesmal jedoch ist es Pallas gewesen, der ihn nicht in den Griff bekommen hat. Und ich hab überlegt, ob ich den wirklich retten will. Die Pferde habe ich statt auf das Land ins Meer gesteuert und bin daraufhin von Poseidon beschimpft worden, weil durch die Hitze der Wein in seinem Skyphos verdampft ist.

Wieder habe ich den Kosmos bereist, diesmal mit Dionysos. Wir haben Asterion besucht, um ein für allemal zu klären, ob der auf ihm abgebildete Stier schwarz oder lichtbraun ist. Woraufhin sich der Nebel um ihn plötzlich verdichtet hat, um vierzehn Planeten zu bilden, die fast identische Gesichter gezeigt haben. Die Pallantiden. Was den Streit zwischen mir und Dionysos abrupt beendet hat, denn jetzt haben wir ihn beide nicht mehr haben wollen.

Aigeus hat Medea in die Arme genommen und zärtlich geküßt. Die ist prompt zur Wassersäule geworden und hat sich in einer Pfütze zu Füßen des Athener Königs aufgelöst. Aria hat zu mir gesagt, das könne ich auch. Und ich bin zu einem feurigen Stier geworden. Phaeton hat mich sofort vor seinen Streitwagen spannen wollen, aber ich habe abgelehnt.

Mein Neffe Pheres ist nochmals auf die Klippe zugelaufen und abgerutscht. Diesmal allerdings hat er Flügel ausgebreitet und ist einfach wieder hochgeflogen. Sein Bruder Mermeros hat dann bei Ikaros gebettelt, sich dessen Flügel auch mal leihen zu dürfen.

Auch die Schlacht mit Pallas' Männern habe ich im Traum abermals erlebt. Nur hat diesmal Andé neben mir gestanden und jeden Hieb kommentiert. Als ich einem Gegner die Kopis seitlich gegen den Schädel geschlagen habe, hat Andé den Pallantiden kurzerhand am Chiton gepackt und wieder aufgestellt. Und mir dann erklärt, dass der Schlag von oben nach unten geführt werden muss. Ich hab gehorcht und den Mann in zwei Teile zerschlagen. Daraufhin haben zwei unversehrte Pallantiden kampfbereit vor uns gestanden und Andé zugeben müssen, dass meine Methode wohl doch besser ist. Und währenddessen haben meine Neffen zusammen mit Tess' Sohn Melanippos an meinem Schwanz gezogen, um mich aus der Gefahrenzone zu bringen.

„Ich glaube, er schläft noch immer", erwidert jemand auf Theseus' Frage. „Lass ihn doch diese Haltung genießen. Ich kann ihn bestens verstehen."

Richtig, ich liege halb seitlich, halb bäuchlings unter den Decken. Eine Schlafhaltung, die ich bevorzuge und lange Jahre nicht einnehmen konnte. Seitdem mir die Hörner gewachsen sind, habe ich nur auf dem Rücken schlafen können. Keine Position hasse ich mehr als diese. Aber jetzt habe ich meine Titanenkräfte entdeckt. Ich kann zum Menschen werden, wenn ich will. Und endlich bequem schlafen und ohne Verspannungen aufwachen.

Ikaros geht es umgekehrt. Seit er die Flügel hat, kann er nicht mehr auf dem Rücken liegen. Aber er hat uns bereits erklärt, dass ihn das nicht stört, weil er ohnehin Seitenschläfer ist.

„Teri! Wir wollen zu Ande! Steh endlich auf!" Aria ist weniger rücksichtsvoll, wenn es darum geht, mich zu wecken. Das war schon vor meinem Einzug ins Labyrinth so. Aria war immer als erste von uns wach und wehe dem, der sich dann nicht schnell genug aus den Decken schälte. Und ich liebe es seit jeher, abends länger wach zu sein und morgens auszuschlafen. Dafür hat Aria immer noch kein Verständnis.

