Kapitel 6

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Die Prinzessin aus Kaesh


           ‚Ich kann das nicht.'
‚Natürlich kannst du! Und es wäre schön, wenn du können würdest, bevor er aufwacht!'

Irina biss sich auf die Unterlippe. Das Mädchen hatte Recht. Sie hatte heute keine Wahl. Schicksalsergeben sandte sie ein stummes Gebet, zu welchem Gott auch immer sich für solche Situationen zuständig fühlte und streckte ihre Hand aus.

‚Wenn du nur einem Menschen davon erzählst, dass ich alten Männern in den Ausschnitt gegriffen-...'

‚Konzentrier dich! Wenn du ihn weckst, wie du sein Hexenmedaillon stiehlst, werde ich nie die Gelegenheit bekommen, dich damit aufzuziehen!'

Irinas Stirn war in angespannte Falten gelegt, als sie mit den Fingerspitzen über die haarige Brust des Königs strich, immer auf der Suche nach dem blutgefüllten Anhänger. Der war doch eben noch nicht so klein gewesen, dass man ihn in einem Naturpulli verbergen konnte!

‚Vielleicht liegt ja ein Schutzzauber darauf', mutmaßte das Mädchen, als sprächen sie über die Grasvorlieben der Schafe.

Irinas Hand stockte sofort.
‚Ist das dein ernst? Du lässt mich in das königliche Nachtgemach einbrechen und das Oberhaupt eines Landes befühlen und weißt nicht, ob da vielleicht ein Schutzzauber ist, der uns verraten könnte?'

‚Er könnte auch immer noch von alleine aufwachen', gab das Mädchen wenig entschuldigend zurück.

Mehr denn je wünschte Irina sich heimwärts auf ihren Berg im Norden, mit der kleinen Hütte und den aufdringlichen Schafen. Von ihr aus konnten sie alle ihren Pelz behalten, wenn die Herde sie nur wieder aufnehmen würde.

‚Stell dir doch vor er wäre ein Schaf, das du nicht wecken möchtest.'

Irinas leidender Gesichtsausdruck fiel in Ekel zusammen, wie ein Liebeszauber nach Ablauf der Frist.
Gerade wollte sie sich dafür bedanken, dass das Mädchen nun auch das Gefühl von Schafsfell für immer ruiniert hatte, da stieß ihre Fingerkuppe gegen etwas Kühles.

Ihr Herz machte einen Satz und flinker als sie sich selbst zugetraut hätte, zog sie den Anhänger aus dem Nachthemd des Königs hervor.

Der Glasflakon schimmerte rötlich in seiner goldenen Fassung, das Blut immer in Bewegung.

‚Das nächste Mal zerreißt du einfach nicht die Kette und wir müssen nicht das ganze Bett nach dem Anhänger durchsuchen', schlug das Mädchen vor, während Irina ein Taschentuch aus ihrem Ärmel zog und das Medaillon vorsichtig einwickelte. Es war erstaunlich leicht für die vielen dünnen goldenen Ästchen, die es einfassten. Beides legte sie auf den Boden neben dem Bett und trat nach kurzem Zögern einmal kräftig drauf.

Das Knacken und Klirren des Glasgehäuses drang nur dumpf durch den Stoff, der sich sofort von dem Blut rot verfärbte.

Wenn es ein richtiges Hexenmedaillon gewesen wäre, hätten wir den freien Willen eines unschuldigen Mädchens gebraucht, um es überhaupt berühren zu können', das Mädchen klang höchst zufrieden mit ihrer Arbeit.

Erleichterung machte sich in Irina breit. Der entscheidendste Teil war geschafft. Sollten sie jetzt erwischt werden, blieb dem König nichts anderes übrig, als in Aktion zu treten und eine neue, funktionierende Kette anfertigen zu lassen.
‚Ich wäre mehr als nur Willens gewesen die Kette zu zerstören, wenn es nicht bedeutet hätte bei einem alten Mann auf Tuchfühlung zu gehen', erklärte sie entschieden.

Du bist aber nicht unschuldig. Ich weiß wie du Kerim manchmal ansiehst. Ich bin dabei.'

