022 ** Frusteis-Schlecken ** Mi. 14.8.2019

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O.K. - ich seh's ja ein, das war absolut unprofessionell und einfach nicht korrekt gegenüber meinem Leistungskurs. Ich habe sie nach Strich und Faden schikaniert, weil der Zorn auf die Hartmann einfach irgendwie raus musste. Aber da kann doch meine Zwölfte nichts dafür! Und das Schlimmste ist: ich weiß nicht mal, ob ich Max damit einen Gefallen getan habe, dass ich mich eingemischt habe. Wenn meine Vermutung richtig ist und die Hartmann tatsächlich vorhat, wider jeden Anstand weiterhin Max zu schikanieren, dann wird sie Mittel und Wege finden ...

Frustriert biege ich auf dem Heimweg zum Supermarkt ab und kaufe mir einen 2-Liter-Pott Vanilleeis. Das hab ich schon lange nicht mehr gemacht, aber heute ist es mal wieder soweit. Ich radle nach Hause, stapele mir Obst, Sahne, Sckokostreusel und einen Löffel auf ein Tablett, verziehe mich in mein Bett und fange an, das Eis zu schlachten. Immer rein. Meine typische „ich fühl mich absolut hilflos"-Strategie – Kalorien.

Kurz darauf kommt Jenny nach Hause und trällert einmal durch den Flur.
„Bin daaaaa!"
Ich reagiere nicht. Wütend stopfe ich mir den nächsten Löffel Eis mit Streuseln in den Mund. Kurz darauf steckt Jenny ihren Kopf zur Tür rein.
„Ach, hier bist ... Hä?"
Sie kommt ganz rein und starrt misstrauisch auf die Spuren meiner Eis-Orgie.
„Na, also ... da brat mir doch einer'n Storch. Wieso weiß ich nichts davon, alter Mann?? Wie heißt er denn? Wen muss ich verprügeln?"

Erst bin ich etwas irritiert, aber dann kapiere ich, was sie zu verstehen glaubt.
„Seeeeehr witzig, frecher Kater."
„Nein, im Ernst. Toni, ich kenne dich, seit du laufen kannst. Du hast in deinem ganzen Leben nur aus einem Grund maßlos Eis gefressen. Und das war Liebeskummer. Wer ist es?"
Mund vollstopfen. Runterschlucken.
„Die Hartmann?"
Stille.
Jenny plumpst neben mir auf die Matratze.
„Ah." ...

„Ach – ja richtig! Lennart hat erzählt, was er in der Pause mitbekommen hat. Und? Konntest du es abwenden?"
Ein Stück Banane.
„Nö."
„Mist! Armer Max."
„Ja."
Nächster Löffel Eis. Wortlos steht Jenny auf und holt sich aus der Küche ebenfalls einen Löffel.
„Ich helf dir."
„Ich weiß nicht, ob jetzt noch jemand Max helfen kann. Jenny, sie hatte alleine Aufsicht auf dem neuen Hof. Und die vier Freunde haben Kirschkerne gespuckt von der Eiche auf dem alten Hof. Sie hat bewusst ihren Platz verlassen, um Max zu suchen und ihm eins reinzuwürgen! Nur er hat die Strafe bekommen, nicht alle vier."
„Ups. Verletzung der Aufsichtspflicht."
„Ja. Hat sie auch ganz offen zugegeben beim Direx. Und selbst, dass ich wirklich direkt daneben gesessen und gehört habe, dass die Jungs grade zum Mülleimer gehen und die danebengeflogenen Kerne aufheben wollten, hat nichts genutzt. Sie hat knallhart die Jungs und mich der Lüge bezichtigt, und der Direx hat ihr geglaubt. Oder den Kopf eingezogen. Oder ... ach, was weiß ich!"

Wütend hacke ich meinen Löffel in die schon merklich geleerte Eisdose.
„Darauf ein Frust-Eis!"
Jenny fischt mir eine Erdbeere vor der Nase weg. Und das will was heißen. Denn bisher hat sie mir immer das Eis weggenommen und mich zum Joggen nach draußen geschleppt. DAS hier ist anders, als von irgendeinem Arschloch abserviert zu werden. Ernster.
Und für einen ganz bestimmten jungen Mann eine Frage von Alles oder Nichts ...

