(18/13) Zwischen Büchern

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Inquisition im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit

1. Die Inquisition und ihre Auswirkung auf gerichtliche Verfahren und Rechtsprechung in Europa

2. Die Kirche
2.1. Päpstliche Inquisition und Einführung der Folter
2.2. Bischöfliche Inquisition
2.3. Die Kardinäle
2.4. Römische Inquisition

3. Vergehen
3.1. Ketzerei
3.2. Häresie
3.3. Juden und Protestanten
3.4. Magie und Hexerei

4. Verhörpraxis
4.1. Androhung von Folter / Vorführung der Instrumente
4.2. Die drei Stufen
4.3. Geständnis
4.4. Abschwören und Widerruf

4. Urteil und Strafe
4.1. Todesstrafe
4.2. Strafminderung
4.3. Freikauf

5. Der Hexenhammer - Malleus Maleficarum
5.1. Protokolle
5.2. Zeitzeugen
5.3. Zahlen

Magnus blinzelte in den dämmrigen Raum hinein. Er hatte sich im Verzeichnis verloren, hatte die Zeit vergessen, sie aus seinem Bewusstsein ausgesperrt. Er wollte, dass sie anhielt. Wenn sie anhielt, würde auch der Hunger anhalten, die Gedanken an Wasser, die Verzweiflung. Wenn alles anhielt, würde ihm Zeit geschenkt. Er dürfte warten, noch ein wenig länger.

Auf innere Bilder starrend, Bilder von Feuer und Kerkern, rostigen Eisen und verriegelten Türen, versuchte er den Anfang zu finden. Den Anfang vom Ende, denn seine Zeit hier war vorbei.
Inquisition. Das Inhaltsverzeichnis wölbte sich über den vergilbten Seiten, bebte leise in der Zugluft, verführte zum Blättern. Zahllose Bücher hatte er durchgesehen. Er musste gehen, jetzt. Er konnte sich hier, in Valerios Raum, nicht verstecken und hoffen, dass, was er tun musste, an ihm vorbei ging. Das würde nicht funktionieren. Den ganzen Morgen hockte er bereits auf seinem bequemen Lager, in seinem Raum, in dem alles an ihn erinnerte, den Rücken an das verblasste Wandgemälde  gelehnt, die Bücher, die sich auf den Bodendielen getürmt hatten, überall auf der Decke verstreut. Unter den Fingern spürte er die weichen Kanten, strich daran entlang. All diese Bücher ... er hatte sie berührt. Die Spuren auf dem Papier sprachen von regem Gebrauch. Seine Hände, seine Augen, sein Geist waren hier gewesen. Hier hatte er geschlafen, geträumt. Näher konnte er ihm jetzt nicht mehr kommen als... bis hier.

Gerade wollte er den schweren Band schließen, da fiel ihm eine Rabenfeder aus den Seiten entgegen. Schwarz war sie, mit bläulich schimmernder Spitze; er hob sie von seinem Oberschenkel auf, besah sie, hielt sie gegen das Licht, das zwischen den schweren Samtvorhängen herein sickerte.

Eine Feder... er wollte sie mitnehmen. Sie erinnerte ihn an die Nacht auf der Brücke; in der Dämmerung, als er ihm das erste Mal begegnet war. An seine Augen, die so nachtdunkel waren und in denen doch immer ein Feuer loderte. Seine samtene Stimme im Halbdunkel. Er ließ die Feder zwischen Daumen und Zeigefinger hindurch gleiten.
Unter allen Büchern, die Valerio um sein Lager versammelte, hatte er ausgerechnet dieses noch gewählt. Es sollte das letzte sein. Er mochte die Schwere des massiven Werkes, den Duft nach Staub und Wissen. Er selbst fühlte sich wie lebloses Pergament, das der nächste Wind davon wehen würde; die Festigkeit des in Wildleder eingeschlagenen Buches und das Gewicht auf seinen Beinen gaben ihm jetzt Halt.

