۞ 36. кαρiτєℓ - τrαgiscнє vєrωirrυทg

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Evelyn saß auf einem Ast und ließ die Beine schaukeln. Das Rudel hatte unter ihr das Lager aufgeschlagen und alle Wölfe gammelten im Schatten der hohen Bäume. Sie sah Aidan die Pfoten übereinander geschlagen neben Chap liegen, dem Alpha des Rudels. Sie hatte sich seine Rolle zuvor schon relativ exakt vorstellen können, jedoch hatte Aidan ihr zum Ende des Nachmittages noch einmal alle Rollen klar und deutlich offen gelegt.

Cherry lag auf ihrem Wolfsrücken und betrachtete durch die Baumkronen den tiefschwarzen Nachthimmel. Sie schloss kurz die Augen und rappelte sich danach kurzerhand auf.

"Wer ist heute dran?" Ihre Stimme klang fordernd und hochtrabend. Es war unglaublich, dass Cherry die Fassade des stillen und lieben Mädchens tagsüber so lange und stabil aufrecht erhalten konnte. Sie besaß tatsächlich das Talent, das gesamte Dorf zu täuschen. Auch Evelyn hatte nicht mehr Verdacht als gegen jeden anderen hier gehegt.

"Wünsche?", fragte der Alpha und hob seinen Kopf von den Pfoten.

"Gulli", meinte Aidan und blickte den Alpha an, ohne den Kopf zu heben.

"Wieso denn Gulli? Heute hat er unseren Verdacht gestützt." Es war Marco, der rotbraune Wolf, der sich zu Wort gemeldet hatte. Evelyn beäugte ihn ganz besonders. Sie achtete auf jeden seiner Schritte, jede seiner Bewegungen und seine Mimik. Am liebsten hätte ihm sofort den Hals umgedreht.

"Weil er der Greis ist." Aidan blickte gelangweilt.

"Ach, ist das so?", meinte Marco gereizt, jedoch lag die Tatsache fast schon auf der Hand. Cherry und Chap hatten es ebenfalls schon mitbekommen.

"Von mir aus", meinte das Werwolfsweibchen kurzerhand, "Ich frage ja gar nicht mehr nach."

Chap sah etwas bedenklicher aus, nickte jedoch wenig später und stand auf. Sofort taten es ihm die anderen Wölfe gleich. Während die Wölfe durch das Dickicht liefen und sich Aidan ganz hinten einreihte, sah er kurz nach oben zu Evelyn, die sich lautlos durch die Baumkrone bewegte. Sie war sogar nur für einen einzigen kurzen Moment sichtbar gewesen, ehe sie wieder hinter Gestrüpp verschwand.

Am Rande des Waldes hielt Evelyn an und kniete sich auf den Ast unter ihr. Sie beachtete, wie die Wölfe durch die Straßen zogen und irgendwann hinter einer Ecker aus ihrem Sichtfeld verschwanden. Sie nahm auf dem Ast Platz und wartete, bis sie wiederkamen. Aidan sagte, dass die Wölfe in letzter Zeit öfter auch nach dem Feldzug wieder zusammen kamen und die restliche Nacht noch gemeinsam verbrachten. Und da ihr Ziel unter den Wölfen lag, wollte sie lieber erst nach dem nächtlichen Zug die Initiative ergreifen, damit das Rudel noch seine volle Kraft für die Jagd besaß. Andererseits würden es diese für den alten Gulli nicht wirklich benötigen. Doch sie wollte lieber auf Nummer sicher gehen, schließlich war es keinesfalls auszuschließen, dass Gulli nicht doch der Sekte angehörte und ein größerer Kampf entbrannte.

Nach einer Weile tauchte der erste Wolfskopf wieder hinter einem Haus auf. Evelyn stand langsam auf und wechselte den Ast. Jetzt stand sie auf der Rückseite des Baumes. Das Rudel durchquerte unter ihr den Rand des Waldes mit Cherry am Ende. Aidan hatte gute Arbeit geleistet.