Als wir die kalte, süße Masse schließlich vollständig vernichtet haben und unsere Bäuche deutliche Unterkühlung signalisieren, kuscheln wir uns gemeinsam in meine Bettdecke, wie wir es schon als Kinder getan haben, wenn wir traurig waren. Petterson und Findus trösten sich. Nur allmählich taut mein Verstand wieder auf.
„Duuu? Wieviel Uhr ist es? Max kommt kurz nach 15.00 Uhr. Und ich muss mich morgen bei meiner Zwölften irgendwie entschuldigen. Ich hab die nach der Pause total gescheucht und getriezt."
Jenny hat den besseren Blick auf meinen Wecker.
„Kurz vor 15.00 Uhr. - Ja. - Pfui, schäm dich, alter Mann."
Aufmunternd klopft sie mir einmal auf die Schulter und schält mich dann aus meiner Decke.
„Los. Bring dich in einen normalen Zustand, damit Max das nicht sieht."

Da ich eh nach dem Sport in der sechsten Stunde nicht geduscht habe, drehe ich noch eine Blitzrunde durchs Bad. Als es klingelt, steige ich grade wieder in meine Shorts. Ich mache Max auf und wedele ihn gleich ins Wohnzimmer. Sehr kurz föhne ich mir noch die Haare und gehe dann mit Getränken zu ihm.
„Wie geht's dir jetzt, Max?"
„Tja. Ich habs Tanja gebeichtet, und sie war genauso verblüfft wie ich. Wenn die Frau mich gezielt sucht, habe ich keine Chance, ihr zu entkommen."
„Na, wir wollen hoffen, dass du im Versteckspielen besser bist als sie beim Suchen. Dr. Fahrendorf hat ja das meiste mitbekommen. Er und Frau Tucher werden mit ein Auge darauf haben. Wenn du das willst. Ich nehme dich da ernst. Du entscheidest."
„Ich glaube, das Angebot nehme ich an."

„Darf ich auch den Stufenleiter Herrn Erdmann informieren?"
Max zögert.
„Den ja."
„Weißt du, wenn sich unsere Befürchtungen bewahrheiten, werden wir das Spielchen vorm Direktor noch ein paarmal wiederholen. Und irgendwann muss auch jemand anderes für dich kämpfen, sonst werde ich unglaubwürdig. Und in DIE Schiene dürfen wir auf keinen Fall geraten."
Max schluckt und greift wortlos nach seinem Federmäppchen. Also lassen wir das Thema jetzt sein und konzentrieren uns auf Mathe, 7. Klasse. Prozentrechnen, Zins und Zinseszins, Brüche und Dezimalzahlen, erste Funktionskurven. Und schon sind wir mittendrin in Statistik.

Stück für Stück arbeiten wir uns durch diese wichtigen Themenfelder und Rechnungsarten.
„Das mindestens musst du bis zur ersten Klausur draufhaben."
Aber Max Kopf ist heute wie zugenagelt. Ich unterbreche mich selbst und schaue ihn von der Seite an, wie er verzweifelt versucht, zu kapieren, warum bei Zinseszins nicht automatisch jedes Jahr dieselbe Summe draufgeschlagen wird. Und warum er das Ganze dann noch wieder zerteilen soll, wenn das Geld nur ein halbes Jahr bei der Bank war.

„Max, ich habe grade das Gefühl, dass ich dich foltere. Was verbindest du mit dem Dreisatz?"
Stille. Seufzen.
„Die Hartmann. Ab der siebten Klasse hatte ich in Mathe die Hartmann. Und ich muss grade meine gesamte Konzentration aufbringen, damit sich nicht deren Stimme über Ihre schiebt. Sie erklären total gut. Eigentlich verstehe ich es. Aber es versickert alles in einem Bild von diesem höhnischen Grinsen in meinem Kopf."
Ganz toll. Dagegen kann ich nun wirklich nichts tun! Ich habe ihren Blick heute in der Pause ja gesehen. Richtig boshaft, es war der blanke Triumph.

