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Freitag
Mein Nachmittag begann mit Telefonieren, nachdem ich von meiner Schule heimgekommen war. Hatte ich erwähnt, dass ich unnötige Telefonate hasste? Zumindest würde es eine gelungene Ablenkung sein, wenn ich mir überlegte, wen ich ich hier gleich anklingeln würde.

,,Guten Abend, hier ist Lissa Clearwater von der Clearwater High. Was kann ich für Sie tun?"

Zaghaft antwortete ich der wohlbekannten und ziemlich eindrucksvollen Schulleiterin: ,,Ah, ja. Meine Tante Elle von der Raubtier-Liga hatte schon früher mal bei Ihnen angerufen... Ich würde gerne Schülerin an dieser Schule werden, sobald die Sommerferien beginnen."

,,Elle...Elle...habt ihr einen Nachnamen, den ihr mir geben könnt?"

,,Dunhill."

,,Ein sehr schöner Name! Aber ja, jetzt erinnere ich mich. Dann können wir jetzt mit den nötigen Fragen anfangen. Bereit?"

,,Ja, ich denke schon." Adresse, wichtige Daten und das Geld: alles hatte ich.

,,Kennst du schon deine Tiergestalt, Liebes?"

,,Misses Clearwater, Sie können mich Abby nennen. Aber um ihre Frage zu beantworten: Nein, noch nicht. Ich möchte das auch lieber bei Ihnen machen, wenn Ihnen das recht ist", ergänzte ich. ,,Ich bin Verwandlungen schon immer aus dem Weg gegangen, weil..." Kurze Pause und eine unangenehme Stille.

,,Aber, du hast dich trotz des Wissens noch nie verwandelt?"

,,Meine Verwandten hatten mir irgendwie ab und zu spontan ein Tierlexikon unter die Nase geschoben, aber auch ohne Erfolg. Ich hab meistens kein Kribbeln gespürt und ich-"

Sie unterbrach mich abrupt. ,,Nun, deine Tante und deine Familie? Welche zweite Gestalt gehört dazu?"

,,Meine Mutter ist eine Wandlerin, aber sie verwandelt sich selten. Sie will ihre zweite Gestalt auch unbedingt geheim halten... Na ja, sie hat Multiple Sklerose und ihre Tiergestalt ist nicht weniger spaßig damit..."

Es knirschte auf der anderen Leitung, aber diesmal unterbrach sie mich nicht.

,,Meine Tante Elle ist ein Luchs, Lynx rufus und so. Ansonsten ist der Rest menschlich mit vielen Wandler-Genen, wir wissen aber alle Bescheid."

Meine Tante war natürlich kein Luchs, aber ich fand, sie bewegte sich wie einer. Schon immer hatte ich sie deshalb bewundert und sie mich... Es war früh klar, dass ich eine Wandlerin war. Die Familie hat es sofort gespürt. Und es war klar: sobald ich 16 war und die Schule wechseln durfte, konnte ich auf ein Wandlerinternat. Es gab schließlich drei in den Staaten, die uns alle Möglichkeiten boten.

Ich war froh, dass Misses Clearwater meine Gedanken hier nicht hören konnte, sonst wäre sie vermutlich auf eine Blaue Calamintha-Biene gekommen, das wahre Wesen meiner Tante.

,,Oh, ein Rotluchs, wie schön! Wann hast du Geburtstag, wo wohnst du aktuell?" Ihre Stimme hellte sich sehr auf, und mal wieder merkte ich, welch großen Unterschied eine Lüge machen konnte.

Brav beantwortete ich ihr alles.

,,Wir haben, als ich klein war, in Florida gelebt; später in Louisiana und als meine Mutter meinen Stiefvater kennengelernt hat, sind wir dann nach Utah gezogen. Ich rufe Sie gerade aus Salt Lake City an..."

,,Mein leiblicher Vater? Colorado, aber er hat sich scheiden lassen, ich weiß nicht, ob er ein Wandler war. Mütterlicherseits hab ich auch Vorfahren aus Mexiko, falls sie das meinen."

,,Ja, genau, meine Familie bezahlt mir den Aufenthalt für die drei Jahre."

,,Ich werde mir Mühe geben - ja, ich halte nochmal Ausschau nach Rotluchsen. Bis bald!"

Puh. Genervt legte ich den Hörer beiseite und betrat mein Zimmer, was außer der ockerfarbenen Wände recht farblos war. Vielleicht, weil ich mehr Zeit woanders verbrachte: im Krankenhaus, im örtlichen Aerobic-Verein, bei meinen Freund*innen und bei Verwandten. Tante Elle würde ich später anschreiben, weil meine Energie gerade schwand; sie war wahrscheinlich sowieso beschäftigt, einen neuen Wettbewerb für die Raubtier-Liga zu organisieren.

Es war komisch, welche hohe Stellung sie dort hatte, obwohl das nicht möglich gewesen sein sollte. Sie war nur eine Biene. Kein großes Tier, kein starkes Tier, kein intelligentes Tier, nur ein Insekt. Selbst die Menschen hatten erst vor einem Jahr herausgefunden, dass auch Wirbellose Schmerzen spüren konnten. Wussten wir das nicht schon alle und hatten es nur wegen Vorurteile ignoriert?

Ich hoffte insgeheim, dass ich auch ein Tier war, was nicht dem Mainstream entsprach. Es musste sich ja jemand hinstellen und die Diskriminierung aufdecken! Oder? Meine Tante war zwar undercover zu einer riesigen Karriere gekommen -indem sie sich teilverwandelt hatte, ihre Haare sahen aus wie Fell; die Pranken waren ihre kräftigen Füße, ebenfalls mit Härchen bedeckt- und niemanden war etwas aufgefallen. Niemand hatte sich wirklich damit beschäftigt, doch statt etwas zu tun, brachte sie weiter Geld ein.

War dieses System das richtige? Weder hier noch dort, in beiden Welten, würde meine Mutter akzeptiert werden. Was war mein Weg in dieser Gesellschaft? Hatte ich überhaupt eine Wahl?

Ich schloss die Augen, und versuchte, alles auszublenden. Einatmen, halten - ausatmen, halten. Es kribbelte leicht, als meine Gedanken in eine andere Welt abdrifteten, mit weiten Wiesen und Wäldern, der Wind wehte sanft und ich hatte das Gefühl, dazuzugehören. Ein selbstbewusstes Lächeln erfüllte meine Lippen, während ich meine Augen schloss und mich dem Tagträumen hingab. Vielleicht war das ein Teil von mir, aber weiter würde ich nicht kommen. Niemals könnte ich selbst diese Wiese betreten und den Wald erkunden, was vielleicht meine verborgene Gestalt war.

