Kapitel 6 - Liebe und Rache

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Kilians p.o.v.

Es war die Hölle, wenn man ans Bett gefesselt war. Alles in mir drängte darauf, aufzuspringen und gegen die Hexen vorzugehen. Rastlosigkeit kribbelte mir unter der Haut wie tausende Ameisen, wollte hinaus und etwas tun. Aber zum Einen war die ganze Zeit jemand bei mir und zum anderen hatte ich noch immer leichte Schmerzen.
Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten und nichts zu tun. Was mich noch mehr als alles andere frustrierte.
Denn so gab es genügend Raum und Zeit für meine Gedanken, in meinem Kopf herumzuschwirren und mich kirre zu machen. Tagein tagaus dachte ich über die Hexen nach und stellte mir vor, wie ich Rache an ihnen üben würde.

Allerdings war das nicht das einzige, woran ich dachte. Nein, zum Großteil kreisten meine Gedanken um Xenia, ob ich wollte oder nicht. Und verdammt, die Worte dieses Bastards Ryan schwirrten mir ebenfalls im Kopf herum. Er hatte nicht nur ernsthaft und aufrichtig geklungen, sondern auch so, als spräche er aus Erfahrung. Und das ging mir näher, als ich es wünschte.

Die Hexen waren immer schon meine Feinde gewesen, schon bevor sie meine Familie und mein Rudel ermordet hatten. Nur wegen ihnen hatten wir uns verstecken müssen. Und als sie uns dann entdeckt hatten…als sie meine Familie umgebracht hatten...ich hatte das nur überleben können, indem ich mich an diesem einen Ziel festkrallte wie an ein glitschiges Seil, während die Stromschnellen der Gefühle mich fortzureißen drohten.
Die Rache war nicht nur ein Ziel. Sie war mein Anker. Sie war das, was mich am Leben hielt, was meinem Leben eine Richtung, einen Sinn gab.
Die Rache war das, was mich davon abhielt, von einer Brücke zu stürzen.

Ich hatte mir nie Gedanken darum gemacht, was ich tun würde, wenn ich endlich mein Ziel erreicht hatte. Das hatten Ryans Worte mir klar gemacht.
So fixiert auf meinen Rachewunsch war ich gewesen, dass ich an das Danach nie einen einzigen Gedanken verschwendet hatte.

Doch nun….nun hatte ich hier, bewegungslos wie ich war, mehr als genug Zeit zum Nachdenken.
Und ich fragte mich...wie würde es weitergehen, sobald ich meiner Familie Gerechtigkeit getan hatte?
Es war nicht so, dass es niemanden gab, der mir noch etwas bedeutete. Nein, das Rudel, das mich aufgenommen hatte, bedeutete mir viel.

Aber sie waren nicht meine Familie. Und egal, wie viele Freunde ich fand, sie würden doch nie die Familie ersetzen können, die ich verloren hatte.
Und Xenia….wenn ich den Weg der Rache weiter verfolgte, war alle Hoffnung für uns beide dahin. Wenn davon überhaupt jetzt noch ein Funken existierte, was ich bezweifelte.

Ryan hatte wahrscheinlich Recht. Danach blieb mir nichts als Leere. Die Leere, die mich seit jeher zu verschlingen drohte, seitdem meine Eltern ermordet wurden. Die Leere, wo sie gewesen waren. Die Leere, die ich mit meinem Ziel der Rache in Schach hielt.
Doch einmal getan, gab es kein Zurück mehr.
Und mit der Erfüllung meines Rachewunsches würde mein Anker wegfallen. Da gäbe es nichts mehr, das die Leere in mir bezähmen könnte. Ich wäre ihr vollständig ausgeliefert.

Die Vorstellung ließ mich Angst verspüren, ja, regelrechte Panik.
Ich wollte das nicht.
Doch die einzig andere Möglichkeit wäre, den Wunsch nach Rache freiwillig aufzugeben.
Und das würde zum selben Ergebnis führen. Der Anker würde verschwinden. Das glitschige Seil würde reißen. Und da gäbe es nichts mehr, das mich noch retten könnte. Erbarmungslos wie die Stromschnellen würden mich meine Gefühle fortschwemmen.

Ich war also so oder so verdammt.

Als wäre das ihr Stichwort gewesen, trat in diesem Moment Derya in mein Zelt ein.
Innerlich seufzte ich auf. In meinem hilflosen Zustand, der emotionalen Zerrissenheit konnte ich eine Predigt, einen Anschiss oder was auch immer nicht vertragen.
Aber leider war ich in einer Lage, in der ich nicht abhauen und so einem Anschiss oder dergleichen entgehen konnte.

Sie nickte der Krankenschwester neben mir zu, die wortlos aufstand und ging.
Vor meinem Bett stehend und mich ansehend wartete Derya noch ein paar Momente ab. Vielleicht weil sie wollte, dass ich etwas sagte. Ob das irgendein psychologischer Trick war? Es schien so. Zumindest fühlte sich das Schweigen zwischen uns mit jeder verstrichenen Sekunde angespannter, unerträglicher an. Ich spürte es geradezu wie Ameisen auf meiner Haut kribbeln.