Die nächsten paar Sekunden wurden nur von drei Personen wirklich wahrgenommen. Aidan, der sich schon umgedreht hatte, als Evelyn noch im Sturzflug war, Cherry, die ihren aufgeschlitzten und triefenden Bauch erblickte, ehe ihr Sichtfeld schwarz wurde und Evelyn selbst, welche mit einem blutigen Messer neben der Wolfsleiche stand. Chap und Marco drehten erschrocken ihre Köpfe, erblickten die taumelnde Cherr, wie sie zur Seite kippte und die feurig glänzenden Augen ihres Mörders. Sie wendeten ihre Körper, fletschten die Zähne und sprinteten auf sie zu. Evelyns Umhang war eben erst zu Boden gefallen, als sie sich erneut in die Lüfte begab und in den Wald verschwand. Die beiden Wölfe bissen ins Leere.

"Verdammt!", knurrte Marco und sah zu Cherry. Ihre Augen waren bereits farblos und leer. "Wieso hast du dich nicht bewegt?! Du standest direkt neben ihm! Du hättest diesen Kerl erreichen und zerfetzen können!"

Aidan sah ihn unbeteiligt an. "Du überschätzt mich."

"Red keinen Scheiß!", schrie er und kam wütend in seine Richtung, "Was treibst du für ein Spiel?! Seit der ersten Nacht bist du einfach nur seltsam! Seltsame Entscheidungen, seltsame Gewohnheiten, alles an dir ist suspekt!"

Aidan tat nichts. Er sah ihn nur an. Marco fauchte und wollte ihn jeden Moment attackieren, allerdings hielt er sich widerwillig selbst davon ab. Er blickte auf Cherry, beziehungsweise das, was von ihr übrig geblieben war und ging fluchend von den beiden Wölfen weg. Seine Pfoten zitterten leicht, bevor sie den Boden berührten.

Chap sah ihm nach und sah Aidan eindringlich an. Er hatte keine Worte für ihn übrig. Ob er ihn auch verdächtigte, konnte Aidan nicht sagen.

Beide verabschiedeten sich ohne ein Wort. Chap ging in Richtung Dorf, Aidan lief in den Düsterwald. Die Blätter streiften sein glattes Fell und noch ein wenig Tau gemischt mit Regen tropfte von ihnen herab. Dass die Nacht so düster war, war manchmal tatsächlich ein Segen. So sah niemand die Tiefe seiner Augen und konnte auch nicht ablesen, ob seine Gedanken gerade in der Wirklichkeit oder weit, weit weg waren. In diesem Moment war es zweiteres.

Kurze Zeit später traf er auf der Lichtung ein, auf der Evelyn und er schon während der Suche im Wald gemeinsam gesessen hatten. Zwar einseitig widerwillig, aber trotzdessen zusammen.

Evelyn saß bereits da. Sie kniete an der kleinen Quelle und sah dem Spiegel des Mondschein im ruhigen Wasser zu. Sie selbst wurde ebenfalls davon getroffen und sah so hell erleuchtet aus wie ein Engel. Welche Ironie für einen Mörder.

Aidan setzte sich ohne ein Wort zu ihr und ließ die Füße ins Wasser sinken. Evelyn blickte nicht auf, lächelte aber.

"Das ist zu kalt", stellte sie fest.

"Du hast deine Hände doch auch eben ins Wasser gehalten."

"Das ist etwas anderes."

"Und was wäre das?"

Evelyn sah weiter auf ihre beiden Hände, auf denen sich frische kleine Perlen aus Wasser befanden. "Ich versuche, das Blut abzuwaschen", sagte sie leise, "Du versuchst nur, dich zu erkälten."

 "Ich muss ebenfalls ein wenig runterkommen", gestand Aidan und unterbrach seine immer stolze und gerade Haltung das erste Mal, indem er seine Ellenbogen auf die Knie legte und einen Buckel machte. Evelyn sah von ihren Händen auf und betrachtete ihn. Er sah erschöpft aus. Das erste Mal, dass sie ihn so sah. Evelyn überwandte den Abstand von einigen Zentimetern, indem sie an ihn heranrutschte und einen Arm und ihn legte. 