Ich öffnete langsam die Augen und atmete entspannt aus, bis plötzlich mein Handy klingelte - es war meine Tante. Elle Dunhill.

,,Und, wie lief dein Gespräch?"

Es stand fest, in drei Wochen würde ich die Clearwater High besuchen. Das war wenig Zeit, um mich von meiner High School zu verabschieden... Natürlich wussten einige, dass das Sonderinternat in meiner Laufbahn festgelegt war. Ich unterschied mich nicht sonderlich von den anderen, weder im Aussehen noch in meinen Leistungen; das Internat war daher mein Familien-Ding.

Manchmal war meine Mutter im Rollstuhl mit meiner Tante und meinen Großeltern im Schlepptau aufgetaucht; das schund natürlich Eindruck, wenn alle ein professionelles Auftreten hatten. Und so mysteriös, denn die Raubtier-Liga war natürlich in der Menschenwelt etwas ganz anderes: eine große Firma, die sich um die Förderung junger Talente in Sport und Wettbewerben kümmerte.

Vielleicht hatten schon Klassenkamerad*innen, die mich gut kannten, versucht, ein ,,Stipendium" oder ,,Praktikum" zu bekommen... vergebens. Kein Gestaltwandler, kein Platz in unserer Welt. Klang einfach, war es aber definitiv nicht.

Montag
Schnell steckte ich meine dunkelbraunen Locken mit einer Haarklammer nach oben, zog mir die leichte Jacke über und lief los. Mitte Mai war es schon ziemlich warm und trocken hier, besonders in der Innenstadt - zum Glück war ich dort nur selten, die Luft war eher unangenehm dort. Bald traf ich auf die großen Hauptstraße, die laut und dreckig mir den Weg versperrte. ,,Verfickte Architekten", murmelte ich; wohlwissend, dass Männer ohne Umweltbewusstsein diese Straßen erbaut hatten. Nach einer Ewigkeit überquerte ich die Straße und kam schließlich zu einer Haltestelle der Salt Lake City Light Rail, meine Zugverbindung in die Vororte der Stadt.

Pünktlich wie immer kam der halbvolle Zug, ich stieg ein und suchte meinen gewohnten Sitzplatz. Nach ein paar Stationen würde sie dazu steigen, und ich würde ihr von den guten Neuigkeiten erzählen - zumindest würde ich es versuchen.

,,Abby!", rief Ava und umarmte mich, während der Zug wieder losfuhr. Schon wieder fielen wir fast um, dann setzten wir uns nebeneinander ans Fenster. Meine Klassenkameradin war eine gute Freundin, ausgesprochen neugierig und liebte die Berge. Sie war oft dort oben und wanderte, manchmal begleitete ich sie - sie hätte an meiner Stelle das Wandler-Gen haben müssen. Ava hatte das mehr verdient als ich, die sich nicht mehr verwandeln konnte, aus Sorge und Sturheit. Sie hätte mehr Freude haben können als ich.

Ich schob die Gedanken weg und begann, es ihr zu erzählen: ,,Ich bin so froh, dich zu sehen! Ah Mann, hast du zufällig die Hausaufgaben fertig bekommen? Ich verstehe Mathe einfach nicht...", sie schob mir die Lösungen hinüber, ,,und den Anruf, den ich führen musste. Ich habe mich für das Internat beworben, die Clearwater High..." Ava machte ein perplexes Gesicht, lachte dann aber und meinte: ,,Hey! Das ist doch super! Und du bist ganz in der Nähe, du und ich können uns gegenseitig besuchen und ich werde dir erzählen, was bei uns so abgeht. Wenn Handys dort nicht verboten sind, bleiben doch immer noch die sozialen Medien... auch wenn ich deine Papierkügelchen vermissen werde." Ich zog eine Grimasse und schüttelte den Kopf.

,,Vergiss es. Ich darf nur selten Besuch empfangen und es wird viele Prüfungen geben und-"

,,Dann komm ich einfach mit! Zumindest einmal anschauen und dich ankommen lassen, in Jackson soll es echt toll sein. Oder?"

Ich war sprachlos, aber fasste dann doch den Entschluss: ,,Okay. In drei Wochen geht's los, bist du da? Ich werde in den Ferien dort ankommen und einziehen, da ist eh kein Unterricht."

,,Danke, wir brechen einfach noch ein letztes Mal die Regeln und unternehmen etwas. Ich werde nebenbei noch viel vorbereiten! Oha, das wird wirklich toll. Vielleicht gibt's dort auch viele Tiere und ein Geheimnis, was wir aufdecken müssen - oder so!"

Ava lächelte, ich grinste zurück. Und ich dachte mir: diese Fahrt hatte vermutlich alles durcheinander gebracht, was ich bisher tun wollte. Vielleicht war das eine Gelegenheit, der Clearwater High den Spiegel vorzuhalten - wenn auch nur für einen kleinen Moment.

Sonntag, drei Wochen später
,,Gute Besserung, Mom! Ich werde immer an dich denken, ich hoffe, es bessert sich, solange ich nicht da bin... scheiße, es tut mir so leid." Voller Sorge verabschiedeten wir uns, meine Mutter schickte mir über die Gedankensprache eine warme Gefühlswelle; ich umarmte sie sanft und nahm meine Koffer. ,,Draußen wartet Ava, wir laufen zusammen zum Zug - ich muss also gleich los..." Sichtlich erschöpft vom Stehen antwortete Mom: ,,Super, viel Spaß euch. Wir sehen uns in ein paar Wochen, ja?"

Ich öffnete ein letztes Mal die Haustür und ging, auf zur Clearwater High.

Wir fuhren acht Stunden. Eine gute Zeit, die wir uns mit verschiedenen Spielen vertrieben und gleichzeitig die gemeinsame Auszeit genossen; während die Wälder langsam dunkler und größer worden - wir waren in Wyoming; natürlich auch mit den typischen Bergen, den Rocky Mountains. Vor vielen Jahren kam Carag Goldeneye von dort in die Clearwater High und änderte alles. Nun ja, eigentlich zeigte er der ganzen Welt, dass nur er und die anderen Säugetiere die Protagonisten waren, wie in einem Film. Aber in der Gesellschaft der Wandler war das alles sowieso schon längst angekommen.

Ich wusste ganz genau, wie meine zukünftige Schule wirklich aussah. Ava hatte ich bisher nur die Internet-Bilder gezeigt: für jeden zugänglich, ganz normale Ziegelstein-Schule mit schweren Mauern und Glaswänden. Es würde spannend werden, ihr den hinteren Teil zu erklären- doch, ich war mir sicher, dass alle sich dort zu helfen wussten.

