»Was machst du noch in meinem Leben, jetzt wo du Annika hast?«

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Draußen war es dämmrig, fast schon dunkel, die altmodisch aussehenden Straßenlaternen erhellten den Weg. Die Luft war angenehm kühl. Aufgrund des leichten Windes, der durch die Straßen wehte, zog der junge Mann mit den
braunen Locken den Reißverschluss seiner dunkelblauen Jacke zu, denn eine Erkältung war jetzt wirklich das letzte, was er gebrauchen kann, jetzt, wo er nach seiner beschissenen Verletzung endlich wieder auf dem Platz stehen konnte.
Wobei ... wenn er es schaffte, sich eine richtig heftige Erkältung zu holen, müsste er nicht zum Training und müsste somit Theo nicht sehen. Er könnte einfach den ganzen Tag in seiner Wohnung in Decken gewickelt auf dem Sofa sitzen, traurige Filme schauen und in Selbstmitleid versinken.

Natürlich könnte er auch jetzt in seiner Wohnung sitzen. Nichts und niemand zwang ihn dazu, um 22 Uhr Abends noch draußen herumzulaufen. Aber er konnte im Moment nicht in seine Wohnung. Sie würde sich anfühlen wie ein Gefängnis, die Wände würden ihm die Luft zum Atmen nehmen.

Er konnte gerade nicht auf seinem Sofa sitzen. Dem beigefarbenen Sofa, auf dem Theo und er so oft eng aneinander gekuschelt in seine dicke Wolldecke gewickelt lagen. Seinen Kopf auf Theos Brust und Theos Arme um seinen Oberkörper geschlungen, während sie Filme oder Serien geschaut hatten und dabei Kakao tranken, oder auch einfach nur redeten.

Er konnte sich gerade nicht in sein Bett legen. Das Bett, in dem Theo das erste Mal eine seiner Panikattacken miterlebt hatte und ihn Infolgedessen beruhigt hatte, das Bett, in dem Theo von seinen Verlustängsten und Selbstzweifeln erfuhr, das Bett, in dem er oftmals von Theos starken Armen beschützt eingeschlafen war. Wenn sein eineinhalb Jahre älterer Freund da war, hatte er nie Alpträume, wie sonst so oft.
Das Bett, in dem er sein erstes Mal mit Theo, sein erstes Mal mit einem Jungen, sein erstes Mal überhaupt hatte.

Er konnte auch nicht in die Küche gehen, ohne von den Erinnerungen übermannt zu werden.
Die Küche, in der sie zusammen kochten -was meistens nicht gut endete, da sie beide absolut kein Händchen für's Kochen hatten. Theo hatte damals gemeint, dass das größte Talent der beiden nun mal darin bestand, Fußball zu spielen und nicht darin, in der Küche zu stehen. »Man kann halt nicht in allem perfekt sein«, hatte der Ältere einmal gesagt, als er und Theo mit angewidertem Gesicht bemerkten, dass die Suppe, an der sie sich versucht hatten, mal wieder komplett versalzen war.
Die Küche, in der sie in der Weihnachtszeit Plätzchen gebacken und anschließend verziert hatten, was zwar in einer riesigen Sauerei endete, was die beiden aber tatsächlich halbwegs gut gebacken bekamen. Wortwörtlich.

Er verstand es einfach nicht. Was hatte er falsch gemacht? Was war Theos verdammtes Problem? War er ihm nicht gut genug? War er nicht hübsch genug für Theo, war er nicht cool genug? War er ihm mit seinen zwanzig Jahren zu kindisch, zu anhänglich, zu aufgedreht, zu naiv?

Die Straßenlaternen standen immer weiter verteilt und einsamer da, je weiter er sich vom Stadtrand entfernte und je näher er der alten Trauerweide kam. Den Ort, an den er immer ging, wenn er Ruhe brauchte, wenn es ihm schlecht ging, wenn ihm alles zu viel war. Wenn er keine Lust mehr auf die Welt hatte.
Er war echt froh, dass er relativ am Rande der Stadt wohnte und es deshalb auch nicht sonderlich weit zu seinem Lieblingsort hatte.

Wieder tauchte in seinem Kopf das Bild auf. Der Post auf Theos Instagram Account, mit dem Bild von Theo, seinem Freund, welcher Annika, einem Mädchen aus seiner alten Schulklasse, die Zunge in den Hals schon, während sie eng aneinander geschmiegt in dem Sitzkorb im Garten von Theo und seinen Eltern saßen. Dem Sitzkorb, in dem er und Theo vor kurzer Zeit selbst noch saßen, in der selben Position.

Erneut brannten heiße Tränen in seinen Augen. Seine Lippen zittern und seine Hände hatte er verkrampft zu Fäusten geballt. Er wollte schreien, er wollte weinen, er wollte, dass dieser verdammte Schmerz aufhörte.

Auf der alten Holzbank, welche unter der uralten, riesigen Trauerweide stand, konnte er die Umrisse einer Person ausmachen.
Könnte das Leben es nicht einmal gut mit mir meinen?
Konnte ich nicht mal hier ungestört mit meinen negativen Gefühlen sein?

