040 ** Rückwärtsgang ** Do. 19.9.2019

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Es erwischt mich ja selten. Aber wenn – dann richtig. KEIN Mensch braucht einen Magen-Darm-Virus mit allem, was dazugehört. Dabei wollte ich doch unbedingt Max moralischen Beistand leisten bei der Mathe-Klausur. Wenigstens konnte ich erreichen, dass Ines Schiller mich vertritt. Sie arbeitet ähnlich wie ich und hat viel Geduld. Aber als Jenny dann nach Hause kommt und mir von dem entzückenden erneuten Theater von Frau Hartmann erzählt, dreht sich mir sofort wieder der Magen rum.

Als ich endlich wieder raus bin aus dem Bad, sinke ich erschöpft aufs Sofa und lasse mir von Jenny alles genauer erzählen. Mit großem Abstand natürlich. Nicht, dass sie dann nächste Woche im Gelände plötzlich die Kotzeritis kriegt, weil ich sie hier in meinem Zorn anhuste.
„So. Und jetzt nochmal von vorn. Das ist ja echt nicht zu fassen."

In aller Ruhe und unter Absingen hässlicher Lieder meinerseits erzählt mir Jenny vom Schulaufreger des Tages. Diesmal ist wohl sogar der Direx laut geworden. Zumindest Herr Brunner hat richtig was auf den Deckel bekommen, weil er sich hergegeben hat für diese unfaire Sch... Es hat sich herausgestellt, dass Herr Brunner von sich aus zu Frau Zimmermann gegangen ist und sich angeboten hat, bevor Ines Schiller überhaupt wusste, dass sie zur Aufsicht in meinem Kurs eingeteilt war. Also ist sie natürlich normal in ihre Klasse gegangen. Aber im Endeffekt hat Barbara Siemens Max dann doch noch retten können, und das ist die Hauptsache.

Wie Max sich dabei gefühlt hat, alleine auf diesem Flur, mit der Uhr im Nacken und Frau Hartmann im Weg, das kann ich mir kaum vorstellen.
Der arme Teufel! Hoffentlich tritt der Elternbeirat bald in Aktion. Das muss endlich ein Ende haben!
„Wie ätzend, dass ich ausgerechnet heute krank geworden bin. Aber ich kann auch morgen noch nicht hin, sonst bin ich nächste Woche beim Survival nicht wieder richtig fit. Hast du selbst mit Max geredet?"

„Ne, ich hab nur mitgekriegt, dass Herr Erdmann sich eingeschaltet hat. Und Frau Siemens ist nach der Sechsten zu ihm und hat ihm Entwarnung gegeben."
„Dann werde ich mich gleich mal bei ihm melden. Der ist jetzt bestimmt ziemlich durch den Wind. Und ich sollte mich vielleicht mal mit seinem Onkel in Verbindung setzen."
„Mach das. Ich ess jetzt erstmal was. Du willst ..."
Ruckartig schnelle ich vom Sofa in Richtung Wohnzimmertür.
„Kopp dicht! Allein das Wort ist eine Herausforderung an meine Peristaltik!"
Und schon rase ich wieder ins Bad.

Anschließend packe ich mich mit Eimer daneben in mein Bett, schnappe mir mein Handy und öffne den Nachhilfe-Chat mit Max.
„Hallo, Max! Frau Tucher ist grade nach Hause gekommen und hat mir von dem Fiasko mit Frau Hartmann berichtet. Ich bin unglaublich froh, dass Du so geistesgegenwärtig reagiert hast und Frau Siemens Dir beigestanden hat. Frau Schiller sollte mich eigentlich bei der Klausur vertreten. Ich habe leider so heftig Magen-Darm, dass ich heute völlig außer Gefecht bin. Es tut mir Leid, dass ich Dir nicht Bescheid sagen konnte. Ich werde auch morgen nicht kommen, damit ich nächste Woche fit bin.
Ich würde gerne Kontakt zu Deinem Onkel aufnehmen, und Du solltest morgen den Kontakt zwischen Frau Siemens und ihm herstellen. Dann hat er die Informationen aus erster Hand. Habt Ihr Beweise für die Aufsichts-Manipulation? Schöne Grüße auf ziemlich wackeligen Beinen, Fr. Süß"

Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten.
"Uuuups! Ich hab mich schon gefragt, was los ist. Danke, ich habs überlebt. Aber einen Moment lang war ich echt völlig hilflos. Ich werde Ihre Nummer an Onkel Thorsten weitergeben und morgen auch mit Frau Siemens nochmal sprechen. Werden Sie erstmal richtig gesund. Wir brauchen Sie nächste Woche!"

