Parallelgesellschaft ade

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„Wie weit seid ihr?", erkundigt sich Melchton bei einer Wasserfrau, deren schwarzrote Uniform die Kiemen an den Rippen sowie die Flossensäume entlang der Arme und Beine freilässt und das Abzeichen eines Hauptmanns zeigt.

Die Hauptfrau schüttelt das blassblaue Haar aus dem Gesicht und von den Flossenohren weg und lacht leise. „Die Leibgarde ist vollständig in Gewahrsam, die Sekretäre ebenfalls und die Papiere werden gerade zusammengepackt und abtransportiert. Etwa die Hälfte der Garden und ein Großteil der Sekretäre und der Bediensteten hat sich bereits als Zeugen gemeldet." Sie dreht sich zu dem mir schon sattsam bekannten Bärserker um. „Was gibt's?"

„Hauptmann Liric, alle Mitglieder des Zwölferrats sind gefasst worden."

„Danke!" Sie wendet sich wieder an Melchton. „Wie du siehst, ist die Operation im schönsten Gange. Und wie ich sehe, hast du Hexe und Höllenhund auch in Sicherheit gebracht."

„Ja, das war der Zweck des Ganzen. Wie reagieren die Leute in der Stadt?" Diese Frage gilt einem Kitsunen, ebenfalls in Uniform, dessen sechs buschige Schweife nervös wedeln.

„Sie sind sehr aufgebracht, Melchton", meldet er. Mir fällt erst jetzt auf, dass sich hier alle duzen und recht locker miteinander sprechen. Nun verstehe ich auch, warum Udero nicht mit der Wimper gezuckt hat, als ich ihn geduzt habe. In Gesellschaft mögen Menschenadel und hohe Fabelwesen auf respektvoller Anrede bestehen, aber in der Verwaltung hat der junge Kentaur, der vor einem Jahr überraschend zum obersten Rat gewählt wurde – unter anderem auch von mir – das wohl abgeschafft.

„Dein Oberrat gefällt mir viel besser als der Menschenheini!" Kandreo scheint ähnliche Gedanken zu hegen.

„Vielen Dank für das Kompliment!" Aha, Kentauren haben wohl auch gute Ohren.

„Was sollen wir mit den Leuten machen?", erkundigt sich der Kitsune. „Wenn wir sie heimschicken, wird es sicher zu einem Aufstand kommen."

„Daran habe ich schon vorher gedacht", erwidert Melchton. „Jegord und seine Gruppe bereiten den Theaterplatz vor; sagt den Leuten, dass sie dorthin kommen sollen."

„Nur die Menschen?"

„Nein, jeder, der am Geschick unserer Stadt interessiert ist. Aber achte darauf, dass der Platz nicht überfüllt wird. In den angrenzenden Straßen kann man noch gut mithören."

Der Theaterplatz wird oftmals für öffentliche Bekanntmachungen genutzt und die Bühne, die dort dauerhaft aufgebaut ist, ist mit einem Zauber belegt. Was sich dort abspielt, kann von jedem im Umkreis von einem Kilometer so gehört werden, als befände er sich direkt davor.

„Was wird das?", quarrt Kandreo.

„Eine sehr gute Idee", erwidere ich.

Melchton dreht sich halb zu mir um. „Wieso habe ich nur den Eindruck, du ahnst schon, was ich vorhabe?"

„Hm – weil ich das auch tun würde?"

Melchton seufzt. „Navlin, du bist dir sicher, dass du Schmied werden willst?"

„Ganz sicher!"

„Hach, wenn man mal gute Leute findet ..."

„Das nehme ich jetzt aber persönlich", meldet sich Udero.

Melchton lacht. „Stimmt, so einige brillante Geister habe ich mir doch verpflichten können!"

Kurz bevor wir den Theaterplatz erreichen, taucht Zawei wieder auf und überreicht Melchton Isovres Unterhemd und mir eine zerzauste Margoli.

„Gib sie mir", bittet Isovre und beginnt gleich, das Fell der Katze zu glätten.

