Kapitel 9

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Alles um mich herum wackelte und vibrierte. Mir war bitterkalt. Ich konnte das innere eines Autos sehen. Das verkleidete Dach, die Sitze, das Armaturenbrett und...Stephen. Er war über mich gebeugt. Sein Gesicht war blutig. Seine hellblauen Augen stachen durch das Rot noch heller hervor. Seine Unterlippe war aufgeplatzt. „Sie ist wach" hörte ich ihn sagen. Er sprach mit jemanden, doch ich schaffte es nicht meinen Kopf zu drehen. Mein Hals tat weh. „Hörst du mich Dove?"
„Du siehst schrecklich aus" schaffte ich krächzend von mir zu geben.
Er seufzte und lächelte. Konnte ich da etwa Erleichterung sehen?
„Keine Sorge, sie ist ganz die alte."
Ganz die alte. Er sprach von mir, als würde er mich schon eine Ewigkeit kennen.
Ein Schauer durchzog meinen Körper. Wieso war mir so wahnsinnig kalt? „Haben wir noch eine Decke?" Fragte Stephen. Ich wusste noch immer nicht mit wem er sprach, aber ehrlich gesagt war es mir im Moment egal.
„Sie sollte ihre Sachen ausziehen, sie ist Klitschnass."
Sachen ausziehen? Klitschnass? Was ist hier passiert? Stephen drehte sich wieder zu mir um. „Zieh deine Kleider aus, dann wird dir schneller wärmer."
Ich nickte und tat was er wollte. Das Kostüm klebte so sehr an meinem Körper, dass ich es ganz ohne Hilfe nicht schaffte, es mir über den Kopf zu ziehen. Ich hatte keine Kraft. Keine Kraft um mich aufzusetzen. Keine Kraft um meine Gliedmaßen zu bewegen. Keine Kraft um zu atmen. Die Schmerzen in meinem Körper waren unbeschreiblich. Jede Bewegung versetzte mir einen Stich in jedes Organ. Stephen sah wie ich kämpfte und bat mir seine Hilfe an. Ich musste sie annehmen. Welche Wahl hatte ich denn? Entweder warm und halbnackt unter der Decke, oder nass und eiskalt. Variante eins gefiel mir am besten. Er zog das Oberteil von meinem Körper und warf es auf die Seite. Die Hose konnte ich bis zu den Waden selbst ausziehen, den Rest machte er. Ich hatte ja noch den Bodysuit an, welches auch runter musste. Das hatte ich total vergessen. Das hautenge Ding musste mit viel ziehen und reißen von mir abgenommen werden. Es fühlte sich an als würde mir meine Haut abgezogen werden. Als das Teil endlich weg war, saß ich nur noch in Unterwäsche da. Stephen sah mich geschockt an, als er an mir runter sah. Ich folgte seinem Blick und entdeckte Kratzer, offene Stichwunden und viele blaue Flecken. Schnell bedeckte ich mich mit der Decke und legte mich wieder hin. Auf der Seite konnte ich nicht liegen, da das offene Fleisch wahnsinnig weh tat.
„Wo sind wir?" Fragte ich ihn schwach.
„Gleich beim Quinjet" ertönte es von der Fahrerkabine. War das...?
„James?" Fragte ich so laut wie es mir möglich war.
„Ich bin hier, Dove" sagte er monoton. Erleichtert atmete ich aus und schloss die Augen.

„Geht es dir gut?"
„Mir gehts besser als dem Doc. Der hat ganz schön was abgekriegt."
Ich sah wieder zu Stephen. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Hatte ich mir den Kopf gestoßen? „Was ist passiert?" Fragte ich nun Stephen.
„Erinnerst du dich nicht?"
„Ich wollte wissen was mit dir passiert ist." Das sprechen war anstrengend. Die Stimme die aus mir raus kam, hörte sich nicht an wie meine.
„Habe schon schlimmeres durch."
Ich hatte gesehen, dass er seine Hand die ganze Zeit festhielt. Ich streckte ihm meine entgegen und wartete. Er hielt mir die falsche entgegen und ich schüttelte den Kopf. Beim Anblick seiner Hand kamen die Erinnerungen schlagartig wieder hoch. Ich setzte mich auf und bekam Panik. „Ragor! Ist er... Ist er—„
„Nein, er ist uns entwischt. Aber dafür haben wir Klaue." Stephen legte seine Hand auf meine Schulter und versuchte mich wieder runter zu drücken, doch ich wollte nicht. „Wieso? Wo ist er hin?"
„Ich weiß es nicht Dove..." sagte Stephen erschöpft. „Er war einfach zu stark."
„Zu stark?" Sagte James verärgert. „Niemand ist zu stark, wenn man sich an einen funktionierenden Plan hält."