Irina schnaubte leise. Wenn es nicht so sinnlos wäre mit einer Stimme zu streiten, die alle Gedanken hören konnte, hätte sie mehr als deutliche Worte gefunden, um ihre Ehre zu verteidigen!
Kerim sah attracktiv aus, das würde sie nicht wegdiskutieren, doch der Jungen, den sie kennen gelernt hatte, war so weit entfernt von einem Ehrenmann, dass Beide vermutlich nicht einmal von der Existenz des anderen wussten.

‚Na und! Er hat seinen Wolfszauber für dich verwendet. Nicht gegen den Grauhäuter oder die Typen, die ihn bis zu unserem Dorf gehetzt und ermordet haben! Nein! Nur weil du dir eine blaue Hüfte gehauen hast.'

Irina verdrehte die Augen und platzierte den Anhänger plus vorher zerrissener Kette wieder an der Bettkante des Königs. Der Wolfszauber war zu pompös und aufwendig für Kerims Kampfstil. Er passte überhaupt nicht zu ihm.
Im letzten Moment entfernte sie das Taschentuch und stieß mit der Handfläche gegen eine Scherbe.

Ein einziger Tropfen Blut quoll aus dem feinen Schnitt an ihrem Handballen und mischte sich unter das fremde Blut, das die anderen Überreste benetzte.
Ein schriller Schrei zerriss Irina förmlich das Trommelfell.

Haltlos stolperte sie zurück, rutschte auf dem blutbesprenkelten Boden aus und landete mit einem Rumsen auf dem Po. Im selben Moment schoss der König in seinem Bett hoch und griff sich reflexartig an die blanke Brust. Eilende Schritte wurden hinter der Zimmertür laut.

‚Da ist doch ein Schutzzauber drauf!', brüllte die Stimme des Mädchens über das anhaltende Kreischen hinweg. Wäre sie nicht in ihrem Kopf gewesen, Irina hätte sie vermutlich nicht einmal gehört.

Ihr Herz drohte einige Rippen zu brechen, so hektisch schlug es in ihrem Körper. Irinas Blick schoss zu der immer noch offen stehenden Tür des Geheimgangs hinter der Holzfassade.
Sie musste da rüber kommen, bevor die Soldaten ins Zimmer kamen.
Hastig rappelte sie sich auf.

...und sah versehentlich zum König hinüber, dessen Blick sie wie ein gestelltes Reh erstarren ließ.
An seiner Zimmertür klopfte es. Jemand fragte, ob hier drinnen alles in Ordnung sei oder ob die Wachen eintreten dürften. Das war zumindest wahrscheinlicher, als das, was Irina über all den Lärm hinweg verstanden hatte.

Die Augen des Königs waren weit aufgerissen, der Mund hing in Sprachlosigkeit offen und Irina konnte nicht verstehen, warum er nicht geantwortet hatte.

‚Bist du dir sicher mit dem Schutzzauber?', fragte sie nach ein paar Sekunden sich ausdehnender Stille, ‚Oder ist das wieder eine deiner Fehleinschätzungen?'

Das Mädchen zögerte mit ihrer Antwort. Doch der König wollte sich partout nicht regen und von den Soldaten war kaum mehr zu erwarten, als undeutliche Fragen.
‚Wann habe ich das letzte Mal falsch gelegen?'

Ein unwohles Gefühl befiel Irina, als sie vorsichtig einen Schritt zur Seite machte und der König ihr nicht mit den Augen folgte. Er war wirklich und wahrhaftig erstarrt.
‚Vor sechzig Sekunden. Mit deiner Mutmaßung über Kerim.'

„Sir? Wir kommen jetzt rein!", brüllte in diesem Moment ein mutiger Soldat und Irina fuhr herum.

Raus hier!', rief das Mädchen und sie ließ sich das nicht zwei Mal sagen.

Gerade als die Zimmertüre gewaltvoller als notwendig aufgestoßen wurde, erreichte Irina den schmalen Geheimgang und schlüpfte hinein.

Lautes Scheppern verkündete, dass die Soldaten zur Verfolgung ansetzten.

Feuchte Dunkelheit schlug ihr entgegen und ließ sie die Hand vors Gesicht ziehen. Spinnenweben und fingerdicker Staub bezeugten die seltene Nutzung dieses Gangs. Laut dem Mädchen war er dem Personal der Burg nicht bekannt und wurde beim Eindringen von Gegnern zur sicheren Flucht des Königs und seiner Familie genutzt.

