34 | E M M A

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»Er will mich nicht sehen. Hab ich recht?«

Daniel sieht erstaunt zu mir auf. Die Cafeteria des Krankenhauses ist beinahe wegen Überfüllung geschlossen. Kein Wunder. Inzwischen ist es Nachmittag. Da genehmigt man sich gerne ein Stück Kuchen, wie mir die lange Schlange an der Ausgabe beweist. Nachdem er meinte, wir sollten nach Hause gehen, ich aber darauf bestanden habe zu bleiben, hat er vorgeschlagen, mit ihm einen Kaffee zu trinken. Ich denke, ich muss an dieser Stelle nicht betonen, wie biestig Amy mich angeschaut hat. Mir war es egal.

»Glauben Sie mir, ich sehe, wenn jemand lügt«, füge ich hinzu, um ihn aus der Reserve zu locken. Die Geschichte mit den Untersuchungen kann er jemand anderem erzählen. Ich weiß, dass ich mit meiner Vermutung recht habe und ich kann mir auch denken warum.

Mein Gegenüber sagt immer noch keinen Ton. Beinahe krampfhaft hält er sich an seiner Tasse fest.

»Er macht sich Vorwürfe deswegen. Nicht wahr?« Wenn er glaubt, dass ich ihn vom Haken lasse, hat er sich geschnitten. »Wegen dem kleinen Jungen, weil er ...« Ich schlucke und senke nun ebenfalls den Blick. »... es nicht geschafft hat, oder?«

»Das alles ... ist nicht so einfach für ihn.« Daniel seufzt leise, woraufhin mich erneut eine Gänsehaut überkommt.

Seitdem die Meldung auf dem Bildschirm der Notaufnahme aufgetaucht ist, begleitet sie mich. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es Tom damit geht. Dabei hat er mit Sicherheit alles Menschenmögliche getan, um dieses Kind zu retten. Sogar sein eigenes Leben hat er dafür aufs Spiel gesetzt.

Mal wieder.

»Das glaube ich. Aber ... er sollte das nicht mit sich allein ausmachen«, erwidere ich leise und höre prompt Lucys lautes Gelächter.

Das sagt ja genau die Richtige!

Doch gerade gibt es Wichtigeres. Tom geht es schlecht und ich werde bestimmt nicht tatenlos hierum sitzen. Denn Freunde sind da, um sich zu helfen.

»Sagen Sie ihm das mal.« Daniel lacht leise, fast schon verzweifelt. »Wissen Sie, Tom ist wirklich ein herzensguter Kerl«, bestätigt er das, was ich ohnehin weiß. Mit aufgestütztem Ellenbogen reibt er sich über die Stirn, eher ein leises Seufzen seine Kehle verlässt. »Aber er kann auch unfassbar stur sein.«

So wie er es ausspricht, klingt es so, als wäre er schon öfter an dem Dickkopf seines Freundes - wie ich inzwischen dank Steve weiß – gescheitert. Wahrscheinlich auch diesmal. Sonst wäre Daniel wohl kaum so lange weggewesen.

Apropos Steve. Ich weiß, dass ich gerade damit eine von mir selbst aufgestellte Regel breche. Aber ich muss einfach wissen, was zwischen den beiden passiert ist. Angestrengt überlege ich, wie ich geschickt auf dieses Thema zusprechen kommen kann.

»Kommt so etwas eigentlich öfter vor?«, frage ich, nachdem ich in meinem Kaffee nach einem möglichst unverfänglichen Einstieg gesucht habe.

»Was meinen Sie?«

Ich seufze und drehe meine Tasse am Henkel hin und her. »Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch«, beginne ich vorsichtig und bekomme dafür direkt wieder dieses Stirnrunzeln von ihm. Das hat er mindestens genauso perfekt drauf, wie Tom das Augenbrauending. Ob man so etwas während der Ausbildung lernt? Schließlich müssen sie sich bestimmt das ein oder andere Mal unangenehmen Fragen stellen.