"Wir schaffen das schon", meinte sie sanft und versuchte damit auch sich selbst Mut zu machen. Als sie ihr Studium als Lehrling begonnen hatte, hatte sie gedacht, dass die Charakteränderung sie verändern würde, sodass sie die täglichen Morde schaffen würde. Vielleicht sogar ohne schlechtes Gewissen. Doch dieser Gedanke war naiv gewesen. Sie spürte starke Skrupel und ihr Gewissen hatte nicht begonnen, schwächer zu werden, sondern drückte mit der Zeit immer mehr. 

Die beiden saßen noch etwas länger an der Quelle  und sahen auf die Spiegelung des Mondes im Wasser hinab. Irgendwann richteten beide sich auf und schlichen in elendig langsamen Tempo durch den Düsterwald. Dabei achteten sie peinlichst genau darauf, einen großen Bogen um Marco zu machen. Oder beziehungsweise das, was von ihm übrig geblieben war.

∴━━━✿━━━∴

Es war in einem kleinen stickigen Keller, als die Sekte sich in dieser Nacht zusammenfand. Es waren fünf Personen. Sie saßen in einem kleinen Kreis und eng beieinander, zum einen um sich zu wärmen, zum anderen um ihr täglichen Ritual durchzuführen. Vor ein paar Tagen hatte es angefangen, dass die Sektenmitglieder und die Sektenführerin diesen Brauch einzuführen begannen, in dem jeder auf den Knien saß und einheitliche Worte mit den anderen sprach. Es war fast das einzige, was ihnen geblieben war. Die Hoffnung, dass doch irgendwann alles gut werden würde, auch wenn ein Mitglied nach dem anderen von ihnen starb. 

"Wieso können wir nicht einfach für die selbe Person stimmen?", fragte eine einsame Stimme, nachdem alle ihren Chor beendet hatten, "Wir hätten schon vor langer Zeit gewonnen."

"Das haben wir doch geklärt", sprach die Sektenführerin und nahm die Person mit glänzenden Augen in Anschein, "Wir verfügen über kein Abspracherecht wie etwa die Verliebten oder die Wölfe. Das ist unser Hindernis."

"Das ist nicht fair", hauchte die Person in die stickige Luft des Kellers, "Andere Parteien haben kein Hindernis, dass sich ihnen so stark in den Weg stellt."

"Jede Partei hat ihre Schwächen und Lücken", erwiderte die Sektenführerin.

"Die Wölfe haben keine."

"Doch, natürlich auch sie. Es gibt viele Dorfrollen, die ihnen etwas entgegensetzen können oder die nur dafür existieren, Wölfe ausfindig zu machen. Jede Partei hat seine Schwächen, ob unsere nun die größte oder kleinste ist, ist egal, wenn man es nur vermag, diese Schwäche zu finden und auszunutzen." Die Sektenführerin überzeugte sich mit einem prüfenden Blick, ob ihr Mitglied sie verstanden hatte. Es hatte.

"Dann lasst uns diese Nacht noch etwas genießen", sagte sie und stand auf. Die restlichen Mitglieder taten es ihr gleich und folgten ihr die Treppe hinauf. Gemeinsam liefen sie über den Marktplatz und ein wenig weiter in Richtung Düsterwald. Als sie ihn betraten, stoppte die Sektenführerin abrupt. Die Mitglieder spähten hinter ihrem Rücken hervor und sogen scharf die Luft ein. 

"Lasst uns umdrehen", sagte die Sektenführerin gedämpft und kehrte Marcos Leiche den Rücken zu. Egal, was sie heute taten, so wirklich verlor die gedrückte Stimmung nicht an Vorherrschaft in ihrer Sekte. Aber bald war das nicht mehr so. Bald hatten sie gewonnen. Bald hatten sie sich aus diesem Spiel befreit. Ja, ganz bald mussten sie nicht mehr leiden.

