Wie dumm kann man sein?

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„Alles noch dran?" Eddie steckt den Kopf herein, kaum dass die Tür hinter Dr. Schum zugeklappt ist.

„Bis auf einige Schläuche ja", gebe ich zurück. Der Arzt hat mir nur noch die Infusion gelassen und mich darauf vorbereitet, dass ich später die Elektroden wieder angelegt bekomme. Da ich aber gerade erst wach geworden bin, werde ich erst vom Nachtdienst fürs Schlafen bereit gemacht.

„Darfste schon wat trinken?"

„Ja, soll ich sogar. Umso eher werde ich die Infusion los." Katheder und Magensonde bin ich los, essen werde ich aber erst morgen dürfen.

Hinter ihm sagt Mariann: „Ich hole Hagebuttentee!"

Während sich ihre Schritte entfernen, kommt Eddie zu mir. „Ick hab noch wat vor, aba erst muss ick mit dir sprechen. Zuerst mal: Solln wa dem Vatter sagen, dass du wach bist?"

„Äh – wieso ihr?"

„Weil der sich nicht selbst meldet. Er weiß, dass wir jeden Tach hierherfahren, aba selbst war er nur einmal da. Da hatten die gerade dein Blut in der Wäsche und ..."

„Die hatten was?"

„Kumpel, die haben dir dein Blut durchgespült, um das Zeug rauszukriegen, das du intus hattest. Die haben gemeint, n Gegengift hat keinen Sinn, weil die Sachen, die du geschluckt hast, eh schon belastend genug wären für deinen Körper und du auch mehrere Antidots gebraucht hättest, die sich aber gegenseitig aufheben oder so. Am besten gibst du mir deine ganze Migränemedis und wenn du wieder so nen Anfall hast, kloppste an meine Tür und ich geb dir, was du brauchst. Dann passiert dir sowas nicht wieder. Und wehe, du sagst jetzt wieder ‚Tut mir leid'!", schnauzt er plötzlich. „Als ich gekommen bin an dem Tag, hatten die grad n Foto von deinem Kopf da und wollten dem Vatter erklären, wo man dein Hirngewitter sieht. Mir ist ganz anders geworden, das müssen Wahnsinnsschmerzen gewesen sein. Da kann ick vastehn, dass du dit allet jeschluckt hast."

Die Migräne ist weniger schlimm gewesen als der Anblick von Mariann und Eddie in trauter Zweisamkeit. Schon die Erinnerung daran benimmt mir fast den Atem und hindert mich glücklicherweise daran, das laut auszusprechen.

„Ick hoffet, du hänst nich allzu fest an deenen Vatter", sagt Eddie zögernd. „Weil ... dit is nich so jut, wat ick dir sajen muss."

An ihm hängen? Das ist eine gute Frage. Als Kind habe ich darauf gehofft, von ihm anerkannt zu werden, aber das habe ich lange aufgegeben. Aber erst, als ich gesehen habe, wie Tobias mit Per umgesprungen ist und beschlossen habe, dass Per ohne Vater besser dran wäre als mit dem, den er hat, ist mir klargeworden, dass das auch mich auf zutrifft. Damals und auch heute.

„Nein – ich weiß wie er ist und ich glaube nicht mehr, dass er sich jemals ändern wird."

„Jut." Eddie nickt entschlossen. „Als die Ärzte ihm erklären wollten, was mit dir ist und welche Maßnahmen sie jetzt ergreifen, kamen von ihm nur zwei Bemerkungen. Erstens, so eine Dummheit wäre typisch für dich. Und zweitens die Frage, was passiert, wenn sie die Maschinen alle abschalten, an denen du hängst und wie lange jemand im Koma liegen muss, damit er für tot erklärt wird. 

Der hat nicht mal richtig zugehört und auch nicht verstanden, dass die ganze Maschinerie da dich nicht am Leben erhalten, sondern bloß deine Funktionen überprüft hat. Die haben die Hirnaktivität, Herz, Kreislauf und den Sauerstoff im Blut gemessen, haben dir Kochsalzlösung gegeben, um dein Blut zu verdünnen und das Zeugs rausgefiltert. Dazu noch die Schläuche inner Nase und inner Blase, da hat dein Vater das wohl falsch verstanden. Aber die haben dich nicht beatmet oder so, das haste allet janz alleene hinjekriegt. 