Aber gut. Ich habe eine Mission und darauf sollte ich mich jetzt konzentrieren. Ich räuspere mich und versuche, dabei seinem Blick auszuweichen. »Ich ... bewundere jeden Einzelnen von Ihnen, für das, was Sie tun. Und mir ist auch klar, dass man dabei an seine Grenzen gehen muss.«

»Aber?«

»Na ja. Nach allem, was ich bisher erfahren habe, scheint Tom gerne darüber hinaus zu gehen.«

Daniel saugt scharf Luft ein, sagt aber nichts dazu. Plötzlich scheinen die anderen Menschen hier sehr viel interessanter zu sein.

»Ich meine, der Grund für unsere Begegnung«, versuche ich dieses peinliche Ereignis bestmöglich zu umschreiben, »ist ja der beste Beweis dafür. Zumal es ja offenbar nicht das erste Mal war, dass er sein Leben für das von anderen aufs Spiel gesetzt hat. Bens Geschichte und das was Steve eben gesagt hat ...«

Daniels fassungsloser Gesichtsausdruck sorgt dafür, dass ich mir auf die Zunge beiße. So viel also zum Thema: ›Wir gehen es langsam an‹. Hat ja wunderbar geklappt. Wieso denke ich auch nie nach, bevor ich rede? »Also ... unter Umständen ... könnte ich ... natürlich nur rein zufällig«, betone ich energischer als gewollt, »ihren Streit mitbekommen haben.« Mit gesenktem Blick fasse ich mir an den Hals. Die Luft ist aber auch wirklich stickig hier drin.

»Es tut mir leid, dass Sie das mit anhören mussten.« Seufzend reibt er sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. »Er ... hat den Verlust einfach noch nicht verarbeitet. Deshalb braucht er einen Schuldigen. Ich hoffe, Sie ziehen jetzt keine voreiligen Schlüsse.«

»Keine Sorge. Ich bilde mir immer gerne meine eigene Meinung über Menschen«, erwidere ich mit einem schüchternen Lächeln.

»Das ist gut, schätze ich.« Daniels Blick kann ich nicht wirklich deuten. Zumal seine Aussage eher nach einer Frage klingt.

»Ich weiß nicht, was damals vorgefallen ist und es geht mich auch nichts an«, erkläre ich und hoffe im Stillen, dass er das anders sieht. »Aber ich glaube nicht, dass Tom jemanden in Gefahr bringen würde.«

Mal abgesehen von sich selbst.

Daniel seufzt und reibt sich erneut durchs Gesicht. »Sie erinnern sich an die Waldbrände vor fast drei Jahren?«

Ich nicke. Wie könnte ich dieses Inferno vergessen? Waldbrände sind neben Erdbeben die größte Gefahr in Kalifornien. Sie fordern Opfer, vertreiben Menschen aus ihren Häusern. Bei diesem waren es mehr als dreißig Seelen, die ihr Leben lassen mussten. Daniels Schlucken verrät mir, dass Patrick einer davon gewesen ist.

»Wir ... dachten, wir hätten alle evakuiert, aber eine ältere Frau ist zurück ins Haus gelaufen. Sie ... wollte ihr Geld holen.« Daniels Hand ballt sich zu einer Faust. »Tom ist ihr hinterher, doch ... er kam nicht zurück«, bestätigt er das, was ich bereits befürchtet habe.

Inzwischen kann ich mir vorstellen, warum Steve denkt, er wäre schuld. Und wahrscheinlich sieht Tom das genauso. Dennoch lasse ich ihn weitersprechen.

»Patrick ... er ... wollte sehen, was los ist. Ich habe ihm gesagt, dass das zu riskant sei, aber er ... ist einfach reingegangen.« Daniel senkt den Kopf und atmet tief durch. »Er ... hat Tom und die Frau auch gefunden. Aber kurz darauf kam es zu einer Explosion.« Mit zusammengepressten Lippen schüttelt er mit dem Kopf. »Er wurde ... von einem Trümmerteil getroffen.«

Langsam ergibt Steves Aussage Sinn. Wobei ich mir wünschen würde, dass es nicht so wäre.

