134 ** Ostern im Herzen ** So. 12.4.2020

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Uff! 6.00 Uhr antanzen. An einem Sonntag. Was tut man nicht alles ... Naja, es ist Ostersonntag, und ich bin auf einer Osterfreizeit. Da gehört dann ein Ostergottesdienst wohl dazu.
Ächzend schiebe ich einen großen Zeh unter der Bettdecke hervor – und ziehe ihn ganz schnell zurück.
Is halt doch noch ziemlich schattig im April an der See ...
Ich gebe mir einen Ruck und mache mich auf ins Bad. Eine richtig heiße Dusche hat noch immer meine Lebensgeister geweckt.

Als ich kurz vor 6.00 Uhr in den Flur trete, kommen fast gleichzeitig aus allen Zimmern die anderen Teilnehmer des Seminars, manche mit ihren Kreuzen in der Hand. Auch Anni zieht ihre Tür hinter sich zu. Sie greift nach meiner Hand, und so gehen wir schweigend zu dem großen Platz vor dem Haupthaus und stellen uns ans Osterfeuer.

Ein gewaltiger Haufen aus Altholz und toten Ästen ist hier aufgetürmt und wird gleich angezündet werden. Anni hat ihr Kreuz so schnell vor sich auf den Boden gelegt, als würde sie sich daran die Finger verbrennen, und drückt sich an mich. Ihr scheint es nicht gut zu gehen, und das ist schade. Heute Nacht war sie noch ganz fröhlich. Aber vielleicht kann ich ihr den Rücken stärken, damit sie es übers Herz bringt. Werfen muss sie selbst. Und über dieses Symbol hinaus muss sie danach weiter gründlich daran arbeiten, auch in sich drin die Last herzugeben. Aber ich weiß jetzt wieder ein bisschen mehr, was in ihr vorgeht, und kann bei ihr sein, wenn es soweit ist.

Immer mehr Leute strömen von allen Seiten zum Holzhaufen, manche Gesichter kenne ich jetzt schon aus dem Speisesaal oder eben aus der Gruppe. Über allem liegt eine seltsame Stille, bis auf die Gruppe nölender Teenies, die aber auch ganz schnell zum Schweigen gebracht werden. Die Nacht, die Kälte, dieses Ausharrenmüssen sind mit Händen zu greifen.
So muss es den Jüngern damals auch gegangen sein.

Als sich der große Ring aus Menschen geschlossen hat, beginnt ein loser Reigen aus Lesungen, Liedern, Gebeten und Stille. Währenddessen beginnt es im Osten zu dämmern, Vögel fangen an zu zwitschern, und nach und nach sind die Gesichter der Menschen im Kreis zu erkennen. Anni steht sehr nah bei mir und ist sehr still. Ich habe wieder ihre Hand gegriffen und unsere beiden verschränkten Hände in meine Jackentasche gesteckt.

Der Holzstapel wird angezündet. Es geht erstaunlich schnell, dass der ganze große Haufen in Flammen steht, sein Licht über unsere Gesichter und Gestalten flackern lässt und uns zumindest von vorne warm anstrahlt. Während wir dem Feuer dabei zusehen, wie es sich durch das Holz frisst, erzählen wahllos einzelne der Anwesenden, was ihnen Kreuz und Auferstehung bedeuten. Und schließlich werfen mehrere unserer Kursteilnehmer ihre selbst gebauten Kreuze ins Feuer, wo die Flammen sofort danach greifen und es verzehren.

Annis Hand zittert in meiner Tasche, bevor sie sie hervorzieht. Sie macht einen Schritt auf ihr Kreuz zu, bückt sich, greift aber nicht danach. Erst nach einer ganzen Weile hebt sie ihr Kreuz auf und geht auf das Feuer zu. Dann bleibt sie wieder stehen, lässt die Hände mit ihrem Kreuz sinken. Ich trete von hinten an sie heran und lege ihr einfach meine Hand auf den Rücken.
„Ich bin da, Liebes, und gebe dir Rückendeckung. Du schaffst das!"

