۞ 32. кαρiτєℓ - єiท ℓєisєs gєsταєท∂ทis

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Evelyn ging durch die Straßen. Ihre Hände lagen in ihren Taschen, ihr Blick war gesenkt.

Sie grübelte.

Gerade bog sie um eine Ecke und schlenderte weiter durch die Gasse. Gedankenversunken kickte sie die wenigen Steine vor sich her, die in ihrem Weg lagen.

Doch plötzlich stoppte sie. Sie wartete einen kurzen Moment, in dem sich nichts tat. Dann drehte sie den Kopf nach hinten und schärfte den Blick.

"Komm raus."

Ihre Worte hallten durch die Gasse. Auch jetzt blieb es ruhig, nur dass sich ein einziges Geräusch den Weg durch die Stille bahnte. Es handelte sich um die immer lauter werdenden Atemzüge einer Person.

Evelyn hob das Kinn und wendete ihren Körper in die Richtung des Fremden. Sie setzte einen Schritt, als sich der Mensch zeigte. Talis, ein schmächtiger Kerl, trat hinter einer großen Holzkiste hervor. Seine Gestalt zitterte, während seine geweiteten Augen auf Evelyn gerichtet waren.

"Wieso verfolgst du mich?" Evelyn verschränkte die Arme, behielt den Abstand jedoch bei.

Talis schreckte bei ihren Worten zusammen. Er zitterte mehr als nur normales Espenlaub.

"Wenn du nicht gewillt bist, zu antworten, wieso hast du dich dann gezeigt?", meinte Evelyn in scharfem Ton.

Talis begann zu stottern. Er suchte die richtigen Worte, fand sie letzendlich doch nicht und schloss den Mund wieder. Evelyn war indes näher getreten, sah ihn eindringlich an und hob eine Augenbraue. Talis sah man deutlich an, dass ihm das Herz in die Hose gerutscht war. Schlotternd stand er vor ihr.

Talis schien neben seiner normalen Schüchternheit auch Angst in ihrer Nähe zu empfinden. Abseits der Nacht brauchte man vor ihr jedoch keine Angst zu haben, weswegen sein Verhalten am hellichten Tag höchst ungewöhnlich war. Er hatte sogar so viel Angst, dass er seinen eigenen Körper nicht mehr kontrollieren konnte.

Und dann endlich begriff Evelyn. Jetzt weiteten sich ihre Augen, dann trat sie einen kleinen Schritt zurück.

Es war in der Nacht von Ed's Tod gewesen. Sie saß allein auf dem Marktplatz, schrie um ihren Meister und achtete in diesem einen Moment nicht auf ihre Umgebung. Gerade als sie hatte aufstehen wollen, hatte sie ihn gesehen. Den Jungen mit dem Umhang, der sie geradewegs durch die tiefe Nacht angeblickt hatte.

Das war er. Talis.

Evelyn musterte ihn. Eine zarte Gestalt besaß er, genauso helle Haut wie seine weißen Haare und seine hellen Augen. Und die Rolle des Aura-Sehers hatte er inne, das stand nun fest. Obwohl dieser wohl nur sehen konnte, ob eine Person gut oder schlecht war, hatte er bei ihr wohl die komplette Rolle aufgedeckt. Ob das ein Versehen gewesen war?

Doch sie verstand das Größte und Offensichlichste immer noch nicht. Wenn er die Identität das Serienmörders kannte, wieso verriet er sie nicht? Und wieso hielt er sich in dessen Nähe auf? Für Evelyn klang das nach reinem Selbstmord.

Mittlerweile, da etwas Abstand zwischen die beiden gekommen war, zitterte Talis nicht mehr so stark. Erschaunlicherweise wurde er sogar erstaunlich ruhig und gefasst. Er nahm allen Mut zusammen und formte Worte. "Verzeih mir, dich beschattet zu haben."

Evelyn war verdutzt, wie friedlich und zart seine Stimme klang. Umso mehr er ihr das Gefühl vermittelte, einem Engel gegenüber zu stehen, desto mehr verwunderte es sie, warum er sie nicht verriet.