„Danke, Max. Das will ich auch. Ganz unbedingt!"
Das bisschen Tippseln hat mich schon wieder so erschöpft, dass ich einfach wegdämmere. Erst Stunden später komme ich wieder in der Realität an, als das Handy auf meinem Bauch anfängt zu bimmeln. Es ist Frau Zimmermann, die mich fragt, ob ich morgen auch noch vertreten werden muss. Dann erzählt sie mir ein bisschen aus ihrer Sicht von dem großen Knall heute. Sie hat in Absprache mit Dr. Miegel den Elternbeirat informiert und richtet mir vom Direx aus, dass er mir gute Besserung wünscht, dass er nach einer Idee sucht, wie er sich bei Max entschuldigen kann, und dass er ..."

Blablabla. Wenn er durchgreifen würde – DAS wäre ein Geschenk für Max. Alles andere ist ja wohl unwichtig.
„Danke, Steinchen. Ich werde hoffentlich Montag früh fest auf meinen beiden Beinen zu Ihnen marschieren und meinen Teil zur Klärung beitragen. Ansonsten werden Frau Tucher und Dr. Fahrendorf die Fahrt auch alleine durchführen, aber lieber wäre ich dabei."
...
„Ja, danke. Ich gebe mir Mühe. Tschüß."

Mein Magen knurrt.
„Ruhe da unten auf den billigen Plätzen! Du schickst mir heute doch sowieso alles zurück!"
Aber trinken könnte ich mal was.
ÄääääääähhhKreislauf ...
Ich rutsche an der Wand entlang durch den Flur. Jenny hört die Geräusche, kommt aus ihrem Zimmer und lacht sich schief.
Schönen Dank auch ...
„Sach doch was. Ich kann dir doch alles bringen."
„Was."
„Hä?"
„Naja: sach doch was. Hab ich gemacht. Was. Und wenn ich mich nicht ab und zu bewege, reicht mein Kreislauf endgültig die Kündigung ein."
Jenny unterdrückt ein Grinsen und schlappt mir voraus in die Küche. Sie setzt Teewasser auf und dirigiert mich auf den nächsten Stuhl.

„Ist dir eigentlich bewusst, dass das der fünfte Vorfall in nichtmal zwei Monaten war? Wenn sie immer damit durchgekommen wäre, wäre Max jetzt sogar fällig für einen blauen Brief nach Hause."
„Himmel, alles bloß das nicht! Naja, ich kann jetzt vor der Fahrt eh nix mehr tun, und Frau Hartmann darf nicht mehr an Max Akte ran. Nach der Fahrt sind erstmal Ferien, da kümmere ich mich gleich in der ersten Woche drum."

„Sieh bloß zu, dass du wieder gesund wirst. Du weißt – ich kann das auch alleine. Aber im Schulrahmen hängt da noch eine andere Verantwortung dran, Lennart hat noch überhaupt keine Erfahrung damit und Antoine bräuchte eigentlich Einzelbetreuung, so wie der sich benimmt."
„Keine Sorge. Das Projekt ist doch mein Baby. Sobald irgendwas drin bleibt, fange ich mit Immodium an, dann bin ich bald wieder auf dem Damm. Hast du mir eigentlich die Mathe-Klausuren mitgebracht?"
„Du bist 'ne Marke. Wieso denkst du in DEM Zustand an SOWAS? Ja, die liegen auf deinem Schreibtisch."
„Naja, eigentlich wollte ich die heute fertig korrigieren, damit ich sie morgen zurückgeben kann. Jetzt müssen die armen Teufel bis nach den Ferien warten."
„Das werden sie überleben ..."

„Hm."
Ich schlurfe mit der Thermoskanne voll Tee unterm Arm zurück ins Bett. Hurra, der Tee bleibt drin. Also eine Immodium hinterher und dann schlaaaaf...
Gegen Abend wache ich wieder auf. Ich fühle mich zwar wackelig auf den Beinen, aber schon deutlich lebendiger als heute Mittag oder gar heute Morgen. Salzstangen knabbern geht auch wieder. Also spaziere ich nochmal ein bisschen durch die Wohnung, um meinen Kreislauf anzuregen, gebe Jenny einen Klaps auf den Hinterkopf, weil sie mich schon wieder auslacht – und setze mich tatsächlich an meinen Schreibtisch für eine erste Durchsicht der Klausuren.

Die meisten Schüler haben so abgeschnitten, wie ich es erwartet habe. Paul und Lore besser als Moritz und Annika, alle bewegen sich innerhalb ihres bisherigen Durchschnitts. Dann kommt Max Arbeit. Interessanterweise kann ich schon beim ersten Durchblättern erkennen, wo die verhängnisvolle Pinkelpause war. Danach ändert sich nämlich seine Schrift – die Buchstaben und Zahlen sind kleiner, krakeliger und nach links gerichtet. Was er vorher geschafft hat, ist eigentlich gar nicht so schlecht. Er hat wirklich jeden Zipfel Wissen genutzt, um was hinschreiben zu können. Aber danach ist echt so gut wie nichts mehr zu brauchen.