‚Weißt du was? Wenn wir das hier überleben, sollten wir bei Kerim bleiben!', verkündete sie, berauscht vom Gefühl der Hetzjagd.

Irina gab ihr keine Antwort. Selbst ihre Gedanken waren außer Atem, als sie wenige Augenblicke die zweite Tür erreichte und auf einen verlassenen Korridor hinaus stolperte.
Doch schon hinter der nächsten Ecke konnte sie weitere Soldaten Anweisungen brüllen hören.

❖❖❖

Kerim saß in seiner Zelle und spielte mit der geöffneten Tür. Ihm dauerte das alles zu lange. Eigentlich hatte er Irina schon vor dem letzten Wachtwechsel mit einem vollkommen verrückten Befreiungsplan erwartet.

Palaeh? Ein erstaunlich gerissener Trick das Interesse des Königs zu wecken und sie zu trennen.
Allein bei dem Gedanken an den Nachnamen der Hexe lief es Kerim kalt den Rücken runter. Er hatte keine Zeit mehr. Wenn sie erst wieder an der Burg wäre, hatte er nicht einmal mehr die Chance vor ihr zu fliehen.

Mit einem dumpfen Klirren prallte die Zelltür gegen die feuchten Steine der Wand und sprang wieder zurück zu seinem Fuß. Kurz hielt er inne und lauschte, ob die Wachen im Vorraum irgendetwas mitbekommen hatten, doch die unterhielten sich äußerst aufgeregt über etwas anderes.

Kerim legte den Kopf schief. Wog für einen kurzen Moment die Neugierde gegen Geduld ab und verließ beim Sieg von Ersterem auf leisen Sohlen seine Zelle, um mehr verstehen zu können.

Je näher er den Soldaten kam, desto lauter wurde ein merkwürdig dumpfes Heulen im Hintergrund, das fast alle ihre Worte verschluckte.

Kerim runzelte die Stirn. Keine Frage, dass das Irinas Werk war. Sie war zu brav und unschuldig für derartige Arbeit. Er wusste nicht, was sie dazu anleitete sich immer wieder in solche Gefahr zu bringen, doch es weckte die längst vergessen geglaubte Erziehung in ihm und das Bedürfnis sie wieder zu ihren Schafen und ihrer heilen Welt zurückzubringen.

Nur dass die von Skilii nieder gebrannt wurde und sie nichts mehr hatte, wozu sie zurückgebracht werden konnte.

Die Gedanken ließen Kerim die Kiefer aufeinanderpressen. Er würde ihr einen neuen Flecken Erde finden. Und ihre dämlichen Schafe retten.

Aber dazu musste er erst einmal hier raus.

Als er um die nächste Ecke lugte, stellte er erstaunt fest, dass alle Soldaten ihren Posten verlassen hatte. Das Gefängnis war unbewacht und es konnte nur einen Grund dafür geben: Der König war angegriffen worden und jemand hatte die Hexe verständigt.

Kerims Herz rutschte in seinen Magen. Verflucht, Irina!

❖❖❖

In einer wild-trudelnden Bewegung stürzte Irina durch die letzte Tür und stolperte Kopf voraus in den Innenhof des Palastes. Der, an den sie sich nicht erinnern konnte.
‚Die wenigsten Bediensteten haben Zeit den Garten zu genießen, ganz besonders wenn sie in der Küche arbeiten.' Der Tonfall des Mädchens war in den letzten Minuten deutlich nüchterner geworden.
Vielleicht weil Irinas Kondition und Tempo nicht ihren Erwartungen entsprochen und die Soldaten sie weit weg von den Verliesen gehetzt hatten.

Irina taumelte hinter die nächste höhere Hecke und blieb dort schwer keuchend stehen. Sie konnte einfach nicht weiter rennen! Schafe fangen in allen Ehren, aber nichts in ihrem alten Leben hätte sie auf etwas Derartiges vorbereiten können!
Doch ihr Verstand war klarer denn je.
‚Bedienstete? Willst du mir etwa sagen ... Hast du mich gekannt, als ich schon mal hier war?'

