Auf der Lauer, auf der Mauer

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Das kleine, zweistöckige Haus ist in der Dunkelheit kurz vor der Morgendämmerung für Menschenaugen kaum sichtbar. Noch brennt dort kein Licht. Wie meistens bin ich früh genug gekommen, um das Erwachen des Hauses und seiner Bewohner miterleben zu können.

Ich werfe meine Tasche auf den Boden, nehme meine Hundegestalt an und krieche durch die Brombeerhecke, welche das Haus, den gepflasterten Platz davor und den Kräutergarten dahinter umgibt. Zur linken Seite schließt hinter der Hecke noch eine fast mannshohe Mauer das Anwesen nebenan ein. Die Bewohner des benachbarten Grundstücks verbergen sich lieber hinter festem Stein als hinter fruchttragenden Dornen. Dort steht auch ein großes Stadthaus, vier Stockwerke hoch, komplett aus grauem, glatt behauenem Stein errichtet und ohne jedes schmückende Element.

Das kleine Haus hingegen, welches ich im Visier habe, ist unten gemauert, weiß verputzt und mit Blumenmotiven und Ranken bemalt, die sich auch über die hölzerne Tür und die Fensterläden hinwegziehen. Der obere Stock zeigt dunkles Fachwerk sowie grüne Schindeln auf den Gauben und dem spitzen Dach. Die Ranken greifen bereits auf ihn über und es kann nicht lange dauern, bis das Haus bis an den Giebel geschmückt ist.

Noch vor einem halben Jahr hat dieses Haus grau und verwahrlost ausgesehen, wie ein Wesen, welches zu alt und zu müde ist, um sich noch um seine Erscheinung zu kümmern. Mit den neuen Bewohnern ist es jeden Tag ein wenig heller und freundlicher geworden und es erscheint inzwischen geradezu verjüngt und mit neuem Leben erfüllt.

Manchmal frage ich mich, ob auch Häuser Lebewesen sind. Wenn es Häuser gibt, die eigenes Bewusstsein und Gefühle haben, dann sind es sicher Hexenhäuser. Das Nachbarhaus lässt nicht erkennen, wer in ihm wohnt. Aber Hexenhäuser scheinen sich an die in ihnen lebende Hexe anzupassen. Natürlich bemüht sich jede Hexe, ihrem Heim ihr eigenes Gepräge zu verleihen, aber ich habe immer schon den Eindruck gehabt, dass sich zumindest dieses Haus auch seinerseits bemüht, seiner jeweiligen Hexe zu gefallen.

Im Augenblick allerdings erkenne ich weder Ranken noch Farben. Mit Hundeaugen sehe ich in der Nacht besser als mit Menschenaugen, trotzdem kann ich nur eine dunkle Silhouette ausmachen und schwarze Vierecke dort, wo sich die Fenster befinden. Das stört mich nicht; ich weiß genau, wo sich das Fenster befindet, welches zuerst erhellt werden wird und ich halte meinen Blick starr darauf gerichtet.

Seit wir vor einem halben Jahr eine neue Hexe bekommen haben, treibt mich eine namenlose Angst vor ihr umher. Zuerst bin ich ihr ausgewichen, aber das hat meine Furcht nur vergrößert. Also habe ich mir angewöhnt, morgens durch den Magnolienweg zur Werkstatt zu laufen, um an ihrem Haus vorbeizukommen und ihr eventuell zu begegnen. Ich habe geglaubt, so meine Angst vor ihr allmählich zu verlieren, wenn ich merke, dass sie mir nichts tut. Stattdessen habe ich jedoch den Zwang entwickelt, sie jeden Morgen zu beobachten. Sie pflegt etwa zu dem Zeitpunkt aufzustehen, zu dem ich durch die Gasse komme und ich kann ihr täglich beim Erwachen zusehen.

Infolgedessen liege ich jeden Morgen für einige Minuten in ihrer Hecke, in der Gestalt eines großen, zottigen, braunweißen Hundes. Nicht als Tarnung; die Hexe würde mich sicher trotzdem erkennen, zumal sie weiß, dass ich ein Höllenhund bin. Aber mein Hundefell ist weniger anfällig für die spitzen Dornen als meine Menschenhaut.

