16 - Nathan - Es ist alles okay

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Kleines TW an dieser Stelle (wegen Flashbacks, Panikattacken & Gewalt)

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Aleyna ist unglaublich.

Das Lied ist unglaublich.

Ihre Stimme dazu ist unglaublich.

Eigentlich hat sie nicht gesagt, dass sie noch singt, doch ich denke, das hat sie in der Hektik vergessen. Ich konnte ihre Nervosität bis hierher spüren und wusste irgendwie, dass ich was tun muss, da das hier sonst niemals so gut geworden wäre. Aleyna singt über Verlust, Schmerzen, Gefühle die sie nicht zeigen und nicht zulassen kann und darf, Dinge die sie nie wird erleben können. Erinnerungen die gegen ihren Willen verblassen, ein Riss, der sich in ihrem Herzen breitgemacht hat.

Ich frage mich, wie viel Zeit und Kraft sie in dieses Stück investiert hat. Sie scheint es mit sich selbst zu verbinden, sonst könnte sie es nie so bühnenreif rüberbringen. Ich überlege krampfhaft, mit was sie es verbinden könnte, als mir die Antwort plötzlich wie Schuppen von den Augen fällt. Caine hat es sogar mal erwähnt. Aleyna's Vater ist tot.

Ich schliesse daraus, dass Ethan und Aleyna beiden ihre Jugend entrissen, auf den Kopf gestellt und neu geordnet wurde. Dass die Zwillinge von einem Tag auf den anderen ein komplett neues Leben führen mussten, und sie kein Zurück hatten. Sie hatten keine Wahl.

Unbewusst fängt mein Hirn ebenfalls an zu arbeiten, und es war absehbar, dass es früher oder später auf meinen eigenen Vater zurückführen würde. Ich versuche so wenig wie möglich in diesem Song mit ihm zu verbinden, doch das ist schwieriger als gedacht. Immerhin wurde Ray und mir auch unsere Jugend entrissen. Dad hat alles darangesetzt, dass es uns schlecht ging.

Während andere wunderschöne Wochenenden und Ferien irgendwo auf dem Planeten Erde erlebt haben, mit Freunden und einer glücklichen Familie, saß ich zu Hause auf dem Zimmerboden und habe dafür gebetet, dass Dad erst so spät nach Hause kommen würde, dass er sich gar nicht mehr für seine Kinder interessieren würde. Ich habe anfangs meine blauen Flecken noch gezählt, neue Markiert um zu wissen, wie schlimm es genau war. Doch irgendwann habe ich aufgehört. Prellungen, Verstauchungen und sogar Brüche kamen dazu. Ich war kaputt.

Der Tag, an dem ich für kurze Zeit ins Heim kam, um dann zu meiner Mutter geschickt zu werden, war eigentlich mein Todesurteil. Und ich habe es Ray zu verdanken, dass ich noch da bin.

„Nate?"

Eine leise Stimme reißt mich aus meinen Gedanken, und ich schaue ruckartig auf. Schwarz umrandete, eisblaue Augen schauen mich besorgt an, und er da realisiere ich, dass Aleyna fertig ist. „Nate, was ist los?" Ich schlucke und versuche, das Zittern meiner Hände zu verstecken, doch so einfach ist das gar nicht. Vor allem nicht, wenn Aleyna mich genau scannt. „Es ist alles gut, mir geht's einfach nicht bestens. Du warst gut, sehr gut" stottere ich, und schliesse kurz die Augen. Sie darf mich in dem Zustand nicht sehen.

„Ich werde mit den Jungs Rücksprache halten und dann sagt dir irgendjemand in der nächsten Woche Bescheid, ob du dabei bist oder nicht. Du sollest jetzt besser gehen, ich will dich nicht anstecken." Aleyna sieht mich überrumpelt an und verstaut dann langsam ihre Gitarre. „Okay, also... äh, dann geh ich mal" murmelt sie, schließt den Koffer und steht auf. Vor der Türe dreht sie sich nochmal zu mir um, und ich versuche so gleichgültig wie möglich auszusehen, während mich mein inneres immer tiefer und immer schneller in den Abgrund zerrt.

„Sicher, dass alles okay ist?" Aleyna's Stimme ist sanft, und ich merke, wie ich in Versuchung gerate. Doch ich kann nicht. Ich darf nicht. „Ja, alles gut Pulcino. Geh jetzt." Aleyna schluckt hörbar als ich sie Pulcino nenne, und ich weiss selbst nicht so genau, weshalb. Es war das Codewort von Javiers Dealer, und irgendwie gefiel es mir. Es hat was an sich, und ich glaube nur Aleyna und ich wissen genau, was es mit dem Wort eigentlich auf sich hat. Was die Geschichte dahinter ist.

Aleyna nickt, dann dreht sie sich um und verlässt lautlos das Zimmer. Als die Türe wieder zufällt springe ich fast auf und laufe zügig auf die Toilette des Musikraums, wo ich das Wasser voll aufdrehe und mir eine Menge davon ins Gesicht klatsche. Meine Brust engt sich zusammen, und mein Luftmangel wird grösser. Ich krame in meiner Hosentasche fast wimmernd nach der Schachtel, doch als ich nur noch den Beipackzettel finde, bricht irgendwas in mir zusammen.