»Tom ... hat ihn befreit. Auf dem Weg ins Krankenhaus kam es allerdings zu Komplikationen.«

Ich zucke zusammen, als er laut stöhnt und zur Decke sieht.

»Gott! Ich hätte Ihnen das nicht erzählen dürfen! Er wird mich lynchen, wenn er das erfährt!« Erneut schüttelt er mit dem Kopf und entfacht damit den Drang in mir, meine Hand auf seine zu legen.

»Danke für Ihre Ehrlichkeit«, sage ich leise und zwinge mich zu einem Lächeln. »Und ... keine Sorge. Ich werde es für mich behalten. Versprochen.« Selbst wenn ich Tom damit konfrontiere, ihm sage, dass ihn keine Schuld trifft, weil es wirklich so wahr wie Ben gesagt hat – ein Unfall – würde er mir ohnehin nicht glauben.

Daniel sieht langsam zu mir auf. Er nickt kaum merklich, doch ich verstehe, was er mir damit sagen will.

Ich will ihm nicht weiter auf die Nerven gehen. Er ist bestimmt müde und will nach Hause. Dennoch fällt es mir schwer, wegzusehen. Ich kann nicht einfach wieder fahren und so tun, als ginge mich das alles nichts an. Das ist doch ... nicht richtig. Dabei bin ich selbst ein Mensch, der alles mit sich selbst ausmacht.

»Worüber denken Sie nach?«

Langsam blicke ich zu ihm auf. »Ich weiß, wie das ist. Also wenn man Dinge mit sich selbst ausmacht«, gebe ich zu, eher ich es mir anders überlegen kann. »Aber genau aus diesem Grund weiß ich auch, dass es einen kaputt machen kann.«

Daniel schweigt und gibt mir die Möglichkeit in Ruhe durchzuatmen.

»Wissen Sie, ich will gar nicht wissen, was diese Frau gerade durchmacht. Es muss einfach schrecklich sein, sein Kind zu verlieren. Aber Tom ... er kann nichts dafür. Er hat getan, was er konnte und es ist einfach nicht fair, dass er sich deswegen fertig macht.« Auch wenn er nichts dazu sagt, weiß ich, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. »Ich will doch einfach nur für ihn da sein.«

»Das weiß er«, sagt Daniel und ich brauche nicht mal drei Finger, um mir abzuzählen wie recht ich mit meiner Vermutung habe. Es geht ihm tatsächlich schlecht.

Natürlich tut es das! Wie würdest du denn reagieren?, mischt sich die innere Stimme wieder ein.

»Wieso will er mich dann nicht sehen?«, frage ich noch einmal in meiner Verzweiflung, bekomme dafür aber wieder nur ein leises Seufzen.

»Feuerwehrmänner mögen vielleicht groß darin sein anderen zu helfen«, meint er nach einiger Zeit des Schweigens. »Und ja, wir gehen dafür nicht selten an unsere Grenzen. Selbst Hilfe anzunehmen liegt jedoch meist nicht in unserer DNA.«

Jetzt bin ich diejenige, die seufzt. »Das heißt also, ich soll tatenlos zusehen?«

»Geben Sie ihm einfach etwas Zeit.«

Ich presse die Lippen zusammen. Nein. Das war nicht die Antwort, die ich mir erhofft habe.

Daniels Hand, die sich auf meine legt, lässt mich erneut zu ihm aufsehen. »Fahren Sie nach Hause. Ihr ... Verlobter macht sich sicherlich bereits Sorgen.«

Er weiß davon?