Allerdings will ich auch zu Androgeos. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er sechzehn und schon ein voll ausgebildeter Krieger, der mich das Schwertfechten und den Axtkampf lehrte. Jetzt muss er 26 Jahre zählen. Und seit über vier Jahren liegt er im Koma. Medea hat uns erzählt, dass er immer schwächer wird, aber die Verschlechterung stark gebremst wurde, seit sie sich um ihn kümmert. Trotzdem glaubt sie nicht, dass sie ihn noch lange am Leben erhalten kann.

Ich frage mich ohnehin, was das für ein Leben ist. Andé reagiert laut den Ärzten teilweise auf Ansprache und er kann noch schlucken. Er scheint aber fast vollständig gelähmt zu sein und bekommt vermutlich gar nicht mit, was um ihn herum geschieht. Ein rascher Tod wäre gnädiger gewesen, denke ich. Trotzdem bin ich froh um die Gelegenheit, ihn noch einmal „lebend" zu sehen und mich von ihm verabschieden zu können.

Medea geht uns voraus zu einem kleinen, weißgekalktem Haus auf dem sonnigsten Platz auf dem Felsen, auf dem die Akropolis Athens liegt. Zuvor ist Andé im königlichen Palast versorgt worden, erzählt sie uns. Aber sie hat dafür Sorge getragen, dass er mit seinen Ärzten und Pflegern hier untergebracht und täglich in die Sonne gebracht wird. Medea ist wie meine Geschwister und ich eine Enkelin des Helios und sich daher bewußt, wie wichtig seine Strahlen für uns sind.

Auch heute liegt Andé bereits im Sonnenschein. Die Pfleger haben ihn auf eine breite Kline ohne Kopfteil gebettet, auf der sie ihn auch umdrehen können. Das hat Medea angeordnet.

„Als ich ihn das erste Mal sah, war er von Wunden bedeckt", erklärt sie. „Die kamen davon, dass er zu lange in der gleichen Haltung lag. Ich habe angeordnet, dass man ihm einmal pro Stunde eine andere Lage gibt."

„Und dass er in die Sonne gelegt wird", Aria nickt. „Das war eine gute Idee. Aber es reicht nicht aus?"

Medea blickt traurig drein. „Ich habe so etwas schon mehrmals erlebt. Die Kranken scheinen unversehrt zu sein, aber in ihrem Inneren stimmt etwas nicht. Als ob die Seele schon vor dem Tod des Körpers entflohen sei. Sie reagieren auf Ansprache, oft können sie sich etwas bewegen, sie essen und trinken, wenn man sie füttert, aber ihr Geist bemerkt es nicht."

„Ist also ihr Herz tot?", erkundigt sich Ikar. Medea schüttelt den Kopf. „Das glaube ich nicht. Ich neige zu der Ansicht des Alkmaion, dass das Gehirn der Mittelpunkt des Menschen ist und nicht das Herz. Denn solche Erkrankungen habe ich bisher nur im Zusammenhang mit Kopfverletzungen erlebt. Auch bei Andé war es eine Kopfwunde. Die Pallantiden haben ihm regelrecht den Schädel eingeschlagen."

„Und das hat er überlebt?", fragt Laus verwundert. Tess nickt. „Irgendwie ja. Wir hielten ihn für tot, doch als wir ihn aufbahren wollten, rief einer der Diener, er atme noch. Seitdem versuchen wir ihn am Leben zu halten."

Vier Jahre lang. Armer Andé, denke ich. Das hat er nicht verdient. Niemand hat das verdient. Ich bin nur froh, dass er nicht mehr mitbekommt, was mit ihm passiert.

Ich nähere mich der Kline, auf der mein Bruder liegt. Fee zögert, dann kommt sie hinterher. Laus folgt mir direkt. Aria ist mit Medea etwas zurückgeblieben, nähert sich aber nun mit raschen Schritten. Ikar hält sich wie Tess zurück, lässt uns den Moment mit unserem Bruder.

Ich erreiche Andé als erstes. Mein Bruder liegt gerade auf der Seite und ich gehe um die Liege herum, um sein Gesicht zu sehen. Seine schwarzen Locken liegen auf dem flachen Kissen und bedecken jede wie auch immer geartete Wunde. Natürlich, nach all den Jahren muss sie verheilt sein.