Ich fange an, unkontrolliert zu zittern, und spüre kaum, wie kleine Tränen meine Augen verlassen. Ich ringe nach Luft, und langsam wird meine Sicht von schwarzen Pünktchen geschmückt. Hart pralle ich mit dem Rücken gegen irgendeine Wand, und ich sacke auf den Boden. Mein Herz hat sich von dem Wort „Rhythmus" verabschiedet und trommelt unkontrolliert gegen meine Brust. Mit jedem Schlag fühlt es sich so an, als würde meine Brust gleich explodieren, und jede Bewegung schmerzt.

Ich schreie ohne es wirklich zu merken laut aus, und für einen kurzen Moment weitet meine Lunge sich wieder etwas, doch das ist nur von kurzer Dauer. Als Strafe, dass ich versucht habe dagegen anzukämpfen, bekomme ich noch weniger Luft, und meine Sicht wird immer wie unklarer. Ich verliere die Beherrschung über meinen Körper und merke fast nicht mehr, wie ich langsam der Wand entlang auf den Boden rutsche, und erst als mein Kopf etwas Kaltes berührt, verstehe ich, dass ich auf dem Boden liege.

Ich verkrampfe meine Hände in meinen Haaren und rolle mich zu einer Kugel zusammen, in der Hoffnung, es würde alle Gedanken die auf mich einprallen abdämpfen. Ich kneife die Augen fest zusammen und hoffe so, der Realität entfliehen zu können. Doch leider macht es das nur noch schlimmer. Ich kehre in mein altes Zimmer zurück, und höre die gedämpften Schreie meines Vaters, die vom Wohnzimmer zu mir hochdringen.

In meinen Armen liegt Ray, der das alles noch nicht so versteht, und ich drücke ihn fest an meine Brust, damit er ja nicht anfängt zu schreien. Ich wimmere in seine Haare, als mein Vater eine weitere Flasche an der Wand zerschlägt, und bete zu Gott, dass er nicht auf die Idee kommt, er könnte noch Kinder haben. Ray klammert sich in meinen Pulli und sieht zu mir auf, als ich meinen Kopf kurz hebe um nachzuschauen, ob mein Zimmer auch wirklich abgeschlossen ist.

„Nate" nuschelt er, und obwohl wir beide noch viel zu jung sind für all das, wünsche ich mir einfach nur, dass Dad meinen kleinen Bruder in Ruhe lässt. „Es ist alles gut" flüstere ich zurück, und lächle so breit ich kann, um meinem Bruder ein gutes Gefühl zu geben. Rays Augen fangen an zu glitzern, und er lächelt so breit zurück, dass sich mein Herz für einen kurzen Moment unglaublich weit öffnet, und Ray am liebsten verschlingen würde. Er entblößt mir einige Zahnlücken, und mit Tränen die mir die Wangen runter rollen streiche ich über die rosigen Hamsterbäckchen meines Bruders.

Ein weiteres Klirren ertönt, und Rays Lächeln verliert etwas an Kraft, weshalb ich alles tue, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Er soll mit einer Person in seinem Leben aufwachsen können, die ihn liebt. Plötzlich nähern sich polternde Schritte, und ich weite erschrocken die Augen. Er kommt. Er kommt zu mir. Schnell richte ich mich auf und laufe so schnell ich es mit meinen elf Jahren tun kann quer durch mein Zimmer. Ray purzelt mir etwas unbeholfen nach, da er nicht mit meinem Tempo mithalten kann, und zusammen öffnen wir meinen Kleiderschrank.

Ich hole wie immer den Karton hervor, der mit Kissen und einer kleinen Decke ausgestattet ist, und hebe Ray hinein. „Du musst jetzt wieder ganz still sein, okay? Egal was passiert. So wie immer. Ich bin bald wieder da." Ray nickt und sieht mich mit seinen grossen Augen an, während ich in der Steckdose innerhalb meines Kleiderschranks das Kinderlämpchen einstecke, damit es für Ray nicht zu dunkel ist. Dann schiebe ich den Karton, der oben offen ist, wieder in den Schrank zurück und winke Ray zu, dessen Augen sich schon langsam schließen.

Gerade als ich es geschafft habe, meinen Schrank zu schließen, fängt meine Türe an zu rütteln, und ich stelle mich verängstigt in die hinterste Ecke meines Zimmers. Mein Vater knackt das Schloss, wie immer, und kommt dann rein. Ich sehe sofort, dass er betrunken ist, weshalb es nicht so lange dauern wird, bis er einfach einschläft. Trotzdem halte ich einen schmerzverzerrten Schrei zurück, als seine Hand das erste Mal auf meine Wange trifft.

„Nate!"

