005 ** „Ihr seid bekloppt!" ** 5. Ferienwoche Juli 2019

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Geschafft von einem langen Putztag gammele ich seitwärts auf meinem Bett und klemme mir mein Handy unters Ohr, damit ich nichtmal den Arm heben muss.
„Sag mal, Moritz. Dass Paul keine Zeit hat, weil er den ganzen Tag in der Gärtnerei schuftet, hab ich ja kapiert. Aber du hast auf einmal auch keine Zeit mehr. Ich mein' ... Ich will nicht meckern. Dass du mir so viel geholfen hast in den ersten Ferienwochen, hat mir das Leben gerettet. Aber ... ich vermiss dich. Ich komm doch hier nicht raus."

Ich höre förmlich das Grinsen von Moritz durch den Telefonhörer.
„Lieblings-Frechdachs. Ich bin doch nicht lebensmüde. Wenn ich dir das sage, reißt du mir den Kopf ab."
„Jetzt erstrecht! Spucks aus!!!"
Moritz zögert, und ich platze bald vor Neugierde.

„Ich warte, Moritz ..."
„Max? Tust du mir einen Gefallen? Könntest du dich dann bitte einfach freuen? Irgendwann in diesem Leben wird die Chance kommen, dass du dich revanchieren kannst."
„Hä? Revanchieren? Waaaas???"
„Max, Paul hat für mich vermittelt, dass ich auch in der Gärtnerei arbeiten kann. Wir haben vor, das verdiente Geld Luis in die Hand zu drücken und ihn zu bitten, dass er dein Abitur und deine Bewerbung unterstützt, auch wenn das Geld natürlich nicht reichen wird. Ich weiß, du willst das nicht. Aber du MUSST einfach weiter tanzen! Oder du verwendest es für die Mathe-Nachhilfe. Das ist deine Entscheidung. Es ist dein Geld. Keine Widerrede!"

Stille an meinem Ende der Leitung. Ich schieße mit Schwung in die Senkrechte. Ich bin „dezent" überfordert.

Immer noch Stille.

„Max? Bist du noch dran? Oder bist du in Ohnmacht gefallen?"
„Ich ... weiß nicht, was ich sagen soll. Außer ... Ihr seid bekloppt!"
„Für dich doch immer, Bro."
Moritz lacht erleichtert.
„Mann, das kann ich nie wieder gutmachen! Dann hast du dir die kompletten sechs Wochen Sommerferien für mich um die Ohren gehauen."
„Oh doch. Das wirst du. Und ich tu es gerne, weil du wichtiger bist als Rumgammeln am Baggersee oder stundenlange Overwatch-Sessions. Und übermorgen ist Wochenende. Da können wir ja 'ne Runde in eurem Garten gammeln."
„Jawoll ja. Das passt! Mein sehr verehrter Herr Papa ist mit seinem Studienfreund weg zum jährlichen Angelwochenende. Boah, ich fass es nicht. Ihr seid echt zu bekloppt. Danke tausenmal. Was würde ich nur ohne euch machen?"
„Alles gut. Hab einfach am Samstag seeeeeehr viel Eis da und das Planschbecken voll. Unsere Lieblingssorten kennst du ja. Wir kommen dann gegen Mittag und lassen uns von dir verwöhnen."
„Sowas von. Da kannst du Gift drauf nehmen."
„Neeee, ich glaub, das lass ich lieber. Eis ist besser."

Grinsend legen wir auf, und ich lasse mich zurück auf mein Bett sinken.
Es Ist nicht zu fassen. Die beiden sind nicht zu fassen. Treuere Freunde hat wohl niemand auf der Welt. Es macht einfach Mut.

Heute war nur Rasenmähen und Mülltonnen von innen ausschrubben dran, und trotzdem bin ich zum Sterben müde. Ich schleppe mich nochmal aufs Klo und krabbele dann völlig erschossen in mein Bett.
Die sind einfach bekloppt! Aber ich wehre mich nicht.

Am Freitag Abend fährt mein Vater zu seinem Angelkumpel. Am Samstag Morgen helfe ich Tanja bei der wöchentlichen Einkaufstour und sorge für einen Eisvorrat, der für eine ganze Kompanie gereicht hätte. Eis geht immer! - Und wird so schnell nicht schlecht, wie es gegessen wird. Lasse ist informiert und füllt schon das Planschbecken seines kleinen Bruders im Schatten der alten Kastanie, die genau auf der Grenze zwischen den beiden Grundstücken steht.

Nach dem Mittagessen, auf dem Tanja und Tante Jana bestanden haben, trudeln dann Moritz und Paul ein und machen es sich gleich im Planschbecken gemütlich. Ich habe mir vorgenommen, meine Freunde zum Dank nach Strich und Faden zu verwöhnen. Also habe ich alles Mögliche in den Garten geschleppt – gekühlte Getränke, einen kleinen Lautsprecher, Geschirr und Besteck, die Kühlbox mit dem Eis, geschlagener Sahne, geschnittenem Obst und einigen Toppings. Auch an Handtücher, Ersatzklamotten, ein paar Decken und einige Kissen habe ich gedacht. In die Zweige der Kastanie habe ich eine Lichterkette gehängt.

