098 ** auf wackeligen Beinen ** Di. 7.1.2020

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Wenn ich alleine in meinem Zimmer bin, lache ich manchmal über mich selbst. Jedesmal, wenn mein Handy irgendeinen Mucks von sich gibt, stürze ich mich gradezu darauf, weil ich sooo eine Sehnsucht nach Max habe. Aber er wohl auch, denn seit Samstag Morgen bekomme ich in unregelmäßigen, aber ziemlich kurzen Abständen Bilder, witzige Sticker und kurze Berichte über ihre Aktivitäten geschickt.

Als während der Lymphdrainage und Physiotherapie mein Handy brummt, muss ich mich echt zusammenreißen, nicht auf dem Absatz kehrt zu machen und zu meinem Nachttisch zu hechten. Wie erwartet ist die alte Physio-Frau nicht wieder gekommen. Und der neuen, sehr netten Frau habe ich in Ruhe erklärt, wie dumm das gelaufen ist. Mit ihr komme ich jetzt seit ein paar Tagen sehr gut klar und mache gute Fortschritte. Das angegriffene Gewebe wird mit Medikamenten, Lymphdrainage und einigen Übungen dazu animiert, wieder zu heilen. Inzwischen kann ich fast wieder normal laufen. Aber ich bin immer noch unsäglich müde.

Die nette Frau verabschiedet sich von mir und wünscht mir alles Gute. Ich fange an, meine Sachen zu packen, als ich ein Bild von Max aus dem Zug Richtung Köln bekomme, und schreibe ihm zurück, dass ich wie erwartet heute entlassen werde und spätestens ab 15.00 Uhr zu Hause bin. Eigentlich warte ich jetzt nur noch auf den Arztbrief für die Nachbehandlung, dann kann ich gehen.

Ich nutze die Wartezeit, um mich nochmal bei beiden Schulen zu melden, dass ich noch den Rest der Woche krank geschrieben bin und am Montag drauf zum Dienst erscheinen werde. Der Direx ist überhaupt nicht begeistert. Aber ich hatte ihm ja gleich am 2.1. Bescheid gesagt, dass ich auf unbestimmte Zeit ausfalle, und jetzt werde ich nur für drei Tage fehlen. Und da wird er es ja wohl geregelt kriegen, Vertretungen für meine Zwölfte zu organisieren. Da er mir so mistig in meine Pläne gegrätscht hat, habe ich grade nicht wirklich viel Mitleid mit ihm. Ich werde froh sein, wenn ich meinen ganzen Kram auf die Reihe kriegen kann.

Ich muss tatsächlich bis nach dem Mittagessen warten, bis ich den Arztbrief bekomme und Jenny benachrichtigen kann, dass sie mich abholen darf. Es hat ein bisschen Mühe gekostet, meine Eltern davon zu überzeugen, dass sie mich nicht abholen und für den Rest des Tages zu Hause betüdeln müssen. Denn in dem Falle hätte Max heute nicht mehr kommen können. Und wenn ich das seinen vielen Nachrichten richtig entnehme, hibbelt er genauso darauf hin wie ich.

Jenny kommt und bringt auch meine Dankeschön-Geschenke an das Team mit. Bei Dr. Wenzel muss ich mich ganz besonders bedanken, denn er hat ja nicht nur mir geholfen. Sondern auch Max und mich gedeckt und uns dadurch Raum gegeben, uns neu zu finden. Nachdem ich meine Dankerunde beim Schwesternzimmer beendet habe, machen wir uns auf den Weg nach Hause.

Es ist wirklich ein erhebendes Gefühl, auf den eigenen zwei Beinen durch das Gebäude und raus zum Auto zu laufen.
Auch wenn die Beine dabei noch ein bisschen wackelig sind ...
Zu Hause wanke ich tatsächlich als erstes wieder ins Bett, weil ich völlig müde bin. Grade kommt wieder eine Nachricht von Max, dass sie nun in Essen gelandet sind. Wir verabreden, dass er um 19.00 Uhr zum Abendessen zu uns kommt. Lennart wird auch dabei sein, und dann können wir miteinander verabreden, wie wir unser Konstrukt so sicher gestalten können, dass es einigermaßen gesetzeskonform ist. Und schon bin ich eingeschlafen.