Am späten Nachmittag kamen wir an und aßen erstmal in einem netten Restaurant in der Innenstadt, es gab Spaghetti, Gemüse und Wraps in allen verschiedenen Sorten und Varianten. Dort ruhten wir uns aus, nahmen uns etwas zu viel Zeit auf der Toilette und redeten dort noch kurz.

,,Weißt du was, Abby? Das wird toll. Ich bin müde, jetzt gerade extrem satt, mein Akku ist leer und ich muss übermorgen wieder zurück; aber zumindest bin ich mal wieder in Jackson, noch dazu in einem Internat, und meine beste Freundin ist hier. Was könnte besser sein?"

Ihre Worte erfüllten mich, aber gleichzeitig stellte ich mir die Frage: Würde ihre gute Laune kippen, wenn sie mehr über die Situation erfahren würde?

Ich sprach kurz darauf etwas völlig anderes an. ,,Ich hab hier ziemlich viele Dollarscheine mitgenommen, wir können gleich bezahlen und das Taxi rufen. Weißt du, dort gibt es so einen großen Parkplatz und dann geht's in den Wald rein...da gibt's auch auf jeden Fall jemanden, der uns mit dem Gepäck helfen kann; ich bin gespannt!"

Ava bemerkte, wie angespannt ich war und flüsterte mir zu, dass wir nach dem Ankommen doch zusammen etwas entspannen könnten. Ich nickte, holte mein Gepäck und wählte die Telefonnummer des Taxiservices von Wyoming. Mein Herz explodierte fast, als ich meinen Standort und mein Ziel nannte. Nun würde ich der Elite-Gemeinschaft näher kommen - ohne eine Ahnung zu haben, wo ich in dieser stand.

,,Danke fürs Fahren!", murmelte ich, während ich meine Koffer auslud und unsicher nach vorne schaute. Wir warteten noch, bis das Taxi hinter dem Hügel verschwunden war, liefen dann auf den Wald und damit auch die Clearwater High zu. Schnell kam uns jemand entgegen, der mir schon bekannt vorkam: es war Mister Soderberg, der Hausmeister der Schule. Er hatte öfters meine Mutter besucht, als es um die Formulare ging; darum, mich auf die Schule zu schicken. Er erkannte mich wieder, runzelte dann aber die Stirn, als Ava mit ihren Taschen den grasbewachsenen Platz erreichte.

,,Hey Abigail, wie war die Fahrt?"
,,Gut, danke."
,,Und wer ist das da?"
,,Das ist Ava, meine beste Freundin. Wir wollten die letzten gemeinsamen Tage zusammen verbringen, sie will hier ein paar Tage übernachten - ich hoffe, das ist okay?"
,,Genau, ich werde auch nichts Verbotenes tun, höchstens mir den Fluss da hinten anschauen, falls das geht!", rief sie, während sie zu uns kam. Der Hausmeister nahm ihr das Gepäck ab und mir meinen kleineren Koffer, er bestätigte Ava alles und erklärte, dass es nicht mehr weit sei.

Unmerklich nickte ich, als er mich über die Gedankensprache fragte: ,,Mensch?"

Im Wandler-Internat selbst überflutete mich der Gedankenstrom. Sätze wie Menschenalarm, Shit oder ich kann mich gerade nicht verwandeln waren unglaublich laut und brachten mich dazu, mir vor Kopfschmerzen an den Kopf zu fassen. Ava konnte froh sein, dass sie nichts spürte; gerade war sie nur damit beschäftigt, Theo über die riesige Glaskuppel auszufragen.

Und dann... kam uns die Frau entgegen, mit der ich vor einem Monat telefoniert hatte. Lissa Clearwater, Weißkopfseeadlerin und vielleicht die Wandlerin mit der größten Macht in Amerika, nachdem es die Unternehmen von Lydia Lennox nicht mehr gab - ihre Tochter hatte höchstpersönlich dafür gesorgt, dass ihr Erbe aufgelöst wird. Die Clearwaters besaßen zwei der drei Schulen in den USA, was konnte hilfreicher sein?

Ihre Ausstrahlung war unglaublich krass. ,,Guten Abend, Misses Clearwater. Danke, dass Ava die nächsten Tage hier bleiben darf, das ist wirklich toll!", erwiderte ich höflich ihren skeptischen Blick. Meine beste Freundin reichte ihr die Hand und fragte: ,,Hi, ich bin Ava Romero! Eine kurze Frage: Was fördert diese Schule eigentlich genau und wie kann man hier Schüler*in werden?" Kurz erschrak ich. Was hatte sie vor?

,,Ich begleite euch erstmal auf euer Zimmer. Abby, du bekommst ein noch leeres Doppelzimmer, Ava kann für die Tage hier bei dir einziehen. Nun ja, meine Schule repräsentiert Naturverbundenheit und wir fördern Menschen mit sehr besonderen Talenten, Abigail kann zum Beispiel sehr gut hören, sie hört Geräusche und Musik aus Dingen heraus, die wir nicht wahrnehmen", ich nickte heftig und dachte an den Rotluchs, ,,viele hier haben eine Begabung für so etwas. Wir vergeben auch Stipendien."

Die Augen meiner Freundin wurden groß, sie erklärte Misses Clearwater, wie naturverbunden sie sei und dass sie ein Talent für Bogenschießen hatte. Hatte sie wirklich. Ein Stipendium war trotzdem so weit weg wie die nächste Galaxie, in diesem Leben.

Die Gänge waren leer, als wir uns langsam zum hinteren Teil des Gebäudes bewegten. Ich fragte mich, was sie wohl angeordnet hatten, um alles vor Ava zu verstecken? Zumindest war es warm draußen und ich machte mir wenig Sorgen um die Wandler, die als Tier lebten. Ava schien ähnliche Gedanken wie ich zu haben und schaute sich suchend um; sagte dann aber doch nichts und blickte wieder schweigend auf ihre Reisetasche.

Nachdem uns die Regeln und mir per Gedankensprache die anderen Regeln mitgeteilt wurden, verschwand die Schulleiterin aus unserem Zimmer und ich freute mich schon, meine Ruhe zu haben; bis ich verstand, dass ich mitkommen sollte. Scheiße! Schnell lief ich hinterher und diesmal ging es direkt in ihr Büro.

