über die Familie

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Wie soll man ein Trauma lösen, wenn man nicht weiß, wann es ungefähr begann und durch wem es ausgelöst wurde? Das ist eine große Problematik. Wer schon mal Ahnenforschung betrieben hatte, weiß wie zeitaufwändig und problematisch das ist. Man hat höchstens die Kirchenbücher, in denen nachgeschlagen werden kann, aber auch da gibt es gewisse Probleme. Und so entfernt man sich vom eigentlichen Ziel. Des ersten zu finden, der das Kriegstrauma auslöste.

Die Kriegseltern. Tatsächlich stammte viele der Ängste davon ab, dass die Kriegskinder damals meist ohne Eltern aufwuchsen. Sei es, dass die Eltern im Krieg mithalfen, verschwanden oder nicht mitgeflohen sind. Irgendwann fehlte ein Elternteil, zumeist der Vater. Im Falle vom Walter gab es sowohl den Fall der Vater, der im Krieg verschwand und der Vater, der nicht mit floh. Beide Väter hatten Söhne, eben jene Opas vom Walter. Aber auch die, wo noch beide Elternteile hatten, wurden traumatisiert.

Damals gab es, sogar bis in die 1980 hinein, ein Buch, welches ich nicht benennen möchte. Dieses Buch gab den Müttern von damals die schlimmsten Erziehungstipps, die es je gegeben hatte. So sollte die Mutter das Kind zum Beispiel ignorieren, wenn es nicht gehorchte oder damit es nicht verweichlicht sollte es wenig Liebe bekommen. Nach diesen Erziehungstipps sind Generationen von Kinder aufgewachsen, die noch heute darunter leiden. Und niemand benennt diese seelische Misshandlung in den Haushalten. Es ist das Schweigen, was wieder darübergelegt wurde.

Walter jedoch machte sich auf den Weg, dieses Schweigen zu brechen. Was sich als schwierig herausstellte. Ich möchte das was er gesammelt hat in eine chronologische Reihe bringen, damit es nicht zu verwirrend wird. Ich lasse auch ein Teil der Familie weg, weil sie nicht direkt mit Walter in Beziehung steht. Beginnen möchte ich mit der Familie von Anna. Besser gesagt mit einem ihrer Opas. Derjenige der im Krieg verschwand.

Dieser Mann hieß Friedrich. Er war typisch arisch. Blond, blau, groß und vor allem hatte er bis in das 16 Jahrhundert einen arischen Nachweis. So ging er schon recht früh in den Krieg. Obwohl er ein recht einfacher Arbeiter war, war er im Krieg mehr. Er war Stabsgeneral und besaß einige Privilegien. So erzählt man sich, dass seine Post nie durchschaut wurde oder er mehr Urlaub besaß als die anderen. 1939 verschwand er spurlos. Seine Spuren führen irgendwo nach Polen. Niemand weiß, was mit ihm geschah. Heute ist er nur ein Name auf den Gedenktafeln. Für Annas Vater ist es klar, dass Friedrich ein Opfer der Zeit ist, welcher nicht in den Krieg wollte, aber musste. Jedoch hegt Walter gewisse Zweifeln über den Mann, weswegen Walter noch am Forschen ist, ob dieser Mann tatsächlich kein Nazi war. Zum jetzigen Standpunkt ist das dennoch ungewiss.

Friedrich war mit Elisabet verheiratet. Während er im Krieg war, bekam sie, wie es sich gehörte, ein Kind nach dem anderen. Insgesamt waren es sechs Kinder. Davon zwei Mädchen und vier Jungen. Es wäre fast sieben geworden, doch die Mutter verlor eins. Sie hätte also fast das eiserne Kreuz der Mütter bekommen. Sowas gab es damals wirklich. Elisabet war eine typische, deutsche Mutter, welche deutsche Kinder großziehen musste. So besaß sie natürlich auch eben jenes Buch im Regal. Als ihr jüngstes Kind 25 wurde und somit erst richtig erwachsen war, verstarb Elisabet. Ihr Tod war nicht plötzlich oder wegen einer Krankheit. Nein. Sie hat sich dazu entschlossen und hungerte sich zu Tode. Heute sagt Walter dazu, dass sie ihre Pflicht als deutsche Mutter beendet hatte und deswegen ging. Die Frau hat, so seiner Meinung nach, deswegen nur einen Sinn im Leben gehabt.

Über die mütterliche Seite von Anna weiß Walter kaum etwas. Er weiß, dass er ein Urgroßvater hatte, welcher jedoch schon vor seiner Geburt verstarb. Und er weiß, dass dieser Urgroßvater nichts mit den Nazis zu tun hatte. Die Urgroßmutter durfte er kennen lernen. Sie wurde 94 Jahre alt und verstarb als Walter in der Grundschule war. Er geht davon aus, dass auch sie die Kinder nach diesem Buch erzogen hatte. Vor allem jedoch, weiß er, dass seine Urgroßmutter immer mehr wollte, als sie bekam. Sie durfte nicht das werden, was sie wollte, sondern musste Kinder bekommen.