Zwischendurch bekomme ich einen Anruf von meiner Mathevertretung für den LK. Ich brauche eine Weile, bis meine Hirnwindungen ausspucken, was für ihn jetzt wichtig ist. Er macht sich wohl richtig Notizen zu jedem einzelnen im Kurs. Und kaum haben wir aufgelegt, bin ich schon wieder im Land der Träume - weit, weit weg.

Aufgeweckt werde ich wieder nicht von Jenny - sondern von Max, den Jenny reingelassen hat. Er hockt neben meinem Bett strahlt mit sich selbst um die Wette und streicht mir so sanft über den Rücken und die Arme, dass es wohl eine ganze Weile gedauert hat, bis er mich im Hier und Jetzt hatte.
„Hallo, Liebes! Wie geht es dir?"
Ich strahle zurück.
„Wie soll es mir gehen, wenn der Mann, den ich liebe, an meinem Bett sitzt und mich liebevoll wachstreichelt!?! Hallo, Max. WIE schön, dass du da bist!"
Ich ziehe seinen Kopf zu mir und genieße unendlich seine sanften Küsse.

Es klopft an der Tür, und ich kann leise Jennys Stimme hören.
„Max, hast du sie inzwischen wach? In zehn Minuten gibts Essen."
Wir schauen uns in die Augen und fangen an zu lachen.
„Alles klar, hallo Toni. Hast du gut geschlafen?"
Ohne eine Antwort abzuwarten, macht Jenny kehrt und geht zurück in die Küche. Kurz darauf hören wir Geschirr klappern. Also zieht Max mich hoch aus dem Bett und stellt mich auf meine Füße.
„So. Zeig mal, wie du läufst."
Er macht einen Schritt rückwärts, und nachdem ich meine grauen Zellen im Motorikzentrum sortiert habe, laufe ich hinter ihm her ins Wohnzimmer. Max geht rückwärts und freut sich wie ein kleines Kind über meine Fortschritte - im wahrsten Sinne des Wortes.

Auf unserem Esstisch stehen eine dampfende und ungeheuer gut riechende Quiche und eine große Schüssel Obstsalat. Wir lassen uns pärchenweise nieder und greifen zu. Niemand hat das vorher vorgeschlagen oder erbeten. Aber wir reden automatisch über alles und nichts - nur nicht über unser gemeinsames Problem der Geheimniskrämerei um unsere Beziehungen. Das Essen soll davon nicht überschattet sein. Zum Obstsalat holt Jenny dann noch einen Pott Vanilleeis, und ich wehre mich nicht gegen die Kalorienbombe. Nach dem Krankenhausfutter ist das jetzt genau das richtige. Zufrieden seufzend lehne ich mich zurück.

Ewig können wir das Thema jedoch nicht vermeiden, und so decken Lennart und Max schnell den Tisch ab, während Jenny und ich es für alle am Sofa gemütlich machen. Bald schon sitzen wir pärchenweise verknotet da und schauen uns an. Lennart hat eine Aktenmappe dabei, die er nun aufschlägt. Darin sind einige Ausdrucke und Dokumente.
„Jenny und ich haben einfach mal nachgeforscht, was bei unseren beiden ähnlich, aber nicht gleich gelagerten verbotenen Lieben eigentlich gesetzlich gilt. Und was bei Übertretung die Folgen sein können. Genauso wichtig finde ich aber die Frage - wenn wir jetzt überlegen, wie wir unser Tun wasserdicht kriegen - wo unsere Schmerzgrenzen liegen und wovor wir Angst haben. Denn von einem gehe ich aus: keiner von uns Vieren will jetzt die Beziehung beenden, um auf Nummer Sicher zu gehen."

