Kapitel 5 - Zuhause

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Ihr blickte ein bekanntes Gesicht entgegen. Es war Jakob, ihr Hausdiener, der ihr schon damals mürrisch auf die Finger geklopft hatte, wenn sie sich als Sechsjährige von den Plätzchen bedienen wollte noch bevor es Abendessen gab, oder sie mehrmals entgeistert gescholten hatte, wenn er sie auf Kästen, Schränken und Balustraden herumklettern sah, die für eine Zehnjährige viel zu gefährlich waren. Willow wollte damals üben, um mit zwölf endlich ihre Ausbildung zur Jägerin zu beginnen. Dazu war es nie gekommen.

»Miss Willow«, grüßte Jakob mit seiner kratzigen, doch vollen Stimme und öffnete die Tür für sie. »Sie sind zuhause.« Er trug ein einfaches Holzfällerhemd und schwarze Hosenträger, ein befremdlicher Anblick zu seiner sonst so bemüht eleganten Auftrittsweise von damals.

Willow rang sich ein müdes Lächeln ab und beeilte sich, an seiner mächtigen Gestalt vorbei ins Foyer des Anwesens zu schlüpfen. Sie mochte zwar die letzten vier Jahre gewachsen sein, doch reichte Jakob trotzdem nur bis zu den Schultern und das erste Mal wurde ihr bewusst, wie riesig ihr alter Hausdiener eigentlich war. Beinahe kicherte sie über ihre unbegründete Sorge, Querulanten hätten es auf das Haus abgesehen. An Jakob kam niemand vorbei.

»Das bin ich«, bestätigte sie und stellte ihren triefenden Koffer auf den marokkanischen Teppich. Jakob verzog den Mund und half ihr, aus dem Regencape zu schlüpfen.

»Generalvikar Jesiah hat uns in Kenntnis gesetzt. Abendessen ist bereit. Doch ich denke«, fügte Jakob hinzu, als er Willows Gesamterscheinung unter dem Regencape in Augenschein nahm, »das Badezimmer verlangt nach Ihnen.«

Willow strich sich die feuchten Haare aus der Stirn und schnürte ihre Stiefel auf. »Danke. Wie geht es dir?«

Jakob brummte und hängte Willows Cape auf. Er nahm den Koffer, um Willow durch das Anwesen zu ihrem alten Zimmer zu begleiten. Wo einst farbenfrohe Zimmerpflanzen den dunklen Mahagoni und Marmorwänden ein wenig Leben eingehaucht hatten, herrschte gähnende Leere. Die Perserteppiche im Flur sahen so vertraut aus, dass Willow beinahe ihr eigenes Lachen vermischt mit dem ihres Vaters hörte, als sie vor ihm und seinen schmutzigen Gärtnerhänden davongelaufen war. Sie passierten das Ausrüstungszimmer, dessen Türen fest verschlossen waren. Jakob mochte sich um die Instandhaltung des Anwesens gekümmert haben, doch die Kälte, welche von den unbenutzten Räumen ihrer Eltern ausging, zeugte von langjähriger Vernachlässigung menschlicher Zuwendung.

Sie blieb stehen und war versucht, die Messingklinke nach unten zu drücken. Zu sehen, welche Waffen ihre Eltern besessen hatten und worin sie täglich in den Kampf gegen die Chimären gezogen waren, hatte sie schon als Kind fasziniert. Aber das Ausrüstungszimmer war bis auf das polierte Walnussparkett leergeräumt. Man hatte Heathers und Keiths Arsenal der Untersuchungskommission zur Verwahrung und Beweisfindung übergeben.

»Das Konzil hat unsere Dienststellen weiterhin bezahlt«, erklärte Jakob auf Willows Frage hin. »Maisy und ich durften hierbleiben, als ...«, er brach ab, da er merkte, dass Willow ihm nicht mehr folgte und wandte sich zu ihr um.

»Als man meine Eltern in Handschellen abgeführt hat, ich weiß, Jakob«, murmelte Willow und riss sich von der Flügeltür los. Jakob nickte und sie passierten das ehemalige Musikzimmer, dessen Möbel, wie Willow mit einem flüchtigen Blick feststellte, mit weißen Laken bedeckt waren.