Von diesen Kriegseltern geht es nun weiter zu den Kriegskinder. Zu erst zu Friedrich, Annas Vater. Tatsächlich wurde Friedrich nach seinem Vater benannt, was kein Wunder ist, da diese Art der Namensgebung noch bis zu meiner Generation reichte und wahrscheinlich noch darüber hinaus. Der junge Friedrich wuchs in der Zeit des Kriegs auf. Sein Vater verschwand als er jung war und er musste die Gewalt eines Krieges miterleben. Er konnte auch kein Kind sein, da er seiner Mutter auf dem Feld helfen musste. Friedrich war der zweite von den sechs Geschwistern. Als er älter wurde machte er die gleiche Lehre wie sein Vater vor ihm. Er war selber schon Vater, als seine Mutter ging. Damals war er noch recht jung, gerade einmal Anfang dreißig. Er war gefangen in einer Ehe, die er nicht wollte. Hatte Kinder. Dafür aber keine Eltern mehr. Als sein jüngstes Kind achtzehn war, trennte er sich von seiner Frau. Er zog zurück in seine Heimatstadt in eine Art Alters-WG mit einem Schulkameraden. Er holte sich einen Garten, wo er sich austoben konnte. Und schließlich bekam er seine Enkelkinder. Er versuchte ihnen alles recht zu machen. Vor allem um Walter kümmerte er sich, da Walter kein Vater hatte. Doch die Zeiten änderten sich. Walter bekam mit, wie sein Opa mit Anna umging. Es war nicht liebevoll, es war eher unterdrückend und schmerzend. Weswegen Walter den Kontakt zu seinem Opa weitgehend einstellte. Das war auch besser so. Friedrich begann sich, wie so jedes Kriegskind, zu verändern. Das was damals war, bricht heute aus ihm heraus. Er spricht von einer Zeit, die niemals wiederkommt, als würde diese Zeit immer noch existieren. Unwissentlich das niemand sich diese Zeit zurück wünscht. Friedrich wurde aus einem gefangen Mann in Ehe zu einem gefangen Mann in der Vergangenheit. Und in dieser Vergangenheit lebt er noch heute.

Seiner Ex-Frau Walpurga erging es anders. Annas Mutter erlitt das gleiche Schicksal wie ihre Mutter. Sie konnte nicht das werden, was sie wollte, weswegen sie Kinder bekam. Die Ehe mit Friedrich war nicht gerade liebevoll. Es war eine Ehe wie viele andere auch. Es war eine Ehe, weil es damals so üblich war. Sie bekam vier Kinder mit Friedrich. Unter anderem auch Anna. Walter geht davon aus, dass Walpurga die Kinder so erzog, wie sie es kannte. Eben durch jenes Buch. Und trotzdem, zu drei der Kinder konnte sie einen Draht knüpfen. Bei Anna war es jedoch anderes. Walpurga erkannte sich selbst in Anna. Anna war ihr Spiegel. Und Anna machte alles anders als sie. Damit kam Walpurga nicht klar, weswegen sie Anna die meiste Liebe entzog. Nach der Scheidung von Friedrich lernte Walpurga einen Bayern namens Dietrich kennen und wahrscheinlich lieben. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie nicht alleine sein konnte. Sie zog zu ihm nach Bayern. Als sie älter wurde, zog sie mit ihm zurück in ihre Heimatstadt. Walpurga war zuckerkrank. Sie hatte ein Typ Diabetes und verstarb wie so viele Zuckerkranke an Krebs. Das Ganze ist jetzt fast ein Jahr her. Ein Jahr und Walter hat keinerlei Erinnerungen an die Frau. Er weiß, dass er Zeit mit ihr verbrachte. Aber er weiß nicht mehr wie ihre Stimme war, wie sie aussah, wie ihr Charakter war. Sie ist heute für ihn eine Fremde.

So wuchs Anna auf. In Schweigen gehüllt mit einem Vater, der wahrscheinlich von Nazis abstammte, und einer Mutter, die Anna als Spiegel betrachtete. Anna konnte somit nicht in einer liebevollen Umgebung aufwachsen. Und es ist verständlich, dass sie mit ihren Eltern keinen Kontakt mehr möchte. Sie wollte frei sein und musste doch den Weg ihrer Eltern gehen. Sie musste in eine Ehe, die sie nicht wollte. Kinder bekommen, welche sie vielleicht nicht wollte und die sie jetzt trotzdem liebt. Aber sie konnte sich schneller befreien, als ihre Eltern und somit Walter die Freiheit geben, die sie nie haben konnte. Heute erfüllt Anna sich ihre Wünsche. Sie spart momentan alles zusammen was geht, um bald aus Süddeutschland raus zu kommen.