Trotzdessen lief er weiter, den Blick auf den Boden mit dem, vom Regen am Vormittag, noch feuchten Gras gerichtet.
»Alex.«
Er zucke zusammen, als er seinen Namen aus Theos Mund höre. Seine Stimme. Sie klang ausdruckslos.
Alex hob den Blick. Sein etwas älterer Freund saß direkt vor ihm, blickte ihn mit seinen blaugrauen Augen an. In ihnen lag kein fröhliches Funkeln, wie sonst. Sie sahen leer aus.
Auf seinen vollen Lippen lag nicht wie sonst dieses wunderschöne Halblächeln, welches für das kleine Grübchen in seiner rechten Wange sorgte, das Alex' Herz jedes Mal dazu brachte, schneller zu schlagen.

»Was machst du hier?«, fragte Theo.
»Das gleiche könnte ich dich auch fragen«, entgegnete er erstaunlich ruhig. »Was machst du noch in meinem Leben, jetzt wo du Annika hast?«, hängte er hinterher, in der Hoffnung, Theo genau so zu verletzen, wie er ihn verletzt hatte. »Was hab ich eigentlich falsch gemacht, hm?«
»Hör zu«, setzte Theo an, wurde aber unterbrochen. »Warum sollte ich noch?«
»Bitte. Wenigstens für zwei Minuten«, murmelte Theo. »Von mir aus«, meinte Alex, die arme vor der Brust verschränkt. Abwartend sah er Theo an.

»Ich hab Angst. Angst, dass die Öffentlichkeit es erfährt. Wir sind noch so jung und wenn die Medien davon erfahren, werden die uns in Stücke reißen. Wenn wir ein Spiel verlieren, dann sind für die Fans wir verantwortlich, denn wir sind die, die schwul sind. Die die anders sind. Die in dieser scheiß Branche immer noch nicht akzeptiert werden.«
Theo holte tief Luft. »Wir sind so jung. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass unsere Beziehung der ganzen Belastung nicht mehr standhalten kann. Wenn wir es verschweigen und nie wir selbst sein können, gehen wir daran kaputt. Aber wenn wir von allen Seiten beleidigt werden, selbst wenn es einen Teil der Leute gibt, die kein Problem mit uns haben, dann gehen wir daran auch kaputt.«

»Ach, und du glaubst, wir gehen nicht daran kaputt, wenn du mich verarschst und einer anderen die Zunge in den Hals steckst und was weiß ich, was ihr macht?«, zischte Alex. Er verstand Theos Ängste, doch das war kein Grund dafür, sein Vertrauen zu missbrauchen.

»Alex. Wenn das rauskommen sollte, werden wir am Ende aus dem Verein geschmissen. Und selbst wenn die es tatsächlich alle akzeptieren, dann werden wir spätestens darin Probleme bekommen, dass andere Vereine uns nicht wollen.
Verfickt nochmal, wir würden vielleicht unsere Karriere an den Nagel hängen müssen, bevor sie richtig angefangen hat«, redete der etwas ältere mit den dunkelblonden, kurzen Haaren auf ihn ein.

»Ich will nicht mit jemandem zusammen sein, der mich mit anderen Frauen betrügt, weil er nicht zu sich selber steht. Lieber bin ich für mein Leben lang Single«, sagte er. Seine Worte waren leise, doch klar verständlich. Er hätte nicht gedacht, dass er irgendwann mal das Bedürfnis verspürte, jemanden so heftig zu verletzen.

»Ab heute sind wir Mannschaftskameraden. Nicht mehr und nicht weniger«, setzte er all dem, was sie aufgebaut hatten, endgültig ein Ende.
Vielleicht war es besser so für sie beide.

»Du verletzt mich gerade echt krass«, flüsterte Theo in die entstandene Stille.
»Ich weiß. Und du verdienst es«, waren Alex' kalte, harte Worte.
Dann wandte er sich zum Gehen.
Musste er wohl doch zu Hause sitzen. Er würde irgendwann über all das hinwegkommen.

»Ich hab dich wirklich geliebt. Und ich tue es immer noch«, ließ er Theo wissen. »Es tut mir leid«,  flüsterte dieser.
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«
»Ja.«
»Kann ich jetzt gehen?«
»Ja.«
»Gut, tschüss. Bis morgen, beim Training.«
»Tschüss«, hauchte Theo.

Alex wandte sich endgültig von Theo ab und begann, zurück in Richtung Stadt zu laufen.
Und dann liefen ihm die Tränen in Sturzbächen über die Wangen. Sein Herz hatte er während dieses Gesprächs selber noch weiter in Stücke gerissen.

Dennoch wusste er, dass er das Richtige getan hatte, auch wenn es im Moment so schien, als hätte er alles kaputt gemacht.
Doch irgendwann würde er jemanden finden, dem er wirklich vertrauen konnte, der immer für ihn da war und der zu der Beziehung stand.
Und vielleicht würde Theo es auch eines Tages schaffen, zu sich zu stehen.

Vielleicht brauchte Theo dieses Ereignis.

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1360 Wörter

Hierzu wird es keine Fortsetzung geben, das hier ist einfach eine Kurzgeschichte, die in meinem Kopf herum gegeistert ist.

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