Jenny wartet nicht lange mit ihrer Antwort.
„Ich habe Angst, dass ich mitten im Referendariat die Schule wechseln muss. Es wäre mörderisch, sich jetzt in eine neues System, ein neues Kollegium und neue Klassen einarbeiten zu müssen."
Ich kann mich da gleich anschließen
„Ich befürchte, ich würde zumindest die Stellung am Beethoven, wenn ich Pech habe, auch die Lehramtsbefähigung verlieren, weil Max noch minderjährig ist. Ein Schulwechsel meinerseits hat nicht geklappt, und Max kann nicht wechseln, weil es hier nirgendwo noch einen Sport-LK gibt."

Max neben mir regt sich ganz unruhig.
„Darf ich wo ganz anders ansetzen? Ich ... Es fühlt sich so seltsam an, dass ich hier mit dreien meiner Lehrer sitze und über die Zukunft meiner Beziehung beratschlage. Es ist echt schwer, mich hier nicht als Schüler zu fühlen. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Anni und ich mit der Frage nicht alleine stehen. Aber ... irgendwie ..."
Ich drücke seine Hand.
„Ich habe ein bisschen Angst um mein Abitur und um meine Kraftreserven, uns beiden könnte Betrug vorgeworfen werden. Aber vor allem habe ich Angst um Anni."

„Dass sich das für dich seltsam anfühlt, kann ich gut verstehen. Ich sehe die Kluft aber gar nicht so groß. In der Survivalwoche sind die Grenzen doch ziemlich verschwommen. Und speziell du hast dich so verantwortungsbewusst verhalten innerhalb der Gruppe und gegenüber Antoine, dass du für mich kein Teenie mehr bist. Wir sollten vorerst beim Sie bleiben, damit wir uns nicht verquatschen. Aber ich kann dir versichern, dass für mich hier nicht ein minderjähriges Problem zwischen lauter Erwachsenen sitzt. Hilft dir das?"
Max kuckt ein bisschen, allerdings nur ein bisschen erleichtert bei den Worten von Lennart.
„Ja, danke."

Lennart blättert in den Papieren.
„Für uns beide sind die Fakten relativ schnell zusammen gefasst. Wären wir vorher ein Paar gewesen, wäre ich nicht Mentor geworden. Jetzt bin ich Mentor, und wir sind plötzlich ein Paar. Das ist aber in der Vergangenheit gar nicht so selten vorgekommen und darum auch nicht DER Megaskandal. Wir müssen für uns jetzt ausloten, ob wir erreichen können, dass Jenny einfach innerhalb der Schule einen oder mehrere andere Mentoren für ihre Fächer bekommt. Das wäre immer noch ziemlich viel Orga, weil Kollegen gefunden und überzeugt werden müssten, weil das Seminar und die Prüfer dort diesen Wechsel absegnen müssten, weil der Direx mitziehen müsste. Und der ist ehrlich gesagt im Moment so richtig bedient. Die härtere Variante wäre dann eben, dass Jenny die Schule wechseln muss, denn mich werden sie nicht hergeben."

Jenny grübelt nach.
„Das klingt für mich so, als ob wir vielleicht sogar besser damit fahren würden, wenn wir uns outen, mit offenen Karten spielen und in den sauren Apfel beißen. Die Frage ist nur, ob wir erst bei den Kollegen vorfühlen oder erst beim Miegel oder erst im Seminar."
Ich grabe in meinem Hirn.
„Was wäre denn die korrekte Reihenfolge?"
Lennart blättert wieder.
„Miegel, Seminar, Kollegen."
„Hm. Doof."
Jenny seufzt.
„Stimmt. Den Miegel würde ich als letztes fragen, wenn ich könnte."

Lennart holt tief Luft.
„O.K. - dann werden Jenny und ich jetzt drüber schlafen und uns dann entscheiden, in welcher Reihenfolge. Ich glaube auch, dass wir beide am weitesten kommen, wenn wir mit offenen Karten spielen. Aber bei euch wird es komplizierter."

