Verhängnisvoller Silvestermorgen

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng


An Silvester ist es in unserer Familie Tradition, dass von uns vier Geschwister, dasjenige, das am längsten schläft, am Abend die Gäste bedienen wird. Mein Gehirn ist seit Jahren darauf programmiert, mich am Silvestermorgen früh wach werden zu lassen und hat mich immer vor dieser Ehrenaufgabe bewahrt. Bis auf heute Morgen.

«Guten Morgen, Schlafmütze!»

Meine gesamte Familie sitzt um den Küchentisch versammelt: meine Eltern, die Zwillinge Tim und Tom und mein grosser Bruder Julian.
«Komm, setz dich zu uns», bittet mich Papa und ich nehme auf dem Stuhl zwischen den Zwillingen Platz. Melli, du musst dich beherrschen, sagte ich mir innerlich immer wieder. Das ist nicht der Weltuntergang. Ich rang mir ein halbherziges Lächeln ab und setzte mich zu ihnen. Einmal ist wohl das erste Mal.


«Wir dachten uns, dass wir uns heute Abend, gerne einmal von dir bedienen lassen wollen», versucht sich Mama zu erklären.
«Ihr wisst schon, dass wegen mir schon zig Tassen und Teller zu Bruch gegangen sind? Ich werde euch heute Abend bestimmt blamieren!»
Als Tollpatsch der Familie habe ich keine leichte Aufgabe. Ich kann mich noch so anstrengen, einer meiner grossen Füsse bleibt bestimmt irgendwo hängen oder eine meiner blonden Strähnen landet in der Suppe.

*'*'*

Den ganzen Morgen verbringe ich schmollend in unserem gemütlichen Lehnsessel und lese einen Krimi von Agatha Christie. Immerhin bleibt mir noch mindestens ein halber Tag, um mich mit dem Gedanken abzufinden, heute Abend unsere Silvestergäste zu bedienen.

Ich seufze und blättere die Seite um. Gerade als ich mich wieder auf den Text fokussieren will, wird es plötzlich schwarz vor meinen Augen. «Hey, was soll das, Tim?», rufe ich empört. «Nimm deine Hände sofort wieder von meinen Augen weg!» Er kommt immer wieder mit dem gleichen Spielchen und trotzdem erschrecke ich mich jedes Mal. Ich muss zugeben, er besitzt das Talent sich geräuschlos von hinten anzuschleichen ausgezeichnet. «Na aber Schwesterherz, warum denn so mürrisch? Bist du immer noch sauer wegen heute Morgen?» Es wird hell und ich nehme die Umgebung um mich herum wieder wahr. Tim schlendert lässig um meinen Sessel herum und macht es sich auf der einen Armlehne gemütlich, die Beine übereinandergeschlagen, das Kinn auf seine rechte Handfläche aufgestützt. «Sehe ich etwa so aus, als ob ich einen Freudentanz veranstalte?», antworte ich genervt auf seine Frage. «Lass mich in Ruhe meinen Krimi lesen, okay?» Tim sieht mich vielversprechend an. «Ich habe dir ein Angebot.» Ich will ihm eine genervte Antwort entgegenschmettern, aber er gestikuliert mir, ruhig zu sein und ihm zuzuhören. Ich seufze. «Dann lass hören», sage ich und schaue ihn erwartungsvoll an. Neugierig hat er mich nämlich schon gemacht.

«Ich habe dich heute Morgen beim Frühstück beobachtet und bin zum Schluss gekommen, dass du etwas Hilfe benötigen könntest. Ich bin ja nicht so. Zudem sind immer noch Schulferien.» Er hält einen Moment inne.
«Vorab, du bist nicht die einzige, die Schwierigkeiten mit dem Bedienen von Gästen hat. Und da es zu (fast) allen Themen irgendein Buch gibt, habe ich auch eins über «wie bediene ich Gäste ohne mich zu blamieren» aufgespürt. Gut nicht?» Ich nickte. Da hätte ich eigentlich auch selbst draufkommen können, doch mein Interesse ist geweckt. «Da Bücher lesen einiges an Zeit in Anspruch nimmt, gibt es aber noch eine viel bessere Alternative.» Er hält kurz inne und zwinkert mir frech zu. «Auf YouTube gibt es für eben dieses Thema Crash-Kurse, irre, nicht wahr? Schau mal rein, das bringt bestimmt was.»