Offenbar haben Tom und Daniel über mich gesprochen. Sonst wüsste er nichts von John. Ein kurzer Blick auf mein Handy verrät mir das, was ich sowieso schon wusste. Kein Anruf von ihm oder eine Nachricht. Doch es enttäuscht mich nicht. Wahrscheinlich habe ich mich inzwischen einfach daran gewöhnt. Zudem kommt mir plötzlich eine Idee, die ich auch direkt in die Tat umsetze.

Daniels fragenden Blick ignoriere ich und krame in der Tasche nach meinem Notizbuch und Stift. »Das ist meine Nummer«, erkläre ich, nachdem ich eine Ecke abgerissen habe, und schiebe ihm den Papierfetzen über den weißen Tisch. »Sie können mich jederzeit erreichen, wenn etwas sein sollte.«

Eine Weile sieht er auf den Schnipsel, ehe er ihn in der Brusttasche seines dunkelblauen Hemdes verschwinden lässt. »Kein Wunder, dass Tom Sie mag.« Er verzieht das Gesicht. So als wäre ihm das, was er noch sagen will, unangenehm. »Ich hätte es wirklich nicht für möglich gehalten, aber Sie tun ihm gut.«

»Wie meinen Sie das? Sie hätten es nicht für möglich gehalten?«

»Tun Sie einfach das, was Sie in den letzten Monaten getan haben. Glauben Sie mir, damit helfen Sie ihm am meisten«, meint er mit einem kleinen Lächeln, dass ich erwidere, obwohl ich keinen blassen Schimmer habe, was genau ich bisher so Großartiges geleistet haben soll.

* * *

Am nächsten Morgen unterbricht mein Handy erbarmungslos die kurze Nacht. Lange noch habe ich darüber nachgedacht, was Daniel damit gemeint hat. Es hörte sich fast so an, als wäre er dagegen gewesen, dass Tom und ich Kontakt zueinander haben. Ist es, weil er mich gerettet hat? Vielleicht werden Beziehungen zwischen Helfer und Opfer einfach nicht gern gesehen. Schließlich wollte der Arzt mir damals ja auch nicht sofort verraten, wo ich Tom finden kann.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Er war es! Der Arzt, der mir gesagt hat, was in dieser Nacht passiert ist und der, der mich gestern versorgt hat, waren ein und dieselbe Person. Daher kam er mir bekannt vor. Wieso bin ich da nicht gleich drauf gekommen?

Weil du vielleicht andere Probleme hattest?

Mein Seufzen wird von einem Gähnen verschluckt. Dabei ist es schon halb neun. Ein letztes Mal strecke ich mich, eher ich schlaftrunken den Alarm ausstelle. Als ich jedoch eine Nachricht mit unbekannter Nummer entdecke, bin ich hellwach.

Zimmer 302. Er wird mich dafür hassen, aber ich denke, Sie haben recht. Er sollte das wirklich nicht mit sich allein ausmachen. Und wenn einer ihn davon überzeugen kann, sind Sie das wohl.

Daniel

Fassungslos und glücklich zugleich lese ich die Zeilen erneut, bevor ich schnell ein paar Worte zurücktippe.

Ich: Manchmal muss man Menschen eben zu ihrem Glück zwingen. Danke. Ich werde es versuchen.

Auch wenn mir nicht danach ist, lächele ich. Genau das sagt Lucy auch immer und sie hat nicht so ganz unrecht damit. Wie mit vielem wahrscheinlich.

Doch gerade ist kein Raum, um mir über diese seltsamen Gefühle Gedanken zu machen. Es gibt einiges zu erledigen. Zweifelnd sehe ich an mir herunter. Diese Schlafhose mit samt den Puschelsocken ist zwar gemütlich und hält mich bei kühleren Temperaturen schön warm, doch bevor ich ins Krankenhaus fahre, sollte ich mir vielleicht etwas angemessenes anziehen. Ich greife nach einer Jeans und einer Bluse, ehe ich im Bad verschwinde.

Keine zehn Minuten später steige ich diesmal in den Range Rover und fahre ins Krankenhaus.