Die Bücher. Irgendeines davon hatte er als Unterlage verwenden wollen. Zum Schreiben der Nachricht. So hatte es angefangen. Aber dann hatte er sich in die Inhalte, in die Texte und Bilder vertieft. Zumindest redete er sich das ein, denn die Wahrheit war: Er las Valerios Notizen. Seite um Seite hatte er immer wieder neue gefunden, in beinahe jedem Buch. Mal mit spitzem Bleistift und in sorgfältig geschwungener Schrift gesetzt, als ordentliche Blöcke, die die Ränder der Texte zierten, dann wieder fahrig und schnell, kaum lesbar und in wilden Zügen hingeschmiert, die verblichene Tinte mit dem Handballen verwischt... Er war Linkshänder. Seltsam, dass ihm das gar nicht aufgefallen war. Einen Augenblick lang hörte er sein Lachen, fühlte den Blick aus dunklen Augen auf sich gerichtet. Nahm im Augenwinkel, im Schatten des Raumes eine Kopfwendung, eine Drehung von Oberkörper und Schultern wahr. Die für ihn typische Haltung und Ausstrahlung, dieser Moment, wenn er sich umwandte und ihn ansah. Kurz bevor er zu sprechen begann...  Solche Eindrücke verfolgten ihn seit Tagen, aber immer war es verschwunden, bevor er richtig hinsehen konnte.

Warum ging er nicht einfach! Er quälte sich, wollte lieber die schmerzende Nähe als die unerträgliche Leere und Distanz aushalten. Hier in seinem Raum. Unwillkürlich musste er an eine Mutter denken, die ihr totes Kind hielt. Seit Tagen und Nächten. Weil das Hergeben und Begraben so furchtbar endgültig war und das Loslassen so schwer. Symbolisch betrachtet standen Kinder für Neuanfänge. Für die Hoffnung auf mehr, auf Wachstum und Entwicklung einer Sache. Für neues Glück. Er wusste das von Lena. Er interessierte sich gar nicht für Kinder - und auch nicht für symbolische Entsprechungen. Aber irgendwie war es damals in seinem Kopf hängen geblieben. Glück. Wenn es so etwas wie Glück in seinem Leben gegeben hatte, Hoffnung... dann hatte er es hier gefunden. Irgendetwas in ihm verweigerte sich der Erkenntnis, dass dieses Kind... gestorben war.

Er drehte die Feder zwischen zwei Fingern. Horchte in die Stille des Hauses hinein. Er wollte nicht schon wieder weinen.

Papier und Stift lagen unangerührt neben ihm auf dem Kissen. Er musste schreiben. Es wurde Zeit. Vorhin, im Kaminzimmer, da hatte er es bereits versucht. Hatte gewartet. Auf den Sessel vor sich gestarrt. Gedacht, der Kamin sei ein guter Platz dafür. Hier war so vieles ausgesprochen worden. Aber die Worte waren einfach nicht gekommen. Der Sessel war zu leer gewesen, der Verlust zu sichtbar. Im Kaminzimmer, da hätte er ihm beinahe davon geschrieben. Beinahe, weil es eine schlechte Idee war. Obwohl.... wenn er sich damit lächerlich machte, würde er es sowieso nicht mehr erfahren.

Draußen, da war es anders gewesen. Als er noch glaubte, er würde es fertig bringen zu schreiben, was er wirklich dachte. Was er fühlte. Aber als er dann das Haus zum letzten Mal betrat, um seine Sachen zu holen - als er in der dämmrigen Halle stehen blieb - da war es ihm plötzlich so ganz unmöglich erschienen. Er wusste den Text nicht mehr. Alles war ihm irgendwie abhanden gekommen auf dem Weg durch die Tür. Alle Variationen, die er erdacht hatte, wie aus dem Kopf gelöscht. Und nun wartete er hier, als sei Warten eine Tätigkeit und nicht Zeitverschwendung. Und einmal, vorhin, da hatte er einen Moment lang geschlafen, aufrecht sitzend, an die Wand gelehnt, die Hand an diesem Buch über die Inquisition. Irgendetwas hatte er geträumt; ein kurzes Rufen war da gewesen, das Kreischen von Türangeln. Düstere Bilder von fleckigen Wänden ohne Fenster. Und Stiefel. Stiefel, die wie Valerios aussahen, aber es trug sie jemand anders. Dann war er aufgewacht, hatte gelauscht, mit hämmerndem Herzen. Unten in der Halle gab es immer irgendwas, sie war nie still. Selbst wenn sich draußen kein Blatt regte, raunte dort zwischen den Spiegeln der Wind. Das musste es gewesen sein. Und Schritte von seinen Stiefeln... die hatte er sich eingebildet.