Endlich wirft sie das Kreuz-Gespinst in den Holzhaufen, dreht sich sofort auf dem Absatz um und kriecht fast in mich hinein. Ich lege meine Arme um sie und halte sie einfach fest, so lange sie das braucht. Dabei kann ich beobachten, wie das Feuer durch die Hitze alle Fäden des „Spinnennetzes" auf einmal in Brand setzt. Für den Bruchteil einer Sekunde leuchtet das ganze Netz auf, bevor es zu Asche zerfällt.

Als die Sonne aufgeht, werden die Lieder immer fröhlicher, Lob und Dank wecken uns auf und verbreiten Osterfreude. Nur Anni und ich stehen weiter still im Kreis, und ich wiege sie hin und her. Erst nach einer ganzen langen Weile wird sie ruhig und entspannt sich. Und ich schicke einen stummen Dank zum Himmel, dass ich heute bei ihr sein und sie halten darf.

Beim anschließenden Osterfrühstück sind alle Gruppen und Mitarbeiter gemeinsam im Speisesaal, und die Küche fährt alles auf, was die Kühlkammern hergeben. Auf jedem Platz liegt ein gebackenes Osternest, überall stehen Schokoladenlämmchen rum, das Buffet biegt sich vor lauter Schüsseln mit Leckereien, die Tische sind festlich gedeckt. Die Stimmung steigt.

Anni braucht noch ein Weilchen, bis sie aus ihrem inneren Gedankenkarrussell auftaucht und sich mit uns anderen am Tisch unterhalten kann. Sabine sitzt bei uns. Eine Heide oder Heidi ist auch dabei. Und irgendwann wirkt es, als hätte Anni innerlich einen Schalter umgelegt. Sie setzt sich grader hin, lächelt, geht auf unsere Unterhaltung ein, wird richtig gesprächig. Ich atme tief durch und packe meine Schlagfertigkeit aus. Bald schon bekommen die anderen Kostproben von typischen Gersten-Süß-Wortgefechten. Ich bin unglaublich glücklich, dass Anni herzhaft zusammen mit den anderen lachen kann.

Nach weit über einer Stunde fallen alle Anwesenden nach und nach ins Verdauungskoma. Walther steht gemeinsam mit anderen Mitarbeitern auf, und sie kündigen für heute Abend einen Talentwettbewerb an. Es werden nicht alle Gruppen mitmachen, und auch viele Mitarbeiter sind ja im Dienst. Aber es werden doch einige Leute zusammenkommen im großen Tagungssaal. Jede und jeder, der Lust hat, darf irgendwas vorführen. Es steht eine Requisitenkammer zur Verfügung, es gibt allerlei Musikinstrumente und technisches Equipment, und es ist den ganzen Tag Zeit, dafür zu planen und zu üben.

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, als Anni mich sofort anstrahlt.
Das ist dann wohl die Aufforderung zu tanzen ... Und warum auch nicht??? Aber was hab ich denn drauf, das hierher passt?
Kurz überlege ich, ob ich die Gelegenheit nutzen und zu dem Adele-Song improvisieren soll. Aber dann ahnt Anni vielleicht was. Also gehe ich erstmal still mit den anderen zu unserem Gruppenraum, wo sofort alle in wildes Planen und Rumprobieren verfallen.

Ich frage einfach mal unsere Teamer.
„Mit was für Vorführungen können wir voraussichtlich von den anderen Gruppen und den Teamern rechnen?"
„Das ist ganz unterschiedlich. Die FSJ'ler und Jahrespraktikanten machen in der Regel das Hintergrundgewusel und die Moderation. Manchmal sind da richtige Talente dabei. Eine der anwesenden Gruppen ist ein klassischer Chor, die werden ganz bestimmt ein paar Stücke singen. Meistens finden sich genug Leute zusammen, um eine Band auf die Beine zu stellen und den Abend musikalisch zu umrahmen."

Dann wendet er sich an die ganze Gruppe und versucht, den Ideenstrom mal ein bisschen zu kanalisieren.
„Wollen wir jetzt zusammen planen? Ich wüsste gerne, auf welche Art von Vorführung ihr am meisten Lust habt, und worauf gar nicht. Dann sollten wir klären, ob wir als Gruppe was machen, oder ob sich einzelne von uns nach vorne wagen wollen.