Ich wusste sofort, dass er mich damit meinte. Ich habe mich nicht an den Plan gehalten. Ich war schuld dass er es schon wieder weg geschafft hatte. Oh nein. Wie konnte ich das nur zulassen. Genau diese Befürchtung die alle hatten, war eingetroffen. Langsam sank ich wieder in den Sitz und versuchte meine Tränen aufzuhalten, ohne Erfolg. Sie rollten heiß an meinen Wangen herunter und landeten auf die Decke. Stephen sah mich entgeistert an und wusste nicht was er tun sollte. „Ich habs versaut" sprach ich leise. „Ich habs versaut" sagte ich wieder und wieder und wieder. „Dove, tu das nicht" sagte Stephen leise.
„Du hast es nicht versaut Dove" sprach James zu mir. „Du hast maßlos versagt." Seine Worte rissen mich in tausend Teile. Stephen schlug ihm demonstrativ auf die Schulter. Ich hatte das Gefühl auseinander zu fallen. Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper und versuchte mich irgendwie zusammen zu halten. Doch an diesem Punkt wäre es vermutlich besser gewesen auf der Stelle tot umzufallen, als zurück zum Team zu gehen, die sowieso nichts anderes von mir erwartet hatten. In meinem inneren war es leer. Alles war durcheinander und nicht an seinem Platz. Angefangen bei meinen Gedanken. James hatte Recht. Ich habe maßlos versagt. Ich bin eine Versagerin. Ich werde niemals gut genug sein.

Im Quinjet war es ruhig. Keiner sprach. Niemand wagte es sich zu laut zu atmen. Die Stimmung war angespannt und aufgeladen. In meinem Magen brodelte es. Das Gefühl absolut unerwünscht zu sein ging mir durch Mark und Bein. Ich schloss die Augen und betete dass der Flug schnell vorbei sein würde. Sobald es mir auch nur ansatzweise besser gehen würde, werde ich verschwinden. Das ist das beste für alle Beteiligten. Ich musste so viele Kilometer wie nur möglich zwischen mir und den Avengers bringen. Grundsätzlich zwischen mir und anderen Menschen. Das würde niemals gut gehen. James war deutlich. Und er hatte Recht.
Ich musste eingeschlafen sein, denn Stephen rüttelte mich sanft um mir zu sagen dass wir da sind. Ich wickelte die Decke enger um meinen Körper und stand langsam auf. Er stützte mich seitlich und hatte seinen Arm fest um mich gelegt.

Humpelnd und mit schmerzen in jedem Schritt, ging ich mit ihm in den Tower. Vor meiner Zimmertür bedankte ich mich bei ihm und wollte gerade die Tür öffnen. „Bist du sicher dass du das schaffst?" Er machte sich Sorgen. Unsinn. Dr. Stephen Strange hatte keine Sorgen. Vor allem nicht wenn es um jemand anderen als ihn ging. „Ich brauche dein Mitleid nicht. Nicht nach..." ich musste laut schlucken, da die Erinnerungen immer klarer wurden. Ich hatte alle, ohne mit der Wimper zu zucken, in Gefahr gebracht. Alle hatten etwas abgekriegt. Alles nur durch mich. Stephen litt Höllenqualen als er in Ragors Krallen war. Er hätte Sterben können. „Ruh dich aus, nimm eine Dusche. Ich komme in einer halben Stunde und sehe mir deine Wunde an." Er nickte mir zu und lief wieder ins Wohnzimmer.