„Finger weg!", befiehlt Melchton sofort. „Ich habe auch Margoli untersagt, sich zu putzen! Die Stadtbewohner müssen in aller Deutlichkeit erkennen können, was euch angetan wurde."

„Oh!" Die Hexe betrachtet den Kentaur mit neuem Interesse. „Du bist ziemlich berechnend, weißt du das?"

Melchton kichert. „Als Kind wollte ich Schauspieler werden, Heereskommandant oder Städtebauer. Dann ist mir aufgegangen, dass ich als Politiker all dies gleichzeitig machen kann."

Isovre lacht, während ich frage: „Politiker?"

„Jemand, der sich um die Belange der Polis, also der Stadt kümmert." Diese Antwort kommt wie aus einem Mund von Isovre und Melchton gleichzeitig.

Die Hexe gluckst. „Bei mir zu Hause sagt man in so einem Fall ‚ihr lebt noch lange zusammen'."

„Dann sehe ich das als ein gutes Omen dafür an, dass wir noch lange gut zusammenarbeiten können, Hexe", erwidert Melchton trocken und setzt die Hufe auf die Stufen, die zur Bühne hinaufführen. „Haltet euch fest!"

Das tun wir. Und dann stehen wir auf der Bühne, beziehungsweise Melchton steht und wir sitzen weiterhin auf ihm. Auf dem Platz drängen sich die Stadtbewohner, Menschen und Fabelwesen gut gemischt und warten gespannt auf Melchtons erste Worte.

Die fallen allerdings anders aus als man hätte vermuten können: „Verteilt euch mal so, dass jeder was sehen und hören kann!", fordert er die Menge auf.

Augenblick kommt Bewegung in die Leute. Vor lauter Neugierde vergessen sie ihre Differenzen und ordnen sich so ein, dass es für jeden bequem ist. Tatzelwürmer, Bärserker und Ccubi rücken nach hinten, Barstukken und Kobolde werden nach vorne durchgelassen und Werwölfe, Sphingen und Frostriesen lassen kleiner gewachsene Menschen, Nymphen und Kinder aller Arten auf ihren Schultern Platz nehmen. Augenblicklich macht dieses Beispiel Schule; größere Menschen nehmen Wichtel, Irrlichter und Puken auf. Auf diese Weise wird auch Platz geschaffen für die Wesen, die noch auf den anliegenden Straßen ausharren. Eigentlich sollte mir die schiere Anzahl von Geschöpfen Angst machen, aber es geht erstaunlicherweise alles ruhig und geordnet vonstatten.

Vielleicht liegt das auch an der Truppe schwarzroter und blauweißer Gestalten, die unauffällig, aber nachdrücklich die Strömungen in der Masse steuern. Viele von ihnen haben ebenfalls kleine „Aufhocker" jeglicher Rasse.

„So habe ich mir das damals vorgestellt", flüstert Isovre mir zu, in seliger Unkenntnis des Umstands, dass ihre Worte auf der gesamten Fläche deutlich zu vernehmen sind. „Eine Stadt voller verschiedener Wesen, die sich nicht um Nam' und Art scheren."

Hier und da wird leises Lachen und zögernde Zustimmung hörbar. Ich habe das Gefühl, als ob die Bewohner dieser Stadt anfangen zu begreifen, dass sie alle in erster Linie Bürger Venlas sind und die Unterschiede zwischen ihnen kaum eine Bedeutung haben.

Als jeder seinen Platz gefunden hat, tritt Melchton vor und beginnt zu sprechen: „Ihr seid sicher beunruhigt, weil meine Ulmenläufer das Menschenrathaus gestürmt und Magistrat sowie Zwölferrat festgesetzt haben. Hierbei handelt es sich nicht um einen Umsturz, sondern um das Ende langwieriger Ermittlungen bezüglich der Vorfälle, die schon lange unsere Stadt in Atem halten und von denen viele von euch auch unmittelbar betroffen sind. Wie viele, das werden wir gleich sehen. Bitte hebt die Hand, wenn keines eurer Familienmitglieder oder Freunde jemals von Drogensucht, Zwangsprostitution, Wucherzinsen, Enteignung oder  von diesen rätselhaften Zusammenbrüchen in letzter Zeit betroffen war."

