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„Bei Zeus, Teri, hast du noch nie einen Spaten gehalten?", stöhnt Ikar. „Du hältst ihn schon wieder verkehrt herum!"

Ich starre ihn verdutzt an. „Soll ich ihn etwa mit dem Stiel nach unten halten?"

„Ja, und dann mit der Stirn aufs Stechblatt hämmern", höhnt Ikar. „Vielleicht kommt so etwas Verstand in deinen Schädel. Guck dir doch mal das Stechblatt genau an! Kannst du erkennen, dass es leicht gebogen ist?"

„Ja. Soll ich es geradehämmern?" Es ist heraus, bevor mir aufgeht, dass das mit Holz wohl nicht so einfach ist.

„Untersteh dich! Das muss so sein! Und die konvexe Seite muss zu dir zeigen, nicht von dir weg."

Folgsam drehe ich das Grabwerkzeug um, das Ikar extra für mich gefertigt hat. Es ist erheblich länger als üblich und das Schaufelblatt ist weitaus größer. „Ist das nicht egal?"

„Nein, Vlakas! Mit der konkaven Seite schaufelst du ja die Erde beiseite. Aber nicht, wenn sie zu dir zeigt. Es sei denn, du willst verkehrt herum graben und den Boden unter deinen Füßen ausheben."

Ich muss lachen und höre auch Ande kichern. „Solche Finessen überlasse ich dir. Ich habe keine Flügel."

„Gut, dann arbeite jetzt genauso, wie ich es dir gezeigt habe!" Ikar unterstreicht seine Worte, indem er seinen eigenen Spaten senkrecht in die Erde sticht, den Fuß auf die eisenverstärkte obere Kante stellt und das hölzerne Blatt mit der Kraft von zwei Armen und einem Bein tief in die harte Erde treibt. Ich mache es ihm nach. „Autsch!" Ich bin abgerutscht.

„Gib mal her", Ikar holt aus seiner Werkzeugtruhe eine grobe Raspel und greift nach meinem linken Fuß. Es kitzelt, als er die Sohle meiner Sandale mit einigen raschen Streichen abraspelt.

„Was soll das? So wird sie ja noch dünner", beschwere ich mich.

„Soviel habe ich ja nicht entfernt", Ikar raspelt jetzt an der Kante des Stechblattes herum. „Deine Schuhsohle ist neu und glatt, der Spaten ebenfalls, darum bist du gerutscht. Ich habe es etwas aufgeraut. Jetzt sollte es besser gehen."

Ikar hat recht, stelle ich bei den nächsten Versuchen fest. Jetzt geht es erheblich schneller vorwärts. Eine halbe Stunde arbeiten wir unter lebhaften Debatten, wie genau der Kanal verlaufen soll, wohin wir die ausgehobene Erde tun und warum ich die Erde nicht einfach zur Seite werfen darf, wenn Ikar neben mir steht. Damit halten wir uns während der schweren Arbeit bei Laune und Andé beschäftigt, der in einem von Ikar gefertigtem Stuhl neben uns sitzt.

Andés Heilung schreitet allmählich voran. Mittlerweise kann er kauen und den Kopf selbst halten. Frei sitzen kann er noch nicht, darum hat ihn Ikar im Stuhl festgebunden. Und nach wie vor kann er nichts sehen.

Die Verständigung hat sich auch gebessert. Sprechen ist Andé nicht möglich, aber er bringt verschiedene Laute hervor, die wir zu deuten gelernt haben. Die größte Erleichterung für ihn ist vermutlich, dass er jetzt seine Notdurft vorher anmelden kann. Ikar hat auch dafür Sorge getragen und eine Art transportierbaren Abortsitz gebaut, auf den wir Andé dann hieven können. Immer noch nicht schön für ihn, aber eine Verbesserung. Und wie es aussieht, besteht berechtigte Hoffnung, dass Andé eines Tages wieder volle Kontrolle über seinen Körper bekommt. Ob er jemals wieder sehen wird, ist allerdings fraglich.

Laus kommt nun angekeucht, einen Stapel Steine auf den Armen. „Sind die recht?"

Ikar prüft sie kurz und nickt. „Davon kannst du noch so einige bringen. Aber nimm bitte den Handkarren, den ich für die Mädchen gebaut habe."

„Mach ich", Laus lädt seine Last ab und verschwindet wieder.