Wie jeden Morgen richte ich meinen Blick auf das dunkle Häuschen und starre auf das Fensterchen im Dachgeschoss, bis dort die Läden geöffnet werden und ein schwacher Lichtschein sichtbar wird. Hinter dem aufgespannten Schweinedarm sehe ich die Silhouette der Hexe, die mehrmals hin und her geht, anfangs umwallt von etwas Nebelhaften, vermutlich ein Nachthemd, das ich mir nicht einmal vorzustellen vermag. Später ist sie sichtlich in festen Stoff und Leder gekleidet. Als letztes setzt sie immer den hohen, spitzen Hut auf, das Kennzeichen für uns andere, dass sie eine Hexe ist.

Danach erlischt das Licht oben und bald darauf flackert es hinter den Fenstern im Erdgeschoss. Zuerst in den hinteren beiden, die zu ihrem Labor gehören, später dann auch in dem großen, welches ihren Raum für Besucher mit Tageslicht versorgt, sobald die Sonne aufgegangen ist. Und nun beginnt auch der Kamin zu rauchen.

Der Geruch, den der Rauch verströmt, ist jeden Tag ein anderer. Die Hexe beginnt ihren Tag mit dem Brauen von Tränken, da sie später wenig Zeit dafür hat. Dann nämlich kommen all die Menschen mit ihren Problemen zu ihr und erwarten schnelle Lösungen von ihr.

Als Stadthexe ist sie für alles verantwortlich, was nicht mit konventionellen Mitteln oder den Fähigkeiten der magischen Wesen zu bewältigen ist. Mit einem Schnupfen geht man zum Heiler und für einen kümmernden Obstbaum ruft man den Gärtner. Erst wenn der Schnupfen zum lebensbedrohenden Lungenfieber geworden ist und der Baum verdorrt, geht man zur Hexe. Und oftmals kann sie tatsächlich helfen.

Diese Fähigkeit ist mir unheimlich. In unserer Stadt gibt es Menschen, die in allen Kunstfertigkeiten geschickt sind und magische Wesen, deren Stärke in den ihnen angeborenen Fähigkeiten liegt. Auf diese Weise ergänzt man sich mehr oder weniger gut; die Menschen versuchen nicht, Zauber zu verwenden und die magischen Wesen lassen die Pfoten, Krallen, Flossen oder Tentakel von den Handwerken. Ausnahmen sind da nur die Misch- und Wandelwesen wie Werwölfe, Mino- und Kentauren oder eben Höllenhunde wie ich. Die Wesen eben, die auch über Menschenhände und handwerkliches Geschick verfügen. Und die meistens keine oder nur wenig Magie besitzen.

Zu letzteren zähle ich. Ich vereine die natürlichen Fähigkeiten von Menschen und Hunden in mir, habe aber außer meinem Feueratem keine angeborene Magie und bin auch nicht in der Lage, Zauber und Beschwörungen zu lernen. Die Wesen mit der stärksten natürlichen Magie hingegen, wie die Sphingen, die Dschinns oder die Tatzelwürmer sind nicht in der Lage, Stoff zu weben oder einen Kessel zu schmieden.

Auf diese Weise sind die Fähigkeiten gut verteilt. Da es niemanden gibt, der alles kann, sind die Machtverhältnisse zwischen uns einigermaßen ausgewogen. Aber eine Hexe ist ein Sonderfall, denn sie beherrscht sowohl das Handwerk als auch die Zauberei und obwohl sie ein Mensch ist, besitzt sie auch angeborene Magie. Das ist einer der Gründe, warum mir Hexen immer schon suspekt gewesen sind. Aber keine der bisherigen Stadthexen oder der gelegentlich auftauchenden Wanderhexen hat mir eine solche Angst eingejagt wie die jetzige und ich weiß die Ursache nicht zu benennen.

Aber mit Ängsten wird man nicht fertig, wenn man ihnen nachgibt und der vermeintlichen oder wirklichen Gefahr ausweicht. Aus diesem Grund beobachte ich die neue Stadthexe angelegentlich; entweder werde ich irgendwann herausfinden, welche Bedrohung von ihr für mich ausgeht und kann mich dann dagegen wappnen oder ich werde diese irrationale Furcht loswerden, wenn ich ihre Harmlosigkeit erkenne.

„Was glaubst du eigentlich, was du da tust?"

„Huaff!" Ich fahre erschrocken hoch, als das aggressive Krächzen meine empfindlichen Ohren malträtiert und gleichzeitig jemand heftig in meinen Schwanz pickt. Hastig robbe ich mich rückwärts aus der Hecke und blaffe den Albino-Kolkraben an: „Lass das, sonst endest du als Frühstück!"