Vor der Zimmertür überkommen mich Zweifel. Was soll ich ihm sagen, wenn er mich fragt, wie ich ihn finden konnte? Wie soll ich ihm klarmachen, dass er nicht schuld ist, ohne ihm das Gefühl zu geben, dass ich mich einmische? Wie wird er reagieren, wenn er mich sieht? Wie werde ich reagieren? Immerhin hat Daniel mir nichts über seine Verletzungen gesagt. Nur, dass er wohl großes Glück hatte. Wobei sein Lachen, während er mit dem Kopf geschüttelt hat, auf mich irgendwie seltsam wirkte. Es klingt bescheuert, aber es machte fast den Eindruck, als hätte Tom es sich anders gewünscht.

Nun bin ich diejenige, die mit dem Kopf schüttelt. Dieser Gedanke ist absurd. Wieso sollte er das wollen? Das ergibt keinen Sinn.

Ein letztes Mal atme ich tief durch, bevor ich zaghaft klopfe. Doch auch nach dem zweiten Mal höre ich nichts. Vielleicht schläft er ja noch. Mein Blick richtet sich auf die große Uhr im Flur. Halb zehn zeigt sie inzwischen. Unwahrscheinlich also. Ich seufze. Mist. Ich kann doch nicht einfach so darein spazieren.

Erneut treffen meine Fingerknöchel auf das hellblaue Holz, eher ich mich dazu entscheide die Tür einen Spalt breit zu öffnen.

Leben am Limit sozusagen.

Wie recht ich damit habe, erfahre ich, als Toms wütende Stimme durch den Raum donnert. »Was genau an verpiss dich, hast du eigentlich nicht kapiert?!«

Am liebsten würde ich sofort gehen.

Tom räuspert sich. »Emma, ich dachte, es wäre ...« Mit zusammengepressten Lippen schüttelt er den Kopf. »... egal.« Von einer Sekunde auf die andere nimmt seine Stimme eine Kälte an, die mich trotz meiner dicken Strickjacke frieren lässt. »Was willst du hier?«

Dennoch flackert in seinen Augen etwas auf, was mich dazu bringt die Tür zu schließen. Was es ist, kann ich nach wie vor nicht ermitteln, selbst wenn es mir entgegenschlägt wie ihm die Flammen in diesem Haus.

Der Gedanke daran jagt mir erneut einen Schauer über den Rücken. »Ich ... wollte sehen, wie es dir geht«, flüstere ich mit heiserer Stimme, nachdem ich mich getraut habe ein paar Schritte auf das Bett zuzugehen. Er sieht schlecht aus. Nicht wegen dem großen Pflaster, das auf seiner Stirn klebt. Mehr Sorgen macht mir sein Gesichtsausdruck. Nichts ist zu sehen von diesem lebenslustigen und oft auch frechen Menschen, den ich in den letzten Monaten ins Herz geschlossen habe.

»Hast du ja jetzt. Zufrieden?«

Nein. Das ist wirklich nicht der Mann, den ich, kennen und lieben gelernt habe. »Ich ... habe mir Sorgen gemacht«, gebe ich zu, in der Hoffnung, dass ihn das besänftigt und ignoriere dabei Lucy, die in meinem Kopf eine Privatparty veranstaltet.

Doch Tom schnaubt erneut und presst den Unterarm gegen seine Seite. Wie es aussieht, ist diese Kopfverletzung wohl nicht die Einzige. »Wie du siehst, lebe ich noch«, meint er dennoch bissig.

So langsam drängt sich mir der Verdacht auf, dass ich vielleicht doch nicht unrecht mit meiner Befürchtung hatte. Er hätte sich wirklich gewünscht, wenn es anders ausgegangen wäre. Dabei könnte ich mir keine Sekunde mehr ohne diesen Idioten vorstellen. Obwohl er sich gerade wie der letzte ... ja, Idiot eben verhält. Freut er sich denn gar nicht, mich zu sehen? Ich sollte wieder gehen, so wie er es sich offenbar wünscht? Oder soll ich lieber meinem Gefühl folgen, das nach wie vor von diesem undefinierbaren Etwas in seinen Augen magisch angezogen wird.