Menschen und Fabelwesen tauschen verwirrte Blicke. Erst nach einer Weile hebt sich zögernd eine Hand, dann noch eine weitere. Melchton wartet über eine Minute ab, aber auch dann sind es weniger als ein Dutzend Hände, die über die Menge herausragen und es wird sehr still, als den Stadtbewohnern das Ausmaß bewusst wird, fast als halte Venla selbst den Atem an.

Bevor sich die Wesen erholt haben und Fragen stellen können, spricht Melchton nun weiter: „Hinter all diesen Vorgängen steckte eine Organisation, die von einem einzigen Mann geleitet wurde. Meine Leute haben viele Hinweise gesammelt und zeitweise untergeordnete Mitglieder festnehmen können, wenn es sich bei ihnen um Fabelwesen gehandelt hat. Aber niemand konnte uns sagen, wer derjenige ist, der das alles lenkt. Ich hatte einige Mitglieder des Zwölferrates im Verdacht, konnte aber keine Beweise finden. Bis vor einem halben Jahr die alte Hexe starb.

Ihr wisst alle, wie sie war. Man ging zu ihr, gab seine Beschwerden an und sie behandelte genau diese. Oder man bat sie einfach um dieses oder jenes Mittel und sie gab es, ohne zu prüfen, ob es angemessen war. Darum hattet ihr erst Probleme, die neue Hexe anzuerkennen, welche die Ursache und nicht die Folgen beseitigt.

Die alte Hexe hat auch für die Drogen gesorgt, die in der Mondscheinschenke im Umlauf waren. Eines davon war Rudlizi, ein leider viel zu gängiges Mittel, um sich Personen gefügig zu machen. Nach dem Tod der alten Hexe gingen die Vorräte zur Neige und die Person hinter diesen Machenschaften war gezwungen, das Mittel selbst zu brauen. Dabei wurden Fehler gemacht, die letztlich zum Zusammenbruch und manchmal auch den Tod der Opfer führten. Als Kräuterkundige erkannte unsere neue Hexe die Ursache, erriet den Täter dahinter und wollte ihn zur Rede stellen. Daraufhin wurde sie in den Kerker geworfen und bedroht, damit sie in Zukunft die Drogen herstellt. Sie weigerte sich und ihr seht hier, wie man sie behandelt hat!"

Ach darum hat Melchton der Hexe keine Pause gegönnt. So ziemlich jeder kennt Isovre und sie nun mit zerrissener, beschmutzter Kleidung, ohne Hut auf dem verstruwwelten Haar, mit nur einem Stiefel und in sichtlich geschwächtem Zustand zu sehen zeigt den Leuten deutlicher als Worte, was sie im Kerker hat erdulden müssen.

„Navlin hier ist der Sache auf eigene Faust nachgegangen und hat die Hexe gefunden", fährt Melchton fort und hält Isovres Unterhemd. „Das hier sandte er mir dann durch die Katze der Hexe."

Dank der Magie der Bühne kann jeder lesen, was ich geschrieben habe. Hoffentlich habe ich keine Schreibfehler in meiner Botschaft.

„Wunderbar, war schon immer ein Traum von mir, meine Unterwäsche der ganzen Stadt zu präsentieren." Isovre ist auch nicht sehr angetan von Melchtons Aktion. Ich gebe aber zu, dass er die Leute damit beeindruckt.

Aus dem Stimmengewirr erhebt sich eine Frage: „Aber – warum? Was hatte Namokor für ein Motiv?"

Das habe ich mich auch gefragt. Aber ich verstehe von den Angelegenheiten der Stadt auch kaum etwas. Melchton hat das besser durchschaut.