Magnus setzte sich auf. Sein Blick fiel auf seine Tasche. Es war alles gepackt, das Wasser, die Brote, Papier und Stift, Valerios Messer. Ein langes Stück eines fein gedrehten Seiles hatte er noch gefunden, damit hatte er die Decke, die Valerio sicher entbehren konnte, oben auf der Tasche befestigt. Eine Spandose voll mit der Schwarzkümmelpaste aus dem Baderaum steckte vorne in der Außentasche. Er hatte sich eingeredet, er brauchte sie, um unterwegs seine Hände waschen zu können. Wenn er ein Waldtier ausnehmen musste oder zu anderen Gelegenheiten. Er wusste ja nicht, wann er auf Menschen stoßen würde. Und ob überhaupt. Aber das war vorgeschoben. Er brauchte die Waschpaste, weil Valerio sie gemacht hatte. Weil es seine Sorte war, seine Note. Er bevorzugte sie, der feine, herbe Duft aus Schwarzkümmel und Zedernholzöl umgab ihn oft... Lieber würde er an diesem Duft sterben als ohne ihn zu gehen.

Er langte seitwärts über die Decke hinweg, zog das Schreibzeug zu sich her, nahm den Kugelschreiber in die Hand. Er rückte das schwere Buch auf seinen Beinen zurecht.

Valerio...

Ich kann nicht länger warten. Die Vorräte sind alle und ich habe kein sauberes Wasser mehr. Draußen läuft kein Tier, das ich fangen könnte, ich weiß ja nicht einmal, wie man eine vernünftige Falle baut. Dieser eine Hase war Zufall, ich hatte ihn mit Gemüse geködert. Außerdem denke ich, dass etwas mit der Natur nicht stimmt. Das Wetter, der Himmel, die Zeit... alles wirkt verzerrt und blass, als würde das Leben fehlen. Auch weiß ich nicht, warum und wohin du verschwunden bist oder wann du zurück kommst. Oder ob überhaupt. Ich habe nirgends eine Notiz oder einen Hinweis gefunden, und das macht mir Sorgen. Ich will so weit nicht denken, aber es ist möglich, dass etwas Unvorhergesehenes passiert ist. Ich hoffe jeden Tag, es geht Dir gut.

In den ersten Tagen hatte ich tatsächlich gedacht, es ist wegen mir. Ich bin ein Idiot, das weiß ich. Du musstest Dich ganz schön mit mir herum schlagen. Du bist mir gegenüber zu nichts verpflichtet, ich war ja freiwillig mitgekommen und ich bin alt genug. Dein Verschwinden werfe ich Dir nicht vor, es war eine wesentliche Lehre für mich. Dir nehme ich absolut gar nichts übel, ganz gleich, aus welchem Grund Du weg bist, das sollst Du wissen. Denk Dir also nichts dabei, wenn ich hier nun ein wenig herum jammere. Du kennst mich. Auch meine Tagebuchnotizen, die ich im Kaminzimmer für Dich da gelassen habe, zeugen nicht gerade von meinen emotionalen oder praktischen Kompetenzen in Sachen Survival und Co.. Ich hatte es nicht leicht, seit Du weg bist, aber das ist meine Sache. Es hat mit mir zu tun. Wirf es ins Feuer oder lies es, ganz wie Du willst. Und solltest Du über mich lachen... ich hätte es verdient.

Ich bin nicht so wie Du. So weise und stark und geduldig. Ich bin nicht mutig und ehrlich, nicht konsequent, die meisten meiner Lebensentscheidungen dienen nicht dem Weiterkommen mit mir selbst, sondern dazu, mir Leid und Schmerz vom Hacken zu halten.
Aber was Du über Angst gesagt hast, über Vertrauen und Aufrichtigkeit und all diese Dinge, hat ein Licht in meinem dunklen Kopf angeknipst. In den Gesprächen mit Dir ist mir so vieles klar geworden. Ich werde das als das Wertvollste mitnehmen, was mir jemals geschenkt worden ist... neben dem Fakt, dass ich Dich kennenlernen und diese wertvolle Zeit mit Dir verbringen durfte.

Ich kann verstehen, wenn ich Dich gelangweilt oder genervt habe. Wie könnte jemand wie ich jemandem wie Dir auch nur annähernd genügen. Ganz sicher bist Du anregendere Gesellschaft gewohnt. Du bist ein Wanderer. Ein wunderbares, faszinierendes Wesen, verdammt, das bist Du. Ich habe nach Worten gesucht, die am Besten ausdrücken könnten, was mit mir geschehen ist seit unserer ersten Begegnung, denn da gibt es etwas... Da ich jetzt gehen muss und wir uns höchstwahrscheinlich nicht mehr wiedersehen, ist hier nun Gelegenheit, endlich einmal mutig und ehrlich zu sein. Sonst wäre alles, was Du mir vermittelt hast, umsonst. "Du lebst ja gar nicht", hattest Du zu mir gesagt, "so voll mit Angst und Lüge, wie du bist". Und Du hattest Recht, mit allem.