∴━━━✿━━━∴

Am nächsten Morgen liefen nur wenige Menschen am Düsterwald vorbei. Der Großteil kannte das heutige Mördersopfer schon. Gullis Tod sorgte dahingegen schon für mehr Aufsehen, als einige Dorfbewohner seine Leiche entdeckten. Der Greis hatte damit sein Leben verloren und eine weitere Partei war gestorben. Der Marktplatz schien heute allerdings etwas lebhafter. Die übrig gebliebenen Dorfbewohner, welche gestern morgen einen absoluten Zusammenbruch erlitten hatten, waren heute wieder guter Dinge. Natürlich war das nur im Verhältnis anzusehen, das Spiel mit all seinem Druck lastete nichtsdestotrotz auf den Schultern des Einzelnen. Evelyn bekam trotzdem das Gefühl, dass sie und Aidan etwas damit zu tun hatten. Als Lorian, Mia und Carter das Dorf verlassen hatten, ging es den Dorfbewohnern schlecht. Der Zusammenbruch war genau in der Zeit gewesen, in welcher das Dorf kein verliebtes Paar gehabt hatte. Ob das tatsächlich nur Zufall war, konnte sie nicht sagen.

Als die Angeklagten das Podest betraten, schauderte Evelyn. Pixie stand tatsächlich dort oben. Hoch hinaus sah sie über ihre Köpfe hinweg und schluckte tapfer. Der Beobachter sagte am heutigen Tage nichts und ließ die Lynchung einfach von statten gehen. Stumpf und ohne Vorwarnung tauchten die Hologramme mit den Stimmzahlen auf. Als Evelyn die Zahlen betrachtete, weiteten sich ihre Augen. Pixie hatte die meisten Stimmen. Sie wollte nach vorn gehen und bei ihr sein, doch ihre Beine bewegten sich keinen Zentimeter. Sie waren wie Stahl, wie Beton.

Pixie starrte ebenfalls auf ihre Zahl und konnte es nicht ganz fassen. Die anderen zwei Angeklagten verließen das Podest, laut aufatmend. Und Pixie schloss die Augen. Wie konnte man eine solche Nachricht verdauen, ein solches Todesurteil?

Als sie sie wieder öffnete, sah sie den weiten, blauen Himmel über sich. Eine einzige Wolke spielte in diesem blauen Meer und zog sich dahin. Allmählich wurde ihr Blickfeld allerdings schwarz und sie konnte die Wolke nicht weiter verfolgen. Es war schade.

Über Evelyn Wangen rollten dicke Tränen, als sich ihre Beine endlich aus ihrer Starre lösen und sie zum Podest rennen konnte. Pixie war nach hinten gekippt, ohne einen Schrei, ohne auch nur irgendeinen anderen Laut als das Aufschlagen auf dem Boden. Evelyn weinte um ihre Freundin. Sie waren nicht das verliebte Paar gewesen und auch keine Geschwister und trotzdem weinte sie. Ihre Freundschaft hatte dieses Spiel überstanden, hatte sich gegen die Charakteränderung und ihre Rolle gestellt und war stark genug gewesen, um bis hier hin zu bestehen. Das war das einzige, was sie Pixie mit auf den Weg hatte geben können. Den Weg, den sie vielleicht auch bald gehen würde. In diesem Moment jedoch wäre sie ihr am liebsten direkt gefolgt. 

Die Dorfbewohner sahen Evelyn mitleidig an. Ihr Ausbruch war etwas untypisches für ihre Art und bis auf eine Person aus diesen Reihen hätte wohl niemand diese Reaktion für möglich gehalten. Was jedoch noch schlimmer war als ihr Gefühle, war die Holorole, welche über alldem schwebte.

 ╭────────╯•╰────────╮
PIXIE
Rolle: J e r e m i a s
Tod: L y n c h u n g

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Evelyn hätte ebenfalls geweint, wenn Pixie ein Wolf gewesen wäre. Dass sie jedoch nicht einmal das war, schien in diesem Moment völlig irreal zu sein. Schließlich hatte das Dorf bereits öfter einen Unschuldigen getötet, also müsste es doch gelernt haben. Doch das Dorf hatte nicht gelernt. Sie hatten den selben Fehler wiederholt, weil sie dumm waren. Noch dümmer waren natürlich die, die Pixie angeklagt hatten. Evelyn bekam eine furchtbare Wut, welche sich in ihrem Magen zusammenbraute und langsam aufstieg. Sie hätte Gulli, Talis und Marco anschreien können, doch da zwei von ihnen bereits tot waren, würde das schwer fallen. 