"Was war deine Absicht?", meinte Evelyn ruhig.

Talis zögerte einen Moment lang, bevor er antwortete. Er sah sie lange an und entschied sich dann für die richtigen Worte.
"Ich wollte nur sehen, wie du damit umgehst."

"Womit umgehen?" Evelyn blickte kritisch.

"Mit der ganzen Situation", flüsterte Talis und knetete seine Hände, "Erst wird dein Leben auf den Kopf gestellt, du musst Dinge tun, die du nicht möchtest. Und dann verlierst du die Person, die dir den Weg durch diese Dunkelheit hätte weisen können. Ein Mensch sollte dadurch furchtbare Verzweiflung durchleben, aber du hast nicht aufgegeben."

Talis blickte schüchtern zu Boden. In den letzten Tagen musste er Evelyn sehr genau beobachtet haben, sonst wären ihm diese kleinen Dinge nicht aufgefallen.

"Ich meine nur, dass-", er stockte kurz und konzentrierte sich auf seine zarte Stimme, "Ich habe hier schon sehr viele Auren gesehen. Vor dir ist das jetzt sicher kein Geheimnis mehr. Aber deine unterscheidet sich stark von allen anderen. Ich kann sie weder dem Guten noch dem Bösen zuordnen. Du bist unbekannt für mich."

Evelyn hatte die Luft eingezogen und sah ihn mit trüben Augen an. Er wusste so schrecklich viel und dennoch hatte sie ihn bis jetzt noch kein einziges Mal als Bedrohung angesehen.

Es war seltsam. Eigentlich sollte sie ihm gegenüber eine große Mordlust verspüren, doch Talis wirkte auf eine gewisse Weise unwissend, obwohl er viel Wissen mit sich trug. Vielleicht besaß er selbst auch einfach eine durch und durch reine Aura. Wenn sie eine Farbe gehabt hätte, wäre sie sicherlich schneeweiß gewesen.

Evelyn schloss die Augen und öffnete sie kurz darauf wieder. Sie verstand ihn immer noch nicht. Sie ging davon aus, je reiner das Wesen eines Menschens war, desto reiner waren auch seine Absichten. Demzufolge sollte Talis sie schon längst an die Dorfbewohnern verraten haben.

"Ich finde das", Talis suchte die richtigen Worte, knetete seine Hände umso doller und sah dann endlich wieder vom Boden auf, "faszinierend."

Das war es also. Bewunderung. Faszination. Der Drang, Neues zu ergründen und in seinen Tiefen zu verstehen.

"Ich möchte zumindest so lange am Leben bleiben, bis ich noch andere Spieler mit deiner Aura gefunden habe", sprach Talis weiter. Seine Augen funkelten begeistert und seine Lippen zierte ein ehrliches Lächeln.

Evelyn betrachte ihn immer noch. Jetzt hatte er ihr ehrlich alles offenbart.

"Nun kenne ich dein Ziel. Was wirst du tun?" Ihre Augen blitzten.

"Nur das, was ich bisher auch getan habe", meinte Talis und nickte zuversichtlich. Wenn er damit auch Stillschweigen meinte, sollte es Evelyn recht sein.

Bevor sie von ihm zurücktrat, hielt sie kurz inne und überlegte, ob es ratsam wäre, ihn nach anderen Auren zu fragen. Sicherlich hatte er sich nicht jede Nacht die selbe Aura der selben Person angesehen. Andererseits kannte er ihre wahre Identität. Sie spielte mit der Aura unbekannt ganz klar nicht für das Dorf, also würde er ihr wahrscheinlich auch keine Tipps in Bezug zu anderen Bösen geben.

"Na dann", meinte Evelyn und drehte sich wieder herum. "Bis bald." Mit diesen Worten spazierte sie die Gasse entlang, bis sie vorn im die Ecke verschwand.

