051 ** ein einziger Alptraum ** Mi. 25.9.2019

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Während Max friedlich schlafend vor mir liegt, bleibe ich einfach daneben sitzen und versuche zu verarbeiten, was da grade alles war. Ich habe mich verliebt in meinen Schüler, er sich in mich. Wir sind vom Alter her gut sechs Jahre auseinander, er ist noch nichtmal volljährig. Wir müssen ein Dreivierteljahr Theater spielen, wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen. Wir haben keine Ahnung, wie wir das bewerkstelligen sollen – aber Aufgeben war eben für uns beide absolut keine Option.
Na, das kann ja heiter werden!

Was ist da nur grade passiert? Wieso war mir das vorher nicht klar?? Und warum konnte ich mich nicht mehr bremsen???

Blöde Frage, ist doch klar. Du hast dir vor fünf Jahren selbst verboten, jemals wieder über einen Mann nachzudenken, du hast also nicht damit gerechnet, und verdrängte Gefühle sind eben trotzdem Gefühle.

Oh Gott, bitte. Nein! Die Stimme ist wieder da.
Ich erstarre für einen Moment und muss den Impuls unterdrücken, mir die Ohren zuzuhalten.

Bringt nix. Leb damit. Du hast grade die Büchse der Pandora geöffnet.

Ich merks ...

Ich hole tief Luft und konzentriere mich ganz auf Max. Dieser wunderbare junge Mann, klug, empathisch, attraktiv und anziehend, aber mit einem Plüschtier in der Hand. Ich muss leise lachen.
Was eine irre Mischung!
Aber ... Seltsamerweise macht mich der Altersunterschied überhaupt nicht nervös – im Gegenteil!

Der damals vier Jahre ältere Adrian war so souverän, dass ich zu ihm aufgesehen und viel zu lange nichts begriffen habe.
Jetzt ist Max der Jüngere, da fühle ich mich wohl sicher.

Quatsch, er ist einfach schnuckelig. Er tut dir gut!

Jaja, kannst du innere Labermaschine einfach mal still sein?

Nö.

Na super! Noch'n paar Vorschläge? Muttergefühle? Helfersyndrom?

Nö, nö und nö. Nimms hin – du bist einfach hoffnungslos in einen tollen Menschen verliebt und reitest dich damit grade so richtig in die Scheiße.

Ich gebe auf. Wenn diese innere Stimme anfängt zu diskutieren, ziehe ich sowieso immer den Kürzeren. Also reiße ich mich von dem friedlichen Anblick los und hocke mich wieder an den Tisch, um die letzten Klausuren durchzukorrigieren. Da kommt nicht mehr viel Überraschendes. Ich packe die Klausuren weg, husche einmal kurz durch die Dusche und krabbele dann auch in mein Bett. Das letzte, was ich höre, ist Max ruhiger Atem, der nun auch mich sanft in den Schlaf gleiten lässt.

Bis ich mitten in der Nacht von einem lauten, panischen Schrei geweckt werde. Max. Er scheint schlecht zu träumen, denn er wälzt sich im Bett, wimmert „Mama" und „Nein", schlägt um sich und sucht anscheinend was. Schnell ziehe ich mir einen Hoodie über und husche zu seinem Bett. Als erstes suche ich diese kleine graue Gans und drücke sie ihm in die Hand. Sofort wird er ruhiger, klammert sich daran, rollt sich fast zu einer Kugel zusammen, weint aber immernoch.

Also mache ich mich daran, ihn zu wecken. Ich streiche über seinen Rücken und rede leise mit ihm. Es dauert eine ganze Weile, bis er die Augen aufschlägt, wirr suchend um sich blickt und dann schließlich an mir hängen bleibt.
„Max? Kann ich dir helfen? Hast du schlecht geträumt?"
Endlich wird sein Blick klar, und er erkennt mich.
„Frau Süß! Nein ... Anni. Halt mich bitte ganz fest."
„Armer Schatz!"
Ich krabbele hinter ihm aufs Bett und umarme ihn von hinten. Ich bin ja viel kleiner als er. Aber wenn er sich so wie eine kleine Kugel in meine Arme schmiegt, dann habe ich fast das Gefühl, er möchte gern in mir verschwinden.

Ein paar Minuten dauert es noch, bis er sich ganz beruhigt hat und sich allmählich entspannt.
„Was war denn?"
Ich erzähle es ihm, und er seufzt.
„Schon wieder. Wenn bei mir alles durcheinander ist, dann träume ich oft von Mama. Es tut mir leid, dass ich dich so erschreckt habe."
„Das macht doch nichts, Max. Schlechte Träume bestellt man nicht, die werden einfach geliefert. Magst du ... mir ... ein bisschen von deiner Mutter erzählen? Ich weiß noch fast nichts."
Max macht sich noch kleiner in meinen Armen und schweigt. Erst nach einer ganzen Weile murmelt er was.
„Na gut. Einige Teile kennst du ja schon – das Haus und so. Tanta Jana ist die ältere der beiden Schwestern. Sie ist Fotografin. Meine Mutter hat Ballett studiert und war auch ziemlich erfolgreich. Am Schluss war sie Primaballerina am Aaltotheater. Deshalb habe ich auch keine Geschwister – damit sie nach meiner Geburt wieder durchstarten und Karriere machen konnte, bevor sie zu alt dafür wurde. Lasse nebenan kam ein Jahr nach mir, und er hat noch Lotta und Ole als Geschwister.
Mein ganzes Leben bestand aus Tanz. Tante Jana sagt immer, ich konnte tanzen, bevor ich laufen konnte. Und ich sei da wie meine Mutter. Egal, ob sie glücklich oder traurig oder aufgeregt oder wütend war – meine Mutter hat immer getanzt, und dann ging es ihr gut. Sie hat völlig recht. Ich kenne es von mir nicht anders.
Als ich vier war, war Mama plötzlich viel mehr zu Hause. Mir wurde nicht gesagt, dass sie schwer krank war. Erst als alle Chemos und Bestrahlungen nichts mehr halfen und Mama schon nur noch Haut und Knochen war, hat sie sich durchgesetzt und mir erzählt, dass sie krank ist und bald sterben wird. Ich war nun fünf Jahre alt und kapierte überhaupt nichts, außer: Mama ist bald nicht mehr da.
Ich hab sie irgendwann gefragt, warum sie nicht mehr tanzt. Sie lag da schon ganz viel. Sie hat mich angelächelt und mir das so erklärt:
'Meine Beine sind zu müde von der Krankheit. Aber wenn mein Herz tanzen möchte, dann mache ich die Augen zu und sehe die große Bühne vor mir, und dann tanze ich in meinen Gedanken. Mein Herz tanzt. Vergiss das nie, Mäxchen. Wenn du eines Tages etwas findest, dass dein Herz ganz erfüllt, dann halt es fest in deinem Leben. Kämpfe darum, lass es niemals los! Es kann sein, dass es dir nicht immer Spaß macht, vielleicht verlierst du dein Ziel auch mal eine Weile aus den Augen. Aber lass es nie los, hörst du? Vertrau deinen Instinkten, vertrau deiner Seele. Sie wir dich gut führen.'
Diesen Moment werde ich nie vergessen, so klein ich da war."

„Da hatte deine Mutter ganz recht, Max. Ich kenne dich ja noch keine zwei Jahre. Aber der Max, den ich kenne, ist ein Kämpfer, der auf sein Herz hört. ... Ich hätte sie gerne kennengelernt."
Max kommen wieder die Tränen.
„Kurz ... kurz bevor sie starb, musste Tante Jana in die Stadt gehen. Sie sollte mir einen Plüschschwan kaufen. Den gabs nur leider nicht. Sie wusste aber, wofür, und so hat sie diese Graugans gekauft."
„Was hat denn eine Gans mit einem Schwan zu tun?"
„Kennst du das Märchen vom hässlichen Entlein?"
Max kuschelt sich noch ein bisschen näher an mich.
„Klar kenn ich das. Mir hat der kleine, verachtete Schwan als Kind immer furchtbar leid getan."

„Als Mama mir diese Gans gab, hat sie mir dazu das Märchen erzählt.
'Weißt du, Mäxchen. Eigentlich ist es gut, dass Tante Jana nur diese Gans finden konnte. Als ich ein Kind war, war ich ziemlich schmächtig. Ich bin oft ausgelacht worden, wenn ich gesagt habe, dass ich einmal in einem großen Theater tanzen will. Ich habe mich immer gefühlt wie dieses arme, graue Schwanenküken. Und darum hatte ich immer wieder die Kraft, mein Ziel zu verfolgen. Das Lachen der anderen ist an mir abgeprallt, weil ich wusste, dass aus dem kleinen, zerrupften Küken eines Tages ein stolzer Schwan werden würde. Und du bekommst jetzt von mir diese Gans als dein hässliches Entlein. Und als deine Erinnerung daran, dass du alles schaffen kannst, wenn nur du an dich glaubst. Eines Tages wirst du ein Schwan sein, Mäxchen. Ganz egal, ob als Tänzer oder als Bundeskanzler oder als Postbote. Folge deinem Herzen, und du wirst ein Schwan sein. Und ich werde dir von oben zusehen und furchtbar stolz auf dich sein."

Erst mein eigenes Schluchzen macht mir bewusst, dass ich angefangen habe zu weinen. Max spürt das, dreht sich um und nimmt nun mich in die Arme. So erzählt er weiter.
„Papa hat Mama sehr, sehr geliebt. Ich habe das immer gespürt, und Tante Jana hat mir das bestätigt. Als sie starb, verschwand er direkt nach der Beerdigung. Tanta Jana hat mich und alle meine Sachen aus dem Haus zu sich rübergeholt, ich bekam ein eigenes Zimmer und lebte wie ein weiteres Kind der Familie. Lasse und ich sind wie Brüder. Papa tauchte zwar irgendwann wieder auf, aber er hat mich nicht zu sich geholt. Er war entweder in der Firma oder auf dem Friedhof.

Erst, als ich acht Jahre alt wurde, hat er mich wieder rübergeholt. Es war fremd für mich. Im ganzen Haus gab es kein einziges Bild von Mama mehr, nichts, was ihr gehörte oder an sie erinnerte. Und er mochte es auch nicht, dass ich in meinem Zimmer ganz viel aufstellte, das mich an sie erinnerte. Fragen habe ich sehr schnell keine mehr gestellt. Als ich elf war, kam Tanja dazu. Er hatte sie kennengelernt, weil ihre kleine Gärtnerei die Grabpflege übernommen hatte. Er hat sie an Mamas Grab getroffen. Von dem Tag an ging er nicht mehr auf den Friedhof. Nie mehr. Dafür kam Tanja immer öfter zu uns. Erst pflegte sie unseren Garten, dann gestaltete sie unser Haus um, und schließlich zog sie bei uns ein. Papa hat sie auf Händen getragen und immer Angst um sie gehabt, wenn sie nicht da war. Aus heutiger Sicht war schon das ein bisschen irrational, denn Mama ist an Krebs gestorben, nicht an einem Unfall oder bei einem Geiseldrama."

„Wie verrückt! Er hat das nie verarbeitet, ist immer davor weggelaufen und hat schließlich versucht, deine Mutter zu ersetzen."
„Ja, genau. Tanja war von Anfang an eine tolle Mutter. Sie hat ziemlich bald nach ihrem Einzug ganz ehrlich mit mir geredet und mir versprochen, dass sie niemals von mir erwarten wird, dass ich meine richtige Mutter vergessen oder zu ihr Mama sagen soll. Sie hat sogar immer wieder lange mit Tante Jana geredet, weil sie etwas über Mama wissen und mich besser verstehen wollte."
„Sie wird mir immer sympatischer."

„Als Papa und Tanja beschlossen haben zu heiraten, ging dann der Stress los. Papa hat nämlich entschieden, dass er Tanjas Nachnahmen annehmen und mich zur Adoption freigeben wird. Dann wollte er zusammen mit Tanja diese Adoption übernehmen, damit wir dann eine richtige Familie sind. Da war ich vierzehn. Und habe mich seitdem mit Händen und Füßen gewehrt. Denn bei einer Adoption bekommst du den Namen deiner neuen Eltern – und ..."
Max schnieft, und ich sehe, wie mühsam er seine Tränen runterschluckt.

„Er wollte ... ich hätte eine neue Geburtsurkunde bekommen, in der dringestanden hätte: Maximilian Frey, geboren am blablabla in Hüppeldipüpp. Verstehst du? Man wird rückwirkend umbenannt. Papa wollte erreichen, dass mich nichts mehr mit Mama verbindet. Dafür war er sogar bereit, seinen eigenen Namen dranzugeben. Das war das erste Mal, dass Tante Jana zum Jugendamt ging. Ich hatte da eh meine Akte, weil ich Halbwaise bin. Aber nun wurden sie hellhörig. Papa musste mich selbst entscheiden lassen, weil ich schon so alt war, und ich blieb natürlich bei dem Namen Gersten."

Hilflos höre ich mir an, was Max schon alles aushalten musste in seinem Leben. Ganze Kronleuchter gehen mir auf, wenn ich an die letzten Monate denke. Nun halte ich wieder ihn in den Armen.
„Max?"
„Hm?"
„Ist dir eigentlich bewusst, dass du längst dieser stolze Schwan bist?"
„Hm???"
Mit großen, verweinten Augen schaut er mich an.
„Wenn du nicht die Kraft dieses Schwans in dir hättest, auf dein Herz zu hören und dein Ziel zu verfolgen, hätte dein Vater dich irgendwann gebrochen. Hat er aber nicht. Ich weiß jetzt, was passiert ist, als du die große Matte verprügelt hast. Und als du so wunderbar alleine getanzt und alle in deinen Bann gezogen hast. Das war der Schwan in dir. Wie deine Mutter es vorausgesagt hat."