Unschlüssig starre ich auf seine Seiten. Wie bewerte ich das denn jetzt? Ich bin ja irgendwie nicht neutral, oder? Am besten gebe ich seine Klausur zusammen mit zwei Vergleichsarbeiten an Ines weiter. Sie kann dann sagen, ob das noch 'ne Vier oder schon 'ne Fünf ist. Aber eine Sechs ist es auf keinen Fall, das beruhigt mich schonmal sehr.

Und jetzt reichts.
Mehr ist heute nicht drin!
Mit einem kleinen Umweg durchs Bad begebe ich mich wieder ins Bett und kann tatsächlich schon wieder fest schlafen.

Fr. 20.9.2019

Ich werde von Jennys Morgengeräuschen wach und kann ihr darum die ausgesuchten drei Klausuren für Ines in einem verschlossenen Umschlag mitgeben. Der erkläre ich kurz in einer Textnachricht, was und warum das nachher zu ihr kommen wird. Dann lasse ich den Tag langsam angehen und schlurfe mit frischem Tee und der nächsten Schachtel Salzstangen zurück ins Bett.

Auf meinem Handy finde ich die Bitte von Lasses Vater Thorsten Seitz vor, ihn doch im Büro zurückzurufen. Seine Sekretärin stellt mich gleich durch. Wir reden lange. Der Vorstand vom Schulelternbeirat hat gleich gestern eine Videokonferenz gemacht. Und seine Sekretärin hat vorhin einen Termin beim zuständigen Ministerialrat in Düsseldorf gemacht für nächste Woche. Bis dahin will er alle Fakten zusammen tragen über frühere und aktuelle Fälle von Mobbing durch Frau Hartmann. Außerdem will er alle Unterlagen zusammenstellen, die über das Scheitern am Schulamt vor ein paar Jahren Auskunft geben können. Und alle Eltern, deren Kinder schonmal betroffen waren, sollen gebeten werden, Ihre Vorfälle aus dem Gedächtnis nochmal aufzuschreiben.

Ich schildere ihm ganz ausführlich alle Fälle mit Max in diesem Schuljahr, gebe meine Einschätzung zum Verhalten des Direktors ab und bekomme die Erlaubnis, Herrn Seitzens Kontakt an alle beteiligten Kollegen weiter zu geben. Also Jenny, Lennart, Ines, Barbara, Frau Zimmermann und Herr Erdmann. Herr Brunner hat zwar tüchtig eins auf den Deckel bekommen, war aber ja nur Strohmann. Darum will Herr Seitz den erstmal aus dem Spiel lassen.

Als er mir schildert, in welcher Verfassung Max gestern Nachmittag und Abend war, wird mir fast schon wieder schlecht.
Was muss der Junge alles aushalten!
Seine Haltung und sein Durchhaltevermögen sind einfach bewundernswert. Dabei fährt er eigentlich ununterbrochen Achterbahn der Gefühle. Wir beenden das Telefonat in großer Einigkeit. Ich bin ziemlich erleichtert, denn ich habe das Gefühl, dass der Mann sein Handwerk wirklich versteht.

Als nächstes schleppe ich mich unter die Dusche und dann zum Arzt, denn ich brauche ja noch eine Krankmeldung. Als ich im Wartezimmer sitze, bekomme ich eine süße Nachricht von Max.
„Geschichte heute hat gut geklappt, jetzt ist erstmal Schluss mit Klausuren. Könnten Sie mir verraten, wo Frau Siemens wohnt? Ich möchte mich mit Blumen bedanken, will die aber nicht in der Schule übergeben. Sonst geht der Schuss noch nach hinten los ..."
Ein Blick zur Uhr verrät mir, dass grade erste große Pause ist.

Also piepe ich Barbara an, ob ich ihre Daten weitergeben darf, ohne ihr zu verraten, was Max vorhat. Ich denke, sie ahnt es trotzdem, denn ich bekomme sofort ihr O.K., begleitet von ein paar witzigen Emojis. Also schicke ich Max ihre Adresse. Und der nutzt seine Freistunden offensichtlich sofort, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Denn später schickt er mir noch ein Bild von dem Strauß, der dann heute Nachmittag per Fleurop zu Barbara Siemens geliefert werden wird. Er hat ein Kärtchen dazu geschrieben und sich sehr für ihre Schützenhilfe bedankt. Es ist mir völlig schleierhaft, wie man diesen jungen Mann als unhöflich, desinteressiert und aufmüpfig bezeichnen kann ...

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24.10.2020    -    23.4.2021

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