Das Blut prasselte auf den weißen Fliesen ab und ich beobachtete wie sich das Wasser rot verfärbte. Das rosa Fleisch glänzte und erinnerte mich daran, wie ich versagt hatte. Ich schloss die Augen und lies meinen Körper durch das heiße Wasser noch etwas aufwärmen. Vorsichtig trocknete ich mich ab und brauchte ganze drei Handtücher um all das Blut aufzufangen. Meine Hand zitterte als ich Kompression anbrachte. Meine Augen drückte ich so fest zu, dass ich Sternchen sehen konnte. Scheiße war das Schmerzhaft. Ich unterschätzte jedes mal aufs Neue wie sich so etwas anfühlte. Ich stand vor dem Fenster und sah das Chrysler Building an. Auf den Bürgersteigen waren viele Menschen zu sehen, alle mit einem unterschiedlichen Ziel. Alle unwissend, was vor wenigen Stunden passiert ist. Ein helles Lichtermeer an Autos beherrschte die Straßen. Nach und Nach verlies die Kraft meinen Körper. Ich war so unheimlich müde. Sanftes Klopfen war an meiner Tür zu hören. Ohne dass ich etwas sagte, stand Stephen bereits im Zimmer. Er hatte so etwas wie einen Arztkoffer in der Hand und hatte sich bereits umgezogen. Seine Hand war eher notdürftig verbunden. Der weiße Mullverband war bereits großzügig rot gefärbt. Er hatte seine Augen weit aufgerissen und starrte auf das durchtränkte Handtuch in meiner Hand. „Du hast hoffentlich eine gute Erklärung dafür, dass du nicht im Bett liegst." Er setzte den Koffer auf dem Schreibtisch ab und sah mich besorgt an. „Schlaf ist jetzt nicht gerade das erste was durch meinen Kopf geht. Ich sollte da raus gehen und das ein für alle mal beenden."
„Okay, normalerweise würde ich darüber lachen, aber das wird langsam lächerlich. Setz dich hin bevor du in Ohnmacht fällst." Er zog den Stuhl zurecht und machte eine Geste um Platz zu nehmen. Das Handtuch hielt ich noch immer fest an meinem Bauch gedrückt. Doch je mehr ich drückte, desto mehr Blut wurde aus dem Handtuch gedrückt. Ich konnte grad wieder Duschen gehen. „Zeig her."
Ich nahm das Handtuch weg und es klaffte ohne zu stoppen aus der Wunde.
„Ich muss das nähen, Dove. Leg dich aufs Bett."
„Das geht sicherlich auch im sitzen" protestierte ich.
„Nein, das geht sicherlich nicht im sitzen. Mach was ich dir sage."
Ich rollte mit den Augen und stand langsam auf. Ich torkelte von links nach rechts in Richtung Bett. Und dabei hatte ich keinen Schluck Alkohol getrunken, wie traurig.
Stephen konnte mich gerade noch stützen, um mich dann sanft aufs Bett fallen zu lassen.
„Du hast ziemlich viel Blut verloren, Dove. Wie viele Finger zeige ich?" Seine Finger verschmolzen zu einem einzigen.
„Ernsthaft?" Fragte ich ihn lachend.
„Das ist mein voller Ernst. Halt einfach die Klappe und antworte."
Jetzt wurden aus einem Finger wieder vier, dann sieben, dann zurück zu vier.