Talis stand noch länger in der Gasse und sah Evelyn hinterher. Als sie um die Ecke verschwunden war, atmete er tief und langsam aus. Mit wackligen Beinen setzte er sich an den Rand und zog die Knie heran. Er musste diese Begegnung erst einmal verdauen. Wer hätte gedacht, dass es ihm schon so bald möglich gewesen war, mit ihr höchstpersönlich sprechen zu dürfen?

Wegen seiner Schüchternheit hätte er sich selbst schlagen können. Da hatte er einmal die Möglichkeit, ihr seine Gefühle zu gesehen und er tat es nicht. Alles, was er herausgebracht hatte, war, dass er ihre Aura faszinierend fand.

Und so ganz die Wahrheit gesagt, hatte er auch nicht. Natürlich war er ihr gefolgt, um zu sehen, wie sie mit der Situation klarkam, doch eigentlich hatte er sie einfach nur beobachten wollen. Ihren Blick, wenn sie nachdachte. Ihre Gestalt, wenn sie grübelte. Alles daran faszinierte ihn, nicht nur ihre Aura.

Talis seufzte tief und legte die Stirn auf seine Knie. Er wurde nicht von Amor verliebt. Wie war es ihm dann möglich, trotzdem solche Gefühle zu hegen? War das ein Fehler des Spieles? Wen dem so sein sollte, fand er das nicht witzig. Gefühle sollten niemals Mittel zum Zweck werden, erst Recht nicht, um den Beobachter zu belustigen.

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"Sehr geehrte Spieler, der Saal ist der neuen Spielergröße heute angemessener gestalten worden."

Als Evelyn den Raum der Anklagen betrat, hatte dieser sich tatsächlich erheblich verändert. Die Tribünen waren weg, stattdessen thronte in der Mitte des gigantischen Raumes ein kreisrunder Tisch. Er war hoch und aus dickem Holz gefertigt. Um ihn herum zählte Evelyn vierzehn Stühle. Die meisten davon waren bereits besetzt.

Evelyn nahm sich einen Platz zwischen Pixie und Fairy, ziemlich genau gegenüber von Silly, Aidan und Gulli.

Sie sah kurz in die Runde, denn etwas schien ihr erheblich Unbehagen zu bereiten. Die Zahl vierzehn war merkwürdig, um eine solch gravierende Änderung vorzunehmen. Bei zehn oder fünfzehn Spielern hätte sie es verstanden, doch vierzehn war keine solche Zahl. Vielleicht war fünfzehn auch tatsächlich die Grenze gewesen und nun wurde sie mit dem Tod von drei Spielern, die gleichzeitig gestorben waren, überschritten.

Doch was Evelyn eindeutig mehr in Betracht zog, war die Tatsache, dass der Beobachter vom heutigen Morgen abzulenken versuchte. Denn sie hatte den Fremden noch nicht vergessen.

Und die Tatsache, dass er es so versuchte zu vertuschen, verriet ebenfalls, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Charakteränderung mehr auf sie ausüben konnte. Lorian hatte zwar im Laufe des Spieles seine Familie vergessen, dem war sie sich seit dem Fest bewusst geworden, doch das konnte auch eine Änderung sein, die von Anfang an geplant gewesen war.

Der Beobachter hatte momentan also keinen Zugriff auf ihre Gefühle und Gedanken. Ein seltsames Gefühl, fast ein wenig wie der Gedanke an Freiheit.

In diesem Moment fielen die Türen mit einem Plauzen zu.
"Wir beginnen mit den Anklagen!", rief der Beobachter und wurde danach wieder still.

"Wir sind so wenige", flüsterte Fairy und sah von der Tischplatte auf, "Müssen wir noch Menschen anklagen?"

"Scheint so", meinte Silly mit achselzucken, "Wie du weißt werden wir dazu gezwungen."

Fairy gab einen leisen Ton aus einer Mischung von Frustration und Perspektivlosigkeit von sich.

