9. Großumzug

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"Mann in Sicht!" Die helle Stimme von Andronika, welche als Späherin auf einen hohen Baum geklettert war, ließ uns alle zusammenschrecken. Mann in Sicht? Das war definitiv keine gute Information.

"Soll er weg?" fragte Otrera, welche gerade noch auf einen Baum eingehauen hatte. Der arme Baum, es war immer der selbe. Was hatte Otrera immer nur mit dem auf-einen-Baum-einschlagen-bis-er-total-zu-Kleinholz-zerhackt-ist Training? Es war mir ein Rätsel.

"Keine Ahnung. Er hält eine weiße Fahne über sich. Außerdem ist es noch ein Junge." rief Andronika zurück. Eine weiße Fahne? Das heißt, er kam mit friedlicher Absicht?

"Na gut, er kann kommen. Wir wollen hören, was er zu sagen hat. Training ist bis dahin unterbrochen." kündigte Otrera an, und ließ von dem armen Baum ab. "Andronika, Sofia, Leo, kommt ihr mit?"

Ich war froh darüber, mitkommen zu dürfen. Es war schon mehr als eine Woche vergangen, seitdem ich wieder zu Bewusstsein gekommen war. Allerdings waren meine Stimmbänder immer noch nicht ganz in Form. 

Kämpfen funktionierte tadellos. Das Sprechen hingegen noch nicht so ganz. Außerdem schien Sofia immer an Ort und Stelle zu sein, um mich zu ermahnen, dass ich noch nicht so viel reden durfte. Einerseits - war es wirklich nervig. Anderseits... auch schön. 

"Otrera?" hörte ich in diesem Moment Sofia sagen. "Also, du wirst ihn nicht verhauen, egal ob er dich aufregt, ja?" "Ja." grummelte Otrera, sichtlich enttäuscht. "Ich werde mich zusammenreißen. Wirklich. Außer er - "

"Otrera!"

Sie verdrehte genervt die Augen. "Jaja."

Wir gingen zu der Höhle, die mittlerweile zum Hauptquartier geworden war. Otrera war nicht direkt die Chefin, doch irgendwie schon. Schließlich hatte sie angefangen, und alle anderen Frauen angeführt. Ja, Otrera war eine gute Anführerin. Stark, selbstbewusst, und listig.

"Was willst du?" fragte Andronika kalt. Sie hatte diese königliche Miene, welche auch Männer einschüchtern konnte. Das war wahrscheinlich auch der Grund, wieso Otrera sie dabei habe wollte.

"Ähm... Guten Tag." erwiderte der Junge. Definitiv eingeschüchtert. "Ich..." fing er an zu stottern.

"Mann, mach mal!" sagte ich, woraufhin Sofia mir einen mahnenden Blick zuwarf. Wenn Blicke eine Stimme gehabt hätten, dann wäre ihr Satz zu hundert Prozent: "Nicht reden." gewesen.

"Dein Belangen?" fragte Andronika ein weiteres mal. "An deiner Stelle würde ich auf meine Wortwahl achten, Junge."

"Ergebt euch... oder... s-sterbt!" rief er. Es war deutlich, dass er diesen Satz einstudiert hatte, denn es klang überhaupt nicht drohend. Einfach nur mickrig.

"Ach." sagte Otrera, und ihre Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. "Und wieso sollten wir das tun?"

"Weil... wir euch dann... p-platt... t-trampeln!" erwiderte der Junge. "Du solltest wieder in dein Dorf." sagte Otrera mit mildem Gesichtsausdruck. "Wahrscheinlich hast du zu viel in der Hitze gestanden."

Aww wie süß. Er klang wie mein bescheuerter Klassenkamerad, der die hilflosen Schüler mobbte. So nach dem Motto ich-mache-euch-platt-wenn-ihr-mich-nicht-auf-mich-hört...

Schrecklich eingebildet. "Geh." sagte Otrera, dieses mal war ihre Stimme sehr viel kälter.