„Du hast beide Hände oben" antwortete ich selbstbewusst.
„Okay, muss wohl doch mehr Blut gewesen sein als ich dachte. Ich gebe dir jetzt ein Lokalanästhetika, das kann etwas brennen."
„Ich hoffe für dich du strengst dich mit den Nähten an. Ich will nämlich keine hässliche Narbe davon behalten."
„Solange du dein Leben behältst wird alles gut sein."
Er zog sich Handschuhe an, desinfizierte die Wunde und fing an zu nähen. Ich beobachtete ihn und sein angestrengtes Gesicht. Es war interessant dabei zu zusehen, wie viel Mühe er sich dabei gab. Bei diesen zitternden Händen konnte ich natürlich kein Meisterwerk erwarten. Hauptsache er stoppte diesen strömenden Wasserfall an meinem Körper.
„Deine Hand...hast du schmerzen?" Fragte ich ihn leise.
„Wahrscheinlich weniger als du."
Frustriert sah ich ihn an. „Kannst du nur einmal direkt auf meine Fragen antworten?"
„Welche Antwort willst du hören?" Kurz sah er auf und fixierte mich mit seinem Blick, machte sich aber wieder direkt an die Arbeit.
Ich lies einige Sekunden vergehen bevor ich antwortete.
„Dass dir und den anderen das alles nicht passiert wäre, wenn ich es nicht versaut hätte."
„Ist es das was du von mir hören willst? Dass ich dir die Schuld dafür gebe?"
Laut ausgesprochen hörte es sich sogar noch schlimmer an, als in meinem Kopf.
„Das wäre aber die Wahrheit."
„Hm" gab er nachdenklich von sich.
„Was lässt dich denken, ich würde dich genau so sehen?"
„Weil mich jeder so sieht."
„Ich bin nicht jeder." Sagte er selbstsicher.
Ich musste schmunzeln. Diese ganze Situation war einfach nur verrückt. Stephen und ich sprachen gerade mehr miteinander, als wir es in den letzten zwei Jahren getan haben.
„Du sollst nicht lügen" sagte ich und sah wieder auf seine Hände.
Stephen musste lachen. „Ich dachte wirklich du kennst mich..."
Er hatte Recht. Stephen log nicht. Niemals. Er sagte immer die Wahrheit, selbst wenn das verletzend war. Viel zu oft hatten mich seine harte Wahrheiten mitten ins Herz getroffen.
Wir schwiegen. Minutenlang. Bis er seine Handbewegungen stoppte und mich ansah.
„Strafst du mich jetzt mit schweigen? Du hast doch sonst zu allem eine Meinung."
„Ich bin einfach müde" log ich. Wohl nicht gut genug, denn er legte die Instrumente ab und starrte mich an. Ich hatte das Gefühl von seinen Blicken verschlungen zu werden. Er seufzte.
„Okay, hör mir zu." Seine Stimme war sanfter wie bisher. „Ich weiß, dass du dich schuldig fühlst. Du verstehst hoffentlich, dass ich tausend weitere Wunden aufnehmen würde, wenn das bedeutet, dass du in Sicherheit bist, Dove."
Und plötzlich war mir nicht mehr kalt. Ganz im Gegenteil. Er erweckte etwas in mir, wovon ich glaubte, schon lange begraben zu haben—Hoffnung. Ich konnte nicht glauben was er da gerade gesagt hatte. Spielte mir mein Gehirn einen Streich? Das war bestimmt der Blutverlust. 
„..."

Ich konnte nichts darauf antworten. Ich war noch immer überwältigt, dass das aus seinem Mund kam, wenn das denn auch wirklich echt war. Verlegen sah ich zur Seite. Meine Wangen wurden heiß. Das war das schönste was jemals jemand zu mir gesagt hatte. In meinem Magen vibrierte es und ich hätte schwören können, dass er das gespürt hätte. Ich war noch immer sprachlos. Wie sollte man darauf antworten? Danke? Ich fühle mich geschmeichelt? In meinen Gedanken versunken, beobachtete ich ihn und musterte sein Gesicht. Es war einfach makellos. Er sah aus, als hätten ihn die größten Künstler dieser Welt, in jahrelanger Arbeit und mit feinster Präzision, aus Stein gemeißelt. Absolute Perfektion, würde ich fast sagen.
„Das ist vielleicht nicht meine beste Arbeit, aber zumindest ist die Blutung gestillt." Seine tiefe Stimme brachte mich wieder zurück. Hoffentlich hatte er nicht gemerkt wie ich ihn angestarrt habe, das wäre peinlich. Ich sah an mir runter und konnte die vielen Stiche sehen die er gesetzt hatte. Diese Wunde war, im Vergleich zur letzten, um einiges größer.
Ich verzog das Gesicht bei dem Anblick. Schön war anders. Er musste wohl meine Gedanken lesen, denn er antwortete genau darauf.
„Narben beweisen dir, dass du stärker als dein letzter Kampf bist." Er sagte immer genau das richtige im richtigen Moment. Er war mir noch immer ein Rätsel. Doch ich war ihm sehr dankbar über seine aufbauende Art. Diese Seite kannte ich von ihm noch nicht. Sie gefiel mir tatsächlich besser als die dunkle, egoistische, selbstzerstörerische Art von ihm. Doch ihm zu hundert Prozent vertrauen konnte ich noch nicht. Nicht nach der Aktion mit Jill. Lass es meiner Vergangenheit zu schulden kommen, einfach war es nicht. Es machte mir Angst. Ich wollte mich nicht öffnen und mein tiefstes inneres preisgeben. Das machte mich verletzlich, schwach...angreifbar. Ich wollte nicht die Kontrolle darüber verlieren. Ich setzte mich vorsichtig auf und nahm seine verletzte Hand in meine.
„Jetzt bist du dran." Schnell zog er die Hand weg als ob er sich verbrannt hätte und lachte unsicher. „Auf gar keinen Fall. Du kannst ja noch nicht einmal eine gerade Linie zeichnen und willst von null auf hundert eine Wunde nähen?"
„Sagte Dr. Parkinson und seine Hände aus Wackelpudding." Ich musste zugeben, das war gemein. Aber Stephen verkraftete das.