«Schön und gut, aber da gibts bestimmt einen Haken, oder?» Ich registriere ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen. «Na ja», er senkt kurz seinen Blick, «könntest du mich nachher kurz zu Lukas fahren?» Mein Bruder ist echt ein Schlitzohr.

«Okay, ich fahre dich. Aber mache dich schnell bereit, ich habe noch zu tun», grummle ich.
Nachdem ich Tim bei Lukas abgesetzt und einige Videos auf YouTube angeschaut habe, bleibt immer noch etwas Zeit bis unsere Verwandte kommen. Einige der Videos waren erstaunlicherweise sehr hilfreich. Andere hingegen waren nicht zu gebrauchen und ich habe schnell das nächste Video angeklickt, in der Hoffnung, dass es besser ist. Die Videos haben meinem Selbstbewusstsein wieder zu etwas Schwung verholfen und meine Meinung von «ich werde alle blamieren» zu «eigentlich kann ich das schaffen» geändert. Innerlich klopfe ich mir stolz auf die Schulter.

*'*'*

Kurz vor 18.00 Uhr schmeisse ich mich in meine feinen Klamotten: eine schwarze, elegante Hose und eine weisse Bluse, mit silberweiss glänzenden Knöpfen. Meine Haare stecke ich zu einem Dutt hoch. Vorsichtshalber sprühe ich noch eine Schicht Haarspray darüber. So kommen sie mir bestimmt nicht in den Weg oder landen am Ende in der Bratensauce oder ähnlichem. Danach widme ich mich dem Make-up. Gerade als ich den Lippenstift und die anderen Schminkutensilien wegräume, klingelt es an der Haustür. Tom und Tim, der inzwischen wieder zurück ist, sind das Empfangskomitee, nehmen unseren Verwandten gentlemanlike den Mantel ab und führen sie ins Wohnzimmer, wo der Apéro bereitsteht.

Nun beginnt mein Part. Ich verteile Getränke und biete Canapés und Blätterteiggebäck an. Dabei versuche ich alle anzulächeln und da und dort ein paar nette Worte zu wechseln. Niemand soll bemerken, dass ich eigentlich keine grosse Lust habe. Bis jetzt scheint es ganz gut zu funktionieren. «Darf es noch etwas Wein sein?», frage ich meinen Onkel charmant. Er, meine Tante und meine zwei Cousinen besuchen uns jedes Jahr an Silvester. Im Gegenzug sind wir bei Ihnen zu Ostern eingeladen. «Gerne Melli, das ist sehr aufmerksam von dir.» So geht das eine Weile, bis sich alle von der Sofaecke an den Esstisch verschieben, wo das Silvesteressen mit dem ersten Gang beginnt. Mama hat eine leckere Rindsbouillon mit einem Schuss Cognac zubereitet. Ich verteile nun jedem einen Teller davon und schaffe es sogar, ohne einen Tropfen davon zu verschütten. Ich fühle eine innere Zufriedenheit in mir aufkeimen. Jetzt nur nicht nachlässig werden und so weiter machen, denke ich.


Nach der Suppe stehen unseren Gästen verschiedene Salate zur Auswahl. Ich gebe die einzelnen Schüsseln mit Randen-, Sellerie-, Karotten- sowie Gurkensalat in Umlauf und erkläre, dass sich jeder selbst bedienen darf. Mit diesem kleinen Trick habe ich zwei Fliegen auf einen Schlag. Ich setze mich einem geringeren Risiko aus zu kleckern d.h. mich tollpatschig anzustellen und ausserdem kann sich so jeder seinen individuellen Salatteller zusammenstellen.

