057 ** wie zerschlagen ** Fr. 27.9.2019

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Als Mama mit Max und seinem Gepäck zur Tür reinkommt, ist er weiß wie die Wand, total verheult und wirkt wie in Trance. Gemeinsam bringen wir ihn nach oben zu seinem alten, neuen Zimmer. Gedankenverloren streicht er mit einem Finger über seinen Schreibtisch, der noch im Flur steht, geht ins Zimmer und starrt auf sein frisch bezogenes Bett, als hätte er es noch nie gesehen. Mama stellt sein Gepäck ab und streicht ihm über den Rücken.
„Willkommen zu Hause, mein Sohn."
Max nickt.

Ganz langsam dreht er sich einmal um seine eigene Achse, mustert seine früheren Spielsachen und seine heutigen in Kartons gestapelten Besitztümer – lässt sich aufs Bett fallen und bricht in Tränen aus. Mama hindert mich daran, sofort zu ihm hin zu stürzen.
„Lass ihm Zeit und hilf ihm einfach bei allem, was er braucht. Ich mach mal Mittagessen."

Als Mama zum Mittagessen bimmelt, holt er tief Luft, wischt sich das Gesicht ab, steht auf und schwankt. Irritiert schaue ich ihm dabei zu und fasse ihn dann am Arm.
„Was war das, Max?"
„Ich hab mir am Mittwoch einen Sonnenstich eingefangen. Eigentlich sind die meisten Symptome abgeklungen. Aber mir ist noch schwindelig."
Etwas gefasster geht er nach unten, ich immer hinterher.
Nicht, dass der mir hier die Treppe runterpurzelt!
Ole ist bei seinem Freund, Lotta plaudert vergnügt, was sie alles in den Ferien vorhat, Mama, Papa und ich versuchen, uns normal zu benehmen.
Versuchen ...

Nach dem Essen steht Max mechanisch auf und will wieder nach oben gehen. Aber Papa hält ihn zurück.
„Bleib bitte hier, Max. Komm, wir gehen in mein Arbeitszimmer."
Ich laufe hinterher, Mama kümmert sich um Lotta und holt Ole ab. In Papas Büro setzen wir uns. Max lässt niemand an sich ran. Papa zeigt ihm den Brief, versucht, ihm zu erklären, was das bedeutet, stellt ihm Fragen, wie die Vorfälle in Wahrheit abgelaufen sind, wir berichten ihm, was gestern und heute Morgen hier abgegangen ist. Papa gibt ihm die neuen Kontaktdaten von Tanja – nichts hilft. Max beantwortet alle Fragen zur Vergangenheit. Aber zur Gegenwart und seinem akuten Zustand schweigt er, nickt, schüttelt den Kopf, weint. Mehr ist nicht aus ihm rauszukriegen.

„Max, ich kann dir nicht helfen, wenn du mir nicht hilfst. Ich muss gleich versuchen, in der Schule noch jemand zu erwischen, und deine Tutorin Frau Süß wird sicher auch ..."
„Die kann mir gestohlen bleiben. Sie hat mir geschworen, dass genau das nicht passieren kann. Jetzt ist es zu spät."
Max verstummt wieder. Ich zucke zusammen, als seine eiskalte Stimme erklingt. Unterdrückte Wut und grenzenloser Schmerz strahlen von ihm aus wie von einem riesigen Sendemast.
Eigentlich hatte sich das doch abgezeichnet. Warum trifft ihn der Rauswurf so sehr, als hätte er nichts geahnt??? Und was hat das mit der Süß zu tun?
Ich mach grade mal wieder den Sokrates – ich weiß, dass ich nichts weiß.

„Wir werden abwarten, ob dein Vater sich beruhigt. Dann werde ich mit ihm in Verhandlung treten, denn er muss für dich zahlen, Er soll uns das Kindergeld weitergeben, u.s.w. Er kriegt hier Hausverbot und darf keinem von uns nahe kommen. Wir bauen jetzt darauf, dass Uwes Ultimatum und Tanjas Verschwinden ihn irgendwie in Bewegung setzen. Sonst sieht er jedenfalls Tanja nicht so schnell wieder."
Max reagiert nicht. Es ist zum Auswachsen.
„Du bist auf jeden Fall hier zu Hause, willkommen und Teil unserer Familie, wie du es schon immer gewesen bist. Und wenn Axel nicht zahlt, werden wir das alles übernehmen. Dein Tanzen, deine Nachhilfe, wir ..."
„Da geh ich nie wieder hin. Eher sterbe ich!"

Wieder zucken wir zusammen. Ich bewundere Papas Geduld.
„Uwe hat übrigens angeboten, dir bei der Suche nach einem Therapeuten zu helfen, damit wenigstens du all das Schlimme der letzten Jahre verarbeiten kannst. Er hat auch Tanja das Versprechen abgenommen, dass sie sich an ihn wendet, wenn sie Hilfe braucht."
Max steht auf.
„Noch was, was ich wissen muss?"
Er wartet Papas Antwort nicht ab.
„Fragt einfach nicht. Aus mir werdet ihr nichts rausbekommen."
Weg ist er.

Ich denke kurz nach.
„O.K., Papa. Du klemmst dich an die Schule und an Frau Süß. Ich kontaktiere Moritz und Paul, vielleicht ist ja in der Projektwoche was passiert, was sein Verhalten erklärt. Der Sonnenstich reicht mir als Erklärung nämlich nicht."
Wir fangen beide an zu telefonieren. Papa hat erst den Elternbeiratsvorsitzenden an der Strippe, dann den Direktor, der grade eben durch eine völlig aufgelöste Frau Süß von dem Brief erfahren hat und sofort an seinen Computer stürzt. Papas Stimme wird schnell sehr professionell-kalt und sachlich. Er scannt nebenbei den Brief ein und mailt das rüber. Der Direx ist fassungslos, als er den Mailanhang öffnet, und auch ihm fällt sofort auf, dass eine Unterschrift fehlt.

Ich erreiche zum Glück sofort Moritz erzähle ihm, was hier in den letzten 24 Stunden abgegangen ist und dass Max völlig aufgelöst, nur mühsam beherrscht und sehr schweigsam ist und sich verkriecht. Moritz fängt sofort an zu planen.
„Sch... der ist schon seit gestern Abend so komisch. Und da wusste er noch gar nicht, was ihm blüht. Pass auf. Du bleibst bei ihm, wir gehen ins Training. Und morgen früh stehen wir bei euch auf der Matte. Wir müssen irgendwie seinen Widerstand knacken. Vor allem, wenn er immernoch unsinnigerweise glaubt, dass Frau Süß daran schuld ist. Das ist nämlich Quatsch. Halt uns auf dem Laufenden. Wir lassen ihn nicht alleine."
Ich informiere noch Paul über diesen Plan, dann höre ich wieder Papa zu.

An Frau Süß kommt der allerdings nicht ran. Die Schule darf ihre privaten Daten nicht rausrücken, will sie aber benachrichtigen, dass er mit ihr reden will. Max rückt sein Handy nicht raus und besteht darauf, mit ihr nichts mehr zu tun haben zu wollen. Papa versucht, weitere Zeugen der Vorfälle und betroffene Eltern zu erreichen. Der Direx erlaubt eine außerordentliche Vorstandssitzung, und schon ist Papa mitsamt dem Brief Richtung Schule verschwunden. Er kommt erst spät wieder und hat einen umfangreichen Haufen Gesprächsprotokolle, Notizen und Erlebnisberichte dabei.

Mir bleibt nur noch übrig festzustellen, dass Max sich wenigstens nicht eingeschlossen hat. Also gehe ich leise zu ihm ins Zimmer, setze mich neben sein Bett und daddele auf dem Handy in der Hoffnung, dass er sich irgendwann mir gegenüber öffnet. Aber der liegt nur in seinem Bett, klammert sich an seinen „Schwan" und heult sich die Seele aus dem Leib. So vergeht der Tag. Max kommt nicht runter zum Abendessen. Er lässt weder Mama noch mich an sich ran, irgendwann telefoniert er mit Tanja und reißt sich dabei tierisch zusammen. Aber als sie ihm sagt, dass sie schwanger ist, bricht er wieder in Tränen aus.

Vom Haus nebenan ist nichts zu hören oder zu sehen. Onkel Axel ist seltsam still. Sein Bruder taucht nach seiner Arbeit nochmal hier auf und bleibt eine Weile. Ansonsten kriegen wir nichts mit. Als es schließlich draußen dunkel wird, Max kleines Zimmer in Dämmerlicht getaucht ist und ich immernoch nichts aus ihm rauskriege, fange ich selbst an zu heulen. Seit gestern Nachmittag stehen wir alle miteinander unter Strom und versuchen vergeblich, die Welt zu retten. Ich kann einfach nicht mehr. Ich halte es nicht mehr aus, meinen Cousin und Freund so zerschlagen zu sehen. Ich habe ihn immer bewundert. Ihn so zu sehen, ist unerträglich.

Und da taut Max endlich auf. Er zieht mich zu sich hoch und nimmt mich in die Arme. Jetzt heulen wir wenigstens gemeinsam. Ich streiche ihm über den Rücken und halte ihn fest. Endlich lässt er sich das gefallen.
„Ach, Max. Was ist nur passiert? Ich möchte dir so gerne helfen!"
„Dann ... schlaf heute Nacht hier bei mir. Ich glaube, wenn ich jetzt alleine bin, drehe ich durch."
„Klar mache ich das!"
Endlich! Er lässt mich an sich ran.
Ich besorge ihm was zu essen, dann machen wir uns beide bettfertig, er isst ein bisschen und trinkt viel. Und dann nehme ich ihn einfach in die Arme, bis er eingeschlafen ist. Als Mama den Kopf zur Tür reinsteckt, weil sie mich nebenan nicht gefunden hat, nickt sie mir zu und atmet tief durch.

Sa. 28.9.2019

Ich wache sehr früh auf. Und könnte sofort wieder losheulen. Einen winzigen Augenblick lang habe ich geglaubt, es sei Anni, die mich da so im Schlaf im Arm gehalten hat. Aber es ist Lasse.
Der Ärmste, den hab ich gestern total überfordert!

Anni ist Geschichte, und das tut so unglaublich weh, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann.
Wie soll ich denn jetzt zur Nachhilfe gehen und mich konzentrieren? Und auch noch bei ihr zu Hause? Wie soll ich den Jungs in die Augen sehen? Und diesen Schmerz vor ihnen geheim halten.
Ich fühle mich so lächerlich, klein, dumm und wie zerschlagen.
Wie soll ich das aushalten acht Unterrichtsstunden pro Woche, Klausuren, Prüfungen, die Facharbeit? Das ist doch Harakiri.

Wie gut, dass hier alle glauben, dass ich wegen meinem Vater so erschüttert bin. Und wegen Tanja. Und wegen dem Baby. Sooo lange habe ich mit ihr darauf gehofft, mir ein Geschwisterchen gewünscht. Nun ist es bald da, aber ich werde es nicht aufwachsen sehen, werde nicht großer Bruder sein, nicht Babysitten, nicht mit dem Zwerg laufen und sprechen und Streiche aushecken üben. Alles gelaufen. Aber so nimmt mir jedenfalls jeder meine Tränen und meine Wut und Verzweiflung ab.

Ich bleibe einfach liegen, lausche den Geräuschen, die langsam im Haus erwachen, und warte darauf, dass Lasse sich regt. Wir stehen auf, wechseln uns im Bad ab und gehen zum Frühstück. Ich bin immernoch sehr schweigsam, aber alle lassen mich in Ruhe. Kurz darauf klingelt es, und Moritz und Paul stehen vor der Tür. Genervt funkele ich Lasse an. Moritz nimmt mich einfach in die Arme.
„Schau ihn nicht so böse an. Wir sind vier. Das war immer so, und das bleibt auch so. Und wage es ja nicht, irgendwas vor uns verschweigen zu wollen. Wir fühlen mit dir, wir sind wütend für dich und wir werden alles tun, was du brauchst. Aber verschließ dich bitte nicht vor uns. Sonst können wir nicht für dich da sein."

Ich nicke, löse mich von ihm und gehe rauf in mein Zimmer. Die anderen folgen mir und knäulen sich gemeinsam mit mir in mein Bett. Es klingt bescheuert, denn sie wollen mir ja nichts Böses. Aber ich habe verloren, sie werden mich ausquetschen, bis ich singe. Eine Weile ist es vertraut und warm und ganz still. Mein Hirn rast. Ich versuche zu sortieren, was ich ihnen in welcher Reihenfolge anvertraue. Anni ist auch ihre Lehrerin, eigentlich ist es nicht fair für sie.
Aber sie war auch nicht fair zu mir!

„Also gut. Ich gebe auf. Aber ich tue es nicht gerne. Ich bin grade extrem in meinem Selbstbewusstsein angeknaxt und wäre gerne ausnahmsweise mal mit irgendwas allein klar gekommen. Aber das halte ich einfach nicht mehr aus."
Die anderen schauen mich mit großen Augen an.
„Ich bin total verliebt und total wütend und deshalb total unglücklich."
Schweigen.
Ratlose Gesichter.
Vereinzeltes „Ähhh ...".
Schließlich gibt sich Paul einen Ruck.
„Könntest du das Informationsgerippe etwas mit Leben füllen? Ich stehe noch etwas auf dem Schlauch."

Auf einmal sprudelt alles aus mir heraus. Alles durcheinander, alles auf einmal. Antoine und der Hitzschlag und Anni und ihr Versprechen.
„Ich hab sowas noch nie erlebt. Auf einmal hat sie mich geküsst, und es hat sich angefühlt wie das Natürlichste von der Welt. Und wunderschön!"
Sprachlosigkeit.
Moritz kratzt sich am Kopf.
Lasse macht kullerrunde große Augen.
„Aber dann ist doch fast alles in Ordnung!"
Ähhh – nein???
„Seh ich so aus, Lasse?"

Paul bremst die anderen.
„Jungs, besser zuhören!"
Dann zählt er an seinen Fingern ab.
„O.K., ich sortiere. Du hast dich in die Süß verliebt, und sie sich in dich. Ihr wolltet das eigentlich durchziehen, stattdessen hast du ihr gestern einen vor den Latz geknallt, dass sie förmlich vor unseren Augen zu Staub zerfallen ist. Die Hartmann – ich zweifle keinen Augenblick, dass sie es war, die unsere und die Abwesenheit von der Süßen genutzt hat – hat deinem Vater einen gefälschten blauen Brief voller Unwahrheiten geschrieben, weil ihr Hass größer als ihr Hirn ist. Dein werter Herr Papa hat genau diese eine Eigenschaft mit ihr gemeinsam, weshalb er ihr sofort geglaubt hat und dich mitsamt deiner Habe in Abwesenheit vor die Tür gesetzt hat. Deshalb ist Tanja auch ausgezogen, die nebenbei endlich schwanger ist. Du bist ein Haus weiter gezogen, bist im Schoß deiner Familie, wirst umsorgt und getragen. Keiner meckert mehr mit dir, niemand dreht dir mehr den Geldhahn zu oder bezeichnet deinen Lebenstraum als Seifenblase. Wenn du ehrlich zu dir selbst bist und demnächst den ersten Schmerz darüber verdaut hast, bist du endlich da gelandet, wo du eigentlich immer hingehört hast. Lasses Vater wird in der nächsten Woche im Regierungspräsidium in Düsseldorf der Hartmann das Tor zur Hölle öffnen. Der Direx ist endlich aufgewacht. Frau Süß ist am Boden zerstört und heult sich wahrscheinlich grade zu Hause die Augen aus dem Kopf. Wenn sie wieder einen klaren Kopf hat, wird sie aufstehen und weiter um dich kämpfen. Und der nicht ganz unbedeutende Rest dieses Schuljahres, in dem es nebenbei um dein Abitur geht, wird für euch beide zur Hölle auf Erden. Hab ich was vergessen?"

Wütend funkele ich ihn an.
„Sie hat es versprochen!"
„Max, ich werde nicht weiter auf dich einreden, du willst das grade nicht kapieren. Du bist ein Vollidiot, immernoch krank und wirst irgendwann aufwachen und dich in Grund und Boden schämen. Aber das musst du selbst rausfinden. Für jetzt sag ich nur eins: Kurier dich aus, richte dich hier ein, besuche Tanja und dann reiß dich zusammen und beweise der Welt, was in dir steckt."
Am liebsten würde ich sie alle rausschmeißen. Vollidiot! Darf das nicht wehtun???
Aber ich brauche sie noch.

Lasse rettet die Situation.
„Auf jeden Fall ist das Chaos größer als alle Theorien von Platon, Einstein und Stephen Hawking zusammen. Heute werden wir das nicht mehr entwirren. Also können wir uns auch einfach um unsere Bucketlist kümmern und wenigstens zwei Tage lang so tun, als hätten wir zwei Wochen Ferien."
Schnell schaue ich auf.
„Du hast die Zettel mitgenommen?"
„Na klar. Das war ja wohl das Mindeste."
Er steht auf und holt aus dem Schreibtisch im Flur meine Zettelwirtschaft. Glücklich nehme ich sie entgegen.
„Wisst ihr was? Habt ihr Lust, mit mir zusammen dieses Zimmer einzurichten? Es ist ja etwas kleiner, aber zusammen kriegen wir das bestimmt gemütlich."

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10.11.2020

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