Der Rabe funkelt mich mit seinen eigenartig dunklen blauen Augen wütend an, hüpft direkt vor meine Schnauze und niest plötzlich. „Igitt, du brauchst tatsächlich noch ne Würze für dein Knoblauchbrot. Man riecht dich ja schon von weitem. Hat dir noch keiner gesagt, dass Knoblauch ein Gewürz ist und kein Brotaufstrich?"

„Ich mag halt Knoblauch." Der Rabe hat ja recht, mein Frühstück hat mal wieder aus einer Scheibe trockenem Brotes und einer zerstampften Knoblauchknolle bestanden. Vor wenigen Minuten erst. In einer halben Stunde wird man nichts mehr riechen können; mein feuriger Atem neutralisiert den Geruch schnell. Ansonsten hätte mich mein Meister schon lange gefeuert, weil ich ihm sämtliche Kunden verjage.

„Aber ich habe keine Lust, dem Knoblauch in dir Gesellschaft zu leisten", der Rabe hält sich immer noch mit meiner diesbezüglichen Vorliebe auf. „Ach, was solls, du kriegst mich ja eh nicht, solange du nicht fliegen kannst. Jetzt erklär mir erstmal, warum du hier im Gebüsch lauerst. Glaubst du, wir bekommen das nicht mit? Jeden Morgen beobachtest du unsere Gebieterin!"

„Mau!", kommt die Bestätigung von der Mauer herunter, wo eine schwarze Katze gerade ihre Morgentoilette absolviert.

Der weiße Rabe hat mir da eine sehr gute Frage gestellt. Eine, die ich ihm nicht beantworten kann und will. Mir ist ja selbst nicht klar, warum ich das tue.

„Das geht dich nichts an, Kandreo, und Margoli ebenso wenig!", erkläre ich daher und nehme wieder Menschengestalt an. „Ich tue ihr ja nichts und habe das auch nicht vor." Es ist ohnehin allmählich Zeit für den Aufbruch. Meister Engal hasst nichts so sehr wie Unzuverlässigkeit und dazu gehört auch Unpünktlichkeit.

Margoli auf der Mauer faucht empört. Sie kann nicht sprechen, versteht aber jedes Wort. Der weiße Rabe Kandreo übersetzt oft für sie; wie alle Raben hat er keine Probleme, die Menschensprache zu meistern. Die Gebieterin der beiden, unsere neue Stadthexe, ist die einzige, welche die Katze auch ohne die Vermittlung Kandreos verstehen kann.

Auch jetzt springt Kandreo wieder ein. „Margoli sagt, es geht uns Vertraute sehr wohl etwas an, wenn jemand unserer Gebieterin nachstellt!"

„Ich stelle ihr nicht nach, ich beobachte sie nur!" Mir ist selbst klar, dass der Unterschied da nicht sehr groß ist, aber die beiden Vertrauten gehen mir auf die Nerven. „Sie merkt es ja nicht einmal und ich komme ihr auch nicht zu nahe!" Davor werde ich mich ganz sicher hüten. Ich behalte die Hexe zwar im Auge, aber aus sicherer Entfernung. Direkten Kontakt versuche ich soweit als möglich zu meiden.

„Das ist ja Schlimme daran!" Kandreos Kreischen schmerzt in meinen Ohren. „Wärest du weniger heimlich dabei, könnte sie es dir untersagen. So müssen wir es eben für sie tun!"

Die Katze auf der Mauer gibt ebenfalls ihre Meinung dazu kund. Ich kümmere mich allerdings weder um das Fauchen Margolis noch um das Gezeter von Kandreo, sondern nehme jetzt meine Tasche auf und mache mich auf den Weg zur Werkstatt.

Beide Vertraute begleiten mich noch ein Stück, wohl um sicher zu gehen, dass ich auch ja verschwinde. Kandreo pickt mich einige Male in die Füße und Margoli schlägt ihre Krallen in meine Waden. Dank meiner schweren Lederstiefel stören mich diese Attacken nicht besonders. Schließlich geben die beiden Vertrauten auf und kehren zum Hexenhaus zurück. Immerhin ist ihre Hexe bereits wach und an der Arbeit und wird ihre Gehilfen sehr bald vermissen.

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