Es ist wichtig, dass wir unser Seminarthema dabei nicht ansprechen. Ich bin sicher, dass einige von euch es brauchen, das nicht zu berühren sondern im Gegenteil einfach mal abzuschalten. Ansonsten sind wir in der Gestaltung völlig frei. Es gibt keinen Teilnahmezwang, keine vorgeschriebene Dauer. Es muss auch nicht explizit österlich sein. Wir wollen einfach heute Abend miteinander feiern, dass Gott uns alle mit tollen Gaben beschenkt hat. Plant also lieber etwas kurzes oder leichtes, als euch für den Rest des Tages in Probenstress zu stürzen. Sonst könnt ihr selbst es nicht genießen."

Eine ganze Weile gehen die Ideen hin und her. Manche sind erst noch schüchtern, aber dann stellt sich heraus, dass einer jonglieren kann, eine kann bauchreden, eine hat ihr Leben lang geturnt und traut sich ein paar Figuren zu. Der Pfarrer kann ein paar Zaubertricks – und so beschließt die Gruppe, dass sie ein kleines Varieté auf die Beine stellen wollen. Ich habe die ganze Zeit still zugehört. Erst jetzt mische ich mich ein.

„Passt moderner Ausdruckstanz in ein Varieté?" Anni greift nach meiner Hand und drückt sie, die anderen schauen mich fragend an. Ich überlege, ob ich einfach eine Kostprobe gebe, und springe dann über meinen Schatten.
„Plant mal weiter, ich mach mich eben warm und zeig euch dann, was ich meine."
Anni strahlt.

Die Gruppe plant weiter, während ich mich außerhalb des Sitzkreises aufwärme. Zum Glück habe ich heute eine echt bequeme Jeans an. Ich ziehe Hoodie, Schuhe und Strümpfe aus, hopse durch meine Playlists und setze mich dann einfach wieder neben Anni. Sofort schauen mich alle an. Ich wedele mit dem Handy.
„Kann man die Musik etwas verstärken?"
Walther nimmt mein Handy und stöpselt es an eine kleine Anlage im Schrank. Ich habe mich für „die vier Jahreszeiten" von Vivaldi entschieden. Da malt die Musik viele Bilder, die ich tänzerisch umsetzen kann. Das haben wir mal bei Luis bearbeitet, und darum sind mir die Wendungen der Musik vertraut. Er hat damals extra für unseren Auftritt eine stark gekürzte, aber immernoch sinnvolle Fassung zusammenschneiden lassen. Das Original ist ja eine Dreiviertelstunde lang.

Ich stelle mich einfach in die Mitte, schließe die Augen, blende die Gruppe aus, reguliere meinen Atem und konzentriere mich auf die Musik. Das letzte, was ich registriere, bevor ich mich ganz fallen lasse, sind Annis leuchtende Augen. Dann höre ich nur noch Fischlein in den Bächen und Sonnenstrahlen und Vogelzwitschern und Sommergewitter und Herbststürme und winterliche Kälte und Feuer im Kamin.

Als die Musik verstummt, bleibe ich einfach stehen, wo ich grade bin. Es ist totenstill im Raum, nur mein schneller Atem ist zu hören. Nach einer Weile hebe ich meinen Blick und sehe in Annis Gesicht. Sie strahlt pures Glück aus, und das steht in so heftigem Kontrast zu ihrer Verunsicherung und Not der letzten Tage und Wochen, dass es mich fast umwirft. WIE schön sie ist, wenn sie so glücklich ist! Es ist einer dieser verzauberten Momente, wo sich unsere Augen ineinander verhaken, in denen wir uns tief miteinander verbunden fühlen und auf einmal sicher wissen, wie viel wir miteinander schaffen können.

In die Stille hinein spricht plötzlich Boris, der Pfarrer. „Amen!" Ich drehe mich irritiert zu ihm um.
Sooo toll war meine Improvisation nun auch wieder nicht ...
Er hat damit den Bann gelöst, so dass die anderen anfangen zu klatschen. Ich sehe ihn einfach weiter fragend an.
„Amen. Weil ich noch nie in meinem Leben wirklich mit meinen Augen GESEHEN habe, wie zauberhaft Vivaldi die gute Schöpfung Gottes in Töne übersetzt hat. Und ich finde, dass das hervorragend zu Ostern passt. Ich ... gibt es eine Schattenleinwand? Ich ... liebe es, Geschichten mit den Händen zu erzählen. Und – wir könnten Bibelstellen dazu aussuchen und das ganze dann zusammensetzen. Und ..."