Irgendwas rüttelt an mir, und mein Körper fängt an, um sich zu schlagen. Das Bild meines Vaters vor mir verschwindet, und ich spüre, wie jemand gegen meine Arme ankämpft. Sobald es geht lasse ich locker und versuche mit all meiner übriggebliebenen Kraft, meine Augen zu öffnen. Tatsächlich klappt es, und zuerst sehe ich nur weiss. Jemand packt mich an den Schultern und versucht, mich aufzurichten, und ein kleines Ächzen entweicht der Person.

„Nate, Nate bist du da?" fragt mich jemand, und irgendwoher kenne ich die Stimme, doch mir will nicht einfallen, woher. Meine Sicht wird langsam etwas schärfer, und immer wie mehr kehrt das bedrückende Gefühl in meiner Lunge zurück, was heisst, dass ich immer wie mehr in die Realität zurückkehre. Plötzlich ist meine Sicht unglaublich scharf, und für einen kurzen Moment entdecke ich Aleyna, die selbst den Tränen nahe vor mir kniet und versucht, mich in Sitzposition zu halten.

Dann fange ich an, reflexartig nach Luft zu schnappen, was Aleyna sofort auffällt. „Nate sieh mich an" befiehlt sie, und legt ohne nachzudenken eine Hand an meine Wange. Eine unglaubliche Wärme strömt aus ihr heraus, und für einen ganz kurzen Moment vergesse ich meine Atemnot. „Nate, bitte schau zu mir" wimmert Aleyna plötzlich unterdrückt, und schluchzt leise auf.

Ich versuche ihr den Gefallen zu tun und suche ihren Blick mit meinen Augen. Sie kommt mir etwas entgegen, und als sich mein Blau mit ihrem verfängt, herrscht sofort so eine Art Verbindung zwischen uns. Es scheint als sei plötzlich ganz klar, was geschehen muss, was Aleyna tun muss. Und sie spürt es auch. Meine Knie habe ich immer noch an meine Brust gezogen, und ich zittere auch noch, doch langsam fängt meine Lunge an, sich wieder etwas mit Luft zu füllen.

Aleyna umfasst mein Gesicht mit beiden Händen und fährt mit dem Daumen auf meiner Haut vorsichtig auf und ab. Dabei unterbricht sie den Augenkontakt kein einziges Mal, und auch wenn ich nicht will, dass ausgerechnet Aleyna hier ist, versuche ich krampfhaft, meine ganze Konzentration auf dieses Blau zu lenken. Es ist der einzige Anhaltspunkt den ich jetzt gerade finden kann, und ich greife wie ein Ertrinkender danach.

„Es ist alles gut" flüstert Aleyna immer wieder, und als das Zittern langsam nachlässt, schaffe ich es sogar, Aleyna eine Träne wegzuwischen, die sich auf ihre Wange verirrt hat. Immer noch fühle ich mich extrem gestresst, und ich drohe immer wieder, Aleyna zu entgleiten, doch es scheint, als wisse sie genau was sie tut, und es beruhigt mich. Es beruhigt mich zu wissen, dass jemand bei mir ist, der weiss was er tut.

Aleyna lächelt zögerlich, als sie meinen Daumen auf ihrer Wange wahrnimmt, und ich schlucke laut. „Was machst du hier" krächze ich, und gleichzeitig deutet Aleyna mir, nicht zu sprechen. „Ich habe deiner Aussage, dass es dir gut geht, nicht vertraut und bin zurück. Dann habe ich plötzlich Schreie gehört, und dich so gefunden." Gegen Ende bricht ihre Stimme wieder ganz leicht, und ich schlucke erneut.

„Danke" flüstere ich, und erhalte einen strengen Blick von Aleyna. Diese fährt weiter mit ihren sanften Berührungen auf meiner Wange, und langsam spüre ich, wie sich die Erschöpfung in mir breitmacht. Das ist die Nachwirkung der Panikattacke. Erschöpft schliesse ich die Augen, und wäre Aleyna nicht da gewesen, wäre ich einfach so nach vorne gekippt. Ich lehne mich mit der Stirn gegen ihr Schlüsselbein, und spüre, wie ihre Arme sich vorsichtig um meinen Oberkörper legen, während meine locker an ihrer Taille hängen. Meine Kraft reicht nicht aus, um sie ganz zu umarmen, so gerne ich es auch tun würde.

„Ich bin müde" flüstere ich gegen Aleyna's Haut, und sie nickt leicht. „Gibst du mir deine Schlüssel? Ich fahre dich nach Hause." Ich nicke nur und greife langsam in meine Jeanstasche. Dann halte ich Aleyna den Schlüssel für mein Auto hin, und sie stemmt mich langsam hoch. „Du musst mir helfen" murmelt sie, legt meinen Arm um ihre Schulter und versucht, mit mir aufzustehen. Ich versuche so gut es geht zu helfen, und langsam verlassen wir das Bad, den Musikraum und schlussendlich das Schulhaus.

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Erstmals einen etwas grösseren Einblick in Nate und Rays Vergangenheit. Was haltet ihr davon?

Heute kommt das Kapitel etwas früher, da ich in einer Stunde zum Bahnhof fahre, wo ich dann mit dem Zug zum Flughafen fahre :)

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen <3

- Xo, Zebisthoughts

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