Sobald wir weit genug weg von Ava waren, sprudelte es aus mir heraus. ,,Was ist los? Was wollen Sie tun? Stimmt etwas nicht?" Genervt antwortete die ältere Frau: ,,Abigail Dunhill. Ich weiß, deine Tante hat einen hohen Stellenwert für unsere Gemeinschaft und du bist noch nie in deiner Tiergestalt gewesen. Aber ist das dein Recht, unsere Regeln zu missachten und spontan einen Menschen hierher zu holen? Du weißt, wie gefährlich das sein kann. Du weißt ganz genau, wie viele sich hier für die nächsten Tage verstecken müssen."

In mir zog sich alles zusammen. Fuck, dachte ich, und wartete den Augenblick ab, bis sie weiter redete.

,,Du bist noch nicht mal an der Schule und hast unsere zweite Regel gebrochen! Aber ich kann dich noch nicht wirklich bestrafen, auch weil deine Freundin noch hier ist. Weißt du,..."

Ich hörte kurz nicht mehr zu. Ich hatte Ava nichts gesagt, was hatte ich also getan? Natürlich wusste ich von den Gesetzen und der Gesellschaft, ich kam nur nicht mit der Umsetzung klar. Vielleicht hatte ich auch keine Ahnung.

,,Die Erkrankung deiner Mutter tut mir aufrichtig leid. Trotzdem habe ich das Gefühl, du bist hier einfach noch nicht angekommen, in dieser Welt. Vielleicht willst du das auch gar nicht, aber nach diesem Vorfall ist es wichtig, dass du es verstehen kannst! Ich werde Mr Ellwood gleich fragen, es wird ab morgen Vormittag zusätzliche Verwandlungsstunden geben, bis du mehr Zeit in Tiergestalt verbringen kannst; deine Tante fand die Idee in unserem Telefonat auch außerordentlich gut..."

Okay, meine Tante hatte anscheinend auch keine Ahnung. Lag wahrscheinlich daran, dass sie mich nur alle paar Monate sah... Ich seufzte tief und spürte in mir, dass es vielleicht doch eine gute Idee war. Trotzdem widerstrebte mir alles, mich innerhalb weniger Stunden schon verändern zu müssen, und Ava alleine zu lassen. Ich fragte also erstmal genau das: ,,Was wird mit Ava passieren, wenn ich bei diesem Unterricht bin? Sie wird, so wie ich sie kenne, gleich nach draußen rennen und vielleicht etwas sehen. Ich hätte ja sonst aufgepasst, aber na ja..."

,,Wie gesagt, ich spreche nachher mit allen Beteiligten und schicke einen zukünftigen Zweitklässler zu ihr, er wird eine Führung organisieren und sie auch in zweiter Gestalt im Auge behalten. Zum Glück macht er das gerne, hm. Dann sehen wir uns morgen wieder, ab um zehn im Verwandlungszimmer!", sie nickte mir zu und ich befürchtete, dass das doch keine gute Idee war. Vor allem nicht mit diesem Typ. Was wohl seine unscheinbare Zweitgestalt war? ,,Ein Puma ist er wohl nicht!", grummelte ich und verließ das Büro.

Die ganze Nacht redete ich noch mit Ava, aber wir wurden immer stiller, denn draußen hörte man nun die nachtaktiven Wandler - fauchen, zwitschern und ein leises Plätschern vom Fluss aus beruhigten uns. Erfolglos versuchte ich, meine Menschenfreundin im Vogelstimmen erraten zu schlagen, doch sie war mir jedes Mal ein halbes Lexikon voraus. Was wäre, wenn ich eine Vogel-Wandlerin wäre? Ich würde sie plötzlich in meiner Sprache überall schlagen können, ohne es ihr zu sagen. Aber es spielte sowieso keine Rolle, was ich war. Wenn sie herausfinden würde, für wen die Schule eigentlich gedacht war...

,,Abby, bist du noch da? Ich habe dich gerade nach deinem Tipp gefragt."

Montag
Früh morgens um neun Uhr klopfte es ziemlich stark an unserer Tür. Ich war schon wach und dazu noch adrenalingeladen, während Ava noch müde mit Klamotten im Bett lag; sie starrte die Decke an und hatte vermutlich auch gehofft, dass wir gleich das Zimmer verlassen konnten. Ich sprang schnell auf und öffnete die Tür. Meine dunkelbraunen Augen trafen die hellbraunen Augen eines großen Jungen, er war mindestens genauso alt wie wir - aber größer als ich und zwei Köpfe größer als Ava. Schwarze Haare umrahmten sein Gesicht, während er hastig an mir vorbei schaute. ,,Wolf?", flüsterte ich und schwieg dann, es war mir unangenehm, mich ihm zu verantworten.

Wir standen anscheinend da wie griechische Statuen, wofür ich einen scharfen Blick von meiner Freundin kassierte. Sie stupste mich an und meinte dann: ,,Hey, Guten Morgen! Ich bin Ava und das ist Abigail, Abby am liebsten. Danke für die Mühe, du machst das mit der Willkommenstour bestimmt nicht freiwillig... wie heißt du?" Der Zweitklässler antwortete mit einem ,,Elio, immer gerne - bist du bereit? Ich würde dich erstmal zur Glaskuppel führen und ein paar geheime Dinge ausplaudern, du weißt schon... wir können ja danach frühstücken, du lernst dann auch die anderen Schüler*innen hier kennen. Allerdings sind viele nicht da, wegen den Sommerferien und so-"

Ava war definitiv von ihm angetan, nickte, und schaute mich dann fordernd an. ,,Danke, Elio. Ich komme nicht mit, ich kenne das Gebäude noch von früher und ich hab echt keinen Hunger... wir sehen uns dann zum Mittagessen, nach der Prüfung und so!", so hatte ich meinen Verwandlungsunterricht gegenüber meiner Klassenkameradin erklärt. Elio schaute mich nochmal prüfend an, und murmelte dann plötzlich: ,,Ne, Johnny Cash." Warte, was meinte er damit? Innerhalb des Augenblicks waren sie schon hinter der nächsten Wand verschwunden. Scheiße, das war ein fieses Rätsel und ich hatte keine Zeit zum Googlen - warum konnte er es nicht einfach sagen, ohne zu viel zu verraten?

Langsam und zitternd lief ich die Treppe hinunter. Erst jetzt wurde mir bewusst, was für eine Überwindung das werden würde - scheiße, meine Mom. Sie konnte sich nicht verwandeln, warum sollte ich es dann tun? Es würde mir doch nichts bringen! Panik stieg in mir auf, die ich wie immer unterdrückte und mich stattdessen weiter auf die Stufen konzentrierte. Ich fluchte weiter und ging den Gang Richtung Innenhof hinunter, bis ich vor dem Übergangs- und Verwandlungsraum stand. Wegrennen, hinein gehen, warten? Ich hatte noch kurz Zeit, ganz kurz...