„Soll ich dich kurz ablenken, und dann probieren wir es nochmal?"
Max nickt.
„Gut. Ich kenne euch Tänzer als vierblättriges Kleeblatt. Aber in deinem Jahrgang seid ihr nur zu dritt, richtig? Wie passt Lasse Seitz da ins Bild? Ich hatte ihn tatsächlich noch nie im Unterricht. Aber ihr hängt viel aufeinander."

Max entspannt sich und lehnt sich grinsend zurück.
„Das ist praktisch mit den verschiedenen Nachnamen, da stellt nicht gleich jeder die Verbindung her."
„Jetzt hast du mich noch neugieriger gemacht!"
„Das ist ganz einfach. Er ist mein Cousin. Meine Mutter ..."
Rums! Das Grinsen ist verschwunden.
„Meine Mutter war ..."
„Es tut mir leid, das war wohl die falsche Frage. Du musst nicht ..."
„Meine Mutter war die Schwester seiner Mutter. Wir leben auch in einem Doppelhaus. Und manchmal ist Tante Jana mein letzter Rettungsanker, sie war lange Ersatzmutter. Deshalb kriegt Lasse von mir auch am meisten mit."

Und jetzt?
Zum Glück löst Max das Problem selbst. Er schiebt nochmal seine Versuche mit Zinseszins hin und her. Und dann stellt er die entscheidende Frage.
„Könnten ... vielleicht ist das albern. Aber ... könnten Sie mir den Grund für diese Rechnerei als Geschichte erzählen? Ich mein' ... wenn ich mein Geld auf die Bank trage, dann hab ich ja einen Grund dafür. Und wenn die Bank mir dafür was drauf gibt, dann macht die das nicht freiwillig. Sondern weil? Machen Sie eine Geschichte draus. Bitte."

Cool! Wenn das sein Weg ist ...
„Gerne. Äh ... eine Frage. Das Doppelhaus, in dem ihr wohnt, gehört euch das?"
„Mama und Tante Jana hatten das Grundstück zusammen geerbt. Und weil sie da beide schon verheiratet waren, haben sie das Grundstück geteilt und dieses Doppelhaus drauf gesetzt. Wir Kinder sind sozusagen wie Geschwister aufgewachsen. Es gibt sogar eine Tür von Küche zu Küche. Aber wieviel davon abbezahlt ist, weiß ich nicht."
„Gut. Dann haben wir doch schon unsere Geschichte. Diese beiden Schwestern haben das Grundstück geerbt und einiges an Geld dazu. Weil nach dem Bezahlen der Grundsteuer immernoch Geld übrig ist und sie das Haus nicht sofort bauen wollen, legen sie das Geld in Aktien an und gehen dafür zu einer Bank. Der Sachbearbeiter fragt ihnen drölfzig Löcher in den Bauch - nach den Familienverhältnissen, den Jobs, den Verdiensten, nach sonstigem Vermögen. Wie schnell das Geld im Zweifelsfall verfügbar sein soll. Blablabla. Dann macht er ihnen ein Angebot. 'Sie geben uns die 100.000 € für 2 Jahre, und wir geben Ihnen dafür jährlich 3% Zinsen.' - 'Gut', sagen die beiden und schieben ihr Geld rüber.
Sie haben das Geld also für 2 Jahre gebunden und können so lange nicht da ran. Die Bank handelt in der Zeit mit dem Geld und versucht, es zu vermehren. Als Dank dafür, dass sie sicher wissen, dass sie 2 Jahre lang darüber frei verfügen können, zahlen sie laut Vertrag jedes Jahr auf die jeweils aktuell vorhandene Summe diese 3% Zinsen. Soweit klar?"
„Ja, so wird's gewesen sein."
„Nach einem Jahr bekommen die Schwestern Post von ihrer Bank.
'Liebe XY, wir bedanken uns dafür, dass blablabla, und geben Ihnen jetzt für das Jahr 1756 3% Zinsen. Das macht 3000,-€. Wir überweisen das auf Ihr Konto.' "
„Auch klar."
„Wieviel ist jetzt drauf auf diesem Konto?"
„Einhundertunddreitausend Euro."
"Genau. Und wie lautete der Vertrag?"
„Wir zahlen jedes Jahr für das aktuell vorhandene ... aaaaahhhh! Oh Mann, da hab ich aber auf dem Schlauch gestanden. Weil es jetzt dreitausend mehr sind, kommt noch ein Jahr später natürlich noch ein bisschen mehr dazu als die Dreitausend."
„Bingo! Und dieses 'noch ein bisschen mehr' nennt man dann Zinseszins."