Und die letzten drei Tage hast du immer wieder die Augen aufgemacht, irgendeen Kauderwelsch gemurmelt, mit Arme und Beine jezappelt und die Ärzte haben gemeint, du bist am Aufwachen. Du hast so kariert geguckt, dass wir dran gezweifelt haben, dass du noch da drin bist, aber auch die Pfleger haben gesagt, das ist normal so.

Deinen Vater hab ich vorgestern gesehen, da hat er nicht mal gefragt. Ich hab ihm von mir aus gesagt, dass du schon rumzappelst und da meinte er, ob das nicht eher Todeszuckungen wären. Mir ist bald schlecht geworden."

Zweifellos werde ich Eddie mit meiner Antwort schocken, aber ich sage es trotzdem. „Mich wundert das überhaupt nicht."

„Ja, will der dich denn tot haben?"

„Das nicht, aber im Moment kommt es ihm zupass. Ich habe erfahren, dass er bereits zugesagt hat, meine Wohnung zu verkaufen und er muss sich schon Gedanken gemacht haben, wie er an meine Unterschrift kommt. Das Problem hätte sich damit erledigt."

„Mann und sowat wird Vadder?" Eddie blickt mich entgeistert an.

„Das hab ich auch nie verstanden. Andererseits glaube ich, er braucht jemand zum Rumkommandieren."

„Kai, damit ist aber nu Schluss! Wenn dus nicht machst, greif ick da mal ein!"

Ich habe viel Zeit zum Nachdenken gehabt, während ich als Schwarzer Mann an der Wand gestanden und darauf gewartet habe, dass sich jemand rührt. Und mir dabei nicht nur überlegt, was man in Pers Fall tun kann, sondern auch, was ich schon lange hätte machen sollen.

„Ich mach was", sage ich entschlossen. „Aber ich brauch deine Hilfe."

„Die kriegste!", versichert mir Eddie.

Dann grinst er. „Ick mach hier nur noch uff Hilfsprojekte. Die Straße, Nora und jetze du. Aber dit mach ich gern."

„Nora?" Woher kennt Eddie sie?

„Das ist ne Nachbarin von gegenüber, die Mama von dit Goldlöckchen neulich", erklärt mir Eddie. „Der Kleine hat Mariann um Hilfe gebeten, weil er und die Mama vom Vadder geschlagen werden – und wie, dit kannste dir nicht vorstellen!"

Kann ich. Aber das kann ich Eddie schlecht erzählen.

„Mariann hat sie hierher mitgenommen, als wir dich besucht haben und die Ärzte waren ganz schockiert davon, wie sie und der Kleine ausgesehen haben. Ich hab sie zurückgefahren und - ach du je, Kai – ick vasteh nicht, wie man sowat Süßet, Liebet auch nur bös angucken kann!" Eddie wird doch tatsächlich rot. „Jetzt ist der Kerl erstmal in Haft. Aber ick bleib uff die zwee dran, wehe, die kriegen noch mal eenen uffn Deckel, denn komm icke aba drüba!"

„Eddie, du bist wirklich ein guter Mensch!", sage ich spontan und stelle fest, dass Eddie noch röter werden kann. „Ach nee, Mensch", wehrt er ab. „Man muss det doch tun, wenn man sowat sieht. Dich brauchen wa übrijens ooch noch dazu, Mariann meint, du bistn Ass, wenns um Finanzen und Eijentum jeht."

Oh weh, wenn Mariann auf mich baut, muss es wohl schlecht um die Person stehen, die sie ursprünglich um Hilfe bitten wollte. Manchmal kommt aber auch wirklich alles auf einmal.

„Ich bin dabei." Auch wenn ich nicht viel helfen kann, sollte ich beisteuern, was in meinen Kräften steht.

„Lieb von dir. Denn bleibt nur noch Mariann." Eddie fixiert mich unerwartet streng. „Der tuste sowat nicht nochmal an, is det klar? Wir dachten, det du abnippelst, det arme Ding war so platt wie ne Flunder; wennse dir inne Erde jeschmissen hätten, wär se hintaherjehopst."

„Mariann? Mir?" Liegt das an Eddies Dialekt oder warum verstehe ich ihn nicht?

„Ja, wem denn sonst?"

„Dir ..."