Ich fange an zu lachen.
„Entschuldige, ich lache dich nicht aus. Ich bin nur grade randvoll mit Glück und finde es klasse, wie deine Phantasie auf einmal sprudelt. Ich wäre bereit dazu, das heute Abend nochmal zu tanzen. Aber ich möchte auf keinen Fall das Varieté verdrängen oder irgendjemand anderen in den Schatten stellen. Ich gehöre ja nichtmal richtig dazu."

Unter lautem Protest der Gruppe gehe ich zurück zu meinem Platz neben Anni. Wir reden noch eine ganze Weile weiter. Und irgendwann beschließen wir, dass wir heute Abend beides zeigen. Erst das Varieté mitten im Programm. Und Walther will bei den anderen Teamern dafür werben, dass unser Vivaldi den Abend abschließt. Hinter einer großen Schattenwand will Boris synchron zu meinem Tanz mit seinen Händen manches darstellen. Mehrere werden ihm dabei helfen mit Requisiten und so. Rechts und links an den Seiten der Bühne werden zwei weitere Leute stehen und abwechselnd in geeigneten Momenten Bibelverse und Gedanken dazu sprechen.

Einer unserer Teamer zieht los, um für alle technischen Voraussetzungen zu sorgen. Die Akteure fürs Varieté wollen sofort anfangen zu üben. Ich zerlege die Musik in gut erkennbare Häppchen, damit Boris sich nachher einige Bewegungen ausdenken und üben kann, die zur Musik und meinem Tanz passen werden. Drei Leute setzen sich zusammen und suchen nach Versen und Texten. Und Walther geht zum Teamtreffen der Mitarbeiter, wo alle Projekte vorgestellt und eine Reihenfolge ausgekaspert werden. Als er wiederkommt, kann er berichten, dass wir mit dem Vivaldi tatsächlich ganz am Schluss dran sind.

Konzentrierte Arbeitsatmosphäre senkt sich auf den Raum. Da fliegen Bälle und Gedanken, da wird gezaubert, geturnt und an möglichen Kostümen rumgebastelt. Es macht mir unglaublichen Spaß, einfach so da reinzurutschen und mitzumachen. Bis die Zirkustruppe mit ihren Proben fertig ist, haben Anni und ich eine Schattenleinwand improvisiert. Dann werde ich noch gefragt, ob ich was Besonderes anhaben will. „Ich glaube, ich bleibe bei dieser Jeans, denn darin kann ich mich gut bewegen. Aber ... wenn ich vier T-shirts bekommen könnte. Grün für Frühling, gelb für Sommer, rot für Herbst und blau für Winter. Dann ziehe ich die einfach übereinander an und eins nach dem anderen passend zur Musik wieder aus."

Anni und Sabine setzen sich mit meinem groben Raster dazu und erzählen Boris und mir, wie unser Zusammenspiel klappt, oder wo wir uns besser koordinieren müssen. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich hier so in den Mittelpunkt rutsche. Aber wie auch bei unserem Tänzerstück für die Eltern-Show macht mir grade das Planen, das Aufeinanderachten und Rumprobieren besonders viel Spaß. Und ich bin froh, dass Anni so konzentriert dabei ist und so konstruktiv mit an unserem Zusammenspiel feilt.

Schließlich setzen wir uns noch mit den Text-Leuten zusammen, hören uns deren Vorschläge an und bauen einige kurze Worte und Verse mit ein.
„Sabine, wie wird das hier denn gehandhabt? Wird die Show gefilmt? Ich wäre schon interessiert, mich hinterher mal anzukucken."
„Normalerweise nicht. Aber wenn du keine kinoreife Aufnahme erwartest, wird es sicher möglich sein, das für dich zu filmen. Ich geb das mal weiter."

Als wir uns am Ende des Nachmittags gegenseitig unsere Ergebnisse vorführen, habe ich bereits drölfzig mal den Vivaldi getanzt. Deshalb brauche ich jetzt als erstes ganz dringend eine Dusche. Sowohl das Varieté als auch der Vivaldi sind richtig toll geworden, und so ist die Stimmung in der Gruppe sehr gelöst. Wir freuen uns alle riesig auf heute Abend.

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27.1.2021

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