Andé sieht aus, als ob er schliefe. Aber als ich auf ihn zugehe, zuckt etwas in seinem Gesicht. Einem Gesicht, das mir bekannt und zugleich neu ist. Auf eine Art, mit der ich nie gerechnet hätte.

Andé ist erwachsener geworden in den Jahren. Das war zu erwarten. Seine Züge sind nicht mehr jugendlich zart, jede Weichheit ist verschwunden.

Vermutlich spielt auch das lange Koma eine Rolle dabei, dass die einstmals runden Wangen eingefallen sind und die Knochen stark hervortreten. Aber ich habe den Eindruck, dass Andés Gesichtszüge einfach mit den Jahren schärfer und markanter geworden sind. Er ist so mager, dass die Nase spitz erscheint, aber das ausgeprägte, leicht gebogene Nasenbein, die tiefe Kuhle am Übergang zur Stirn, die weiten Nasenlöcher sind noch immer gut erkennbar. Dichte schwarze Brauen überschatten Augen, die von Natur aus tief liegen. Das kräftige Kinn ist gekerbt, die jetzt schlaffen Lippen mit Speichelfäden im Mundwinkel voll, breit und sehr symmetrisch.

Ich erkenne den Jüngling Andé in den Zügen des Mannes wieder. Aber auch etwas anderes. Zuvor habe ich es nicht wissen können und dann ist es mir nicht aufgefallen.

Mein menschliches Gesicht gleicht dem von Androgeos. Seltsam, denn meinen anderen Geschwistern ähnele ich weniger.

Die Ärzte treten nun zu uns. Einer wirft einen fragenden Blick auf mich und Medea erklärt: „Sie sind seine Geschwister."

Der Arzt nickt. „Nicht zu übersehen, meine Königin." Er sieht erneut zu mir auf. „Eindeutig Brüder", bestätigt er.

Ein Gefühl der Wärme steigt in mir auf. Dass ich meinem ältesten Bruder ähnlich sehe, scheint mir irgendwie mehr Zugehörigkeit zu verleihen. Obwohl mich außer Deukalion alle meine Geschwister vorbehaltlos als Bruder angenommen haben, hatte ich immer die Empfindung, als Kebskind nicht wirklich dazuzugehören. Die Worte des Arztes mildern dieses Gefühl jedoch ab. Auch wenn ich einen anderen Vater habe, die Ähnlichkeit mit Andé gibt mir das Recht, mich seinen Bruder zu nennen.

Andé öffnet die Augen, als Medea und der Arzt miteinander sprechen. Sie sind so braun wie mein linkes Auge. Aber ihr Blick ist leer. Ich habe nicht den Eindruck, als ob Andé etwas sieht.

Jemand bringt mir einen Sessel an die Kline. Dankbar setze ich mich; bei meiner Größe muss ich mich stark bücken, um Andé ins Gesicht zu sehen. Vorsichtig nehme ich seine Hand. Sie ist entsetzlich mager und liegt kraftlos in meinen Fingern.

„Andé", ich weiß, er hört mich nicht, aber das ist mir egal. „Ich bins, Asterios. Ich bin so froh, dass ich dich wenigstens noch einmal sehen kann."

Andés Augäpfel bewegen sich unruhig. Es sieht aus, als versuche er, mich genauer ins Auge zu fassen. Aber der Blick ist weiterhin völlig ausdruckslos.

„Kann er sich gar nicht bewegen?", fragt Fee traurig und streicht ihm das Haar aus dem Gesicht.

„Zumindest tut er es kaum", erklärt der Arzt. „Er öffnet den Mund und schluckt, wenn wir ihn füttern. Und er bewegt die Augen, wie du es hier gerade siehst. Aber sonst ..." Er zuckt die Schultern. „Wir bewegen ihn regelmäßig. Von selbst tut er es nicht. Das ist ungewöhnlich."

„Ich dachte immer, wenn jemand im Koma liegt, ist er wie im Tiefschlaf und bewegt sich überhaupt nicht", bemerkt Ikar von hinten.

„Das stimmt nicht", widerspricht Laus sofort und Aria sagt gleichzeitig: „Wenn es so ist, weiß man bereits, dass der Patient dem Tode nahe ist."