„Komm schon. Das muss genäht werden. Ich bin zwar kein Arzt, aber ich glaube nicht das so viel Blut normal ist." Ich sah auf den leuchtend roten Verband und beobachtete wie sich die restlichen Fasern der Mullbinde ebenfalls vollsaugten.
„Du hast Recht, du bist kein Arzt."
Ernst sah ich ihn an. „Ist ja nicht so, dass du mich anleiten kannst. Wenn wir doch nur einen Arzt hätten der mir das zeigen könnte..." Ich seufzte und sah mich demonstrativ im Zimmer um.
„Okay, Okay. Aber ich warne dich, sollte ich auch nur das kleinste ziehen spüren, nähe ich deine nächste Wunde ohne Betäubung."
„Deal" sagte ich und streckte ihm meine Hand hin um den Kompromiss festzuhalten. Er hielt meine Hand etwas zu lange fest und sorgte dafür, dass sämtliche Gefühle in mir verrückt spielten. Gott, was war nur mit mir los? Ich erkannte mich nicht wieder.
Unter seinen strengen Blicken betäubte ich die Wundumgebung und konnte nach kurzer Wartezeit mit dem nähen beginnen. Ich schlug mich nicht schlecht und gab mir größte Mühe  so sorgfältig wie möglich zu arbeiten. Ich konnte während der gesamten Zeit seine Blicke auf mir spüren. Er beobachtete mich. Das machte mich zusätzlich nervös. Ob er meine Blicke genauso wahrgenommen hatte wie ich seine? Mein Gesicht musste wohl so rot wie eine Ampel sein. Meine Haut glühte. Ich pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah nur eine Millisekunde zu Stephen auf, bevor ich schnell wieder meinen Blick senkte und weitermachte. Seinen Mitternachtsblauen Augen entging nichts. Das wenige Blut was mir blieb, rauschte durch meine Adern. Ich konnte es pochen hören. Die Nähe zwischen uns war auf das mindeste reduziert. Sein Duft der frisch gewaschenen Kleider die er trug, stieg mir in die Nase. Ich war ihm schon einmal so nahe, doch dieses mal war es anders. Es war einschüchternd, jedoch angenehm. So langsam gewöhnte ich mich an seine Präsenz. Nur nicht an das, was sie mit mir machte.
„Das was du auf dem Schiff zu Ragor gesagt hast, dass jedes andere Leben wertvoller sei als deins, war nur das was er hören wollte, nicht wahr?"
Die Erinnerungen an diesen Moment holte mich wieder schlagartig in die Realität. Nein, es war nicht gelogen. Ich meinte das genau so wie ich es gesagt hatte. Mein Leben ist eine einzige Katastrophe. Alles um mich herum ist so voller Verluste, Trauer und Bedauern.

