Kapitel 45 - Keine Antwort

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Kilians p.o.v.

Ich konnte ihr nicht schreiben. Konnte einfach niemanden um mich haben, mit niemanden sprechen. Es fühlte sich an, als wäre mit dieser Enthüllung ein Teil meiner Selbst von mir gerissen worden. Ich hatte gedacht, zu wissen, wer ich war. Ein loyaler, trauriger Junge, der auf Rache sann. Ein Werwolf, der sein Rudel und seine Herkunft liebte. Der im entscheidendsten Moment seines Lebens feige gewesen war, es aber wieder gutmachen wollte.

Doch jetzt? Alles hatte sich geändert. Ich brannte immer noch auf Rache, aber nun richtete sie sich nicht einfach gegen die Hexen, sondern gleichzeitig gegen meine Art, auch wenn ich nur zum Teil Hexer war. Und das erste, was ein Werwolf lernte, war, dass Familie heilig war. Wir wuchsen in einem Rudel auf. Unter Leuten, die nicht nur Familie waren, sondern noch so viel mehr. Freunde. Beschützer. Vertraute. Die Familienbande eines Rudels gingen tiefer als die jeder anderen menschlichen Familie. Die Hexen mochten nicht zu meinem Rudel gehört haben, aber sie waren meine Art. Werwölfe schützten einander. Allerdings schienen die Werte der Hexen gänzlich andere. Sie hatten ihre Art zuerst verraten, indem sie eine von ihnen, meine Mutter, angegriffen und getötet hatten. Ich würde mich von dieser neuen Erkenntnis, dass ich einen Teil meiner Feinde in mir trug, nicht von meinem Plan abhalten lassen. 

Aber darum ging es nicht. Nein, es ging um den Verrat meiner Mutter. Ich erinnerte mich an die vielen schönen Momente mit ihr. Wie sie mit mir gespielt und gelacht hatte, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Wie sie sich immer Geschichten ausgedacht hatte und sie mir vor dem Zubettgehen erzählt hatte. Wie sie mich immer voller Liebe angesehen hatte. Selbst wenn ich Mist gebaut hatte, konnte sie mir nie lange böse sein. Sie hatte mit mir geschimpft, mich aber danach immer umarmt und getröstet. Nachts hatte sie sich manchmal mit mir auf eine Lichtung gelegt und mir die Sternbilder gezeigt und Geschichten dazu erzählt. Auch tagsüber lagen wir manchmal auf der Lichtung und hatten auf Wolken gezeigt und gesagt, welchen Gestalten sie ähnelten. Ich erinnerte mich noch an ein paar ihrer fantasievollen Antworten, wie "ein Drachen ohne Flügel, eine Einhornschnecke". Ich hatte mit jeder Faser meines Körpers gespürt, dass sie mich liebte. Hatte diese Liebe immer in ihren blauen Augen leuchten sehen.

Doch offensichtlich war diese Liebe nicht genug gewesen. Nicht genug, um mir die Wahrheit anzuvertrauen. Und hatte ich nicht die Wahrheit verdient? Ihr zufolge offenbar nicht. Und das schmerzte. Schmerzte so sehr, dass ich es kaum aushielt. Ein Rudel hatte keine Geheimnisse voreinander. Nicht von diesem Ausmaß. Zumindest hatte ich das immer geglaubt.
Doch Mum hatte diese Geheimnisse gehabt. Der Gedanke war kaum zu ertragen. Ich hielt es einfach nicht aus!

Noch immer plärrte Musik aus meinem Handy, aber ich nahm es kaum wahr. Meine Gedanken, meine Gefühle, dröhnten so viel lauter als die Töne aus meinem Handy. Ich konnte nicht damit umgehen, dass Mum mich so verraten hatte. Am liebsten hätte ich sie deswegen gehasst. Aber obwohl da auch Wut in mir war, überwog doch der Schmerz. Ich konnte sie nicht hassen, so sehr ich es auch wollte.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich so zusammengesackt, verletzt und allein auf dem Boden in meinem Zimmer verbrachte. Nicht lange genug jedenfalls, um mit alldem klar zu kommen, was ich heute erfahren hatte. Wobei ich sowieso bezweifelte, jemals wirklich über diesen Schmerz hinwegzukommen.