„Zum einen stammt Namokors Vermögen aus Drogenhandel, Zuhälterei und Wucherei, wozu er die Mondscheinschenke einsetzte", erklärt er. „Das verschaffte ihm einen Platz im Zwölferrat, denn der setzt sich aus den Reichsten zusammen und nicht aus freiwillig gewählten Volksvertretern. Um vom Rat zum Oberrat gewählt zu werden, gab er den Mitgliedern Begünstigungen – vor allem Rudlizi, mit dem sie sich junge Opfer für ihre Vergnügungen gefügig machen konnten. Als Oberrat konnte er dann seine Aktionen verschleiern und Ermittlungen stoppen, die in seine Richtung führten. Und da wir Fabelwesen nicht bei Menschen eruieren dürfen, war er somit vor Verfolgung sicher. Bis er ein Fabelwesen einsperrte und dieses mich davon in Kenntnis setzte." Da etliche Menschen sichtlich verdutzt dreinblicken, setzt er hinzu: „Navlin ist ein Höllenhund und untersteht somit meiner Verantwortung. Und wie auch immer die Gerichtsbarkeit bei Menschen aussieht, bei uns Fabelwesen bedeutet es, dass wir uns um unsere Leute kümmern und ihnen beistehen, wenn sie in Gefahr sind."

Daraufhin brandet ihm eine Welle der Zustimmung entgegen, dass selbst Melchton überrascht ist. Erst nach einer längeren Weile kommt er wieder zu Wort.

„Ich werde euch alles genau erklären, was geschehen ist. Aber jetzt ist es dringlicher, Hexe und Höllenhund Ruhe und Erholung zu gönnen. Zuvor will ich euch noch etwas mitteilen, dann wird Udero von den Sandfeldern die beiden nach Hause bringen und wir können hier die Vorfälle in aller Ausführlichkeit beleuchten.

Was hier geschehen ist, hat mir – und ich hoffe auch euch – sehr eindringlich gezeigt, dass unsere geteilte Regierung ein massiver Fehler gewesen und ich gedenke das nun zu ändern. Venla braucht eine einige Regierung für alle seine Bürger, eine Verwaltung, in der Fabelwesen und Menschen zusammenarbeiten und es keine Stände und Ränge mehr gibt. Dafür werde ich jetzt sorgen."

Melchton lächelt etwas, als er die misstrauischen und beunruhigten Blicke sieht, die nun auf ihn gerichtet sind und führt seine Absicht genauer aus: „Ich werde für einige Monate die Verwaltung der Stadt als einziger Oberrat übernehmen. In dieser Zeit werde ich die Abteilungen und Ämter neu organisieren und zusammenführen. Spätestens in einem Dreivierteljahr werden dann freie Wahlen durchgeführt werden, an denen jeder Bürger dieser Stadt teilnehmen darf und in denen sowohl der Stadtrat als auch das neue Stadtoberhaupt auserkoren wird. Den Fabelwesen ist dieses Verfahren bereits bekannt, für die Menschen dürfte es neu sein, aber sie werden sich bestimmt dareinfinden. In Zukunft wird die Stadt dann nur von einem Wesen geführt werden und ob es sich dabei um einen Menschen oder ein Fabelwesen handelt, liegt in eurem Ermessen. Für euch ist es wichtig zu wissen, dass diese Wahlen dann regelmäßig stattfinden werden und ihr somit einen Oberrat, der seine eigene Art bevorzugt, wieder abwählen könnt."

Melchton schweigt einen Moment, dann sagt er ruhig: „Ich hoffe, ihr seid alle damit einverstanden, denn in der Hinsicht lasse ich nicht mit mir reden. Dafür habt ihr mein Versprechen, dass ihr mich nur eine kurze Weile ertragen müsst."

Damit löst er heftige Debatten auf dem Platz aus. Es wird wohl noch etwas dauern, bis Melchton mit Unterstützung der Personen, die sich inzwischen auf der Bühne versammelt haben – ich erkenne Sarode, Meister Engal, Fult, Zawei, Liric und weitere Personen in schwarzrot oder blauweiß – Namokors Machenschaften so vollständig aufdecken kann, wie sie bislang bekannt sind.

Udero stupst mich an. „Kommt runter und auf meinen Rücken. Jetzt geht's erstmal nach Hause!"

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