"Wir müssen uns unterhalten", sagte da Derya plötzlich mit fester Stimme, die so stark klang. Und doch konnte ich Spuren einer großen Erschöpfung daraus heraushören.

Ich mahlte leicht mit den Zähnen, trotz des einhergehenden Schmerzes. Da mir allerdings keine andere Wahl blieb, ergab ich mich schließlich resigniert in mein Schicksal.

"Fang schon an mit deiner Predigt. Hab's ja verdient."

Tadelnd schnalzte sie mit der Zunge und sah mich kopfschüttelnd an.

"Ich bin nicht hier, um dir eine Predigt zu halten. Das brauche ich auch gar nicht. Dir ist bestimmt selbst klar, dass du es gründlich vermasselt hast. Den Preis dafür hast du ja bereits gezahlt und bei der Göttin, niemand hat so etwas verdient wegen eines Fehlers."

Ich wollte nicht wieder zurück an diesen einen Moment auf der Lichtung denken, weshalb ich die Bilder und Gefühle beiseite schob. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die anderen Worte, die Derya gesagt hatte:
Nämlich, dass sie mir keine Predigt halten würde. Das überraschte mich. Und irgendwie konnte ich ihr das nicht recht glauben, weshalb ich noch misstrauisch blieb. Da sprach sie auch schon mit einem Schulterzucken weiter:

"Na ja, am liebsten würde ich dir aber trotzdem eine Predigt halten. Dich vielleicht sogar beschimpfen. Unabsichtlich natürlich. Ich würde dir am liebsten sagen, wie enttäuscht ich von dir bin. Wie enttäuscht die Mondgöttin von dir ist. Aber das würde uns nicht weiterbringen. Und außerdem wäre es nur ein Teil der Wahrheit. In den letzten Tagen während deiner Erholung hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Viel Zeit, mich in deine Perspektive hinein zu versetzen. Und obwohl ich in meinem langen Leben schon einen ähnlichen Schmerz wie du durchgemacht habe, kann ich deinen dennoch nicht ganz und gar nachvollziehen. Lässt sich Schmerz doch nie wirklich vergleichen. Aber ich habe erkannt, dass deine Reaktion angesichts deiner Vergangenheit verständlich ist. Und wie soll ich dir einen Vorwurf wegen etwas machen, wofür du doch nichts kannst? Du kannst nichts dafür, dass dein Rudel gestorben ist. Du kannst nichts an ihrem Tod ändern."

Die Wahrheit, so simpel und objektiv ausgesprochen, verpasste mir dennoch einen brutalen Stich ins Herz. Als ob Derya das wüsste und mir Zeit geben wollte, ihre Worte zu schlucken, machte sie eine kurze Pause. Doch dann ging es auch schon weiter:

"Aber Kilian, du kannst bestimmen, wie du mit ihrem Tod umgehst. Und du kannst die Zukunft ändern. Du kannst verhindern, dass so etwas noch einmal passiert.
Lass mich dir ein paar Weisheiten erzählen, die ich mir auf meinem Lebensweg angeeignet habe:
Wut und Hass gegen andere zu richten, ruft nur weitere Wut und weiteren Hass hervor. Wenn man hingegen eine andere Richtung einschlägt, kann das viel Gutes bewirken. Und in diesen Zeiten, Kilian…"

Sie seufzte schwer und schloss kurz die Augen.

"In diesen Zeiten haben wir alle wirklich viel Gutes nötig."

Sie öffnete wieder die Augen und sah mich durchdringend an. Als wollte sie mir damit vermitteln, dass nun viel von mir abhing. Dass ich vieles verändern konnte. Zum Guten.
Diese Erkenntnis lastete schwer auf mir. Zu schwer. Sie drückte mich mit ihrem Gewicht nieder.

Ich konnte das nicht.
Ich hatte so viele Fehlentscheidungen getroffen. Hatte meine Eltern und mein Rudel nicht gerettet. Es war mir egal, dass meine Mutter mich dahingehend vielleicht beeinflusst hatte. Ich hätte gegen den Zauber ankämpfen sollen, noch heftiger. Aber ich war nicht stark genug gewesen. Und dann hatte ich mit Xenia Schluss gemacht. Hatte sie in Gefahr gebracht, beinahe umgebracht dort auf der Lichtung. Hatte so vieles falsch gemacht, in solch verheerendem Ausmaß. Und nun sollte ich plötzlich Gutes bewerkstelligen? Ich war nicht der Richtige dafür.

Und Derya sollte das wissen. Auch wenn es schmerzte, die Wahrheit auszusprechen.
Schwer schluckend sah ich sie an und meinte mit bedrückter Stimme:

"Ich kann das nicht. Ich…"

Ich stockte, atmete tief durch und senkte den Blick, konnte Derya einfach nicht ansehen bei den folgenden Worten.