Ich bin für meine Verhältnisse schon viel zu lange auf dieser Welt. Ertappt sah ich von seiner Hand auf. Ich wollte ihn nicht noch einmal anlügen, also sagte ich nichts.
„Das kannst du nicht ernst meinen" sagte er entsetzt.
„Ich bin wie ein Tornado in menschlicher Form, Stephen. Überall wo ich auftauche, hinterlasse ich die reinste Verwüstung. Ich habe schreckliche Dinge getan, die ich nicht wieder gutmachen kann. Meine Bestimmung ist Ragor zu vernichten, nur um mich dann selbst in Asche aufzulösen."
Er blinzelte und versuchte, alles was er gehört hatte zu verarbeiten. Nicht mit meiner Antwort einverstanden schüttelte er den Kopf.
„Nein Dove. Wir alle haben mehrere Aufgaben in diesem Leben. Dein da sein könnte für jemand anderen eine neue Chance sein. Ein neues Leben, genau das, was du dir all die Jahre selbst nicht erlaubt hast zu denken."
Ich musste schmunzeln während ich seine Hand mit neuem Material verband.
„Ach komm Stephen, mach dich nicht lächerlich. Ich bin für niemanden auf dieser Welt eine Chance oder ein neues Leben wert."
„Du hast Ragor dein Leben angeboten, um meins zu verschonen. Das war für mich eine Chance auf ein neues Leben. Deine Fassade fängt langsam an zu bröckeln, Dove."
Er musterte mich ausgiebig. Es war als ob er ein Lichtstrahl hinter all der Dunkelheit erkennen konnte.

Ich räusperte mich, da es mich wahnsinnig unangenehm war ihm dafür Recht zu geben.
„Da ist vielleicht doch ein winziges Stückchen Herz irgendwo in meinem leeren Brustkorb."
Er grinste. „Bescheiden wie immer."
„Bescheidenheit ist was für Weicheier, Stephen" gab ich schnell mit einem grinsen zurück.
Einen kurzen Moment sahen wir uns einfach nur still an. Es war als würde man die Zeit anhalten. Irgendetwas veränderte sich. Was hatte ihn dazu gebracht mir gegenüber anders zu sein? Wir konnten uns doch nicht ausstehen, wieso war das genau das Gegenteil davon? Ich war noch nicht bereit, ihn genau das zu fragen. Vielleicht hatte er eine Antwort, die ich nicht hören wollte. Vielleicht musste ich mir doch eingestehen, dass ich ihn...mochte.
„Die Naht sieht gut aus. Ich habe dich doch unterschätzt." Er wirkte stolz.
„Deine Hand ist jetzt sogar noch schöner als vorher."
„Ich werde auf ewig dich sehen, wenn ich in meine Handfläche schaue. Danke dafür" sagte er ironisch und musste selbst darüber lachen.
„Gern geschehen. Und das nächste mal läufst du am besten nicht in ein offenes Messer."
Er stand auf und schnappte sich die Instrumente die auf dem silbernen Tablet lagen.
„Danke für die Erinnerung Sherlock. Da wäre ich selbst niemals drauf gekommen. Aber vielleicht solltest du anfangen dich an deine eigene Ratschläge zu halten. Das ist bereits deine dritte Stichwunde."
Ich zuckte mit den Achseln und setzte mich an die Bettkante bevor ich aufstand.
„Lässt sich wohl manchmal nicht vermeiden." Ich dachte über das nach, was auf dem Schiff passiert war. Mir fehlte noch immer ein Stück meiner Erinnerung. Ich zögerte. „Stephen?"  Er packte das unsterile Besteck in eine Tüte und warf das alte Verbandsmaterial in den Mülleimer. Er antwortete mir ohne sich umzudrehen. „Was ist auf dem Schiff passiert?" Das klirren der Scheren, Nadeln und Klammern verstummte. Seine Körper verkrampfte und ich konnte seinen gesenkten Kopf sehen. Langsam drehte er sich zu mir um und sah mich mit traurigen Augen an. Geduldig wartete ich darauf dass er weiter sprach. Er setzte sich wieder neben mich und legte die Hände auf seine Oberschenkel. Sie zitterten verräterisch stark. Stärker als beim versorgen meiner Wunde. War es so schlimm gewesen? Er atmete tief ein und aus. Sein Brustkorb hob und sank sich schneller als üblich. Er war aufgeregt. Ich konnte seine Nervosität fühlen. Es war als ob sie sich auf mich übertragen würde. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, schloss ihn aber wieder und sah mich entschuldigend an. „Was ist das letzte was du noch weißt?" Das war sicherlich nicht das, was er eigentlich sagen wollte. „Ich habe dich meinen Namen rufen hören. Danach ist alles schwarz." Er nickte beim zuhören und sah wieder auf seine Hände.
„Er hatte dich fest im Griff, hat dir die Luft abgeschnürt. Als du...regungslos in seinen Klauen hingst, hat er dich gegen die Wand geworfen und du hast dir den Kopf gestoßen. Er hat gelacht, unverständliche Worte von sich gegeben und immer wieder zu mir geschaut, um sicher zu gehen, dass ich das alles mitansah. Als du auf dem Boden lagst, hat er irgendetwas gemurmelt, bevor er das Messer nahm und...-„