Ohne nachzudenken, drückte ich die Klinke hinunter und schubste die Tür aus Versehen direkt zu Mister Ellwood, der direkt davor stand. ,,Entschuldigung... hallo...", stammelte ich und schaute zur Seite. Mein Verwandlungslehrer schloss die Tür, klopfte sich seinen Anzug ab und schüttelte mir die Hand. Er war überraschend freundlich und begrüßte mich mit: ,,Nicht schlimm, Abigail. Wie geht's dir?" ,,Nicht gut...", meinte ich und fing an, ihm meine Situation zu erklären.

,,..und deshalb kann ich mich nicht verwandeln! Ich krieg immer so eine Panik und will nur noch weg, sodass jegliches Kribbeln verschwindet. Es nervt, ich weiß und ich komme nicht wirklich damit klar... Sie sehen, meine Hände zittern immer noch. Ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann." Mein Herz raste und mein Atem ging unregelmäßig auf und ab. Mein Gegenüber schien eine Idee zu haben, er setzte sich auf den Boden und bedeutete mir, dasselbe zu tun.

,,Schließ die Augen, Abby. Ich weiß, deine Gedanken sind unregelmäßig, aber du bist näher an deinem Inneren, als du denkst."

Was hatte er vor?

Ich tat, was er sagte und mein Atem beruhigte sich langsam, als wir uns nur darauf konzentrierten. Frei von Problemen und der Außenwelt, nur hier.

,,Du magst diese Wiesen, oder? Und der Wald, es sieht ein bisschen aus wie an der Ostküste..."

,,Ja, ich habe dort als Kind gewohnt, Louisiana. Es war wunderschön, und ich habe es geliebt, dort zu rennen und zu spielen - ich glaube, meine Tante hatte mir sogar ein Baumhaus gebaut, es war wunderbar."

Mein Puls beruhigte sich langsam.

Stille breitete sich aus, während ich wieder in meinen Tagträumen war und es kribbelte sanft, wie der Wind über den Wiesen.

,,Du bist fast da, merkst du das? Das ist deine Tiergestalt."

,,Ja, aber, was soll ich tun, ich bin noch nie-"

,,Pssst", unterbrach Mister Ellwood mich, ,,Schweigen hilft gerade am besten."

Nach ein paar Minuten war ich wieder dort und spürte die Gelassenheit dieses Ortes. Wie gerne würde ich dort sein, mit meiner Mom kuscheln und spielen... mein inneres Kind glücklich machen.

Plötzlich schickte mir mein Verwandlungslehrer Bilder über die Gedankensprache. Es waren verschiedene Tiere, die über meine Wiese rannten und den größten Spaß ihres Lebens hatten. Sie waren alle sehr klein und jung, vermutlich wie ich, damals in Louisiana... Es kribbelte heftig, als ich mir das Szenario genauer angeschaute.

Ein Rotluchs.
Nein, definitiv nicht - nicht mal Tante Elle wäre darüber glücklich gewesen.

Ein Swiftfuchs.
Vielleicht mein leiblicher Vater aus Colorado, aber ich nicht.

Ein Appaloosa.
Das Fohlen auf der Wiese war definitiv nicht ich... aber woher kam dann das Kribbeln?

Etwas abseits davon, am Waldrand, grasten eine kastanienbraun-gefleckte Kuh mit ihrem Kalb, sie hatte riesige Hörner und genauso dunkelbraune Augen wie...,,Mom."

Es ging alles so schnell. Bevor ich realisierte, wovon meine Gedanken gerade vernebelt waren, breitete sich das Kribbeln aus. Mein ganzer Körper wurde taub und ich fühlte eine heftige Welle des Glücks. Alles war von mir abgefallen, diese riesigen Blockaden und die Schmerzen, diese Unklarheit und alle Sorgen, die ich gerade hatte. Neben mir erblickte ich einen großen Hirsch, der auch wie ich auf dem weichen Boden lag und mich anschaute; Mister Ellwood hatte sich gleichzeitig mit mir verwandelt. ,,Texas Longhorn, sehr schön; und ich denke, deine Mutter auch." Ich blickte nach oben und entdeckte schemenhaft die riesigen Hörner, die ich nun auch in zweiter Gestalt besaß. Meine Beine waren kräftig und mein Fell dunkelbraun mit vielen weißen Spritzern...Ich hätte heulen können. ,,Woher wussten Sie das? Sie kennen mich doch kaum!", fragte ich das erste Mal in Gedankensprache. Hoffentlich kam das an.

,,Vielleicht waren die Tiere schon immer am Waldrand, du warst bisher nur viel zu weit weg."

Langsam versuchte ich, aufzustehen und mein Gleichgewicht zu halten; und merkte dabei, dass meine zerrissenen Klamotten unter mir lagen. ,,Keine Sorge, wir haben neue!", bemerkte mein Lehrer und schaute etwas amüsiert dabei zu, wie ich meine ersten Gehversuche tat. Zumindest wettete ich, dass er das tat - ich war ein Huftier und damit seine neue Lieblingsschülerin. Klar, ich war zwar kein Wolf, aber dennoch ein großes, heftiges Säugetier... ein Hausrind; aber wäre das nicht schon wieder etwas anderes? Keine Ahnung, aber irgendwie waren mir die negativen Gedanken auch gerade völlig egal. Ich hüpfte ein bisschen und bewegte meinen Schweif, stieß dann ein leises Brummen aus und schnaubte ein bisschen.

In der nächsten Stunde brachte mir Mister Ellwood neue Techniken und Strategien für die Gedankensprache bei, während wir noch in Zweitgestalt blieben. Es ging um das Ausweichen des riesigen Gedankenstroms der CH, was ich sowieso nicht gewohnt war; um eine Blockade, damit ich nicht meine Gedanken überall verteilte - das hatte ich anscheinend vorher genug getan. So ein Mist... Elio hatte vermutlich etwas zu viel bemerkt, wenn er es empfangen konnte.

Auch in meiner Tiergestalt bemerkte ich meinen ziemlich großen Hunger, der nun immer schlimmer wurde; ich hatte heute noch nichts gegessen, weil meine Aufregung das nicht zugelassen hatte. ,,Ich weiß, das klingt blöd, aber sind wir bald fertig? Ich muss dringend zum Mittagessen...", sendete ich meinem Lehrer und ging einen Hufschritt nach vorne. ,,Okay, ich entlasse dich für heute. Du musst dich nur noch zurückverwandeln, du weißt ja, Cafeteria ist nur für Menschen geöffnet... Es sei denn, du willst deine Mahlzeit auf dem Innenhof haben, ich könnte dich rauslassen."