Auch der Junge schien dies zu merken, und wich einen Schritt zurück. "J-ja." Dann ließ er seine weiße Flagge auf den Höhlenboden fallen, und rannte davon, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her wäre.

"Denkst du, wir sollten...?" fragte Andronika ratlos. "Er klang ziemlich ernst." Sofia zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht. Wir sind stark. Lass uns die Lage noch ein mal ansehen."

Somit gingen wir zu dem Hügel, wo Sofia und ich uns vor einer Woche geküsst hatten. Bei dem Gedanken daran begannen wieder Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern. Argh, diese verdammten Schmetterlinge! Ich musste mich konzentrieren.

"Ach du..." sagte Andronika, und schüttelte den Kopf. "Er hat es wirklich ernst gemeint." Ich lugte über den Felsvorsprung, und hätte mich beinahe verschluckt. Wie war das möglich? Hatten wir nicht genug aufgepasst?

"Zweihundert... dreihundert... Mindestens fünfhundert Mann sind es. Das ist unmöglich!" rief Sofia, die sofort unsere Gegneranzahl kalkuliert hatte. Sie war so schlau...und hübsch...und -

Äh...Wo war das mit der Konzentration, liebes Gehirn?

"Was machen wir jetzt?" fragte ich ratlos. "Das ist..." Otreras sonst so selbstbewusste Haltung schien zu bröckeln. "Wir schaffen das nicht, leider. Es ist einfach nicht machbar. Ahh..."

Ich konnte sie verstehen, jedenfalls teilweise. Alle vertrauten ihr. Alle sahen sie als die Anführerin, stark, schlau, und immer eine Lösung parat - aber Otrera war doch auch nur ein Mensch!

"Wir sollten das nicht riskieren." sagte Andronika. "Das ist ein Kampf, den wir nicht gewinnen können. Und glaubt mir - die Männer werden nicht gnädig mit uns sein. Lassen wir es lieber, denn es wird nur jede Menge Opfer geben."

"Aber..." Otrera schien zu kämpfen - aber womit? Mit ihrem Stolz? "Na gut. Wir - werden uns aber nicht ergeben. Wir werden flüchten."

Sofia nickte langsam. "Alles klar - wir müssen aber jetzt sofort die Vorbereitungen treffen. Rufen wir jetzt alle zusammen?"

"Ja." erwiderte Andronika, und zog Otrera mit sich. "Bleibt doch noch ein bisschen hier - dann könnt ihr euch unterhalten und so."

Kichernd verzogen die beiden sich.

Ich setzte mich auf die Felskante neben Sofia, und ließ die Beine herunterbaumeln. Eine angenehme Stille entstand. Kennt ihr das, wenn man mit jemanden zusammen sitzt, und das Gefühl hat, nichts sagen zu müssen, aber ohne eine unangenehme Stille entstehen zu lassen?

So fühlte ich mich bei Sofia. "Leo?" fragte sie nach einer Weile. "Du musst irgendwann ein mal zurück, oder?" Ihr Gesichtsausdruck war so traurig, dass ich einen Kloß in den Hals bekam. Würde ich zurückkehren? Wahrscheinlich schon...

"Sofia. Ich weiß nicht wie lange ich noch - " begann ich. Doch Sofia unterbrach mich, in dem sie mich einfach an sich heranzog, und küsste. Ein ganz sanfter Kuss, und trotzdem schlug mein Herz Triolen. 

"Sofia, wir..." murmelte ich, total benebelt von unserem Kuss. 

Sie schaute mir tief in die Augen. "Nicht reden, Leo." Dann legte sie abermals ihre Lippen auf meine. Ich hätte nie gedacht, eine Freundin zu haben, geschweige denn jemanden zu küssen. Aber... Sofia konnte gut küssen... und —

Äh, WIE BITTE?! Woran dachte ich eigentlich? Das war wohl wieder mein Gehirn. Einfach unmöglich. Und so merkten wir nicht einmal, dass wir aus der Ferne von allen möglichen Frauen beobachtet wurden. 

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