Irgendwann bewegten sich die ersten Dorfbewohner wieder. Sie hatten den Schock verdaut und gingen ihres Weges. Sie hatten den Tod Pixies bereits abgehackt. Evelyn hasste sie dafür. 

Auf dem Heimweg legte sich ein Arm um sie und drückte sie fest. Das war der ausschlaggebende Moment dafür, dass sich ihre Wut in etwas anderes verwandelte. Es war Trauer. Kein Schock, wie sie ihn eben bei der Lynchung erlebt hatte, sondern simple Trauer um ihre beste Freundin. Kaum hatte Aidan die Tür hinter ihr geschlossen, sackte sie zusammen. Dicke, perlige Tränen kullerten ihr über die Wangen. Wieso weinte sie in den letzten Tagen so viel? Früher hatte sie das nie getan. Sie hatte sich verändert. Das half jedoch auch nicht, um gegen diesen furchbaren Schmerz in ihrem Herzen anzukommen. Die Tränen waren das einzige Mittel, mit welchem sie es vermochte, ihre Gefühle gerade zum Ausdruck zu bringen. Und diese hörten lange Zeit nicht auf. Wie lange genau, wusste keiner der beiden. Aidan saß jedoch die ganze Zeit stumm neben ihr und klopfte ihr während besonders schlimmen Heulkrämpfen einmal sachte auf den Rücken. 

Als Evelyn nach etlichen Stunden langsam wieder Luft bekam und atmen konnte, ohne direkt wieder in Tränen auzubrechen, standen beide auf. Den Rest des Nachmittages verbrachten sie im Innenhof. Der Innenhof, der nicht länger ihr Anwesen von dem von Pixie, Leo und Mary trennte. Nein, der Innenhof gehörte nun ihr ganz allein und war so ruhig und still wie noch nie zuvor. Diese Stille war eine Schande. Der Innenhof sollte voller Leben nur so strotzen, doch er tat es nicht. Auch wenn Evelyn so dachte, vermochte sie es nicht, eigenständig diese Stille zu durchbrechen. Stumm saßen sie und ihr Liebster auf einer Bank und dachten über Dinge nach, die Stille benötigten. Zu einem fröhlichen und euphorischem Entschluss kam dabei keiner der beiden. 

"Aidan", flüsterte Evelyn nach einer Zeit und sah zu Boden, "Denkst du, wir haben uns tatsächlich nur verliebt, weil das Lorians Rolle war? Dass das alles eigentlich gar nicht unsere Entscheidung ist, sondern ebenfalls ein Teil dieses Spieles. Eine Charakteränderung, von der der Beobachter so oft spricht."

"Ich weiß nur, auch wenn das hier eine Charakteränderung ist, weiß ich, was ich fühle", meinte er ehrlich und betrachtete ihre Seite, "Unsere Gefühle wurden verändert, das ist möglich. Nichtsdestotrotz sind sie deswegen trotzdem existent und keine Fantasie."

"I-ich bin mir dabei nicht mehr so sicher", ihre Stimme zitterte.

"Hör auf, sowas zu denken", sagte Aidan barsch und griff nach ihrem Kinn, um es zu sich zu drehen. Ein tiefer Blickkontakt entstand. "Vertraue einmal auf deine Gefühle! Das ist neu für dich und macht dir deswegen Angst. Sie sind erst in diesem Spiel aufgetaucht."

"Erst hier aufgetaucht?"