„Kai, wenn du denkst, das ich denk, was du denkst, denn krisste eene uffn Deckel! Blickste det nich? Hast nich ihr Gesicht jesehen, als dein Vadder neulich meinte, die wär wat für mich? Ick wusste da schon, wen sie sich ausjekuckt hat."

„Mich?" Das kann doch eigentlich nicht sein. Wer sollte denn mich vorziehen?

„Dich!", sagt Eddie entschieden. „Und nu sach mir nich, dass du anders denkst."

„Ich – nein, ich – ich bin nicht gut genug -"

„Dit gloobt bloß deen Vatter! Ick nich und Mariann janz sicher ooch nich! Haste darum nix jesacht?"

„Ich wollte ihr die Wahl lassen ..."

Eddie seufzt und fährt sich mit der Hand durch den rotblonden Strubbelkopf. „Ich weeß ja nu nich, wie Anwälte dat so machen. Aba wenn ick nem Kunden die Möglichkeit jeben will, zwischen uns und der Konkurrenz als Lieferanten zu wählen, denn mach ich ihn 'n Angebot, janz unverbindlich. Wenn er's in'n Müll pfeffert, hamma ebent Pech jehabt." Er beugt sich vor und sieht mir direkt in die Augen. „Und wat für'n Angebot haste dit Mariann jemacht, hä?"

Jetzt keucht Mariann herein, eine große Thermoskanne in den Händen. „In der Stationsküche sind die Kannen ausgegangen", teilt sie uns mit. "Ich musste ganz nach unten laufen und da haben die erstmal abgeklärt, ob und was Kai zu sich nehmen darf. Hagebuttentee ist erlaubt."

„Na, denn ist allet primstens und ick fahr nu zu Nora, jut?" Eddie erhebt sich.

Ich beobachte Mariann genau, aber Eddies Pläne scheinen sie nicht zu betrüben. Im Gegenteil, sie zwinkert ihm zu. „Viel Glück."

„Hat er dir von Nora erzählt?", fragt Mariann, als die Tür hinter Eddie zugeklappt ist. Ich nicke.

„Die beiden sind sich auf der Heimfahrt von hier wohl näher gekommen. Eddie scheint Feuer und Flamme zu sein, ist sich aber bewusst, dass er sehr behutsam und mit winzigen Schritten vorwärts gehen muss. Das arme Ding muss erstmal verarbeiten, was der Mann ihr angetan hat."

Das denke ich mir auch. Ich habe aber auch gesehen, wie stark Nora ist. Sie wird es schaffen, und sei es nur um Pers willen.

„So, eine Stunde etwa darf ich noch bei dir bleiben. Bist du müde, Kai?"

„Nein, überhaupt nicht. Du kannst so lange bleiben, wie du willst."

Hast du nicht noch mehr zu sagen?"

Verblüfft sehe ich mich um. Zwischen Schrank und Waschbecken ist ein Schatten und in diesem erkenne ich ganz deutlich Joels Teufelsfratze, so wie ich sie oft gesehen habe. Nur der Draht um das linke Horn herum ist mir neu.

Ich bin noch nicht ganz fertig mit dir", erklärt mir Joel sein Hiersein.

Offenbar wollen sowohl Eddie als auch Joel, dass ich Mariann gestehe, wieviel sie mir bedeutet. Aber das sollte nicht zwischen Tür und Angel geschehen und ich vermute, dass Mariann auf dem Sprung ist, um noch einen anderen Patienten aufzusuchen.

„Du musst nicht deine ganze Zeit mir widmen", sage ich daher. „Du hast doch zu Nora gesagt, dass eine dir sehr wertvolle Person hier liegt, wartet die nicht auf dich?"

Mariann starrt mich verblüfft an. „Aber Kai – du Depp – ich habe doch von dir gesprochen! Außerdem – Moment Mal ..." Sie runzelt die Brauen und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen. „Woher bitte weißt du, was ich zu Nora gesagt habe, während du im Koma warst?"

Oh mei, oh mei, oh mei", murmelt es im Schatten. Dort steht Joel, schüttelt hilflos den Kopf – das mit dem Draht befestigte Horn bleibt diesmal dran – und schlägt die Hände vors Gesicht.

Jetzt bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als Mariann alles zu erzählen.

„Das klingt alles völlig abstrus", meint Mariann schließlich. „Aber du lieferst so viele Beweise – du weißt, was vorgefallen ist, kennst den Wortlaut der Besprechung zwischen Nora, Nadine und mir und sagst mir auch, wie Per mich ‚engagiert' hat.