Ich spüre, dass Max sich immer unwohler fühlt in seiner Haut. Allmählich zweifle ich daran, ob dieses Gespräch der richtige, der hilfreichste Weg ist. Ihm geht es ja gar nicht um sich - sondern um mich. Und seine Hilflosigkeit ist mit Händen zu greifen. Ich frage ihn darum schnell, bevor einer der anderen es tut.
„Max? Du hast mir noch gar nicht verraten, wann genau dein Geburtstag ist. Wann dürfen wir dich feiern?"
„Am 18. Februar. Aber mir ist grade überhaupt nicht nach Feiern zumute."
Ich rechne schnell nach.
„Das sind noch 42 Tage. Dann ist ein großes Hindernis aus dem Weg. Bleiben das Problem der Abhängigkeit und der Erpressbarkeit."

Lennart kratzt sich am Kopf.
„Was ist denn aus schulischer Sicht das entscheidende Problem? Es geht doch vor allem darum, dass der Vorwurf der Bevorzugung fallen könnte, oder?"
Wir anderen nicken.
„Dann müsstest du, Toni, dafür sorgen, dass alle deine Beurteilungen über Max belegbar sind."
Max kuckt irritiert.
„Wie soll das denn gehen? Zeiten und Entfernungen in Sport kann man messen. Eine Matheaufgabe ist entweder richtig oder falsch gerechnet. Aber meine mündlichen Leistungen, das praktische Abi, die Facharbeit - das ist doch alles total subjektiv. UND außerdem könnte man ihr vorwerfen, dass sie die Aufgaben einfach schon vorher mit mir besprochen hat."
„Stimmt. Aber was die Bevorzugung angeht: zu dem Zeitpunkt hatte ich sowieso wegen Frau Hartmann das Bedürfnis, alles wasserdicht zu kriegen. Darum habe ich seit der ersten Matheklausur alle Arbeiten von dir gegenlesen lassen. Mathe hat immer Ines Schiller bekommen, zusammen mit zwei Vergleichsarbeiten. Und die Facharbeiten hat Herr Recksing gelesen. Beim Survival ist Jenny ausschlaggebend - ich habe seit September keine einzige deiner Noten alleine entschieden."
„Bleibt die Möglichkeit, dass du mir einfach bei der Nachhilfe die Aufgaben schon vorher gegeben hast. Das ist schnell gesagt und unmöglich wegzubeweisen."

Lennart schaut auf die Uhr.
„Wenn es hart auf hart kommt, wird das Gegenlesen vielleicht nicht reichen. Aber fürs erste schon, sicher kann man damit der Diskussion wenigstens die Spitze nehmen. Das heißt für euch, dass ihr jetzt bis Mitte Februar sehr die Füße still halten solltet. Vielleicht sollte die Nachhilfe doch ganz auf neutralem Terrain stattfinden. Wenn Jenny und ich uns geoutet haben sollten, sind wir nämlich keine brauchbaren Zeugen mehr. Überlegt mal, wir ihr das handhaben könntet. Und der Vorwurf mit den verratenen Prüfungsaufgaben - Würde es reichen, wenn jemand völlig Neutrales - von einer anderen Schule oder so - eine Klausur mit Themen aus der Q1 bis Q3 strickt, und du musst die dann lösen?"
„Und wenn ich dabei dann vor Angst verk... versage? Dann treten wir selbst den Beweis für den Betrug an."
Ratlos sitzen wir beieinander und wissen nicht mehr weiter.
Ja, natürlich besteht die Möglichkeit, dass Max vor lauter Angst verkackt. Und dann?

Lennart schaut wieder auf die Uhr und steht auf.
„Sorry, Leute. Auf mich wartet ein Stapel Philo-Klausuren ..."
Ich würde Max so gerne trösten, ihm etwas mehr Zuversicht vermitteln. Aber im Moment heißt es wohl tatsächlich „Augen zu und durch". Wir quatschen nicht mehr lang, bis Lennart und Max aufbrechen. Sehr nachdenklich starre ich auf die dunkle Straße, als die beiden zu Tür raus sind. Max steigt auf sein Rad, Lennart in sein Auto. Und dann sind sie beide weg.
Unser Problem allerdings nicht.

KLICK.

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22.12.2020

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