Ikar springt in den Graben, den wir ausgehoben haben und beginnt, die Steine so dicht wie möglich auszulegen. Die Lücken will er später mit Kies und Sand füllen. Mich lässt er den Graben weiter fortführen, mit dem Argument, dass ich zwar nicht seine Geschicklichkeit besitze, aber unendlich mehr Kraft und Ausdauer. Ich maule zwar, muss ihm aber recht geben. Mit dem riesigen Spaten, den er  für mich angefertigt hat, komme ich nun gut zurecht und ich schaufele mit einem Hub gut die vierfache Menge Erde aus wie Ikar.

Laus kommt noch einige Male mit geeigneten Steinen. Beim vierten Mal grinst er. „Wo will Teri denn hin mit dem Kanal?"

Verdutzt dreht sich Ikar zu mir um. „Teri, ich sagte leicht abfallend! Nicht bis in die Unterwelt! Das ist zu tief!"

„Skata, habe ich jetzt umsonst gearbeitet?"

„Zum Teil ja. Geh weiter nach vorne, wir richten das schon." Ikar stapft bis zu der Stelle, die ich zu weit ausgegraben habe und weist Laus an: „Schipp mal Erde nach!". Als Laus gehorcht, stampft Ikaros mit mächtigen Tritten die Erde fest. Nach einigen Spatenladungen ist er halbwegs zufrieden. „Komm her, Teri, tritt das mal richtig fest. Jetzt können wir dein Gewicht mal gut brauchen."

Na, wenn er meint. Ich bilde prompt meinen Stierkopf aus, da Kopf und Hörner noch einige Kilo zu meinem Gewicht zufügen und hüpfe auf dem Stück Kanal herum. Das macht mir richtig Spaß. Mit menschlichen Füßen und Gelenken kann ich viel besser springen als in meiner Minotaurusform. Wie ich als Stier springen kann, muss ich bei Gelegenheit noch ausprobieren.

Ikar sieht mir schmunzelnd zu. „Soll ich Wasser dazu schütten, damit du so richtig plantschen kannst?"

„Nicht nötig", wehre ich lachend ab. Aber so unrecht hat Ikar nicht. Als Kind habe ich oft neidisch zugesehen, wie meine Geschwister in die Regenpfützen gehüpft sind. Wenn ich das versucht habe, bin ich entweder bäuchlings hingeflogen oder mit den Hufen im schlammigen Boden steckengeblieben. Und das Gefühl von Matsch zwischen den Klauen ist überaus unangenehm. Ganz davon abgesehen, dass es eine mühsame Arbeit ist, die Hufe danach zu säubern. Beim nächsten Regen werde ich mal ausprobieren, wie das mit meinem menschlichen Körper funktioniert.

„So, das reicht", bremst mit Ikar schließlich. „Jetzt kann ich hier auch Steine verlegen. Grab weiter. Und halte dich an die Schnur, die ich dir gespannt habe. Du bist schon wieder abgewichen. Je krummer du den Kanal schaufelst, umso mehr musst du graben und zudem bleibt nachher leichter etwas hängen."

„Das kann Teri ja egal sein", bemerkt Laus trocken. „Er ist es nicht, der dann hineinklettern und säubern muss." Er verzieht das Gesicht. Als der schmalste und leichteste von uns wird ihm vermutlich die zweifelhafte Ehre zufallen. Mir tut er nicht leid. Das ist wenigstens mal eine Arbeit, die sie nicht gleich auf meinen breiten Schultern abladen können. Für den Kanal sind die zu breit.

Fee schleppt zwei Eimer mit Sand und Kies an. Ikar bedankt sich bei ihr, verweist aber erneut auf den Handkarren, der den Transport erleichtert.

„Davon kannst du noch so einige bauen", stellt Laus fest und zieht gemeinsam mit Fee ab. Ikar streut nun Kies zwischen die Steine, tritt ihn fest und schüttet den Sand darüber. Dann nimmt er seinen Spaten und zieht ihn über den Boden, um überschüssigen Sand und Kies zu entfernen.

„Ieetsch!" Mir läuft es kalt über den Rücken bei dem Geräusch und ich halte mir die Ohren zu. „Muss das sein?"

„Irgendwie muss ich das Ganze begradigen", verteidigt sich Ikar und macht ungerührt weiter. Ich setze mich an den Grabenrand, nehme den Spaten zwischen die Beine und stoße ihn in die Erde. Auf diese Weise kann ich weiterbuddeln und mir dabei die Ohren zuhalten.

„Das hört man bis zum Olymp!" Dionysos steht am Grabenrand und schüttelt sich. „Und auf jeden Fall bis zu den Mädchen. Hier! Soll ich dir von Ariadne geben!" Er reicht Ikar einen kurzstieligen Besen. „Darf ich den Spaten haben?"