Er machte eine Pause und sah wieder nach unten. „Mit dem Messer weitete er die Wunde. Er hat mit seiner Hand in die Wunde gefasst. Es wirkte so, als ob er irgendetwas entnommen oder eingepflanzt hätte, aber ich konnte nicht erkennen was es war. Als er mit dir fertig war, hat er dich wieder hochgehoben und dich über die Reling ins Wasser geworfen. Ein letztes mal hat er sich nach mir umgedreht, nachdem er sich in Luft aufgelöst hatte." Mein Mund stand offen während ich ihm zuhörte. „Ich konnte einfach nichts tun. Er hat mich so lange festgehalten, bis er verschwunden war. Ich habe dich sofort aus dem Meer geholt. Du hattest sehr viel Wasser eingeatmet. Ich musste dich...zurückholen." Also war ich tot. Ich wusste, ich hatte mich nicht getäuscht. So fühlte sich sterben also an. Interessant. „Dove, ich dachte du wärst tot." Stephen war völlig entsetzt. In seinem Gesicht zeichneten sich Sorgenfalten ab und er musste laut schlucken. Das muss furchtbar für ihn gewesen sein. Zu wissen man ist Arzt und hilft für gewöhnlich Menschen, dann aber alles in seiner Macht stehende, mögliche getan zu haben, nur um am Ende trotzdem zu versagen, stellte ich mir schrecklich vor. Wie hatte er das damals in der Klinik geschafft? Ich legte meine Hand auf seine. Sie war kühl und rau. „Ich dachte ich hätte dich verloren" sagte er in gedankenverloren und mit leiser Stimme. Er hatte Angst mich zu verlieren. MICH. „So schnell wirst du mich nicht los" lächelte ich sanft. „Aber ich muss herausfinden was Ragor mit mir gemacht hat."

„Fühlst du dich verändert?" Hakte er nach um Ideen zu sammeln. „Außer den körperlichen Kollateralschaden nicht. Ich wüsste auch nicht was er von mir wollen würde. Ich bin ihm nicht von nutzen."
„Wir kriegen das schon raus, mach dir keine Sorgen."
„Ich weiß." Er versuchte mich aufzumuntern, was ich wirklich schätzte. Meine Hand lag noch immer auf seiner und ich genoss noch einen weiteren Moment die Berührung.
„Wir sollten langsam zu den anderen gehen."
Bei dem Gedanken wurde mir flau im Magen. Ich war wirklich kein Feigling, doch ich hatte noch nie so viele Menschen auf einmal enttäuscht. Das war neu für mich.

„Ich weiß nicht so recht," sagte ich unsicher. Stephen stand auf und hob mir seine Hand entgegen. Er zog mich langsam hoch und wir blieben einen Moment stehen um meinen Kreislauf zu stabilisieren. Kurz wurde mir wieder schwummrig und ich konnte nicht auf der Stelle stehen. Er legte kurzerhand seine Hände um meine Taille und stützte mich. „Ich glaube nicht dass sie mich sehen wollen." Er lächelte. Ein ehrliches Lächeln was Berge in mir versetzten lies. Er sollte öfters lächeln.
„Ich bin direkt hinter dir."

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