Ich weiß es nicht, was ja auch nichts Neues ist. Ich hatte nicht erwartet, dass er mir vor Freude um den Hals fällt, aber dass er so reagiert? Damit habe ich nicht gerechnet. Vielleicht hätte ich doch nicht herkommen sollen.

»Ich hab dir doch gesagt, du sollst aufhören dich aufzuessen.« Seine Berührung lässt mich zusammenzucken.

Wann war er aufgestanden? Und ... darf er das überhaupt?

Vorsichtig greift er nach meiner Hand und führt sie von meinem Mund weg. »Sonst ist irgendwann gar nichts mehr von dir übrig, hmm?« Während ich ihn ansehe, als hätte ich einen Geist gesehen, zuckt Toms Mundwinkel. Leider sieht es nicht mal ansatzweise wie das schiefe Lächeln aus, das ich so an ihm mag. Eher wie der traurige Versuch, sich weiterhin hinter dieser Fassade zu verstecken.

Aber nicht mit mir!

»Na und?« Ich entziehe ihm meine Hand und zucke mit den Schultern. »Ich esse mich selbst auf und du rennst ständig in brennende Häuser, aus denen andere nur noch schreiend flüchten. Ich glaube wir haben beide unsere Probleme.« Ich kann nichts dafür. Die Worte verlassen einfach so meinen Mund.

»Herrgott, Emma! So geht das nicht!«

Während ich ihm dabei zusehe, wie er im Raum auf und ab läuft und sich an die Stirn fasst, stelle ich mir die Frage, was so nicht geht. Gerade wirkt er auf mich wirklich wie ein Löwe, den man in einen viel zu kleinen Käfig gesperrt hat. Ein bisschen erschreckt mich das. Dabei kommt mir dieses Verhalten keineswegs unbekannt vor. Wie es aussieht, sind wir uns ähnlicher, als ich dachte.

Todesmutig, wie ich nun mal bin, stelle ich mich ihm in den Weg. »Das was ich neulich gesagt habe, meinte ich übrigens ernst.« Ich strecke meine Hand aus, um sie auf seine Schulter zu legen. »Wenn du also ein Problem ...«

Sofort weicht er drei Schritte zurück. Er hebt die Hände. »Ich hab kein Problem, okay?«

Abwehrhaltung. Um sich zu schützen. Ja, ich kenne die Tricks. Dabei hat er vor mir gar nichts zu befürchten. »Man kann nicht immer nur weglaufen, Tom.«

»Du ... gehst jetzt besser.«

»Aber ...«

Eine Reaktion bekomme ich nicht. Dafür eine unschöne Erkenntnis, die mein Verstand mir gleich mal auf dem Silbertablett serviert.

Du kannst ihm nicht helfen. Sieh es endlich ein!

Ehe ich darüber nachdenken kann, spüre ich das kalte Metall unter meiner Hand. Ich flüchte. Wie schon so oft.

Noch eine bittere Erkenntnis, wie ich gerade feststelle. Denn bisher bin ich immer vor allem und jedem davon gelaufen. Mein ganzes Leben lang tue ich nicht anderes. Dabei hasse ich Laufen wie die Pest!

Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, gibt diese Stimme, die ich gerade überhaupt nicht brauchen kann in Klugscheißermanier von sich.

Doch so sehr ich mich auch dagegen sträube, sie hat Recht verdammt! Es ist an der Zeit stehen zu bleiben und ... Wie ein Volltrottel starre ich die Tür an, sodass ich mir inzwischen jede einzelne Maserung in dem verdammten Holz eingeprägt haben sollte.