Ikar nimmt bereitwillig das Fegewerkzeug. „Damit ich aufhöre?" fragt er lachend.

„Nicht nur. Ariadne weiß jetzt, wo sie ihre Kräuter pflanzen will. Und dazu brauche selbst ich einen Spaten." Er sieht auf und grinst plötzlich. „Ganz so schlecht war deine Aktion aber nicht. Schau!"

Jetzt blicken auch Ikar und ich auf Andé. Den hat das Geräusch offenbar auch so sehr gestört wie uns andere. Und irgendwie hat er es fertiggebracht, die Ellbogen auf die Stuhllehnen zu stützen, die Unterarme auf diese Weise aufzurichten und die Hände über die Ohren zu legen.

„Das konnte er bisher nicht", bemerkt Ikar beeindruckt. Ich grinse. „Die Verzweiflung verleiht einem Menschen gewaltige Kräfte."

Dionysos lacht, geht aber zu Andé und nimmt ihm behutsam die Hände von den Ohren. "Ikaros hat aufgehört", erklärt er ihm. "Den Spaten habe ich jetzt und Ikaros wird nun fegen. Das wird hoffentlich leiser vor sich gehen."

"Hm! Hm!" Andé nickt schwach. Ich lächle. Auch als Dionysos Andés Arme losgelassen hat, hält mein Bruder sie aufrecht. Er hat wieder einen Schritt vorwärts gemacht.

Asklepios hat uns gewarnt, dass Andé wie ein Baby alles neu lernen  muss. Aber Andés Fortschritte sind wesentlich schneller als die eines Babys. Sein Körper besitzt noch schwache Erinnerungen daran, wie es geht.

„Du bist großartig, Andé!", lobe ich meinen Bruder. „Du kommst immer schneller voran."

Andé lächelt schief. Seine rechte Gesichtshälfte ist beweglicher als die linke. Das bereitet ihm beim Kauen noch Probleme, aber seinem Lächeln gibt es etwas Einzigartiges.

Dionysos betrachtet mittlerweile Ikars Stückwerk. „Wäre das mit großen Steinplatten nicht besser?"

„Sicher!", bestätigt Ikar. „Aber leider habe ich keine Rotte Steinhauer zur Hand oder Zeit genug, um es selbst zu machen."

„Ich glaube, das geht auch schneller!" Dionysos geht zu Laus, der zwischen einigen Felsbrüchen nach geeigneten Steinen sucht.

Ikar sieht mich verdutzt an. „Ich denke, er ist der Gott des Weines und des Wahns? Wie will er damit Steine beeinflussen?"

Ich zucke die Schultern. „Ich habe keine Ahnung. Mich beeindruckt schon, wie er seine Magie neuerdings benutzt. Anfangs wollte er sie ja gar nicht gebrauchen."

Ikar grinst. „Er sucht immer noch einen Weg, um Aria zu gefallen. Ich bin direkt gespannt, was ihm noch alles einfällt."

„Ich denke, das alleine ist es nicht", gebe ich zu bedenken. „Wenn ich überlege, wie sein Leben bisher verlaufen ist, ist es wohl das erste Mal, dass er jemandem auf gleicher Stufe begegnet. Aigle und Epeios haben wohl den Boden bereitet, indem sie ihm freundschaftlich entgegengekommen sind, aber sie haben auch zu ihm aufgesehen. Und die anderen Götter verachten ihn, Zeus selbst hat sich kaum mehr als notwendig um ihn gekümmert und die Nymphen, die ihn aufgezogen haben, waren mehr Dienerinnen als Ersatzmütter. Er hat zum ersten Mal Freunde, glaube ich."

Ikar überlegt einen Moment. „Du könntest recht haben. Ich weiß noch, wie froh ich war, als ihr mir damals einfach eure Freundschaft geschenkt habt. Obwohl ich nicht nur fremd war, sondern auch noch Sklave."

Stimmt. Es ist Aria gewesen, die sich mit Ikar befreundet hat, als sie vier und er fünf Jahre gezählt haben. Schon damals hat sie sich um mich gekümmert, einen Zweijährigen, der auf seinen deplatzierten Hufen ungeschickt durch den Palast hinkte. Ikar hat sich ihr dabei schnell angeschlossen. Als Fee dann mit drei Jahren alt genug gewesen ist, uns hinterher zu rennen, haben wir bereits eine aufeinander eingeschworene Gemeinschaft gebildet, welche den Palast und die nähere Umgebung unsicher gemacht hat. Und die für mich gehalten hat, bis ich im Alter von acht Jahren ins Labyrinth gesperrt worden bin.