Ich schüttelte meinen Kopf und stieß dabei mit meinem linken Horn an die Wand an. ,,Nein, ich habe Ava versprochen, mit ihr zu essen und ihr alles zu erzählen. Außerdem würde es mir gut tun, wieder in meine gewohnte Gestalt zurückzukehren. Haben Sie das Foto, was ich am Anfang abgeben musste?" Ellwood-der-Wapiti packte vorsichtig das Foto und hielt es vor meine Nase. Er schloss die Augen, während ich gespannt auf das Kribbeln und meine erste Rückverwandlung wartete. Nichts.

,,Fuck! Es kommt nichts, es funktioniert einfach nicht!", merkte ich panisch an und scharrte mit meinen Hufen. Mein Körper war erschöpft und ich merkte, wie sehr mir der Stress zugesetzt hatte. ,,Du machst das, Abby, keine Sorge."

Bald darauf stand ich wieder mit geschlossenen Augen in meiner Menschengestalt, und wartete ab, bis sich der letzte Rest meines tierischen Ichs zurückgezogen hatte. Die Umkleide war ein sehr großer separater Raum, der auch meinen Kuh-Hörnern Platz bot. Ich wusste, dass das meine neue Schwachstelle werden würde und seufzte. In die Tiergestalt zu kommen? Ja, super schnell als Verwandlungstalent. Aber zurück? Als würde sich mein Körper nicht davon trennen wollen, schon so lange hatte meine Psyche auf diesen erholenden Schritt gewartet. Ich merkte, wie ich meinen Schweif nicht mehr spürte und es langsam auch an meinem Kopf kribbelte. Endlich!

Als ich die Augen wieder öffnete und in den Spiegel schaute, war ich wieder Abby Dunhill, die ziemlich erschöpft aussah. Ich strich mir meine Locken beiseite, während ich ein neutrales weißes T-Shirt und eine kurze Jeans anzog. Sie waren etwas zu groß, aber was soll's - ich würde sie eh nur für den Unterricht benutzen.

Schnell verabschiedete ich mich noch von Ellwood, bedankte mich und rannte dann überschwänglich nach oben in unser abgelegenes Zimmer. Puh, Ava war nicht da! Ich konnte mich also noch in Ruhe umziehen und wieder so tun, als wäre ich nur in einer anstrengenden Aufnahmeprüfung gewesen, Thema Biologie.

,,Und, wie lief es? Was sagt Mister Ellwood?"

,,Gut, ich hab mich am Anfang sehr gut geschlagen - nur die letzten Aufgaben zur Ergänzung waren echt knifflig, ich hab noch nie etwas von Phänotypen gehört... Ich hab echt Hunger, wir gehen am besten gleich rein, ja?"

Sie merkte schnell, dass ich ihr nur ausweichen wollte, folgte mir dann aber zur riesigen Cafeteria. Wir sahen schon von Weitem die großen Pflanzen, die den Eingangsbereich zierten; ich mochte die Vorstellung, das auch alles hier drin uns an die Verbundenheit mit der Natur erinnerte. Ava kannte das schon vom Frühstück und schaute nur noch leicht nach oben. Lautes Plaudern und die Mischung unzähliger Gespräche erreichten uns, die Cafeteria wurde nur zum menschlichen Treffpunkt für alle, die wir in den letzten Stunden nicht gesehen hatten. Das fühlte sich ziemlich unangenehm an...

Ava holte sich eine vegane Auflauf-Variante, ich mir einen Nudelsalat als Vorspeise. Dann versuchten wir erstmal, einen Platz zu finden, während die Blicke der anderen Wandler langsam auf uns gerichtet wurden und es etwas stiller wurde. War es wegen Ava und ihrer fehlenden Tiergestalt oder wegen mir und der Raubtier-Liga? Umso schneller begaben wir uns zu einem kleinen Tisch in der hinteren Ecke, der halb in den Pflanzen stand; wir hatten wenige Tische direkt neben uns. Nur eine Gruppe, ein paar Meter entfernt, war besonders laut: sie diskutierten lebhaft und wild durcheinander, sodass wir sie erstmal nicht verstehen würden. Noch nicht.

Ich war nicht gerade zimperlich und verschlang große Mengen der Portionen und holte mir mehrmals nach, vielleicht auch typisch für eine Kuh-Wandlerin... Nach und nach wurden die Wandler neben uns immer lauter. Ava und ich beendeten unser Gespräch, während wir nun Folgendes hörten:

,,Du bist nicht besser, weil du ein fucking Timberwolf bist! Natürlich kriegst du immer bessere Noten als ich in Kampf und Überleben, aber hä, das liegt doch an unserem Lehrer!"

,,Natürlich bist du nur neidisch, pah! Verzieh dich doch, du bist weder Wolf, Fuchs oder Katze. Du gehörst hier nicht hin, geh doch lieber zu deinem blöden Nachhilfeunterricht - da musst du doch sowieso immer hin!"

Ava brachte den Vorschlag ein, ob wir eingreifen sollten und ich wusste nicht so recht, was wir machen würden. ,,Lieber abwarten", meinte ich und lauschte weiter.

,,Ich hasse es hier! Wirklich! Immer nur Mainstream-Tiere hier, Raubtiere dort... Pech für euch, dass ich meine ersten zwei Schuljahre hier verbringen muss, nicht an der Blue Reef. Heult den Mond an und klettert gerne auf die Bäume dort drüben, ich bleibe hier sitzen und esse weiter. Ihr dürft euch hier eh nicht verwandeln, also, in Menschengestalt sind wir eh alle mickrige Wesen. Halt die Fresse, ich werde mich kein Stück mehr bewegen und alles andere blocken. Was guckst du so? Geht einfach, so schwer ist das nicht - der nächste freie Tisch ist dort drüben."

Schnell starrte ich wieder auf meinen Teller und tauschte nichtssagende Blicke mit meiner menschlichen Freundin aus. Was ihr wohl gerade durch den Kopf ging? Ich fragte sie dann nur ,,Was denkst du gerade?", als die Raubtiere weg waren, zum Glück. ,,Hm... Ich weiß nicht... Ich finde es gut, dass sie so standhaft ist und sich gewehrt hat, aber dass man sich wegen Sternzeichen oder Seelentieren so aufregt? Du kennst doch diese trendigen Online-Tests, wo man auch so 50 oder mehr Tiere als Ergebnis bekommen könnte; Fuchs, Wolf, Katze... aber ich kann mir auch vorstellen, dass es für diese besonderen Leute ein Tier gibt, mit dem sie gar nicht einverstanden sind. Vielleicht auch nur eine Metapher für die schlechten Noten..."