Jedenfalls klopfte es plötzlich an meiner Zimmertür. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Ich wollte nicht, dass mich jemand in meinem Zustand sah: verheult, verletzt, nicht ich selbst.

Tief atmete ich ein, räusperte mich, bevor ich die Musik von meinem Handy ausschaltete und ausdruckslos fragte:

"Was?"

Nicht gerade freundlich, aber für Freundlichkeit fehlte mir einfach die Kraft. Ich schaffte es gerade noch, all den Schmerz aus meiner Stimme herauszuhalten. Zumindest hoffte ich das.
Deryas Stimme ertönte sanft:

"Ich dachte, du möchtest vielleicht wissen, dass Xenia bald da ist."

Ich schloss die Augen. Xenia. Ich wusste nicht, ob es so eine gute Idee war, sie jetzt zu sehen. Ich war völlig kraftlos und leer, traurig und mit gebrochenem Herzen. Xenia sollte mich nicht so sehen, sollte sich nicht mit meinen Problemen belasten müssen.

Wenn sie kam, dann würde ich mich zusammenreißen müssen. Aber ich glaubte nicht, dass ich das schaffte. Es wäre besser, wenn sie mich so nicht sah.

"Schick sie weg", sagte ich durch die Tür zu Derya. "Ich bin im Moment keine gute Gesellschaft."

Draußen ertönte ein Schnauben.

"Und du glaubst, das schreckt sie ab? Kilian, sie ist deine Seelengefährtin. Sie wird dich nicht im Stich lassen, besonders nicht, wenn es dir so schlecht geht wie jetzt."

Und damit hatte es sich offensichtlich für sie erledigt. Ich hörte ihre Schritte, die sich wieder entfernten.
Mit geschlossenen Augen lehnte ich den Kopf an die Tür. Derya hatte ja Recht. Seelengefährten waren füreinander da, besonders wenn es dem anderen schlecht ging.

Aber das zwischen mir und Xenia war anders. Ich bezweifelte, dass sie dieses heilige Seelenband zwischen uns schon in all seinen Ausmaßen verstand, geschweige denn akzeptierte. Außerdem kannten wir uns noch nicht lange. Ich wollte sie nicht überfordern, indem ich mich wie ein heulendes Kind gebärdete. Am Ende würde ihr das nur noch zu viel werden und sie würde die Flucht vor mir ergreifen, solange sie es noch konnte.
Und das würde mir den finalen Schlag versetzen.
Ich sollte ihr schreiben, dass sie lieber zu Hause bleiben sollte. Es wäre besser für sie.

Doch gerade als ich nach meinem Handy griff und meinen Entschluss in die Tat umsetzen wollte, klingelte es an der Haustür.
Ich schloss die Augen. Es war zu spät. Sie war bereits da.

Ich verfolgte mit, wie Derya die Tür öffnete und sie begrüßte und dann nach hinten schickte. Ich horchte auf ihre zögerlichen Schritte, als sie auf meine Zimmertür zuging. Und fragte mich, ob ich sie vorhin stark verletzt hatte, als ich sie gebeten hatte zu gehen. Ich hoffte nicht. Ich hatte sie nicht verletzen wollen. Ich hatte nur Abstand gebraucht, Zeit für mich allein, um mir all dem klar zu werden.

Ihre Schritte stoppten direkt vor meiner Tür. Mit angehaltenem Atem lauschte ich auf ihr wild schlagendes Herz und wartete auf das Klopfen, das unweigerlich folgen würde.
Endlich ertönte es sanft.

"Kilian?" Ich atmete aus. Ihrer Stimme war wie Musik, die ich nie müde werden würde zu hören. Und trotzdem würde ich sie jetzt wegschicken müssen. Zu ihrem eigenen Wohl.

"Xenia, hey." Ich biss die Zähne zusammen, als ich hörte, wie kraftlos meine eigene Stimme klang. Dann räusperte ich mich.

"Es wäre vielleicht besser, wenn du nicht hier wärst. Ich gebe im Moment wirklich keine gute Gesellschaft ab."

Stille. Sie sagte nichts und durch die geschlossene Tür konnte ich nicht ihren Gesichtsausdruck sehen. Mist. Hatte ich sie verletzt? Das wollte ich nicht. Aber im Moment wäre es wirklich das Beste, wenn wir Abstand hielten, das musste sie doch einsehen. Trotzdem sollte ich sanfter vorgehen, auch wenn ich kaum noch die Kraft dazu hatte. Gerade wollte ich wieder zum Sprechen ansetzen, als durch die Tür ein tiefer Atemzug ertönte.

Dann sagte Xenia fest entschlossen, wie ich es gar nicht von ihr kannte:

"Es ist mir egal, dass du gerade keine gute Gesellschaft bist, Kilian. Es ist mir egal, dass du wahrscheinlich verheult aussiehst und nicht mit mir reden willst. Du hast mich vorhin gebeten zu gehen und das habe ich getan, weil ich akzeptiere, dass du deinen Freiraum brauchst. Aber du kannst dich nicht ewig vor mir verstecken. Ich bin deine Mate, das bedeutet, dass ich nicht nur da bin, um deine Sonnenstunden mit dir zu erleben, sondern dir auch in deinen weniger tollen Stunden zur Seite stehe. Und wenn du willst, dass das mit uns beiden funktioniert", sie holte tief Atem, "dann solltest du das auch akzeptieren."

Ich blinzelte. Völlig hin und weg von ihrer kleinen Rede.

"Und jetzt mach die Tür auf, damit ich dich endlich in den Arm nehmen kann, was ich schon viel früher hätte tun sollen", fügte sie mit kraftvoller Stimme hinzu.

Und wie könnte ich da noch nein sagen? Wieder einmal bewies Xenia mir, was für eine rundum perfekte Mate sie war und wie glücklich ich mich schätzen konnte, sie gefunden zu haben.
Niemals könnte ich sie jetzt noch so demütigen, indem ich sie vor der Tür stehen ließ. Niemals könnte ich sie zurückweisen, nur weil ich zu feige war, mich ihr auch in meinen schwachen Momenten zu zeigen. Also nahm ich allen Mut zusammen, um aufzustehen und die Tür für sie zu öffnen.

Das war das Mindeste, was ich tun konnte angesichts ihres eigenen Mutes, den sie mit ihrer kleinen Rede bewiesen hatte.
Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich schließlich entschlossen die Türklinke hinunter drückte und die Tür aufmachte.

Es fühlte sich so bedeutend an. Als ob ich mit dieser Handlung auch die Tür zu dem schwachen Teil meiner Selbst öffnete. Damit sie ihn so betrachten konnte wie sie es jetzt bei mir tat. Ihre warmen braunen Augen, in denen noch die Entschlossenheit tanzte, huschten über die salzigen Pfade auf meinen Wangen, die rot verquollenen Augen. Ohne zurück zu weichen oder auch nur mit der Wimper zu zucken.

Die Arme, die sie trotzig in die Seiten gestemmt hatte, fielen nun herunter und ihre ganze Erscheinung wurde so viel sanfter, als sie einen Schritt auf mich zuging und mich wortlos in die Arme schloss.

Dieser stille Trost, diese Zuneigung und Sicherheit, die sie mir damit schenkte, gab mir den Rest.
Tränen, von denen ich nicht gedacht hatte, sie noch vergießen zu können, liefen mir still und leise übers Gesicht. Meine Schultern bebten vor unterdrücktem Schluchzen, während Xenia mir tröstend über den Rücken strich und beruhigende Worte murmelte.

So standen wir eine ganze Weile da, bevor ich mich schließlich genügend gefasst hatte, um zurückzutreten und sie in mein Zimmer treten zu lassen.
Es wurden keine Worte zwischen uns gesprochen, als ich die Tür hinter ihr schloss und sie zu meinem Bett ging und sich darauf setzte. Es waren keine Worte nötig. Nicht jetzt. Später konnten wir immer noch reden.
Ich gesellte mich zu ihr aufs Bett und suchte wieder Zuflucht in ihren Armen. So hielten wir uns eine lange Zeit. Der Schmerz, der mein Herz bedrückte, verschwand zwar nicht, aber er wurde leichter zu ertragen.
Und dafür war ich Xenia unglaublich dankbar.

Dass sie trotz meiner Worte zurück gekommen und geblieben war. Dass sie mir Trost spendete. Dass ich sie fest an mich drücken durfte, ihre Wärme spüren und ihren Geruch tief in mich aufnehmen durfte.
Einfach, dass sie da war. Für mich.

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