„Es gibt zwei Arten von Koma", mischt sich der Arzt nun ein. „Bei der einen ruht der Körper und erholt sich allmählich. Bei der anderen ist der Körper oft unversehrt, aber die Seele ist bereits ins Eleysium eingegangen."

„Bei der ersten Form", führt Medea aus. „ist der Patient oft sehr ruhig, wie du beschrieben hast, aber selten vollkommen bewegungslos. Lassen die Reaktionen immer mehr nach, wird er bald sterben, werden sie häufiger, ist er auf dem Weg der Besserung.

Bei der zweiten bewegt sich der Patient oft, auch wenn er kaum mitbekommt, was um ihn herum passiert. Er reagiert, indem er die Augen öffnet, schluckt und kaut. Aber wenn man ihn beobachtet, merkt man, dass nur der Körper reagiert. Die Seele ist nicht mehr da."

„Und das glaubt ihr, ist bei Andé der Fall?" Fees Stimme zittert. Sie streicht Andé wieder und wieder über den Kopf, als wolle sie ihn trösten.

Andés seelenlose Augäpfel rollen in ihre Richtung. Die Pupillen weiten sich angestrengt, aber dann fallen die Lider wieder zu.

„Es scheint so", gibt Medea traurig zu. „Seltsam ist nur, dass Andé sehr oft die Augen öffnet und ins Leere starrt, aber nicht reagiert, wenn die Ärzte seine Glieder bewegen."

„Warum machen sie das?" Über Fees runde Wangen laufen Tränen. Ich kann sie verstehen. Ich bin auch kurz davor. Es ist entsetzlich, Andé so hilflos liegen zu sehen.

„Das machen sie, damit seine Kräfte nicht so schnell nachlassen", erklärt Aria. Sie steht uns gegenüber und läßt ihre Blicke und Finger über Andés Körper gleiten. Forschend, untersuchend, aber ich bezweifle, dass sie viel sieht. Auch in ihren Augen stehen Tränen.

Andés Augen öffnen sich erneut und rollen diesmal stark seitwärts. Als würde er versuchen, hinter sich zu sehen.

Laus steht am Fußende der Kline. Andé ist nackt und nur von einem Tuch in Höhe der Lenden bedeckt, damit seine Haut soviel von Helios' Strahlen aufnimmt wie möglich. Er ist furchtbar mager und weist kaum noch Muskeln auf. Laus nimmt den Anblick auf und fasst dann Andés knochige Füße, die er unwillkürlich sanft massiert.

Andé kneift sofort die Lider zusammen. Ich fasse ihn genauer ins Auge. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, das haben sowohl der Arzt als auch Medea gesagt. Ich stimme ihnen zu. Etwas ist seltsam. Sehr seltsam.

„Andé", sage ich leise. „Kannst du uns hören?"

„Das ist sinnlos", erklärt mir der Arzt. Aber Andé öffnet die Augen weit, starrt blicklos in mein Gesicht und schließt sie wieder.

Ich hole tief Luft. Der Verdacht, der mich befällt, ist zu ungeheuerlich, um ihn laut auszusprechen. Ich brauche erst Gewißheit.

Ich beuge mich zu Andés Kopf herunter. „Kannst du mich sehen?"

Andés Augen öffnen sich, fallen wieder zu, öffnen sich, schließen sich.

„Heißt zweimal zwinkern Nein?"

Öffnen, schließen.

„Und einmal zwinkern Ja?"

Öffnen, schließen.

„Kitzelt die Massage von Laus?" Andé hat es noch nie gemocht, wenn man seine Füße berührt hat.

Öffnen, schließen.

Ich richte mich auf. „Laus, lass seine Füße in Ruhe, er mag das nicht."

„Du meinst, er mochte es nicht", Laus' Stimme klingt erstickt.

„Ich meine, er MAG es nicht!", sagte ich betont.

Alle starren mich an, auch der Arzt. „Aber ...", beginnt Aria, stockt dann aber. Ich beantworte ihre abgebrochene Frage.

„Ja. Andé ist wach. Er bekommt alles mit."

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