Sie sagte nicht alles, aber das war in Ordnung für mich. Ich wollte nicht jedes Mal daran erinnert werden, welche Kluft ich hier verdecken musste; sondern lieber über richtig lustigen Schrott aus dem Internet reden. Das war vielleicht für die nächsten Minuten das Beste.

Ava und ich gingen nach draußen, stapften über die trockene Wiese und wussten scheinbar beide nicht, was wir sagen sollten. Eigentlich wollten wir heute nochmal unsere Freundschaft zelebrieren, bevor sie morgen abreisen würde. Stattdessen liefen wir an einem grauen Nachmittag umher und sagten nichts. Toll. Hinter mir bemerkte ich außerdem die Präsenz eines Wandlers; sehr wahrscheinlich Elio als Johnny Cash, oder was auch immer gerade seine Tiergestalt war. Selbst jetzt musste er uns beobachten, das machte meine Gesprächsfähigkeit nicht gerade besser. Bis ich plötzlich eine Idee hatte: ,,Wer als letztes am Waldrand ist, muss die Mathe-Hausaufgaben machen!" Ich rannte los, meine Freundin tat überrascht und machte es mir gleich.

Ich schaltete komplett ab, als ich die Hälfte schon geschafft hatte und den Wald immer näher kommen sah. Ein Wunder, dass Ava mich nicht überholt hatte... Schon war ich da und drehte mich, nach Luft schnappend, um. Meine beste Freundin, klein und sportlich, raste zwei Sekunden später als ich an mir vorbei. Einerseits hatten wir jetzt Elio kurz abgehängt, andererseits war das definitiv nicht meine menschliche Seite; meine Tiergestalt hatte dafür gesorgt, dass ich schneller rennen und sprinten konnte. Ich hätte es ahnen können, verflucht! Vielleicht fiel es ihr aber nicht weiter auf.

Ava hatte sich nach der Anstrengung wieder gefangen. Allerdings schien sie etwas zu bemerken und wich zurück. ,,Abby, was ist das? Was passiert mit deiner linken Hand...?" Schnell schob ich sie in meine Hosentasche und versuchte, ruhig zu bleiben. Nur keine Panik! Ich führte das Kribbeln dort zurück, wo es hergekommen war und streckte dann schnellstmöglich meine Hände vor ihr aus. ,,Was ist da? Bitte, sag es mir!", rief ich verzweifelt und bewegte langsam meine Finger, um zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Sie schüttelte dann aber nur den Kopf.

,,Ich hab kurz gedacht, da wäre keine Hand mehr, sondern ein Huf... es sah so echt aus, glaub mir doch! Was ist das hier nur... Elio war wirklich nett, aber irgendwas läuft doch hier! Bitte. Du bist so still, die ganze Zeit! Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich. Kannst du mir nicht einmal erklären, was du weißt? Wozu ist diese Schule da?"

Es musste so kommen, oder? Ich hätte sie erst gar nicht mitnehmen dürfen, statt die ganze Sache und unsere Freundschaft in Gefahr zu bringen... aber ich war entschlossen, das noch irgendwie zu retten. Ava würde eine Ausnahme werden, ganz sicher.

,,Pass auf, beruhige dich. Ich hatte keine Wahl, es ist ein ziemlich großes Geheimnis von allen Personen, für die die Clearwater High gemacht ist. Wir sind...AHHH!"

Eine Vogelspinne sprang auf meinen Rücken und ich schrie weiter. Solche großen Spinnen waren einfach unnötig gefährlich und ich hatte viel zu viel Angst vor ihnen! Dann dämmerte es mir: Elio. Das war seine Zweitgestalt. Johnny-Cash-Vogelspinne, ist klar... Ava fuchtelte wild mit ihren Armen und ich warf diesen ekligen Typen nach unten. Und dann, rannte ich wieder - Angst, Unsicherheit und die Enttäuschung, dass ich hier für die Lehrer*innen alles aufgeben sollte. Nein, das ging eindeutig zu weit! Menschenalarm und spezielle Führungen ja, aber keinerlei Gespräche mit Ava?

,,Ava, was ich sagen wollte: ich darf es dir eigentlich nicht zeigen. Stell dir einfach vor, alle hier sind so wie ich und erschrecke dich nicht, wir haben wenig Zeit. Es ist nichts Schlimmes, mir geht's gut - ich kann nur nicht mit dir reden, wenn ich mich gleich verwandle. Okay?" Ich zitterte und atmete dann tief durch, blickte noch kurz in ihr skeptisch-ängstliches Gesicht und schloss dann die Augen. Louisiana, Mom, der Geruch von Gras und dieses Bild; innerhalb von Sekunden war ich wieder in meiner Tiergestalt.

,,Elio, fuck you."

Meine Freundin ging auf mich zu und berührte meine Stirn mit der einen Hand, mein großes Horn mit der anderen. Ich senkte meinen Kopf und war glücklich, meine zwei Welten für eine kurze Zeit vereinen zu können. ,,Danke für dein Vertrauen, Abby. Ich hätte keine andere beste Freundin haben können... Vor allem, wenn ich doch auch eine Gestaltwandlerin haben kann. Ihr habt nicht alle dieselben Gestalten, oder?" Ich nickte heftig und deutete Richtung Waldrand, wo uns unser Spion überrascht hatte - apropos, ich spürte ihn nicht mehr...

,,Das war Elio, oder? Vogelspinne, hm... und die in der Cafeteria vermutlich Wölfe, Raubkatzen und Füchse... ihr werdet nicht alle gleich behandelt, so klang das zumindest vorhin. Warum bist du dann hier? Stimmt, du kannst ja gerade nicht reden, vielleicht erzählst du es mir nachher. Was machen wir jetzt?"

Ich legte mich vorsichtig hin und stupste sie vorsichtig an. Ava setzte sich auf meinen Rücken und ich stand ganz langsam auf, was für mich ebenso eine Herausforderung war. Dann fing ich an, zu traben und trug sie bis zur Clearwater High zurück.

Wir waren am hinteren Teil des Gebäudes und somit am Verwandlungsteil angelangt, dort stand ein Container mit Klamotten bereit und eben so ein paar Bäume - perfekt für eine Verwandlung. Nachdem meine Freundin abgestiegen war, ging ich hinter die Laubbäume und verwandelte mich diesmal noch schneller zurück. Zu groß war meine Aufregung, ihr das alles erklären zu können! Schnell noch ein leichtes T-Shirt mit einer langen Jeans, mit barfuß laufen hatte ich kein Problem.