Wie ich inzwischen erfahren habe, haben die anderen vier – Ikar, Aria, Fee und Laus – mich niemals vergessen und an unzähligen Plänen gearbeitet, mich aus meiner Gefangenschaft zu befreien. Es hat für sie einen empfindlichen Rückschlag bedeutet, als Minos zwei Jahre nach meiner Einkerkerung Daidalos und Ikaros in den Wachturm einsperren ließ. Aufgegeben haben sie nie und letztendlich ist es ja auch geglückt – dank des fast unzerstörbaren Seiles aus Seide und Arias Haar, welches die Mädchen gefertigt haben und der Kopis, bei deren Herstellung Ikar tatkräftig mitgewirkt hat.

Ich mag unter einem Unstern geboren sein, aber mir wird immer deutlicher, wieviel Glück ich eigentlich erfahren habe. Ich bin einen Teil meines Lebens mit Freunden aufgewachsen und einer Mutter, deren unaufdringliche, schützende Präsenz ich sogar im Labyrinth noch zu spüren bekommen habe. Ohne ihre Forderung, mich dort mit Lesestoff zu versorgen und ohne ihre Tränke, welche mich in einem Traumzustand gehalten haben und so die Einsamkeit weniger quälend empfinden ließen, hätte es keinen Poseidon gebraucht, um mich dem Wahn verfallen zu lassen.

Umso mehr kann ich nun Dionysos verstehen. Ihm wird erst jetzt zuteil, was ich zumindest einen Teil meiner Jugend hatte. Noch weiß er nicht recht, wie er damit umgehen soll, aber er nimmt es freudig an. Die von ihm anfangs als respektlos empfundene Art, wie vor allem Aria und ich ihn behandelt haben, sagt ihm mittlerweile ganz offensichtlich zu.

Ich sehe auch nicht ein, warum ich vor ihm anbetend in die Knie oder gar auf den Bauch sinken sollte – oder vor irgendeinem anderen Gott. Als Enkel des Titans Helios bin ich mit ihnen recht nah verwandt. Tatsächlich sind mein Großvater und Dionysos' Vater Cousins, was den jungen Weingott zu meinem Onkel dritten Grades macht.

Meine Überlegungen werden durch Laus unterbrochen, der nun auf dem Handkarren einige Steinscheiben anfährt. „Ich soll fragen, ob die so recht sind."

Verblüfft mustert Ikar die Platten. Sie sind nicht etwa sorgfältig behauen, sondern wirken wie aus dem Fels gebrochen. Ihre Form ist unregelmäßig und sie sind nicht überall gleich dick. Aber es sind Steinplatten in der ungefähren Breite des Kanals. Ikar prüft sie sorgfältig und nickt schließlich. „Ja, es wird gehen. Um Stadien besser als das jetzige Stückwerk. Wie macht er sie?"

„Oh, er lässt Weinreben auf den Felsstücken wachsen. Sie bohren ihre Wurzeln in den Stein, bis eine Scheibe abgesprengt wird."

Ikar und ich sehen uns an und fangen an zu lachen. „Das hätte ich mir eigentlich denken können", gluckst Ikar schließlich. „Immerhin habe ich oft genug die Schäden gesehen, welche wuchernde Pflanzen an Mauerwerk und Felsen angerichtet haben."

Ich gebe ihm recht. „Jetzt weißt du, warum Dionysos mit seiner göttlichen Kraft so vorsichtig ist. Richtig eingesetzt kann er damit allerhand anrichten."

Laus setzt sich an den Rand des Grabens. „Ich bin oft wütend geworden, wenn mir Leute erzählen wollten, dass du zu fürchten seist, weil du soviel stärker bist als ein Nur-Mensch." Er hat Arias Bezeichnung übernommen. Für sie bin ich nie ein Tier oder ein Halbmensch gewesen, sondern alle anderen Nur-Menschen.

„Aber allmählich verstehe ich das besser. Eure Kräfte können einem schon Angst einjagen."

„Ich finde, die Gefahr liegt nicht in der Kraft alleine", sinniert Ikaros. „Es ist ein Zusammenspiel. Wie bei den Mechaniken, die Vater und ich hergestellt haben. Kein Teil alleine ist an sich stark oder gefährlich. Die Kombination macht es. Und darum fürchte ich mich weder vor Teri noch vor Dionysos."