Als mein Blick langsam klarer wird, sehe ich mich panisch um. Eine ältere Dame zieht mit dem Rollator ihre Runden über den Flur. Ich will gar nicht wissen, was sie denkt. Wahrscheinlich hält sie mich für komplett bescheuert. Erst recht, nachdem ich ihr grinsend meinen ausgestreckten Daumen entgegenstrecke.

Was macht dieser Mann nur mit mir? Wo ist meine ach so geliebte Selbstbeherrschung geblieben? Die Kontrolle. Das, was mir immer Halt gegeben hat.

Kopfschüttelnd wende ich mich ab. Ich sollte wirklich gehen. Leider hält mein Gewissen mich davon ab.

Du solltest wieder REINgehen und für ihn da sein. So wie er es die ganze Zeit für dich war.

Vielleicht ist es auch Lucys Stimme oder gar die von Charlotte. Verflucht noch mal! Langsam sollte ich dieses Chaos in meinem Kopf in den Griff kriegen, bevor mich jemand geradewegs in die Klapse bringt.

Ohne darüber nachzudenken, drücke ich die Klinke nach unten und stehe kurz darauf erneut in diesem Zimmer.

Tom steht noch an Ort und Stelle. Er dreht seinen Kopf und sieht mich fragend an. Wundert mich nicht. Immerhin bin ich wie ein Elefant im Porzellanladen hier reingetrampelt.

Nicht darüber nachdenken, Emma. Du hast eine Mission.

Ich hebe die Hand. »Bevor du jetzt etwas sagst, wirst du mir zuhören«, fordere ich und hole tief Luft. »Ja, ihr Männer habt die Eigenschaft keine Schwäche zuzulassen, mit der Muttermilch aufgesaugt, aber ich bin deine Freundin und ich werde nicht zulassen, dass du dich fertig machst, weil du dir die Schuld für etwas gibst, für das du absolut nichts kannst!«

Erst als ich seinen entsetzten Blick bemerke, wird mir klar, was ich da gesagt habe. Ich räuspere mich. »Ich meine natürlich ... eine Freundin.«

Seinem unveränderten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, habe ich es damit keinesfalls besser gemacht. Ganz toll! Da höre ich einmal auf mein Bauchgefühl und dann ....

»Du ... weißt davon?«, bringt Tom heraus und ich kann bis hierher den Kloß sehen, den er versucht runterzuschlucken.

Etwas, dass mich noch mehr verunsichert. Falls das überhaupt möglich ist. »Ich ... Daniel meinte ...«

Am liebsten würde ich mir auf die Zunge beißen. Dabei habe ich ihm hoch und heilig versprochen, nichts zu sagen. Ich denke tatsächlich nie nach, bevor ich den Mund aufmache. Sollte ich dringend ändern. Wenn ich nur wüsste wie.

Hysterisch lache ich auf und fasse mir an den Hals. »Habe ich wirklich Daniel gesagt? Ich meinte natürlich ...«

»Was hat er dir erzählt?«, unterbricht er mich mit zusammengekniffenen Augen. Auch seine Stimme hat einen seltsamen Klang angenommen. Einerseits hört man deutlich die Panik heraus. Anderseits ist sie eiskalt.

Da sag doch nochmal einer, ich wäre kompliziert! Ich habe es schon oft gesagt, aber ich werde aus diesem Mann einfach nicht schlau. Erst ist er ... verständnisvoll, lieb, sodass ich den Eindruck habe, ich könnte ihm all meine Geheimnisse anvertrauen und dann ist er wieder so ...

Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, wie ich diesen Gemütszustand beschreiben soll. Gerade guckt er wie ein Schwerverbrecher auf der Flucht. Und ich bin die böse Polizistin, die ihm eine Waffe an den Kopf hält.

Apropos Kopf ... Vielleicht sollte ich darin mal nach einer plausiblen Erklärung suchen. Die scheint er nämlich zu erwarten. »Ich ... es war ... gar nichts!«

Na wunderbar. Jetzt fühle ich mich wie eine Schwerverbrecherin. Ich traue mich ja nicht mal ihn anzusehen.