Wir alle haben ganz schnell nur noch Badeshorts an. Ich habe mir allerdings von meinem Vater noch eine richtige edle Fliege „geliehen" und mache jetzt, mit einem Handtuch über dem Arm, ohne T-Shirt, aber mit der Fliege um den Hals einen auf italienischer Kellner, um allen ihren Lieblings-Eismix zu servieren.
„Ah, Seniore, biette, biette pronto. Welse Eise wollene Sie esse?"
Moritz, Lasse und Paul lachen sich kaputt und machen extra langsam, bis ich halb am Verzweifeln bin.
„Biette, biette pronto, Seniore. Dase Eise schmilze, was Sie wolle?"
„Hmmmmmm. Ich hätte gerne ein Banana-Split. Aber nicht mit Vanille sondern mit Nuss. Oh, und mit Schokosauce. Und Krokantstreuseln."
„Eine Banana-Splitte biette sssööne Senior. Ah, mehre Sahne. Kommte pronto."
„Und ich hätte gerne einen Fruchtbecher. Und nur Fruchteis. Und – zu dumm, könnten Sie die Sahne untendrunter machen statt obendrauf? Das tuuut mir aber leid, dass ich zu langsam war."
Geduldig kippe ich das Fruchteis in meine noch leere Schüssel, verkneife mir das Grinsen und starte neu mit Schlagsahne, dann den Eissorten, dann Obst.
„Ach neee, das sieht komisch aus. Könnten Sie die Sahne nicht doch obendrauf ... nein?"
„Senior, ssie müsse sis sssone entssseidene!"
„Na guuuut."

Ich wende mich Lasse zu.
„Dann machen Sie mir doch einen einfachen Afrika-Becher –Schoko, Vanille, Zimt – ach ne, das kommt ja aus Asien – also Banane, dazu Ananas-Stückchen. ... Nein, keine Sahne, aber vieeeeeeeel Nutella. ... Wie sie haben kein Nutella!?! Na, jetzt aber hopphopp!"

Während meine drei frechen, tollen Freunde sich im Planschbecken vor Lachen rumkugeln, flitze ich nass und mit breitem Grinsen ins Haus und schnappe mir ein frisches Nutellaglas.
„Seniore, hiere biette, ihre Afrika-Eisbesssere."
Dann mache ich noch für Lasses Geschwister Lotta und Ole zwei bunte Mischungen. Aber schließlich halten alle eine große Schüssel voller bunter Phantasiegebilde in den Händen, und gefräßige Stille tritt ein. Ich lasse mich schließlich „gaaaar nicht" absichtlich mit meinem eigenen Schlemmerhaufen neben den anderen ins Planschbecken plumpsen.

„Eeeeeeh! Das spritzt!"
Wenn vier fast erwachsene, gut gebaute Tänzer in einem Kinderplanschbecken sitzen, wird es eng, und so falten wir unsere langen Beine in der Mitte des Beckens durcheinander, bis alle irgendwie untergebracht sind. Als wir dann alle tiefgekühlte Bäuche haben, räuspere ich mich.
„Hmhm. Ich ... einfach tausendmal danke, ihr Verrückten. Ihr glaubt nicht, wie viel es mir bedeutet, dass ihr so für mich schuftet und kämpft. Ich werde jetzt einfach jeden Tag, wenn der Herr Papa weg ist, in meinem Zimmer tanzen, irgendwas. Hauptsache, ich bleibe in Bewegung."
„Cool. Du weißt, das tun wir gerne. Und wenn es dir Mut macht, durchzuhalten, haben wir im Grunde unser Ziel schon erreicht."

Es wird ein sehr alberner Nachmittag und Abend. Zeitweilig sind auch Tanja, Tante Jana und Onkel Thorsten dabei, denn das viele Eis will natürlich vernichtet werden. Der Gartenschlauch kommt zum Einsatz, als uns wieder zu warm wird, und erzeugt manches entsetzte Gequietsche. Abends geht schließlich die Lichterkette an. Und als es völlig dunkel ist, helfen alle miteinander, aufzuräumen, die Spülmaschinen zu füttern, die nassen Handtücher aufzuhängen und die Reste zu verräumen. Außer dem vereinsamten Planschbecken ist von der kalten Party nichts mehr zu sehen, als wir alle zufrieden und entspannt in die diversen Haushalte verschwinden und in unsere jeweiligen Betten krabbeln.