"Ich akzeptiere es, wenn man ein zartes Gemüt besitzt", sprach plötzlich Gulli mit seiner kratzigen Stimme, "aber ich schätze die Charakteränderung schon länger so ein, dass sie uns zumindest ein bisschen Stärke für dieses Spiel zuspricht. Schließlich blicken wir dem Tod hier Tag und Nacht ins Auge. Ohne eine gewisse Stärke würde die menschliche Psyche dabei beschädigt werden, so wie es damals bei Mallow der Fall gewesen ist. Jedoch sind wir schon etwas weiter im Spiel fortgeschritten, ja man könnte uns sogar als die Auserwählten bezeichnen.
Und genau deswegen scheint es mir suspekt, wie du dieser Sonnenschein bleiben kannst, während um dich herum Massenmorde passieren."

Die anderen betrachteten den alten Herren. "Meine heutige Anklage richtet sich an dich", sagte er und blickte sie an. Bevor jemand anderes etwas hätte sagen können, setze er hinzu: "Das selbe gilt auch für Cherry und William. Ihr seid beide sehr still, die eine ganz engelsgleich und der andere absolut ängstlich."

Die beiden schauten in seine Richtung, ließen sich allerdings nicht durchschauen.

"Das ist ein dummes Argument", ging Silly dazwischen, "Demnach müssten auch Talis, Pixie und Chap angeklagt werden. Sie sind nunmal still. Das liegt in ihrer Natur."

" 'Es liegt in ihrer Natur'. Du klingst dabei eher so, als würdest du bei den beiden über ein Tier sprechen, als über einen Menschen", funkelte Gulli. Er besaß erstaunlich aufgeweckte Augen für sein Alter.

"Ich wollte sie ja auch nicht in Schutz nehmen", meinte Silly verächtlich, "Und da wir noch mehr Anklagen brauchen, können wir dort gleich ansetzen."

"Ach, willst du gar nicht mich anklagen?", meinte Gulli und zog eine Augenbraue hoch.

"Sie lenkt nur von sich selbst ab", warf Pitsch ein, der ein wenig lustlos auf seinem Platz lag.

"Dann stell bitte eine bessere Anklage auf", meinte Silly mit scharfen Augen, "Dann musst du dich nicht länger beschweren."

Pitsch zuckte mit den Schultern und schien den Anschein zu machen, nicht länger an der Diskussion teilhaben zu wollen.

"Schmollen macht es auch nicht besser", sagte Silly verärgert.

"Lass ihn doch", meinte Gulli, "bei weiterer Inaktivität wird er ebenso angeklagt." Er verschränkte die Arme, während er in die stumme Runde schaute.

Allem in allem war die Stimmung ungewöhnlich gereizt. Und niemand wusste so genau, wieso.

"Evelyn? Aidan? Ihr seid doch sonst ganz groß dabei", meinte Silly etwas mürrisch. Sie blickte Evelyn vom anderen Tischende aus aus.

"Keine Ahnung", gab Evelyn zu.

Mit großen Augen betrachtete Silly sie. "Echt jetzt?"

"Mich beschäftigt die vergangene Lynchung mehr als die, die noch ansteht."

Das war nachvollziehbar. Und vielleicht war es auch das, weswegen die meisten nicht ganz bei der Sache waren.

"Wir sollten uns besser darüber austauschen", meinte Aidan und lehnte sich nach hinten.

Evelyn, die kurz den Kopf auf die Arme gelegt hatte, schaute zu ihm.

"Da war ein anderer", begann Fairy mit schlechtem Bauchgefühl, "Das ist ein seltsames Gefühl, ich weiß auch nicht, wie ich es beschreiben sollte."

"Als ob Gott plötzlich nicht mehr allein ist", sagte Silly und schmunzelte, "Ja, ich verstehe, was du meinst."

Evelyn war sich nicht sicher, ob sie offen und ehrlich sprechen sollte. Sie nahm den Blick von Aidan und ertappte Pixie und Talis, die sie bereits einige Zeit musterten.