Ich denke, ich habe mich in Dich verliebt. Kopflos und wild und ohne die geringste Chance, da jemals wieder hinaus zu finden. Und das will ich auch gar nicht! Davon wird eine Wunde bleiben, und ich werde sie mit Überzeugung und Stolz tragen, sie wird mein Zeichen sein, dass ich entgegen jedem Glauben über mich und meine innere Welt zu so viel mehr und ganz anderem fähig bin.

Ich kann nicht mehr in mein altes Dasein, Denken und Fühlen zurück, alles ist nun anders durch Dich. Es schmerzt und irritiert mich, wirft mich aus meiner Vorstellung von mir selbst, dem Leben und der Welt, wie ich sie gesehen und geglaubt hatte, völlig hinaus. Aber es ist Liebe, brennend und aufrichtig und in einer Form, wie sie mir noch niemals begegnet ist. Du hast mich bis ins Innerste erkannt, hast mich berührt, mich in meinem Schlaf erschüttert und wach gemacht. Und mir gezeigt, welche wunderbaren Chancen und Kräfte unsere Freiheit birgt, die Freiheit, die wir immer haben werden und seit jeher hatten: uns in jedem Moment immer wieder neu für das Gute, die Wahrheit, den Mut und die Liebe zu entscheiden, anstatt in Angst und Verweigerung dahin zu treiben und niemals wirklich zu leben.

Ich fühle Liebe für Dich, das ist die Wahrheit. So wahr, wie es ist, dass ich das Leben liebe... und auch das weiß ich erst seit einigen Tagen. Ich brenne für Dich. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Wie genau und warum ausgerechnet mir das passiert, ich weiß es nicht. Ich kenne mich mit Gefühlsdingen nicht gut aus, ich weiß nur: Das hier ist absolutes Neuland für mich. Du hast mich eingefangen, hast mich erschreckt, erschüttert und berauscht, mich gepackt, begeistert und mich gegen meine innersten Überzeugungen gewendet. Gegen mich selbst, gegen den, der ich war. Bis ich gar nicht mehr wusste, wer ich war... und mich doch niemals klarer und deutlicher vor Augen hatte. Durch Dich habe ich mich zum ersten Mal wirklich gesehen. Und noch mehr: Ich meine nun auch zu sehen, wer und was ich werden kann. Ich brauche ein neues Konzept.

Ich bin Dir unendlich dankbar. Ich muss ganz neu über mich nachdenken. Über mich, meine Wertvorstellungen und mein Leben. Und darüber, was ich wirklich will und brauche. Das wird ein Haufen Arbeit sein, aber es ist der einzige Weg, der mich am Ende ganz bei mir ankommen lässt. Vor einem Jahr hätte ich nicht für möglich gehalten, dass ich einmal solche Dinge schreibe, dazu an einen Mann... Ich bin aber inzwischen sicher, dass es mich vor einem Jahr nicht wirklich gab.

Wenn das hier nur ein Traum war, war es der beste, den ich jemals hatte. Ich wache wirklich ungern daraus auf und werde lange brauchen, bis ich mit den Füßen wieder auf dem Boden ankomme. Und vielleicht werde ich das niemals, sondern von jetzt an immer ein wenig neben der Spur sein.
Aber wenn es echt, wenn es real war... wenn ich mir das alles nicht eingebildet habe, dann wage ich hier nun einen Wunsch auszusprechen: Dass Du mich findest und wieder einsammelst. Ich bin noch nicht fertig hier, im Gegenteil, ich möchte endlich anfangen. Gib Dich zu erkennen, wohin immer mich meine Odyssee bringt, denn ich werde niemals mehr Wein trinken, den Mond ansehen, den rauen Klang einer Violine hören oder vor einem Feuer sitzen, ohne an Dich zu denken. Und eines ist sicher: In Zukunft werde ich all das so oft wie möglich tun.
Sollte ich zukünftig auch wieder Feuerzeuge in meinen Taschen aufbewahren, werden diese eine völlig neue Bedeutung haben. Finde mich... das ist keine Bitte, sondern eine Einladung. Eine, der Du natürlich nicht folgen musst. Deine Wege sind so anders als meine. Aber lass dann wenigstens ein einziges Mal von Dir hören. Damit ich weiß, es geht Dir gut. Bis dahin werde ich wohl in den Wind lauschen und in die Dämmerung starren. Pass auf Dich auf, Wanderer.

Magnus

Ende Teil 175




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