Max schüttelt über sich selbst den Kopf, schnappt sich die nächstbeste Rechnung aus der Klassenarbeit und rechnet das zügig durch. Auch die Multipliziererei geht ziemlich flott.
„Max, hast du dir etwa schon das ganze große Einmaleins ins Hirn gerammt?"
Breites Grinsen.
„Nö. Ich hab ein tolles Youtube-Video gefunden."

Im nächsten Moment klingelt es an der Tür. Jenny macht für mich auf, und kurz danach stiefeln Milly, Moritz und Paul zur Tür herein.
Max packt seinen Mathekram weg, während ich alle mit Getränken versorge. Dann kommen die Pläne für die Facharbeiten und die praktischen Prüfungen auf den Tisch. Im Prinzip gefällt mir das alles unheimlich gut. Sie sind früh dran, zielstrebig, reflektiert und ein tolles Team. Nur die Arbeiten von Paul und Max sind irgendwie zu nah beieinander.
„Ich glaube, da müssen wir noch ein paar Tage drüber nachdenken. Das ist zu dicht. Aber wenn ich mir ansehe, wie diese Themen ineinandergreifen, dann verstehe ich euren Wunsch nach einer gemeinsamen Prüfung sehr gut. Das schreit förmlich nach einer gemeinsamen Performance."

Sofort schauen mich alle neugierig an.
„Ach ja, ich habe mit den anderen Sportlehrern gesprochen. Sie sind zwar nicht begeistert, aber sie werden das nicht blockieren. Und eine Adresse beim Regierungspräsidium habe ich auch schon bekommen. Wir dürfen also hoffen."

Eine Weile grübeln wir noch über das Problem mit den Facharbeiten nach. Dann fällt bei mir plötzlich der Groschen.
„Max, was bedeutet dir das Tanzen? Warum explizit Contemporary? Und was 'macht' es mit dir?"
Er muss nicht lange überlegen.
„Ich kann mich so richtig auspowern, denn das ist ein anstrengender Sport. Ich brauche gute Körperbeherrschung, gute Beobachtungsgabe von Bewegungen und muss viel trainieren, bis einzelne Bewegungen so aussehen, wie sie aussehen sollen. Dafür bin ich als Ganzes gefordert, nicht nur meine Muskeln. Und dann kann ich über die Auswahl der Musik und die Art der Bewegungen jedes Thema, jedes Gefühl darstellen. Das finde ich an Kunst so toll. Es braucht kein einziges Wort, um alles auszudrücken, was einen bewegt. Und hinterher bin ich nicht nur müde sondern auch so ... zufrieden. Es tut mir einfach gut."

„Dann würde ich sagen, du hast dein Thema gefunden. Natürlich trifft das auf jede Form des Tanzens zu. Aber das Contemporary ist in seinen Ausdrucksmöglichkeiten am wenigsten irgendwelchen starren Regeln unterworfen. Und WAS da alles möglich ist, könntest du ausschlachten und mit Beispielen vorführen und, und, und. Was hältst du davon?"
Noch ist sein Gesicht ein einziges Fragezeichen.
„Was war dein Gefühl, als dein Vater dir das Tanzen verboten hat?"
„Ich hatte das Gefühl, er schneidet mich in zwei Teile und wirft die eine Hälfte weg."

„Das heißt, das Tanzen hat etwas mit deiner Persönlichkeit zu tun. Mit dem ureigenen Max in dir drin."
Er nickt bloß.
„Dann geh einen Schritt weiter. Es ist Teil deiner Identität, du drückst dich darüber aus, es korrespondiert mit deiner Seele. Tanzen ist für dich wie ..."
Seine Augen werden groß, und Milly sagt bloß:"Uff. Cool!"
„Tanzen ist für mich fast wie Therapie. Ohne werde ich müde und lustlos und traurig, ich fühle mich unvollständig und nutzlos."
„Entscheide nicht jetzt! Aber denk drüber nach, ob das ein Thema für dich werden könnte."  

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6.10.2020    -    9.4.2021

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