Ein kleines schüchternes Lächeln huscht über sein Gesicht, und seinen Augen sehe ich an, dass er für einen Moment ganz weit weg ist.
„Ich habe sie nur einmal auf der Bühne gesehen, und das ist schon soooo lange her. Aber ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Sie war sooo schön! Sie hat getanzt wie eine Feder im Wind."
Eine ganze Weile schweigen wir, und ich lasse Max seinen Gedanken nachhängen. Dann nimmt er den Erzählfaden wieder auf.

„In der siebten Klasse hatte ich dann zum ersten Mal Frau Hartmann in Mathe. Ich war in dem Fach nie eine Leuchte, aber dann war ziemlich bald der Ofen aus. Sie hatte mich leider gehört in der Pause, als ich Schreckschraube gesagt habe, und hat sich sofort auf mich eingeschossen. Nur die guten Noten in allen anderen Fächern haben mich jedes Jahr wieder gerettet. Die Beschwerden diverser Eltern prallten einfach am Schulamt ab. Deshalb will Onkel Thorsten jetzt auch direkt zum Regierungspräsidium. Damit das nicht wieder im Sande verläuft."

„Und was war das Theater in diesem Sommer?"
„Ich hatte wieder nur 3 Punkte in Mathe. Außerdem hatte ich einen Vermerk wegen viermaligem Nachsitzen im Zeugnis. Papa war am Ferienanfang auf Dienstreise, aber als er dann am Dienstag nach Hause kam, brach ... Oh Mann. Irgendein Damm aus Frust ist in ihm gebrochen. Er hat mir das Tanzen verboten, und ich musste die kompletten Ferien lang Haus und Garten putzen. Glaub mir, in unserem Haus gibt es nicht ein einziges müdes Staubkorn mehr, kein Buch steht am falschen Platz. Ich musste Waschen und Kochen lernen, weil Papa darauf bestanden hat. Tanja war schon ganz genervt. Aber er hat darauf bestanden mit dem Argument: 'Wenn du nicht Tanjas Sohn sein willst, dann muss sie auch nichts für dich tun.' Am Ende der Ferien hat er mich erwischt, wie ich in meinem Zimmer getanzt habe, um nicht völlig einzurosten. Und da war der Ofen aus. Er hat mir mitgeteilt, dass ich an meinem achtzehnten Geburtstag rausfliege, falls ich nicht bis dahin in die Adoption einwillige."
„Wie bitte??? ... Ohhhhh Mann! DAS war die Angst, die dich gelähmt hat. Eingeklemmt zwischen Frau Hartmann und deinem Vater, immer in der Angst, dass alles in sich zusammenfällt wie ein Kartenhaus im Wind."
Ich höre Max Stimme kaum, so leise spricht er.
„Genau. Eingeklemmt zwischen Baum und Borke, und es wurde immer enger. Ich hab auch jetzt noch unglaublich Angst, dass er irgendwie von den ganzen Hartmann-Vorfällen erfährt. Er würde mir keine Sekunde glauben, dass ich nicht dran Schuld war. Eher würde er mir den Hals um- und den Geldhahn zudrehen."

„Na, da kannst du zum Glück ganz beruhigt sein. Sie hat das ausdrückliche Verbot, sich Einsicht in Schülerakten zu verschaffen, und die klare Ansage, dass sie keine blauen Briefe schreiben darf. Dir kann nichts passieren, verlass dich da ganz auf deinen Onkel und auf mich."
Max seufzt erleichtert auf und kuschelt sich näher an mich. Wir küssen uns, ganz zart.
„Kannst du jetzt wieder schlafen? Wir wollen doch, dass es dir morgen wieder besser geht."
Max nickt.
„Ich glaub schon."
„Na, dann schlaf gut. Und träum was schöneres."
„Hm. Du auch."
„Max?"
„Hm?"
Er ist schon halb weg.
„Ich hab dich lieb."
Jetzt nicht mehr. Er reißt die Augen auf, dann wird er ein bisschen rot. Dann gibt er mir ein Küsschen auf die Nasenspitze.
„Ich dich auch. Und wie!"
Bald ist er eingeschlafen.

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4.11.2020

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