Leise, sorgsam gesetzte Schritte auf feinem Kies ließen sie den Kopf heben.
Vor Irina stand eine zierliche Frau, deren olivfarbene Haut im silbrigen Licht von innen leuchtete. In unvergleichlich anmutiger Bewegung schritt sie auf sie zu, als gäbe es nichts Natürlicheres für zwei junge Frauen sich unter dem Mond im Garten zu treffen.
Die vollen Lippen zu einem feinen Schmollen geschürzt, ließ sie ihre runden Augen über die komplette Erscheinung des Mädchens wandern, als betrachte sie eine hässliche Ente in einem Zierteich.

Eine Handbewegung ihres Gelenks und das Schreien im Hintergrund verstummte.

Irinas Nackenhaare stellten sich auf. Sie wusste, wer das war. Dazu hätte sich das Mädchen überhaupt nicht in das letzte Eck ihres geteilten Verstandes zurückziehen müssen.
Mit fest verschränkten Fingern versuchte sie, das Zittern ihrer Hände zu kontrollieren.

Die junge Frau schnalzte abschätzig.
„Hatte ich dir nicht gesagt welche unangenehmen Folgen es für deinen Vater haben würde, wenn du zurück nach Hause kommst, Hira?"
Ihre Stimme durchdrang die Nacht wie goldener Honig, doch Irina hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten.

Das hier war also Kaeshs mächtige Hexe. Eine der letzten ihrer Art. Und der Untergang eines ganzen Landes, wenn sie sich jetzt nicht geschickt anstellte.

„Hira ist nicht hier. Mein Name ist Irina. Und ich wüsste von keiner Familie, zu der ich hier nach Hause gekommen wäre."

Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein erstaunter Ausdruck durch das Gesicht der Hexe. Interessiert trat sie näher, die Unterlippen in Gedanken zwischen die Zähne gezogen.

Unwillkürlich fragte Irina sich, wie alt sie sein mochte. Gleichzeitig riet ihr eine unmissverständliche Stimme in ihrem Kopf zur Flucht. Und es war ausnahmsweise einmal nicht Hira.

„Bemerkenswert. Ich hätte nicht gedacht, dass der Zauber so stabil bleibt. Sag, wie lange ist es her, dass du von hier gegangen bist? Zwei Jahre? Und doch hat sie es nicht geschafft die Kontrolle zurück zu erlangen."

Bei ihrem Versuch auszuweichen, stieß Irina mit ihrem Rücken gegen einen Baum. Am liebsten wäre sie mit ihm verschmolzen, nur um diesem musternden Blick entgehen zu können.
Die Hexe kam ihr so nahe, dass Irina ein süßer Duft von Lilien in die Nase stieg.
Angespannt hielt sie die Luft an.

„Sag mir an was du dich erinnerst! Ich will wissen, wie weit sie die Mauer durchbrochen hat! Was hat sie dir zu gewispert, in der Stille der Nacht?"
Eine merkwürdige Ruhe legte sich über den Garten. Alle Geräusche verstummten wie auf ein unsichtbares Zeichen, das selbst den Herzschlag des jungen Mädchens erreichte.

Panik breitete sich in Irinas Brust aus. Wo war das Rascheln der Blätter und ihr rauer Atem? Selbst die Rufe der Soldaten wurden verschluckt, als hätte die Zeit eine Pause eingelegt.
Der Drang zu sprechen, nur um etwas hören zu können, wurde übermächtig.
„Ihr... ihr habt den einen schrecklichen Mord begangen", brach es gegen ihren Willen aus Irina heraus.

Ein glockenhelles Lachen durchschnitt die Leere zwischen ihnen. In einer anmutigen Drehung wandte sich die Hexe wieder von ihr ab und warf das lange Haar auf ihren Rücken.
„Und hat sie dir auch von dem schrecklichen Mord an meiner Tochter erzählt?"

Ihre Worte waren wie feine Nadeln unter der Haut. Irina sah die glatte Fassade, die sie aufrecht erhielt, doch sie sah genauso die da drunter brodelnden Abgründe eines zerrissenen Menschen.
Sie reckte das Kinn ein wenig.
„Grausame Taten rechtfertigen keine grausame Vergeltung."

Wieder dieses Lachen. Es rollte ihr die Fingernägel auf.
„Wirklich amüsant. Was würdest du bloß denken, wenn ich dir sage, dass die gute Hira mir sogar geholfen hat die Kette ihres Vaters zu zerbrechen?"

Ihre Worte waren nichts als gezuckerte Provokation. Und Irina konnte sich nicht helfen.
„Das ich nicht wusste, dass wir heute Nacht ihren Vater aus dem Schlaf gerissen haben", entgegnete sie, bevor sie sich bremsen konnte.

Etwas huschte hinter der Hexe durch den Schatten.

„Ihr habt die Kette zerstört und meinen Bannzauber auf ihn ausgelöst. Davon wusste sie damals nichts. Dachte, sie schenkt mir die Freiheit und sieht mich nie wieder. Eine gute Tat! Und sieh, was es ihr gebracht hat", die Hexe warf Irina einen frostigen Blick zu, „Sieh, was es dir und dem armen Kerim gebracht hat!"

Das schneidende Lächeln kehrte auf ihre Lippen zurück. „Zur falschen Zeit am falschen Ort. Hatte ihm niemand gesagt, dass adelige Aristokratensöhne sich nicht noch abends mit der Küchenhilfe treffen? Wollte dich verteidigen, als meine Wölfe durch die Flure des Palastes rannten."

Irina wurde schlecht. Tief in ihrem Inneren räsonierte etwas, das die schreckliche Wahrheit hinter den Worten der Hexe verstand.
Mit vorgehaltener Hand erstickte sie gerade so ein Wimmern.

„Nein", hauchte die Hexe zufrieden und wandte sich ihr wieder vollständig zu, „Davon hat die gute Hira dir nicht erzählt. Das wäre zu grausam gewesen. Stattdessen schleppte sie dich so weit von mir fort, wie sie noch die Kontrolle über euren Körper hatte und versteckte sich vor mir.
Das dir allerdings ein kleiner Bindungszauber so gründlich das Hirn zersieben würde, hätte ich nicht gedacht."

Sie trat näher, doch ihre Worte richteten sich nicht mehr an Irina.
„Vielleicht... zu nahe gestanden... Kerims Gedächtniszauber...", murmelte sie, als sie das Mädchen einmal gründlich in Augenschein nahm.

Irina konnte nicht verhindern, dass einzelne heiße Tränen sich in ihren Augen sammelten. Das hier war alles so viel schrecklicher, als sie erwartet hätte.
‚Verachtest du mich jetzt?', Hiras Stimme war kaum mehr als ein Flüstern aus der letzten Ecke ihres Verstandes. Wenn überhaupt möglich, brach es Irina nur noch mehr das Herz. Doch sie musste die Aufmerksamkeit der Hexe unbedingt behalten.
„Ihr habt mich aus Kerims Erinnerungen gelöscht?"

Die Hexe hob den Kopf, ehe sie sich wieder fing und ihren Rücken durchdrückte.
„Es war ein Gnadenakt. Nicht, dass eure Gefühle irgendeine Chance gehabt hätten. Und sollte Kerim wirklich für einen Mord hingerichtet werden, mit dem Wissen, dass die Prinzessin Kaeshs in den Körper seiner Geliebten gehext worden ist und nun das selbe Schicksal erwartet, wie er? Das wäre doch grausam."

Wieder schob sie leicht die Unterlippe vor. Sie wirkte wie eine Puppe, kaum mehr als eine Porzellanhülle, die jeden Moment dem Druck von innen nachgeben konnte.

Eine einzelne Träne rann über Irinas Wange.
„Er hat die ganze Zeit geglaubt er wäre vollkommen alleine auf der Welt. Er hatte etwas unvergleichlich Wertvolles verloren und wusste noch nicht einmal davon", brachte Irina hervor, doch ihre Stimme betrog ihre vorwurfsvollen Worte.
Sie würde heute Nacht hier draußen sterben. Wenn sie die Frau nur lange genug hinhalten konnte ...

„Und was haben die Menschen mir unvergleichlich Wertvolles gestohlen? Niemand empfindet Mitleid für mich und meinen Verlust!", die kühle Maske der Hexe bröckelte. Ihre Blicke wurden giftiger, verbissener.

Die Veränderung machte Irina Angst. Gerne hätte sie sich umgedreht und wäre fortgerannt, weit weg von allem Schrecken in diesem Garten, doch heute Nacht musste sie mutig sein.
„Ihr habt die Mutter der Letzten ermordet, die Mitgefühl mit Euch hatte."

In einer katzenartigen Bewegung schoss die Hexe auf sie zu und stieß sie hart gegen den Baum.
„Ich wollte, dass er meinen Schmerz fühlt! Ich wollte, dass er seine ganze Familie verliert und all seine Macht nichts nutzen würde, um sie wieder zu bekommen!", keifte sie, dass Irina den Kopf wegdrehen musste.
Mit ihren hageren Fingern umschloss die Hexe ihre Kehle und drückte ihre Nägel so tief in Irinas Haut, bis Blut lief.

Schmerz und der Mangel an Luft ließen ihre Augen überquellen. Ihre Muskeln verkrampften sich und ihr Kopf leer. Ihr Blick glitt hinter die Frau, zu einer geduckten Bewegung im Schatten, viel näher, als die Hexe vermutlich ahnte.

Ein feines Lächeln stahl sich ihrer Selbstbeherrschung zum Trotz auf Irinas Lippen. Sie hatte es geschafft. Sie hatte lange genug durchgehalten.
„Grausame Taten rechtfertigen keine grausame Vergeltung", wiederholte sie ihre Worte für jeden, der in dieser Nacht draußen im Garten war.

Und die Hexe brach ihr das Genick.

„Nein."
Kerim hörte das Knacken so laut, als wäre es sein eigener Knochen gewesen. Erst wurde ihm schlecht, dann kalt vor Wut. Doch nichts konnte ihn davon abhalten, dieses eine verräterische Wort zu sprechen, als Irina leblos zu Boden fiel.

Die Hexe fuhr zu ihm herum, wie nach einem Peitschenknall.

Noch ehe er sich auf seine Handlung besinnen konnte, hatte er das Wolfsmedaillon gepackt und die Tiere herauf beschworen. Bodenlose Leere füllte seinen Kopf.
Wie blaue Sterne glitzerten die Tiere im nächtlichen Garten, als sie sich nacheinander der Hexe zuwandten. Doch das sonst so berauschende Gefühl der fließenden Energie blieb aus.

Ohne ein Wort des Kommandos griffen sie an.
Die Wölfe duckten sich und sprangen, doch die Hexe rührte sich nicht. Wie Bestien verbissen sich die scharfen Zähne in ihrem Fleisch, rissen und zerrten, bis sie auf die Knie fiel. Doch außer einem gepeinigten Keuchen verzerrte nichts ihre eisige Maske.

Und Kerim fühlte sich ähnlich leer. Sein Verstand war wie in Watte gepackt. Auf sein Heißen hin, wichen die Wölfe von der Hexe zurück und machte ihm Platz sich neben sie auf das weiche Gras zu knien.

Blut sickerte aus ihrem Mund und mischte sich mit den vielen kleinen Rinnsalen, die sich wie ein Netz über ihre Haut erstreckten. Ihr linkes Bein war merkwürdig verdreht und ihr Atem ging stoßweise vor Schmerzen.
Und trotzdem trug sie noch immer dieses schmale Lächeln, als wüsste sie mehr als Kerim.
„Dachte ich mir, dass dir der Wolfszauber gefallen würde. Ein berauschendes Ende, einer Königin würdig", ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. Ein billiger Abklatsch von dem Schein, den sie sonst immer zu wahren wusste.

Kerim hörte ihr nicht einmal zu. Er teilte ihren Sinn für Drama nicht. Bis zuletzt hatte er nie gewusst, warum sie ausgerechnet ihn ausgewählt hatte für ihren Mord gerade zu stehen. Doch nun verstand er, dass kein Motiv ihre Handlungen leitete, sondern blinder Hass auf das Leben. Und dieser Hass hatte ihm alles genommen, bis nichts mehr übrig war als ein Leben auf der Flucht.
Ohne sie anzusehen, zog er den kleinen silbernen Dolch aus seinem Stiefel und wechselte die Hand.
„Deine Tochter erwartet dich", sagte er mit so viel Ruhe, wie er gerade noch aufbringen konnte.

Unter langen Wimpern sah die Hexe ihm in die Augen. Körperlicher und seelischer Schmerz verbanden sich darin zu einem dunklen Strudel, dessen Abgründe Kerim zu verschlingen drohten. Sie hatte ihn gelehrt zu verstehen. Auch er erstrebte nichts sehnlicher als Rache. Wollte, dass sie empfand, was ihn von innen auffraß.
Doch Irinas letzter Satz hing greifbar in der Luft. Und deshalb musste er das jetzt beenden.
Sie blinzelte nicht einmal, als er das Silber in ihr Herz stieß und es ruckartig wieder heraus zog.

Um Kerim herum wurde es dunkel. Nacheinander verblassten die Wölfe zu blauer Nachtluft und nahmen alle magische Kraft mit sich, die er bis eben verspürt hatte. Mit dem Licht der Hexe verschwand die Magie aus Kaesh.
Die zurückbleibende Leere ließ die Kette um den Hals leichter und seinen Verstand klarer werden.

Bilder von vergessenen Erinnerungen strömten zurück und füllten seinen Kopf. Bilder von Irina. Bilder, als er sie das erste Mal nach ihrer neuen Anstellung in der Palastküche besucht hatte.
Seine Brust verkrampfte sich, als er sich zu ihrem Körper umdrehte.

Neben ihr lag ein junges Mädchen im Gras und atmete flach. Kerim hatte Prinzessin Hira nie kennen gelernt, doch die teuren Kleider einer ausgebildeten Kriegerin ließen keinen Zweifel, dass sie es war, die langsam um ihr Bewusstsein kämpfte.

Stimmen und Rufe einzelner Soldaten wurden laut. Im blieb nicht viel Zeit.

Mit dem Gefühl, Glasscherben in seiner Brust zu tragen, kniete Kerim sich neben Irina und strich ihr das dunkle Haar aus der Stirn. Es gab nichts mehr, was er ihr sagen konnte. Nichts, das sie erreichen würde.

Als die Männer des Königs in den Garten stürmten, fanden sie die Prinzessin weinend an einem Baum lehnen. Sie hatte ihre Arme um das Mädchen geschlungen und wog sie sachte hin und her, als trüge sie ein kleines Kind.
Von der Hexe war nicht mehr zurückgeblieben, als die fahle Hülle eines Menschen.

Bis die Soldaten den König informieren konnten, hatte sich ihr Mörder aus den Stadttoren der Hauptstadt gestohlen und den Weg Richtung Nordgebirge eingeschlagen.
Dort oben grasten ein paar Schafe, die dringend einen Hirten benötigten. 

      ❖❖❖      

Heute ist nicht Montag, deshalb gibt es auch kein Quiz.
Hiermit endet auch schon mein Kontesteintrag und ich kann euch gar nicht sagen wie schwer es mir fiel dieses Ende abzuliefern. Nicht weil ich es nicht schreiben wollte. Schreibblockaden entstehen bei mir meist, wenn mein Unterbewusstsein weiß, dass das Müll ist, was ich gerade mache und meine Leser schützen will. Ich meine wenn ich schon kein Bock habe eine Szene zu schreiben, wie spannend kann sie dann schon sein?

In diesem Sinne habe ich das letzte Kapitel gefühlt 10 Mal umgeschrieben und bin mir nicht mehr ganz sicher, ob ich auch wirklich sauber verdeutlichen konnte, was ganz grob damals passiert ist, in der Nacht in der die Hexe die Königin ermordete. 
Falls etwas verwirrendes dabei war BITTE sagt mir bescheid, ich kann die Hilfe gebrauchen :D

Hach ja. Jetzt habt ihr es so weit geschafft, jetzt könntet ihr eigentlich auch einfach zur Familie dazu kommen. Katzenvideos. Katzenbilder. Katzenbücher. Katzen-... schon gut, schon gut. 

Zieht bei mir ein: 

instagram.com/morgankingsman_author/ (Link ist auch auf meinem Profil, keine Angst)

Und wie immer, vielen Dank fürs Lesen :) Ihr seid schon so coole Socken (die mich bitte nicht umbringen)!

xoxo

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