Bei Karl sieht das anders aus. Auch hier möchte ich mit der ersten Generation anfangen, wo es begann. Dabei kann ich jedoch nicht viel sagen, da Walter kaum was weiß. Die Eltern von Walters Opa sind namenslose Gestalten. Walter weiß, dass es sie gegeben hat, aber die Mutter verstarb recht bald nach der Geburt von dem Opa und der Vater blieb mit der Zweitfrau und dessen Kinder in der Heimat.

Dieter, so hieß Karls Vater, floh mit elf aus seiner Heimat Ostpreußen. Nur ein Freund kam mit. Was er erlebte, kann man nicht sagen. Man weiß nur, dass Dieter einen kurzen Aufenthalt in Thüringen hatte, bevor er weiter nach Bayern floh. In Bayern blieb er jedoch nicht lange und ging zurück nach Thüringen, wo er seine Frau heiratete. Beide waren treue DDR-Bürge und wären gerne geblieben. Doch die Frau sammelte Papiere zum Heizen auf ohne zu wissen, dass diese Papiere gegen die DDR waren. Aus Angst vor dem Regime flohen die beiden nach Süddeutschland als einzige aus der Familie der Mutter. Sie zogen tatsächlich in die Nähe von Anna, wo die Frau ihre Kinder bekam. Es waren sechs an der Zahl. Unter anderem auch Karl. Die Familie wuchs auf wie es nach deutsch / preußischen Regeln üblich war. Eben auch nicht liebevoll. Als die Mauer fiel hatte Dieter die Hoffnung, dass er endlich seine Heimat besuchen durfte. Doch das Schicksal meinte es anders. Aufgrund von Asbest, Rauchen, Trinken und zu viel fettigem Fleisch verstarb Dieter im Alter von 63 Jahren an Krebs. Dabei hatte die Familie alles geplant um ihn diese Reise zu schenken. Walter konnte sein Opa also niemals über die Familie ausfragen.

Maria, Dieters Frau, wuchs als Thüringerin auf. Dabei kam ihr Vater aus Österreich. Über ihre Kindheit kann man kaum was sagen, da auch hier die Verwandten, vor allem die Eltern, namenslose Gestalten sind. Maria hat ihren Mann überlebt. Laut Walter soll die Frau noch immer leben. Er hat kaum noch Erinnerungen an sie, auch wenn er damals bei ihr war. Alles woran er sich erinnern konnte, war dass ihr Haus unheimlich war, aufgrund der vollgestopften Tiere. Irgendeine Erinnerung von ihrem Aussehen, der Stimme oder dem Charakter hat er jedoch nicht. Er weiß nur, dass wo er das letzte Mal bei ihr war, die Frau in ihm ein Fremder sah. Das Ganze müsste jetzt drei Jahre her sein, wo sie sich zum letzten Mal trafen. Alles was Anna zu der Frau meint, war dass Maria sehr dominant ist.

Über Karls Familie kann also kaum was gesagt werden. Zu Karl selber kann gesagt werden, dass er als Kind seelisch und wahrscheinlich körperlich misshandelt wurde aufgrund der Schläge und der Kälte. Er pendelte oft zwischen Ost- und Westdeutschland, half seiner Mutter und konnte sein Weg nicht gehen. Er ging von einer dominanten Frau, seiner eigenen Mutter, zu der nächsten dominanten Frau, Anna. Und dann kam Walter, sein Spiegel. Der Junge, der ihm ähnlich war, und der sich doch nicht unterdrücken ließ. Nicht so wie Karl. Karl ließ sich damals von Anna scheiden. Statt aber die Freiheit zu genieß heiratete er. Für Walter scheint es heute, dass Karl eben eine Frau braucht, die ihn dominiert und trotzdem ihm einen gewissen Stolz lässt. Karls Familie konnte nicht genauer beschrieben werden, da Walter keinerlei Kontakt mehr zu dieser hat. Er war nur noch einmal bei der Familie, als sein Patenonkel, der einzige welcher Walter mochte, Geburtstag hatte. Aber für Walter war es das letzte Mal. Er schließt mit dieser Seite ab. Die Familie wird für ihn nur noch gestaltlose Namen auf einem Blatt Papier sein.

Nun da die Familie genauer beleuchtet wurde, möchte ich schreiben, warum es wichtig ist zu reden. Es wird immer schwieriger etwas über die Familie zu erfahren. Die letzten Zeugen sterben. Und dann? Man weiß nie, ob es noch eine Generation nach der eigenen gibt. Man kann nie sagen, was kommt. Die nächste Generation wird es schwierig haben, etwas über ihre Ahnen zu erfahren. Deswegen ist es jetzt schon wichtig, alles zu sammeln, was man bekommen kann. Jeder einzelne Name aufzubewahren. Was damals geschehen ist, kann man nicht wiedergutmachen, doch man kann durch das Reden die nächsten Generationen bewahren. Denn nur wer redet, kann wissen weitergeben.

Und deswegen ist es Zeit zu reden.

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