Am nächsten Morgen mache ich meinen Vorsatz wahr. Ich suche mir die Songs, zu denen wir direkt vor den Ferien noch getanzt haben, in meiner Playlist im Handy, mache mich sorgfältig warm und übe dann schwierige Wendungen in der Choreographie vor meinem großen Spiegelschrank. Die In-Ears drin, das Handy in der Hosentasche, vergesse ich die Zeit und die Welt um mich herum, genieße es, mich endlich wieder zu Musik zu bewegen und meinen Körper zu spüren.

Bis mir mit einem Mal die In-Ears herausgerissen werden. Mit hochrotem Kopf steht mein wütender Vater vor mir und brüllt mich sofort an.
„Was muss ich noch tun, damit du begreifst, dass in diesem Haus nicht mehr getanzt wird!?!"
Schwupp! ist das Handy weg und das Netzteil meiner Musikanlage gleich mit.
„Und dass dir das klar ist. Ich kann in der Fritzbox genau verfolgen, was du im Computer anmachst. Streamen und Youtube sind tabu!"

Ich stehe verschwitzt und fassungslos mitten in meinem Zimmer und starre meinen Vater an.
„Wo kommst duuu denn jetzt her???"
„Das wüsstest du gerne, was? Das Angelgebiet war ein einziges Regental. Wir sind heute Nacht schon zurückgekommen."
Ich bin total neben der Spur, verfluche innerlich den Wettergott und hoffe, dass Moritz irgendwo noch ein altes Handy rumfliegen hat.
„Ich brauche aber mein Handy, um Termine, Schulkurse und das alles zu koordinieren. Wir müssen fürs Abi Lerngruppen bilden, für die wir dauernd Verabredungen treffen und Unterlagen weiterschicken müssen."

„Du glaubst nicht, WIE egal mir das ist. Es reicht mir, du wirst hören lernen. ... Pass auf: ich gebe dir Zeit bis zu deinem 18. Geburtstag. Wenn du bis dahin beschließt, doch Teil dieser Familie sein zu wollen, und der Adoption zustimmst, dann zahle ich ab dem Moment wieder alles, was Du brauchst. Ansonsten fliegst du an deinem 18. Geburtstag raus. Du hast die Wahl!"
Mit diesen Worten macht er auf dem Absatz kehrt, rauscht aus dem Zimmer und rennt dabei fast seine Frau über den Haufen, die von dem Gebrüll angelockt wurde und genauso geschockt ist wie ich.

Tanja versucht gar nicht, mit Papa zu reden. Sie kommt einfach rein, schließt hinter sich die Tür, geht in die Hocke und nimmt mich in die Arme. Kaum war er raus, bin ich schluchzend zusammengebrochen. Eine ganze Weile hält sie mich nur, bis ich mich einigermaßen beruhigt habe. Mein Kopf ist so leer wie ein Minecraft-TNT-Loch in der Map. Sanft streicht sie mir ein paar Haarstränen aus dem Gesicht.
„Es tut mir unglaublich leid, Max. Und ich werde das nicht mehr länger mitmachen. Erstmal werde ich dafür sorgen, dass du deine Geräte wieder bekommst. Dann kannst du wenigstens tagsüber wieder tanzen. Ich hab mir schon Sorgen gemacht. Das waren die ersten Ferien, in denen du gar nicht getanzt hast. Und dann überlege ich mir, was es für mich bedeutet, mit so einem Mann verheiratet zu sein. Denn ich weigere mich, als Grund vorgeschoben zu werden, dass er dich so schikaniert. ICH bin nicht der Grund. Seine paranoide Angst vor allem, was ihn an deine Mutter erinnert, ist der Grund. Und das muss aufhören."

Ungläubig schaue ich sie mit großen, verweinten Augen an.
„Wenn du dich scheiden lässt, bringt er mich um!"
Tanja lächelt.
„Ultimatum gegen Ultimatum. Ich will mich nicht scheiden lassen. Ich glaube an das Gute in diesem Mann. Aber er muss seine Ängste in den Griff kriegen. Wenn er sein Ultimatum dir gegenüber wahr macht, dann bin ich am selben Tag auch weg."
„Aber ... ich will dich doch gar nicht vertreiben. Du warst und bist eine tolle Mutter. Ich will nur nicht meine leibliche Mutter verleugnen müssen. Das ist alles."
„Ich weiß, Max. Ich weiß. Pass auf, ich telefoniere jetzt mit Jana und versuche zu organisieren, dass du für heute nach drüben kannst. Und im Laufe des Tages nehme ich mir Axel zur Brust. Er kann und darf seinen eigenen Sohn nicht ins offene Messer laufen lassen und ihm den Schulabschluss verwehren."

Ich nicke dankbar und ziehe mich erschöpft auf mein Bett hoch. Tanja drückt mir mein hässliches Entlein in die Hand, geht raus, vergewissert sich, wo Papa ist, und ruft gleich bei Jana an. Ich bin so dankbar für diese tolle Frau, denn ich brauche jetzt dringend Hilfe. Ich bin mit meinem Latein echt am Ende.

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19.9.2020    -    5.3.2021

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