"Ich bin nicht der Richtige. Alles, was ich zustande bringe, ist, die Dinge schlimmer zu machen. Es zu vermasseln."

Ein tiefes Seufzen erklang, dann Schritte und schließlich hörte ich Derya sich auf den Gras-Sessel neben dem Bett setzen. Dennoch blickte ich nicht auf, wollte nicht auf ihrem Gesicht stehen sehen, was sie von mir hielt.

"Ach Kilian", fing Derya schließlich seufzend an.

"Wir alle vermasseln es. Manche mehr, manche weniger. Und das ist okay. Es ist okay, Fehler zu machen, denn das ist nur natürlich. Doch das wichtige ist, sich von diesen Fehlern nicht niederringen zu lassen. Akzeptiere sie und steh wieder auf, mach weiter. Versuch, aus deinen Fehlern zu lernen und es besser zu machen."

Ich schnaubte leicht.
"Und wie soll das gehen? Wie kann ich es besser machen?"

Fragend, doch auch hoffnungslos blickte ich zu ihr.
Sie lächelte mich dezent an, sodass sich die Falten auf ihrem Gesicht leicht vertieften.

"Ein guter Schritt wäre, dir helfen zu lassen. Über die Dinge zu reden, die dich bedrücken. Mit Xenia zu reden. Sie ist deine Seelengefährtin, sie wird wissen, wie es dir wieder besser gehen kann. Und nachdem du diese Probleme beseitigt hast, widmen wir uns denen mit den Hexen."

Doch ich schüttelte bereits leicht den Kopf, resigniert.

"Ich kann nicht mit ihr reden. Das will sie bestimmt gar nicht. Und was sollte ich ihr auch sagen? Es ist vorbei."

Kummer zog mir das Herz zusammen. Kummer und schmerzende Verzweiflung.

Wieder seufzte Derya. Ich konnte es ihr nicht verdenken.

"Wenn du nur sehen könntest, wie falsch du da liegst, Kilian. Es ist noch lange nicht vorbei. Denn Xenia liebt dich, das vergeht nicht von einem Tag auf den anderen, auch wenn man es sich wünscht. Und solange Liebe da ist, ist alles möglich."

Zweifelnd blickte ich sie an.
Sie zuckte mit einer Schulter.
"Vorausgesetzt natürlich, du kriegst deinen Hintern hoch."

Ich blinzelte. Sie zwinkerte mir spitzbübisch zu, bevor sie wieder ernst wurde.

"Du hast das Geschenk erhalten, deine Seelengefährtin zu treffen, deine einzige wahre Liebe. Du solltest dieses Geschenk nicht wegwerfen. Du solltest für sie kämpfen. Denn was ist es mehr wert, dafür zu kämpfen als für die Liebe?"

Sie stand auf.

"Denk an die schönen Zeiten, die du mit Xenia verbracht hast. Wird dich deine Rache zum Lachen bringen? Wird sie dich glücklich machen? Oder eher alles Glück zerstören? Denk darüber nach. Man lebt nur einmal. Man kann nicht tausend Möglichkeiten durchleben. Also wähle klug. Deine Rache oder Xenia. So sehr es auch schmerzt, deine Familie gibt es nicht mehr, du kannst sie nicht mehr retten. Aber irgendwann kannst du eine neue gründen. Und deine Familie stolz machen, indem du dabei mithilfst, zwei Völker zu vereinen."

Mit einem letzten typisch ernsten und zugleich mahnenden Derya-Blick sah sie mich an, bevor sie schließlich ohne ein weiteres Wort aus dem Zelt schritt und mich mit ihren Worten zurückließ, die in meinem Kopf umherwirbelten und schließlich langsam zur Ruhe kamen. Und mich zum Nachdenken brachten.

Doch nicht nur das. Sie riefen auch Bilder hervor. Szenen, in denen ich tatsächlich Glück verspürte. Momente mit Xenia. Das hatte ich kaputt gemacht. Und warum? Weil ich Gerechtigkeit üben wollte. Den brutalen Mord an meiner Familie rächen wollte. Ich erkannte den Sinn in Deryas Worten. Ich wusste, sie hatte Recht. Die Rache würde mich nicht glücklich machen, nicht so wie Xenia. Auch Ryan hatte das gesagt. Nichtsdestotrotz war es mein Anker, nichtsdestotrotz konnte ich das Bedürfnis danach nicht einfach abstellen.

Aber auch ich liebte Xenia immer noch. Und vielleicht hatte ich mich zu sehr von meiner Rache einnehmen lassen. Vielleicht war es an der Zeit loszulassen. Sich neue Ziele, neue Anker zu setzen.
Vielleicht war es an der Zeit, ein paar Fehler zu beheben.
So schwierig es auch sein mochte. Aber das Leben war nunmal alles andere als einfach.
Und besonders ein Satz von Derya war mir im Kopf hängen geblieben:

Was ist es mehr wert, dafür zu kämpfen als für die Liebe?

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