Mir sind vorher schon Ungereimtheiten aufgefallen und jetzt verstehe ich das. Woher Per wusste, dass und wo ich ein zweites Handy habe und sogar den Code zum Entsperren kannte. Wer das zweite Video gemacht hat – Nora konnte es nicht gewesen sein und das Handy ist den Bewegungen gefolgt, es ist nicht einfach abgestellt und gestartet worden. Wie Per dich kennengelernt und von mir erfahren hat. Und Pers Vorgehensweise, die mir für einen Achtjährigen schon ziemlich ausgefeilt vorkam. Der Satz ‚Sie ist meine Anwältin!' – und Nora erwähnte, Per hätte etwas von Rechtsbeihilfe gesagt – das Wort hat er auch von dir, stimmt's?"

Ich nicke.

„Und du hast die ganze Zeit unter Monstern gelitten, du Armer. Dieser Joel hat recht, mit dem Monster im Nacken, das sich Vater nennt und der Mutter, die dich im Stich gelassen hat, konntest du nicht lernen, dich selbst zu behaupten. Dein Vater hat einmal durchblicken lassen, du würdest noch an Monster glauben und nur bei Licht schlafen können, aber ich fand das damals schon nicht kindisch. Ich dachte nur, wenn das wahr ist, musst du Furchtbares erlebt haben. Ich wollte dir so gerne helfen, aber irgendwie kam ich einfach nicht an dich dran."

Ich senke den Kopf. „Du hast also Mitleid mit dir."

„Hm. Das auch. Aber ich wollte dir auch etwas wiedergeben – du hast mir, seitdem wir uns kennen, so oft beigestanden, hast dir meine Sorgen angehört und mich getröstet, bist immer eingesprungen, wenn ich jemanden brauchte – und bist sofort wieder in dein Schneckenhaus geschlüpft, wenn du das Gefühl hattest, du könntest mir zur Last fallen. So ganz habe ich das erst verstanden, als ich deinen Vater kennengelernt habe.

Irgendwie warst du für mich immer zwei Menschen. Da war die freundliche, aber unverbindliche und unnahbare Fassade, an der alles abzuprallen schien. Du hast den meisten Menschen eine sehr starre Mimik gezeigt, die keine Gefühle verrät und manchmal hatte ich das Gefühl, ich bin die einzige, welche deine traurigen Augen wahrnimmt. Eddie ist das übrigens auch gleich aufgefallen.

Diese Person ist ein tief verletztes Kind, das sich von allem zurückgezogen hat, um weiteren Schmerzen zu entgehen. Und mit diesem Kind habe ich Mitleid, ja.

Aber dahinter steckt eine komplexe Persönlichkeit, die nur wenige erleben dürfen und die du mir doch immer wieder mal gezeigt hast. Das ist jemand, der sich über Kleinigkeiten freuen kann; der voller Empathie sofort spürt, ob jemand in Not ist; der jedem Menschen beispringt, nur nicht sich selbst; der belesen, intelligent und kompetent ist, gutherzig, fröhlich und voller Neugier. Dieser Mann hinter dem verletzten Kind tut mir nicht leid. Ich möchte mich an ihn anlehnen, mit ihm lachen, weinen und Neues erleben und ihn nicht mehr hergeben. So, jetzt weißt du es – und hoffentlich glaubst du es auch!" Grimmig schiebt sie das spitze Kinn vor. Im Moment erinnert sie mich weniger an eine Märchenelfe als vielmehr an einen Kobold, der überlegt, ob er den Menschen vor sich in einen Frosch oder in eine Maus verwandeln soll.

Ich möchte es gerne glauben. Aber ... „Ich bin doch nicht gut ..."

Weiter komme ich nicht. Marianns Gesicht ist plötzlich ganz dicht vor meinem, als sie faucht: „Willst du mir jetzt etwa einreden, es gäbe für mich einen besseren Mann als dich?"

Die Drohung in Stimme und Mimik lässt es mir angeraten sein, nicht verbal zu antworten; jedes Wort kann jetzt falsch sein. Ich weiß nur eine hoffentlich angemessene Reaktion auf Marianns Frage: Ich beuge mich vor und küsse sie.

Und es sieht ganz so aus, als sei Mariann mit dieser Erwiderung auch durchaus einverstanden.

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