"Eins steht zumindest fest", sagte sie dann, um das unwirsche Gefühl in ihrem Magen loszuwerden, "unser Beobachter ist um einiges besser als der, der sich ebenfalls so nannte."

Die anderen nickten einstimmig. Die Blitzüberraschung hatten einige immer noch nicht vollständig verdauert.

"Aber mal so eine Frage", meinte Fairy und legte die Hand ans Kinn, "Wenn es noch einen Beobachter gibt, heißt das dann, dass es zwei für eine Runde gibt oder jeweils einen für zwei Runden?"

"Du meinst doch nicht etwa-", begann Silly geschockt.

"Nun gut! Das ist der Saal der Anklagen", rief der Beobachter, "hier sollen Sie einander anklagen und nicht über diese Welt philosophieren. Natürlich fühle ich mich geschmeichelt, als ihr Gott angesehen zu werden." Er hüstelte erfreut.

Und dank diesen Worten schienen die Überbleibsel des Dorfes für einen kurzen Moment wieder die alten zu sein.

"Gahahaha", lachte der alte Gulli mit kratzbürstiger Stimme.

"So haben wir das sicher nicht gemeint!", rief Silly verärgert.

"Von einem Gottesstatus sind sie noch ein bisschen weit entfernt", meinte Aidan grinsend und verschränkte die Arme.

Wenn der Beobachter imstande war, zu lächelt, hätte er es in diesem Moment sicher getan. Doch so wie er jetzt war, sah man seine Gestalt nicht und sein Lächeln kam bei den Dorfbewohnern nicht an. Zumindest hatte Evelyn das Gefühl, dass er er tat und das war schließlich auch etwas Wert.

Die restlichen Anklagen gingen schneller vorbei, als sich am Anfang vielleicht hätte absehen lassen. Und auch die Stimmung war zum Schluss nicht mehr am Tiefpunkt gewesen, so wie am Anfang der Diskussion.

Was Evelyn jedoch nach den Anklagen erwartete, hätte sie am Anfang des Tages nicht für möglich gehalten.

Alles begann damit, dass sie vor dem Rathaus auf die Straße trat und sich kurz umsah. Ihr Blick blieb sogleich an etwas haften, das nicht in die Landschaft passte. Es war der Körper eines Jungen, groß, nicht viel größer als sie, mit blonden Haaren und dem nimmerendenden Grinsen.

"Du hast mir doch schon einmal aufgelauert."

Aidan stieß sich von der Wand ab und schlenderte hinüber. "Da du heute so offen in den Anklagen gesprochen hast, dachte ich, wir könnten das hier fortsetzen."

"Geht es dir gut?", meinte Evelyn unwirsch, "Seid wann unternehmen wir außerhalb unseren Pflichtaufgaben etwas gemeinsam?"

"Ich sprach lediglich vom Austausch einiger Informationen", meinte Aidan und hob in typischer Geste den Kopf, "und das eben nicht unter aller Augen."

Evelyn dachte kurz nach und betrachtete Aidan dabei ganz genau, jedoch ließ auch er sie nicht aus den Augen.

"Also gut", sagte sie, "wir gehen ein Stück." Was diesen Sinneswandel herbeigeführt haben könnte, war ihr nicht bekannt. Vielleicht wollte sie einfach ein kleines Psychospielchen spielen oder an wertvolle Informationen kommen, die ihr auf ihren nächtlichen Jagden hilfreich waren. Aber dass Aidans Meinung zu den Geschehnissen sie interessierte, konnte es wohl schlecht sein. Ganz sicher.

"Also", begann Aidan ohne Umschweife, "bist du in der Sekte?"

Evelyn blieb beäugte ihn ungläubig von der Seite aus. So direkt wurde dieses Gespräch? Was hatte er davon, dies zu wissen? Doch da er frage, war er dem Anschein nach nicht in der Sekte, da er es sonst bereits gewusst hätte. Anderseits war vielleicht genau das seine Finte, schließlich konnte er Teil der Sekte sein ohne dass sie es wusste.