»Gut«, sagt er nur. Das ist alles.

Moment mal ... Das ist alles?! »Nichts ist gut verdammt!«, schreie ich und bereue es sofort. »Es tut mir leid.« Ich atme tief durch. Zum ... keine Ahnung wievielten Mal in diesen paar Minuten, die mir vorkommen wie eine gefühlte Ewigkeit. Ich sollte mich endlich zusammenreißen, wenn ich ihm klarmachen will, dass ihn keine Schuld trifft. »Ich kann mir vorstellen, dass das nicht einfach für dich ist, aber ...«

»Einen Scheißdreck weißt du«; brüllt er, sodass ich zusammenzucke. »Er war noch nicht mal zwei! Zwei Jahre, verstehst du? Er hatte sein ganzes verdammtes Leben noch vor sich! Scheiße Mann!« Tom reibt sich übers Gesicht. Wobei es eher so aussieht, als wolle er sich für seinen Gefühlsausbruch ohrfeigen.

Dabei bin ich froh, dass er nicht mehr dicht macht. Diesmal lässt er es zu, dass ich meine Hand auf seine Schulter lege. »Es ist okay. Du darfst ....«

Er weicht zurück und dreht sich zum Fenster, ehe ich noch etwas sagen kann. Langsam habe ich den Verdacht, dass er da am Horizont tatsächlich etwas sucht. Die Frage ist nur was? »Geh einfach, okay?«

Vielleicht sollte ich das. Ich habe es versucht. Mehr kann ich weiß Gott nicht tun.

Dann versuch es noch einmal, mischt sich mein Gewissen ein, nachdem mich meine Füße bereits zur Türe getragen haben.

Ich atme tief durch. Anscheinend ist das zu meinem Hobby geworden. »Ich habe nie behauptet, dass das Schicksal gerechte Entscheidungen trifft. Im Gegenteil. Manchmal kann es echt ... grausam, sein.« Meine Lider senken sich, während ich erneut versuche, Luft in meine Lungen zu bekommen. Atmen scheint wirklich ein Hobby von mir zu sein, seitdem ich Tom kenne.

Hmm ... könnte daran liegen, dass du vor seiner Zeit ständig das Gefühl hattest zu ersticken, quatscht Lucy wieder dazwischen, die ich geflissentlich ignoriere.

»Aber gestern ... da war ich ihm zum ersten Mal seit langem wirklich dankbar, denn ...«

Na los! Sag es ihm endlich!

Sie gibt echt keine Ruhe, doch ich kann nicht. Zumal ich sowieso nicht davon ausgehe, dass er das gerade hören will. »Jedes Leben ist wertvoll ... auch deins. Vergiss das nicht.«

Ich will erneut die Klinke packen, als ich ein spöttisches Lachen in meinem Rücken vernehme. »Bist du deshalb total besoffen durch die Gegend gerast? Weil das Leben ja so ... wertvoll ist?!«, betont er abfällig. »Aber anderen klugen Ratschläge zu geben, ist ja bekanntlich einfacher, ne?«

Immer noch starre ich die Tür an. Auch das scheint sich langsam zu meiner Leidenschaft zu entwickeln.

Er weiß es ... Aber woher? Und wieso hat er nicht vorher ... VERDAMMT! HÖRST DU MIR ÜBERHAUPT ZU?! TOM. WEIß. ES! ALLES!!!

Dachte ich vorhin, in meinem Gehirn würde Chaos herrschen, hat meine Kommandozentrale soeben den Notstand ausgerufen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass da oben plötzlich tausende kleine Emmas durch die Gegend rennen und immer wieder ›Rette sich wer kann!‹, brüllen. Eines haben sie dabei jedoch nicht bedacht: Den Schalter zu finden, der meinen Fluchtmechanismus in Gang setzt.

Im Gegenteil. Irgendjemand von ihnen hat versehentlich den Hebel betätigt, der längst verrostet sein sollte.

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