,,So, ich hab jetzt so viel zu erzählen! Also, ich bin eine Gestaltwandlerin, wir Landtiere nennen uns Woodwalker. Meine Tante ist auch eine, aber das ist etwas komplizierter...", schnell flüsterte ich noch, ,,Sie gibt sich als Rotluchs aus, ist eigentlich aber eine Biene."

,,Verrückt. Hängt das mit der Raubtier-Liga zusammen?"

,,Jep, das ist eine Wandler-Organisation, die sich um Raubtiere und andere coole Tiergestalten kümmert... die vermitteln regelmäßig Leute hierher, so auch mit meiner Tante Elle. Natürlich besteht da die Wahrscheinlichkeit, dass ich auch eine Raubkatze werden könnte, Genetik und so. Bei Wandlern werden die Tiergestalten vererbt, aber man kann genauso gut Menschenvorfahren oder -nachkommen haben, und manchmal hat man sogar zwei Tiergestalten. Ist aber super selten. Und das vorhin mit dem Huf war eine Teilverwandlung, das ist allerdings nicht meine Stärke, man hat mich schon zu ein paar Übungsstunden verdonnert..."

Ava nickte.

,,Und du darfst vermutlich keiner Menschenseele etwas davon verraten oder sonst irgendwie einen Hinweis auf Gestaltwandler geben... voll scheiße, aber verständlich. Danke dir, dass du mir da genug vertraust - ich fürchte, ich hab dir und der Schule in den letzten Tagen einen riesigen Aufwand gemacht..."

,,Alles gut, ich hab auch ein paar Regeln gebrochen. Es gab einen Ausnahmezustand und Alarm, ein Verwandlungsverbot im öffentlichen Teil des Gebäudes für alle und Elio, der den Part als Aufpasser und Spion bekommen hat; weil ich für Misses Clearwater nicht infrage kam. Toll, oder? Das schaffen nur wir!"

Ich lachte und hoffte einfach, dass kein größerer Schaden durch uns entstehen würde. Andererseits, was könnte passieren?

,,Abigail Dunhill und Ava Romero!"

Unser Verwandlungslehrer überraschte uns und machte ein sehr strenges Gesicht.

,,Mister Ellwood, bitte lassen Sie uns alles erklären!"

,,Hört mir erstmal zu. Ich nehme an, Ava, du weißt jetzt über alles Bescheid? Dann sage ich dir nochmal und mit höchster Dringlichkeit: du darfst das niemandem weiter erzählen, unsere Regierung in Nordamerika überwacht das strengstens und wird notfalls zu härteren Methoden greifen! Das Geheimnis der Wandler muss bewahrt werden, sonst sind wir alle in Gefahr. Ich hoffe für dich, dass es auch in deinem Interesse liegt, du interessierst dich ja auch sehr für die Natur und und Tiere... Ich bin ein Wapiti-Wandler und verantwortlich für Verwandlungen, unsere Gedankensprache und weitere Tricks, die wir beherrschen. Also: ich könnte jederzeit dafür sorgen, dass du alles hier vergisst, falls du es dir anders überlegst."

Ich schluckte. Der Wandlerrat war unglaublich mächtig - zwar sehr arrogant, aber er hatte die Fähigkeit, Ereignisse ungeschehen zu machen - wie damals, als Lydia Lennox die Macht übernahm. Trotzdem kannten diese Leute Techniken, die alles überstiegen und konnten mit Hilfe der Clearwater High wieder alles in Ordnung bringen; denn der Rat bestand trotz allem nur aus zehn Wandlern.

Meine Freundin hob ihr Kinn und antwortete mutig: ,,Ich werde alles tun, um das Geheimnis zu wahren. Vielleicht kann ich mich auch irgendwo engagieren, oder gibt es für Menschen einen passenden Verein? Es ist okay. Abigail ist meine beste Freundin und wir sind ja trotzdem alle gleich, uns verbindet die menschliche Seite - und die Liebe zur Natur. Bitte, ich werde nichts sagen, ich schätze diese Möglichkeit, hier zu sein. Und noch was: für die nächsten vierundzwanzig Stunden muss sich hier niemand mehr verstecken, Sie können den Ausnahmezustand aufheben. Könnten Sie eigentlich Elio hierher holen? Er hat es Ihnen doch gesagt, oder?"

Mein Verwandlungslehrer nickte unmerklich, schüttelte ihr die Hand und schloss für einen Sekundenbruchteil die Augen. Vermutlich schickte er gerade seine gerade erlebten Bilder an die Schulleiterin und an Elio. Vielleicht war es gut, nochmal mit ihm reden zu können, weil wir irgendwie in ganz anderen Perspektiven dachten.

,,Ich hoffe, es ist in Ordnung für dich. Ich bin sehr pflichtbewusst und wollte nur helfen... Es wäre ja eh nichts passiert, ich bin nicht giftig. Tut mir wirklich leid, aber vielleicht habt ihr trotzdem einen guten Start hier!"

,,Danke dir, ich hoffe auch, dass es jetzt bergauf geht!", meinte ich und lächelte.

Ava ergänzte noch: ,,Ich werde euch in den Herbstferien besuchen kommen, vielleicht können wir mal etwas zu dritt machen und ihr zeigt mir noch ein paar Verwandlungen, wir kriegen das schon hin! Wie heißt deine Tiergestalt eigentlich genau, Elio?"

,,Johnny-Cash-Vogelspinne oder Aphonopelma johnnycashi, ist eine Art aus Kalifornien. Ich hab es selbst in der Sierra Nevada herausgefunden, aber seitdem ich dort so lange Zeit in Tiergestalt verbracht habe, ist auch die Angst weg. Ist gut, dass ich hier gelandet bin, wir müssen schließlich etwas gegen die Wölfe und Pumas tun!"

Er zwinkerte mir zu. Ein bisschen peinlich war es schon, weil er zuvor meine Gedanken gehört hatte... das spielte nun keine Rolle mehr, also schob ich meine Zweifel beiseite.

,,Ich bin dabei! Freund*innen?", rief meine Menschenfreundin mir zu.

,,Freund*innen!", antworteten Elio und ich enthusiastisch, wir dachten beide vermutlich an diese kitschigen Filme. Aber vielleicht konnten wir drei etwas bewegen.

Ein riesiger Vogelspinnen-Wandler mit Vorliebe für alte Bücher und Regeln.

Ein Mensch, Naturfreundin und Bogenschützin auf höchstem Niveau.

Und ich, ein Texas Longhorn zwischen den Welten, mit einer Matheschwäche, einer komplizierten Familie und etwas eingerostet in Aerobic.

Wir drei konnten zwar nicht die Welt retten, aber doch unser eigenes Abenteuer.

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