„Weil uns etwas fehlt?", frage ich verwundert. Von Andé kommt ein Geräusch irgendwo zwischen Glucksen und Stöhnen.

„Ich bin da ganz deiner Meinung", bemerkt Ikar zu meinem großen Bruder. „Ich weiß oft auch nicht, ob ich lachen oder weinen soll über die Begriffsstutzigkeit, die Teri so manches Mal an den Tag legt."

„Ich habe aber auch nichts verstanden", springt mir Laus bei. „Nur, dass ich nicht begreife, was Teri fehlen sollte."

„Genau das ist ja der Punkt", erklärt Ikar. „Die Kombination, die ich meine, besteht aus Kraft, Intelligenz und Charakter. Die Kraft alleine nützt wenig ohne das Verständnis, was man alles damit anfangen kann. Das beweist Dionysos gerade, indem er Steinplatten mit Hilfe seiner Macht über Pflanzen formt. Oder auch Teri bei der Schlacht gegen Pallas' Mannen – glaubst du, es wäre jemand anders eingefallen, die Kopis mit ihrer Breitseite einzusetzen statt mit der Schneide?"

„Das liegt ja auch daran, dass Teri Angst hatte, jemanden zu töten", verteidigt mich Laus sofort.

Ikar stimmt ihm zu. „Und hier kommt der dritte Aspekt ins Spiel. Der Charakter. Teri wollte niemanden töten, nur weil er Pallas' Befehlen gehorcht. Dionysos fürchtet sich vor dem, was er mit seiner Macht anrichten kann. Poseidon – um nur mal ein Beispiel zu nennen – ist es vollkommen egal, wieviel Leid er über andere bringt. Hauptsache, er erreicht sein Ziel.

Als Poseidon entdeckte, dass Minos weder Pasiphae für ihre Untreue zu verstoßen gedachte noch ihr Kebskind töten lassen wollte, forderte er Teris Einkerkerung. Ansonsten hätte er ganz Kreta überflutet. Dass Vater dann acht Jahre brauchte, um das Labyrinth zu konstruieren und erbauen zu lassen, konnte Poseidon hinnehmen. Wichtig war ihm seine Rache und die sollte nun mal in Minos' öffentlicher Schande bestehen. In ganz Griechenland sprechen die Menschen nun vom Labyrinth auf Kreta und dem in ihm gefangenen Ungeheuer – und natürlich von der Ursache dafür. Hätte Minos seinen halb tierischen Stiefsohn angenommen, hätten sich nur wenige dafür interessiert und das war nicht in Poseidons Sinne."

„Ich hätte da wenig Gefahr gesehen", meint Laus skeptisch.

Ich bin mir da weniger sicher. Mir fällt die Axt ein, die mir Minos zum Abschied geschenkt hat, aber auch sein stillschweigendes Einverständnis, als Xenodike für mich die Bibliothek geplündert hat. Und aus meiner Kindheit erinnere ich mich an die eine oder andere Begebenheit, bei der ich mich mit Minos doch verstanden habe. Selbst meine ständigen Streits mit ihm kommen mir im Nachhinein nicht wesentlich anders vor als seine unaufhörlichen Debatten mit Aria. Ganz sicher liebt mich Minos nicht und auf keinen Fall sieht er mich als Sohn. Aber vollends verhasst oder gleichgültig bin ich ihm auch nicht.

Ikar fährt mit seiner Analyse fort: „Poseidon ist es, dem etwas fehlt – die Einsicht, wieviel Leid er mit seiner Macht verursachen kann. Zum Glück für uns besitzt er aber auch nicht die Klugheit von Teri oder Dionysos. Die beiden würden eine solche Gabe noch ganz anders ausnützen als es Poseidon tut."

„Die größte Gefahr geht also deiner Meinung nach von jemanden aus, der nicht nur über gewaltige Macht verfügt, sondern auch über das Verständnis, wie man diese Kraft in allen Facetten nutzen kann und der gleichzeitig nicht die Empathie besitzt, sie mit sowenig Schaden für andere anzuwenden", folgert Laus.

„Genau", bestätigt Ikar und erntet ein zustimmendes Schnauben von Andé.

Laus schaudert sichtlich. „Große Macht erfordert ein so hohes Maß an Verantwortung, wie es nur wenige haben. Ich bin froh, dass ich weder Gott oder Titan bin noch jemals König werde. Ich möchte soviel Macht gar nicht erst besitzen."

Ich kann ihn verstehen. Das möchte ich auch nicht.

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