Er brachte sie die Treppe hinauf in den ersten Stock bis zu ihrem Zimmer. Das Bad schloss direkt daneben an. Die anderen beiden Türen in diesem Stockwerk waren fest verschlossen und Willow hatte dieses Mal kein Bedürfnis sie zu öffnen. Das Schlafzimmer ihrer Eltern und das geräumige Arbeitszimmer samt Observatorium schrien sie selbst über die Distanz der Holzbalustrade der Galerie an, bestimmte Dinge für immer Ruhen zu lassen.

Enttäuschung, Fassungslosigkeit, Angst und Verzweiflung hatten vor vier Jahren jede wache Sekunde ihres Verstandes besiedelt und sie auch nachts nicht kein Auge zutun lassen. Mit zwölf war es ihr noch unbegreiflich, dass ihre Eltern zu Bösem fähig sein konnten. Mit sechzehn gehörte diese Tatsache bloß auf die Liste unzähliger Dinge, die Willow über die einsamen Monate, in denen sie selbst in der Jugendstrafanstalt eingesessen und später von Haus zu Haus gereicht worden war, einfach akzeptierte.

Jakob, dem Willows versteinerte Miene nicht entging, räusperte sich. »Es ist nur ein Haus, Miss Willow. Ihre Eltern haben hier bloß gewohnt, es ist nicht verflucht.«

Willow holte scharf Luft. »Das Haus vielleicht nicht«, sagte sie leise und ballte ihre Hände zu Fäusten und ihr Körper fing an zu zittern. »Aber mein Name dafür schon.«

Jakob brummte etwas Unverbindliches und stellte ihren Koffer in das sauber aufgeräumte Zimmer. »Ich bin in der Küche. Wenn Sie fertig sind, rufen Sie nach mir.«

»Danke«, brachte Willow hervor, deren Kehle sich langsam aber gewiss fest zusammenzog. »Nicht nur für das Essen. Auch dafür, dass du hier bist.«

Jakob musterte sie aus stillen, grauen Augen und nickte dann einmal. »Selbstverständlich, Miss Willow.«

»Bitte einfach Willow«, verbesserte sie Jakob matt. »Sämtliche Form von Respekt bleibt fürs Erste besser aus.«

»Wie Sie wünschen.«

۞

Willow ließ sich nicht dazu hinreißen, in Erinnerungen zu schwelgen. Sie entkleidete sich, nachdem sie den Inhalt ihres Koffers nach einem trockenen Ersatzrock und einer langärmeligen Bluse durchsucht hatte, und ließ sich in die kalte, emaillierte Badewanne sinken, noch ehe sie den Hahn aufdrehte.

Das Wasser schoss heiß zwischen ihren Beinen in die Wanne und sie streckte sich mit einem Ächzen aus. Ihre Zehen und Finger brannten, bevor sie langsam wieder auftauten und die dampfende Wärme in dem kleinen Badezimmer auch die Verspannungen aus ihrem Nacken verdrängte. Sie verzichtete auf die Rosenseife, deren blasser Duft nach wie vor den geblümten Fliesen und Schränken anhaftete, obwohl mit Sicherheit seit vier Jahren niemand mehr in dieser Wanne gelegen hatte.

Jakob lebte im hinteren Teil des Anwesens und besaß eigene Wohnräumlichkeiten samt Bade- und Schlafzimmer neben dem Geräteschuppen des Gartens. Willows Familie war reich gewesen, doch das meiste Geld war nach der Gefangennahme von Heather und Keith eingefroren, oder an Heathers Schwestern in Wispmoore übergeben worden, um es zu verwahren. Willow fragte sich, ob sie es je wiedersehen würde.

Nach dem Bad schlüpfte sie in Rock, Gürtel und Bluse, band die eleganten Damenstiefel zu und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Jakob, der sie eintreten hörte, noch ehe er von seinem Buch aufblickte, machte sich stumm an die Arbeit. Er brachte ihr eine Schale voll Suppe und frisches Brot.

Willow kommentierte das karge Mal eben sowenig, wie Jakob sich dafür entschuldigte. Bis Willow den Zugang zu ihrem Bankkonto erhielt, konnte sie Jakob und Maisy auch nicht adäquat entlohnen. Trotz der Stille, die nur durch das Knistern des lodernden Kamins und das rhythmische Klirren Willows Löffel in der Schale durchbrochen wurde, beschlich Willow das erste Mal ein Gefühl von Geborgenheit. Sie war zuhause.


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro