Angst

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Asklepios neigt sich zu Andé herunter. „Bist du bereit, Androgeos?"

JA?

„Du bist nicht sicher?"

????

„Du weißt, dass der Erfolg nicht sicher ist?"

JA? So unsicher war Andés Zwinkern die ganzen Tage nicht.

„Es kann sein, dass du deine Beweglichkeit nur zum Teil wiedererlangst oder du gelähmt bleibst, aber sehen kannst. Vielleicht ändert sich auch gar nichts. Oder – du überlebst es nicht."

JA. Vermutlich hat Andé darüber auch schon nachgedacht.

„Sollen wir es trotzdem versuchen? Du entscheidest."

JA?

„Du wirst nichts merken. Ariadnes Trank wird dich schlafen lassen und dir die Schmerzen nehmen. Du wirst einschlafen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass du aufwachen wirst. Bist du immer noch sicher?"

JA. Pause. JA! – JA!

Ich fange wieder an zu atmen. Es ist entschieden. Vielleicht bekommen wir unseren Bruder nun zurück. Vielleicht stirbt er jetzt endgültig.

„Du bist sehr tapfer", sage ich zu ihm.

Augenkräuseln. ????

„Doch, finde ich schon", widerspreche ich. Und dann beuge ich mich zu ihm. „Ich bin sehr froh, dass ich dich nochmal sehen und sprechen konnte."

JA!

Ich sehe Medea kommen, gefolgt von meinen Geschwistern und einer Schar Diener, die verschiedene Möbel tragen. Sie alle sind bereit.

Ich nehme Andés schlaffe Hand fest in meine. „Du wirst es schaffen! Du wirst gefälligst wieder aufwachen, hörst du? Ich sage dir nicht hier und jetzt Lebewohl!"

JA.

„Antío sas, großer Bruder." Ich neige mich noch mehr zu ihm und küsse ihn sacht auf die Lippen. Andés Augen werden groß, dann zwinkert er. JA!

Jetzt haben uns die anderen erreicht. Fee umarmt Andé. „Ich habe Angst um dich", flüstert sie. „Versprich mir, dass du es schaffst!"

JA!

Auch die anderen sprechen noch einmal mit Andé, verabschieden sich für den Fall, dass es auch der Gott der Heilkunst nicht schafft, ihn zu retten. Wie er selbst gesagt hat, für Wunder ist er nicht zuständig.

Tess nutzt die Gelegenheit für eine Frage: „Warum wird es bei Andé so schwierig, während du bei Laus nur ein Blatt brauchtest?"

Asklepios seufzt. „Weil das Blatt von einer Pflanze ist, die nur an Stellen wächst, welche lediglich Götter erreichen. Sie wurde von keinem Gott erschaffen und um ehrlich zu sein, verstehen wir ihre Magie nicht wirklich. Mein Vater, der auch seherische Gaben hat, erkannte die Fähigkeit der Pflanze, ein Leben zurückzuholen, welches gerade eben die Grenze zum Eleysium überschritten hat. Aber nur, wenn dieses Leben noch nicht wirklich beendet wurde. Warum das so ist, wissen wir nicht. Diese Pflanze zu nutzen ist sehr gefährlich und selbst ich wende sie nur an, wenn es ohnehin keine Hoffnung mehr gibt. Meine olympischen Verwandten rühren sie nicht an.

Tatsächlich können wir Götter keine Toten erwecken. Nicht einmal Hades ist dazu imstande. All jene, die aus dem Totenreich zurückkamen, waren Menschen, die noch lebend dort hinkamen. Ich persönlich vermute, dass auch diese namenlose Pflanze nur Wesen wiederbeleben kann, die sozusagen lebend ins Eleysium eintraten – also mit einem noch nicht abgeschlossenen Erdenweg."

„Kannst du erkennen, wann das der Fall ist?"

„Nein. Bei Glaukos hoffte ich einfach. Sein zweites Leben konnte bewirken, dass Minos damit aufhörte, Ärzte hinzurichten, weil sie seinen Sohn nicht vom Tod zurückholen konnten. Die Wahrscheinlichkeit war so groß, dass ich den Versuch wagte."

„Hast du gleich gemerkt, dass er ein Blatt behielt?"

„Nein. Erst als ich diesen geflügelten Jungen sah. Aber hätte Glaukos versucht, jeden Toten zurückzuholen, der ihm begegnete, wäre es mir zu Ohren gekommen. Daher weiß ich, dass er dieses Blatt verantwortungsvoll einsetzt und ich werde es ihm lassen. Vielleicht ist das der Sinn seines zweiten Lebens."

„Haben wir alles", fragt Aria in diesem Moment dazwischen. Ich wende mich wieder Andés Kline zu. Um die herum sind jetzt drei Tischchen aufgebaut. An der Kopfseite steht ein stabiler Stuhl, auf Andés Kniehöhe ein hoher Stuhl, auf dem ein Papyrus sowie Tinte und Feder liegen.

Ich besehe mir die Tische näher. Auf einem steht eine Schüssel mit einer gelblichen Masse und zwei winzigen Spateln. Der zweite ist mit drei Schälchen mit Flüssigkeiten belegt und zwei Schnabelgießern. Auf dem dritten liegen einige feine Tücher sowie die Werkzeuge, die Ikar gefertigt hat, neben einer Schale mit einer grünlichen, scharf riechenden Flüssigkeit. Ich schnuppere nochmals nach. Sehr stark vergorener und unverdünnter Wein vermutlich, aber versetzt mit einigen stark duftenden Kräutern, die ich nicht kenne. „Was ist das?"

„Das wird Infektionen verhindern", erklärt Asklepios. „Damit sich die Wunden nicht entzünden."

„Was sind Infektionen?" Das Wort habe ich noch nie gehört. Laus offenbar auch nicht, denn er zückt bereits seinen stets mitgeführten Papyrus. Aber wir werden beide enttäuscht.

„Das Wissen darum steht euch nicht zu", wiegelt uns der Gott ab.

Aha. Mal wieder so eine Göttliches-Wissen-ist-nicht-für-Menschen-gedacht-Sache. Soll er doch. Solange es Menschen gibt wie Ikar, Laus und Aria, werden sie weiterforschen und irgendwann von selbst drauf kommen. Ob es den Göttern passt oder nicht.

Asklepios weist nun jedem seinen Platz zu. Fee erklimmt den hohen Stuhl, nimmt Feder und Papyrus zur Hand und beißt entschlossen die Lippen aufeinander. Sie hat die Aufgabe bekommen, die einzelnen Operationsschritte im Bild festzuhalten und ist bereit, dafür Angst und Ekel zu überwinden. Laus kniet an einer kleinen Dreifußschale, in der ein Holzkohlefeuer brennt. In der Hand hält er ein Werkzeug, welches mich an eine winzige Grillzange erinnert; nur sind die frei beweglichen Seiten flach ausgehämmert anstatt angespitzt. Ich verstehe warum, als Laus damit ein Stückchen Holzkohle aus der Glut nimmt.

Ikar an den Werkzeugen hat ein ähnliches Teil in der Hand. Aria nimmt an den Flüssigkeiten Aufstellung, Medea an der gelben Masse. Mich winkt Asklepios zum Stuhl hin. Offenbar soll ich die Operation aus nächster Nähe miterleben.

„Dich brauche ich, um seinen Kopf zu halten", erklärt mir der Gott. Na gut. Zum Halten und Tragen bin ich immer schon gut genug gewesen.

Aria nähert sich Andé nun mit dem einen Gießer und hält ihm den Schnabel an die Lippen. „Das hier nimmt dir die Schmerzen", erklärt sie ihm, während sie ihm die Flüssigkeit einflößt. "Es dauert nur einige Minuten, bis es wirkt. Aber ich weiß nicht genau, wieviel ich dir geben soll." Sie setzt den Gießer ab. „Am besten warten wir jetzt erstmal ab."

Das Warten ist entnervend. Für die anderen. Ich habe mal wieder etwas zum Nachdenken.

Es war das erste Mal, dass ich jemanden geküsst habe. Der spontane Bruderkuss, den ich Andé gegeben habe, hat mich mit Wärme und einem Gefühl der Zusammengehörigkeit erfüllt. Ich vermute, dass es Andé ähnlich ergangen ist und verstehe jetzt, warum die Menschen so gerne Küsse tauschen. Nicht nur unter Liebenden, sondern auch unter Freunden und Familie. Es ist ein schönes Gefühl und ich bin wieder einmal meinem Großvater sehr dankbar, dass er mir die Möglichkeit dazu verschafft hat.  Ohne die Fähigkeit, in eine menschliche Gestalt zu wechseln, hätte ich mein Leben lang auf diese Erfahrung verzichten müssen.

„Spürst du das?" Arias Frage reißt mich aus dem Grübeln; sie kneift Andé fest in das schlaffe Bündel Haut und Sehnen, das von seinem einst so muskulösem Oberarm geblieben ist.

JA.

„Stark?"

NEIN.

„Gut, dann noch einen Schluck", Aria flösst Andé noch etwas ein und lässt erneut etwas Zeit verstreichen. Dann kneift sie ihn wieder. „Und jetzt?"

NEIN! Andés weitaufgerissene Augen verraten seine beginnende Panik.

Aria begreift, dass Andé fürchtet, nun die letzten Sinne zu verlieren, die ihm geblieben sind. „Das ist nicht von Dauer", versichert sie ihm und greift nach dem zweiten Gießer. „Das hier lässt dich schlafen. Du wirst nichts merken."

JA. NEIN. ???? Andé schluckt gehorsam, aber seine Angst ist förmlich greifbar. Ich packe ihn an der Schulter. „Du wirst wieder aufwachen!", befehle ich ihm. „Ich lasse nicht zu, dass du von uns gehst!"

JA. Das Zwinkern wirkt nun ruhiger. Andé weiß so gut wie ich, dass ich da gar nichts tun kann. Trotzdem geben ihm meine Worte Zuversicht.

Dionysos tritt nun zu uns. Dicht über Andés Kopf erscheint das Bild, welches wir alle nun abgeben. Und auch in Andés Kopf, denn mein Bruder lässt seine Augen von einem zum anderen wandern, um sich uns alle einzuprägen. Aber dann fallen ihm die Augen zu.

Dionysos sieht Asklepios an. „Er schläft."

Der Heilergott lässt nun Andé von Ikar und Dionysos auf den Bauch legen. Und zwar so, dass sein Gesicht über die Matratze herausragt. Das Seitenteil der Kline ist schon zuvor entfernt worden.

Auf Anweisung des Arztes stütze ich die Ellbogen auf die Oberschenkel und nehme Andés Schädel fest zwischen meine Hände. Aria kämmt sein Haar zur Seite und bindet es zusammen, Asklepios lässt mich die Lage noch einige Male ändern, bis die eingeschlagene Stelle von Andés Hinterkopf gut erreichbar für ihn ist. Ab jetzt darf ich meine Position nicht mehr ändern.

Andés Atem streicht schwach, aber erkennbar über meine Unterarme. „Melde dich sofort, wenn sich sein Atem ändert oder aufhört", befiehlt mir Asklepios, bevor er mit einem Messer über Andés Nacken fährt. Ich wende sofort den Blick ab.

„Du bist ein Schaf", urteilt Laus trocken. „Er rasiert ihn bloß." Interessant. Fee nennt er Schäfchen, wenn sie sich „anstellt", mich hingegen Schaf. Immerhin um vieles besser als Hammel. Und Laus darf das. Geschwister haben gewisse Privilegien.

Ich riskiere nun doch einen Blick. Tatsächlich entfernt Asklepios nur das Haar an der Stelle, die er operieren möchte. Aber das ist ja nur der erste Schritt.

Es hat begonnen.


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