Der Abend ist bis jetzt sehr gesellig, alle unterhalten sich angeregt und lachen über den ein oder anderen Witz den Tim und Tom abwechselnd in die Runde geben.
Den Hauptgang servieren Mama und ich als Tellerservice. Sie bereitet in der Küche die einzelnen Teller vor und ich serviere sie den Gästen. Mama hat sich wirklich ins Zeug gelegt. Die Pilzrahmsause, die über den Breitbandnudeln und dem Kalbsentrecôte verrinnt, duftet bereits verführerisch und das Gemüsebouquét an sich ist ebenfalls eine Augenweide.

Alles läuft eigentlich ganz gut, bis ich Papas Glas mit etwas viel Schwung erneut mit Rotwein füllen will. Der Inhalt der Flasche ergiesst sich über das weisse Tischtuch. Was für eine Schweinerei! Zum Glück habe ich das nicht laut ausgesprochen. Professionell eile ich zur Spüle und besorge eine Rolle Haushaltspapier und einen nassen Lappen, getränkt in Mineralwasser, was gegen Weinflecken helfen soll. Es ist nicht mehr viel Wein in der Flasche gewesen, aber auf dem Tischtuch zeichnet sich doch ein hamburgergrosser roter Fleck ab. Ich tupfe den Wein mit dem Haushaltspapier ab, danach bedecke ich den Fleck mit dem Lappen. Das Ganze muss eine Weile einwirken, bevor ich es auswaschen kann.

Nach diesem kleinen Missgeschick hantiere ich vorsichtiger mit der Weinflasche. Zum Dessert serviere ich etwas Leichtverdauliches, da das Silvesteressen doch schon einiges an Platz in den Bäuchen der Gäste eingenommen hat. Aber gegen Vanilleeis mit Mandelsplitter hat niemand etwas auszusetzen.

Als es auf Mitternacht zugeht, erheben sich alle vom Tisch, um sich die Füsse zu vertreten. In der Zwischenzeit hole ich den Champagner aus dem Kühlschrank. Ich bin gerade daran genügend Champagnergläser aufzutreiben, als mich Tim im Vorbeigehen kurz in die Seite boxt. «Na, wie läufts so? Wo genau ist nun die Blamage, von der du heute Morgen so überzeugt gesprochen hast?» Er zwinkert verschmitzt, während ich den Blick senke und kaum hörbar «Idiot» murmle. Er hat es aber doch gehört. «Hey, so habe ich das nicht gemeint. Ich finde, du schlägst dich echt klasse!» Diesmal schaut er mich ehrlich aufmunternd an. «Danke», sage ich nur, nehme sein Kompliment stillschweigend an und stelle die letzten Gläser aufs Tablett.

Vertieft in meine Arbeit merke ich nicht, wie sich Mama zu mir gesellt. «Hallo Melli. Hervorragend machst du deine Aufgabe. Du bist die gute Fee des Abends. Ich bin wirklich stolz auf dich.» Sie lächelt mich an. «Gleich startet der Countdown. Bist du bereit, den Korken knallen zu lassen?» Ich gebe ihr ein zustimmendes Nicken und mache mich sogleich am Drahtgeflecht um den Korken zu schaffen.

'Plopp' und weg ist er. Ich giesse den Champagner in die Gläser und verteile sie rundherum. Gerade rechtzeitig.

«10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1... Ein Glückliches Neues Jahr!»

Alle prosten sich zu. Ich atme einmal ganz tief durch und merke wie alle Anspannung von mir abfällt. Ich habe es geschafft! Fast ungläubig lächle ich in mich hinein. Nichts ist unmöglich. Wenn man den inneren Schweinehund erst einmal überwunden hat, kann Gäste bedienen doch noch ganz unterhaltsam sein.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro