095 ** armer Pettersson ** Fr. 3.1.2020

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Das war das schönste Silvester, das ich je erlebt habe. Lennart und ich haben die Tage in Köln unglaublich genossen. Wir waren bummeln und shoppen und im Varieté und im Dom und ... Aber an Silvester waren wir an einer tatsächlich völlig einsamen Stelle am Rhein. Ganz für uns. Es war schweinekalt, darum haben wir es dort auch nur kurz ausgehalten. Aber es hat gereicht, um das Feuerwerk anzuschauen, das auf der Domplatte abgeschossen wurde. Ich habe ganz kurz an Toni und Max gedacht und mich dann wieder auf mich konzentriert. Und auf mein Glück mit Lennart.

Den Mittwoch haben wir im Bett verbracht. Schlafen, kuscheln, reden. Erst gegen Abend machten wir uns ausgehfein und gingen in ein richtig tolles Varieté mit 5-Gänge-Menu am Tisch. Die Künstler waren fantastisch, und so manches Mal ist sogar mir die Luft weggeblieben bei den halsbrecherischen akrobatischen Übungen. Der Conferencier war gut, aber eigentlich haben wir vor allem über Lennarts Kommentare zu seinen Witzen gelacht als über die Witze selbst. Wir haben schon böse Blicke von den Nachbartischen geerntet, weil wir es gewagt haben, laut zu lachen.

Lennart überrascht mich immer wieder mit seiner ganz eigenen Mischung aus Tiefgründigkeit und Humor, aus Ehrlichkeit und Solidarität. Er käme wahrscheinlich selbst beim Anblick eines wilden Bären nicht auf den nächsten Baum. Aber wahrscheinlich würde er dem dann einfach eine philosophische Abhandlung über vegane Ernährung halten, bis der entweder konvertiert oder vor lauter gezielt eingesetzter Langeweile eingeschlafen ist.
Als ich mir das bildlich vorgestell habe, musste ich leider an einer völlig unpassenden Stelle laut auflachen, was mir einige „Ssssssssch!" und „Psssssssst!" eingebracht hat. Lennart hat mich nur fragend angeschaut, aber ich würde lieber sterben, als ihm DAS zu verraten. Also hab ich energisch den Kopf geschüttelt und mich wieder auf den Jongleur da vorne konzentriert.

Am Donnerstag machen wir noch einen Kulturtag, denn Köln hat ja nicht nur den Dom sondern auch einige ältere, romanische Kirchen und noch mehr Museen zu bieten. Wir schaffen es endlich mal, überhaupt nicht an Schule und an Prüfungen und an Beobachter und an all den Mist zu denken. Es ist ja fast witzig, dass Toni und ich in derselben Lage sind. Wobei bei ihr noch alles von dem Grauen von damals überschattet ist. Ich hoffe so sehr, dass sie einen schönen Silvesterabend bei ihren Eltern hatte.

Auch am Freitag Morgen lassen wir uns viel Zeit, tauchen auf den letzten Drücker beim Frühstück auf und checken dann gemütlich aus. Es ist deutlich zu spüren: wir wollen beide nicht aus dieser romantischen Blase auftauchen, wir wollen beide nicht nach Hause. Denn dort heißt es wieder Dr. Fahrendorf und Frau Tucher und ständige Habachtstellung und viel, viel Arbeit. Darum packen wir all unsere Sachen ins Auto in der Hotelgarage und bummeln noch ein bisschen, bevor wir uns schweren Herzens von Köln losreißen und auf die Autobahn rollen.

Ich piepe Toni an, dass wir uns jetzt auf den Heimweg gemacht haben und dass ich mich wieder auf sie freue. Eine Dreiviertelstunde später rollen wir bereits von Wuppertal kommend auf Kupferdreh zu, als ich eine Antwort von Toni bekomme.
„Hallo Jenny, nicht erschrecken. Ich bin nicht zu Hause sondern im Huyssenstift auf der Chirurgie. Meine Eltern haben die Blumen gegossen und den Kühlschrank kontrolliert, damit dir nichts entgegen läuft. Zimmer 318. Kannst mich ja besuchen kommen. Toni"

Mir fällt fast das Handy aus der Hand.
„Alles in Ordnung, Jenny?"
„Nö. Offensichtlich nicht. Toni ist nicht zu Hause sondern im Krankenhaus, und zwar offensichtlich schon seit mehreren Tagen, denn ihre Eltern haben unsere Blumen gegossen."
„Ach, du Schreck! Was hat sie denn?"
„Hat sie mir netterweise oder aber wohlweislich nicht verraten. Aber sie hat geschrieben, wo sie liegt. ... Würde es dir was ausmachen, ..."
„Gar keine Frage. Natürlich fahren wir da sofort hin."
„Gut. Ins Huyssenststift. In der Chirurgie."
Bei dem letzten Wort gibt Lennart automatisch Gas. Die Ruhrallee rauf und dann ins Getümmel auf dem Krankenhausparkplatz.
„Zimmernummer?"
„318"
„Komm!"
Lennart nimmt mich an der Hand, und gemeinsam flitzen wir ins Krankenhaus.

KLICK.

Hm, passt. Damit habe ich zwar nicht gerechnet. Aber es verbessert meine Möglichkeiten ungemein ...

Die Tabletts vom Mittagessen werden grade abgeräumt, als wir in der Chirurgie den Gang entlang laufen, um die 318 zu finden. Wir klopfen an, ich schieße sofort auf Toni in ihrem Bett los und umarme sie vorsichtig.
„Um Himmels Willen, was hast du gemacht? Und warum hast du mir nicht viel eher Bescheid gegeben!?!"
„Hallo, Jenny. Ein frohes neues Jahr. Na, das liegt ja wohl auf der Hand. Ich wollte, dass ihr eure Tage in Köln uneingeschränkt genießen könnt. Ich lebe noch, mir geht es wieder gut. Ich kann sogar wieder lau..."
„Wenn du mir nicht SOFORT sagst, was passiert ist, dann ... dann ..."

Toni lacht mich aus.
„Dann? Bringst du mich eigenhändig um und machst damit Max Heldentat völlig überflüssig?"
„Was hat denn jetzt Max damit zu tun?"
„Wenn du mich ausreden lassen würdest, wüsstest du es längst."
Energisch zieht Lennart mich auf den nächsten Stuhl und hält mir den Mund zu.
„Ich will auch wissen, was war. Also lass sie endlich reden."

„Wie gesagt – ich lebe noch. Dank Max. Ich bin an Silvester mit dem Bus zu meinen Eltern gefahren und war entsprechend warm gekleidet. Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Eltern eigentlich total müde sind. Also habe ich mir ein Taxi gerufen und bin nach Hause gefahren. Aber unterwegs habe ich mir vorgestellt, dass ich in der Wohnung hocke, und rundrum ist all dieses Geballer und der Gestank. Und da bin ich ganz spontan an der schwarzen Lene wieder ausgestiegen und zur Isenburg gelaufen. Da habe ich mich auf eine der Bänke gesetzt und auf Mitternacht gewartet, mit Max Holzengel in der Hand."

„Ähm. Und wie lange warst du da?"
„Fast eine Stunde? Wenn Max sich nicht verrechnet hat. Er hatte dasselbe vor, aber geplant und war deshalb ausgerüstet mit Schlafsack und Taschenwärmern. Er ist nicht so weit rein gegangen wie ich und hat mich darum erst nicht bemerkt. Ich war schon so tief in Gedanken, da habe ich sein Kommen gar nicht gehört. Als mir kurz nach Mitternacht der Engel aus der Hand fiel, hab ich mich erschrocken, bin aufgestanden und wollte den Engel suchen. Aber meine Füße haben unter mir nachgegeben, und mein Handy hat nach wenigen Sekunden den Geist aufgegeben. Max hat das kurze Licht gesehen und meinen Schrei gehört. Er hat mich gefunden, sofort in seinen Schlafsack gepackt und hierher gebracht. Erfrierungen zweiten Grades und eine Nierenbeckenentzündung. Aber – ich lebe. Und ich kann sogar schon wieder ein paar Schritte gehen."