"Du machst dir zu viele Gedanken", sagte Aidan prompt. Er hatte die Hände in den Nacken gelegt und sah Evelyn von der Seite aus an.

Evelyn stieß ein frustriertes Seufzen aus. "Nein, ich bin nicht in der Sekte."

"Gut, ich nämlich auch nicht." Aidan schien sich über diesen Fakt zu freuen und Evelyn belächelte dies ein wenig. Jedoch stutzte sie einen Moment später.

"Du sagtest, du seist nicht in der Sekte?", wiederholte sie.

Aidan schüttelte den Kopf.

"Aber das-", sie unterbrach sich selbst und versank in Gedanken. Sie fand es generell seltsam, dass sie noch niemand in die Sekte aufgenommen hatte. Somal sie viele in den Anklagen als gefährlich einstuften und der Sektenführer demnach doch versuchen sollte, einen starken Spieler auf seine Seite zu ziehen.

Doch nun war auch Aidan, dem sie, auch wenn sie ihn immer noch nicht recht leiden konnte, zugestehen musste, in den Anklagen ein starker Gegner zu sein, ebenfalls nicht in der Sekte.

Die zwei stärksten des Dorfes durften nicht in dieses Team.

Aidan betrachte sie während ihrer Überlegung immer noch von der Seite aus, während seine Augen glänzten.

"Da jeder in die Sekte aufgenommen werden kann, muss der Sektenfüher etwas gegen uns haben", schlussfolgerte Evelyn laut und sah danach zu ihrem Begleiter, "Aber da wir beide starke Kläger sind, muss es etwas anderes sein. Etwas, dass nicht unbedingt mit der Rolle im Zusammenhang stehen muss. Etwas wie Stolz."

Aidan sah sie nur an und dachte über ihre Worte nach, ehe sich ein Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete. "Der Sektenführer ist zu stolz und möchte also ohne uns gewinnen."

"Ja, ganz genau", sagte Evelyn mit großer Euphorie in der Stimme.

"Ein sehr gewagtes Unterfangen", meinte Aidan und schnalzte, "auf Kosten der ganzen Mitglieder."

"Wohl wahr", meinte Evelyn und schüttelte den Kopf, "Also, wer könnte so viel Stolz besitzen?"

"Ich denke, da kommt nur eine Person infrage."

"Und wir denken an die gleiche Person?"

"Ich denke doch", sagte Aidan, "Es ist Silly."

Evelyn lächelte breit und nickte voller Einverständnis.

Die beiden hatten angehalten, sich zueinander gewendet und gemeinsam ihren Verdacht bestätigt. Als Evelyn diese Tatsache bemerkte, trübte sich der Glanz in ihren Augen ein klein wenig und sie wandt sich wieder nach vorn.

Sie räusperte sich, als Aidan zu ihr aufschloss. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was für eine seltsame Situation dies eben gewesen war, doch es fühlte sich merkwürdig an. Sehr merkwürdig.

Gemeinsam gingen die beiden ein Stück weiter, in der niemand etwas sprach. Zu gern hätten beide gewusst, ob der andere über ihre fantastische Kombination oder die wundersame Euphorie nachdachte, die sie eben verspürt hatten.

Nach einer Weile des Schweigens, durchbrach Aidan sie. "Pitsch hat dem Rotkäppchen viel zu offensichtlich hinterher getrauert."

Evelyn verzog keine Miene, um sicher zu gehen, zumindest keine Unsicherheit zu zeigen. Allerdings nickte sie dann.

"Ja", meinte sie, "seitdem hat er einen vollkommenen Wandel durchlebt. Ich habe mich am Tag Eleras Tod mit ihm unterhalten."

"Hab ich gesehen", merkte Aidan an und grinste.

Evelyn schalt sich innerlich dafür, ihm wieder etwas Neues verraten zu haben.

"Ich denke, für heute haben wir genug zusammen getragen-"

"Fairys Rolle kennen wir ja schon etwas länger", sprach Aidan ohne sie zu beachten weiter, "allerdings hat sie als holde Maid ihr, nenne ich es mal zweites Leben, schon verspielt, indem sie Jack für sich sterben gelassen hat."