Aidan lehnte sich zurück und sah in den Himmel. "Du bist nicht die einzige, die sich an früher erinnern kann. Carter konnte es auch, genauso wie ich. Und ich erinnere mich an dich, wenn ich zurückblicke." Er machte eine Pause und musste sich ein Lächeln eingestehen. "Früher warst du lebenslustig und sehr engagiert was das Spielen anging. Aber von dem einen auf den anderen Tag habe ich dich nicht mehr so oft gesehen. An deinen typischen Stellen, wo ich dich vorher antraf, warst du plötzlich nicht mehr. Es hat lange gedauert, bis ich dich danach mal wieder sah, doch das war nicht das selbe. Du hattest kein Lächeln mehr auf den Lippen und schienst generell keine Freude mehr empfinden zu können. Dafür allerdings auch keine Trauer. Keinen Hass. Überhaupt nichts. Bis heute frage ich mich, was dir damals passiert ist."

Evelyn staunte über sein Geständnis. Ein kleiner Junge mit blonden Haaren war ihr außer Lorian in ihrer Kindheit nicht in Erinnerung geblieben. Anscheinend hatte sie ihn damals tatsächlich nicht einmal bemerkt.

"Mein Vater ist verschwunden." Evelyn blickte zu Boden. "Mit ihm habe ich das Baumhaus da gebaut. Von ihm habe ich diese Jacke bekommen. Mit ihm habe ich die Leidenschaft zu Spielen geteilt, er hat mir vieles erst beigebracht. Aber plötzlich war er weg. Ich bin aufgestanden und in die Küche gegangen, doch da saß er nicht. Ich habe überall gesucht, im Schlafzimmer, im Innenhof, überall. Ich habe sogar in der ganzen Stadt an Türen geklopft, aber da schien sich nicht mal mehr jemand an ihn zu erinnern. Ich habe Pixie danach davon erzählt, sie glaubte mir, dachte aber selbst, dass ich schon immer allein gewohnt habe und zurecht gekommen bin. Es war einfach nur gruselig." Die Tränen waren im Laufe ihrer Schilderung zurück gekehrt. Aidan biss sich auf die Unterlippe.

"Nur weil er verschwunden ist, heißt dass nicht, dass er tot ist", versuchte er es.

"Niemand kannte ihn mehr. Er war wie ausradiert", schluchzte sie, "An manchen Tagen habe ich seine Existenz sogar angezweifelt. Dass ich verrückt bin und der Rest des Dorfes Recht hatte. Ein Hirngespinst. Niemals wirklich real."

Aidan verstand ihre Gefühle gut. Es tat ihm furchbar weh, sie so zu sehen. Nichtsdestotrotz fand er die Geschichte merkwürdig. "Ich glaube nicht, dass du fantasiert hast", sagte er ruhig, "Dafür hattest du auch damals schon einen zu klaren Verstand. Ich schätze einfach, dass der Beobachter schon damals über unser Dorf gewacht hat."

Evelyn blinzelte die Tränen weg. "Du meinst, er hat eine Charakteränderung durchgeführt? Beim Rest des Dorfes?"

"Das wäre naheliegend."

"Aber wieso betraf mich das nicht? Das ist unlogisch."

"Nicht umbedingt", er stand auf, "Weißt du, ich glaube nicht an Magie. Das alles muss also eine wissenschaftliche Erklärung haben. Ich denke an sehr fortschrittliche Technologie, die Holorole ist der Beweis. Und Technologie hat Schwachstellen, Fehler. Wenn Emotionen oder Gedanken also stärker sind als dieses Stück Technik, könnte es möglich sein, seine Erinnerungen zu behalten."

"Bleibt nur die Frage, was mein Vater wichtiges an sich hatte, um aus den Köpfen vom Rest des Dorfes gelöscht zu werden."

Aidan legte die Hand an sein Kinn. "Das ist die Frage. Möglich wäre, dass er von diesem Spiel Wind bekommen hat. Vielleicht fand er den Beweis, um diese übermenschliche Überwachung zu belegen."

"Oder er war in irgendeinem Fall eine Bedrohung für das Spiel, wie auch immer das möglich sein sollte."

"Auf jeden Fall hilft es nicht weiter, auf diese Weise zu spekulieren. Wir gewinnen dieses teuflische Spiel und fragen den Beobachter selbst."

Evelyn nickte, erhob sich und lächelte ihrem Freund mit erhobenen Haupt entgegen. Sie würden gewinnen. Um jeden Preis würden sie dieses Geheimnis lüften.

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