„Oh Gott, Toni! Und ich war nicht da!"
„Du hättest mir auch hier in Essen nicht helfen können, denn du wärst ja nicht in der Isenburg gewesen."
„Ja, aber du auch nicht!"
„Kann sein. Jedenfalls ..."
„Warum hast du das gemacht? Du weißt doch, dass ..."
„Jenny? Tust du mir einen Gefallen und überlässt das Glucken meinen Eltern? Freu dich einfach mit mir. Denn Max macht mich einfach nur glücklich."

Lennart schaltet sich ein.
„Max??? Hab ich was verpasst?"
Mist!
„Ne, nur mit Absicht nicht mitgekriegt."
„Uff. Toni, Max ist noch nicht 18!"
„Wem sagst du das? Und ich werde ihm noch jede Menge Prüfungen abnehmen müssen. Leider."
...
Stille.
In Lennarts Kopf rattert es.
„Ach, DESHALB hast du dich wegbeworben!"
„Ja, genau. Ich wollte Sicherheit für uns beide. Aber der Miegel hat mir einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht."
„Sch..."
Ich schaue ihn mit großen Augen an.
„Lennart! Das aus deinem Munde! Das hab ich ja noch nie gehört!"
Er grinst mich an.
„Na, dann sitzen wir wohl alle vier im selben Boot."

Eine Weile schweigen wir und denken nach. Toni seufzt.
„Ich war nochmal beim Direx und habe versucht, mich durchzusetzen. Ich werde völlig übergelastet sein mit den zwei verschiedenen Schulen und Lehrmethoden und der Fahrerei und überhaupt. Selbst das wollte er nicht einsehen. Es war nichts zu wollen. Teilen oder bleiben."

Lennart nickt.
„Das nennt sich dann wohl Erpressung ... Was kannst du machen, damit dir nicht Prüfungsbetrug vorgeworfen wird?" - „Ich habe seit der ersten Klausurenwelle alles, auch die Facharbeit, zusammen mit mindestens einer vergleichbaren Arbeit von Ines Schiller oder Herrn Recksing gegenkorrigieren lassen. Da war Max ja noch gar nicht 'akut', ich wollte einfach wegen der Nachhilfe sicher gehen. Ines weiß nicht warum, aber nach all dem Theater zwischen Max und der Hartmann macht sie das sehr gerne, weil sie Max unterstützen möchte. Ich werde das einfach weiter so handhaben, dann müsste wer auch immer schon mal zwei Leute des Betrugs bezichtigen."

„Und die Nachhilfe?"
„Tja – das ist blöd. Wir reduzieren auf zweimal pro Woche, weil ich freitags vormittags dann ja nicht mehr kann. Aber die beiden Termine zu Hause will ich beibehalten, weil er im Falle einer Verletzung in eine Matheprüfung müsste."
„Das ist wahrscheinlich das Gefährlichste."
Stimmt. Wer den beiden Übles will, wird sicherlich da ansetzen.
„O.K. Ab sofort bin ich durchgängig anwesend während der Nachhilfe. Tür auf, ab und zu mal durchlatschen. Big sister is watching you."
Toni starrt mich mit verzweifeltem Gesichtsausdruck an.

„Und bevor du meckerst – natürlich lasse ich euch Zeit zu zweit. Aber ich sollte nicht völlig lügen müssen."
„Mittwochs ist der Termin doch, wenn wir Praxisbesprechung machen, oder?"
Lennart entscheidet kurz entschlossen.
„Dann komme ich eben in Zukunft zu euch. Dann haben sie eben mittwochs zwei Anstandswauwaus."
Toni und ich brechen in schallendes Gelächter aus.
„Soso – in den wenigen Sekunden, in denen du es schaffst, deine Augen von Jenny abzuwenden, willst du also mein Anstandswauwau sein. Ist gebongt, das Angebot nehme ich an."

„Wo ist Max heute? Wir sollten uns mal zu viert zusammensetzen."
„In Werden. Die Tänzer machen grade ihre Rundtour zu den Tagen der offenen Tür an den in Frage kommenden Hochschulen. Heute ist Folkwang dran. Ich denke, zu viert geht das erst nächste Woche irgendwann, weil sie morgen nach Köln und von dort aus bis Dienstag nach Frankfurt fahren."
"Du wirst nicht vereinsamen, Toni. Ich rück dir morgen einfach mit meinen und deinen Büchern auf den Leib, und wir werden einen Studientag einlegen."
„Wunderbar. Dann habe ich auch keine Möglichkeit mehr, sehnsuchtsvoll an Max zu denken."
Tonis Stimme trieft nur so vor Ironie. Ich zwinkere ihr zu.
„Im Gegenteil. Wir werden hier gemeinsam eine Seufzer-Symphonie komponieren, die Händel und Haydn heftig Konkurrenz machen wird."

„Wisst ihr was, Mädels? Ich glaube, ich fahre schon nach Hause. Auch wir sollten möglichst wenig gesehen werden. Was mache ich mit deinem Gepäck?"
Einen Moment lang bin ich ratlos.
„Hm. Stell doch mein Köfferchen unten beim Pförtner ab."
„Mach ich."
Er steht auf und zieht auch mich auf die Füße.
„Jenny?"
„Hm?"
„Das waren vier wunderbare Tage. Ich habe jede Minute mit dir genossen."
Ich strahle ihn an, als wäre ich ein überladener Christbaum. Lennart gibt mir einen Abschiedskuss, winkt Toni kurz zu und ist verschwunden. Toni schließt erschöpft die Augen.

Ich sehe ihr eine Weile nachdenklich beim Entspannen zu.
„Ach, Pettersson. Was machst du für Sachen?"
Toni klappt die Augen wieder auf.
„Ich weiß doch auch nicht, was mich da geritten hat. Ich wollte doch einfach nur allein sein. Stille. Und mir ist bewusst, dass ich das fast mit dem Leben bezahlt hätte."
Toni greift nach dem kleinen Holzengel, den sie von Max bekommen hat.
„Der hier hat mich gerettet. Er ist mir aus der steifen Hand gefallen. Ich bin umgefallen, weil meine Füße mich schon nicht mehr getragen haben. Ich hab das Handylicht angemacht, um den Engel zu suchen. Max hat mich nur bemerkt, weil ich vor Schreck aufgeschrien habe und weil er dann das kurze Licht gesehen hat. Wäre ich einfach da sitzen geblieben, wäre ich ziemlich bald eingeschlafen und dann nie wieder aufgewacht."

Mir läuft es kalt den Rücken runter. Ich nehme Toni einfach fest in die Arme.
„Du kannst dir nicht vorstellen, alter Mann, WIE froh ich bin, dass du noch lebst. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen. Du warst einfach immer da. Und immer für mich da."
„Du doch auch für mich, geliebter Kater."
Eine Weile sitzen wir beieinander, und irgendwann merke ich, dass Toni eingeschlafen ist. Also stehe ich leise auf, schleiche mich raus, sammle beim Pförtner mein Köfferchen ein und suche mir draußen ein Taxi. Als der Wagen auf die Straße einbiegt, sehe ich eine stille Gestalt an einer Laterne auf der anderen Straßenseite stehen. Und diese Gestalt kommt mir bekannt vor. Aber mein Gehirn kriegt die Erinnerung nicht zu fassen.

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19.12.2020

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