Evelyn kickte einen Stein vor sich hin. "Verrätst du nicht etwas zu viel?", merkte sie an, "Schließlich gehören wir auf unterschiedliche Seiten."

"Was natürlich nie bewiesen wurde", sagte Aidan kurz angebunden.

"Was willst du denn damit sagen?" Evelyn wunderte sich. Aidan schien offenbar das erste mal eine Sache zu hinterfragen, die für sie beide immer schon selbstverständlich gewesen war und nach dessen beide bisher ihr Handeln ausgerichtet hatten. Das jetzt, zu einem so späten Zeitpunkt im Spiel, zu hinterfragen, war skurril. Und dennoch quälte sie das selbe Gefühl wie Aidan.

Sie schüttelte den Kopf. "Vergebens", meinte sie leise, in Gedanken an ihre jetzige Rolle. Evelyn war keine Dorfbewohnern mehr. Der Serienmörder gewann allein, das war eine der wenigen festen Fakten, an denen sich Spieler in diesem Spiel festkrallen konnten.

Aidan schwieg. Evelyn hätte gerade sehr gern einen Blick in seine Gedanken geworfen, jedoch schien ihr dies verwehrt zu bleiben.

"Neben Silly und Fairy ist Gulli wohl ein offenes Buch", sprach er und sah sie kurz an. Er wollte wohl galant aus dieser Situation navigieren. Nicht schlecht.

"Es ist gemein, eine Rolle nach dem Alter abzulesen, aber zustimmen muss ich dir trotzdem", meine Evelyn schmunzelnd, "Der Greis kann niemand Junges sein."

"Eine seltsame Rolle", meinte Aidan nachdenklich, "Hat am Anfang wohl zwei Teams bekommen, Team A und B mit jeweiligen Spielern, und hat erst gewonnen, sobald die gegnerische Gruppe ausgelöscht ist. Demzufolge handelt er vollkommen wahllos nach seinen eigenen Vorstellungen der Teamaufteilung und macht dabei keinen Unterschied ob er nun Wolf oder Dorfbewohner gegenüber steht. Sehr merkwürdig."

"Es gibt auch noch andere merkwürdige Rollen", meinte Evelyn schmunzelnd, "Alle Rollen der unbekannten Seite sind seltsam."

"Ja?", meinte Aidan und hob eine Braue, "Welche denn noch?"

"Zum Beispiel das Paar", begann sie, "Sie müssen allein gewinnen, komme, was wolle. Aber wie erkennen sie sich? Welche Chance haben sie, wenn sie lediglich aus zwei Dorfbewohnern bestehen? Das ist sehr unfair, wenn du mich fragst."

"Interessierst du dich schon immer für die Fairness dieses Spieles?" Er schärfte den Blick.

"Das war nur eine Anmerkung", wies Evelyn hin und reckte das Kinn.

"Also interessierst du dich doch nur für dich und deine eigene Rolle?" Aidan begann boshaft zu lächeln.

Evelyn wollte etwas erwidern, als sie einen Moment darauf verstand, worauf Aidan aus war. Wie hatte sie auch nur einen Moment vergessen können, dass es sich immer noch um Aidan handelte, provokant und nervig. Jedoch war es das erste Mal, dass sie willig drauf einging.

"Sicher", meinte sie, lächelte und spähte einen Moment später zu ihm hinüber, um seinen Blick aufzuschnappen. Und tatsächlich war dies eine größere Genugtuung als sonst, wo sie seine Provokation doch immer nur als lästig aufgenommen hatte. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob Aidan nicht doch einfach nur ein kleiner Sadist war, doch seinem herzlichen Lächeln zu urteilen, welches er gerade an den Tag legte, lag die Möglichkeit nicht ganz so weit entfernt, dass er damit vielleicht auch etwas anderes, nicht ganz so bösartiges, hatte erreichen wollen.

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