Heilung - Lillys Sicht

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Nachdem es mir gestern überhaupt nicht gut ging, hat mich meine Mutter bei der Schule auch für heute krankschreiben lassen, und dafür bin ich ihr wirklich dankbar. Am Morgen hat sie extra für mich Pfannkuchen gemacht, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Es mag eigenartig klingen, doch besonders heute habe ich das Gefühl, dass mein Papa bei mir ist. Sonnenstrahlen drangen in mein Zimmer, als ich aufgewacht bin. Ich habe mich nicht wie traurig gefühlt wie sonst, sondern war glücklich.

Ich bin froh darüber, dass mein Vater mich ganze 11 Jahre in meinem Leben begleitet hat. Ich bin glücklich darüber, dass ich eine Mutter habe, der ich wichtig bin und die mich liebt. Und natürlich bin ich überglücklich darüber, dass ich jemanden wie Noah an meiner Seite habe. Durch ihn habe ich begriffen, dass es ganz egal ist, wie kaputt wir sind. Es wird immer jemanden geben, der das Gute in einem sehen und einen so liebt, wie man ist.

Ich weiß nicht, womit ich das verdient habe, doch ich nehme es an, dass ein Mensch mich aufrichtig mag. Als ich fertig gefrühstückt habe, gehe ich wieder in mein Zimmer. Dort suche ich in meinem Schrank nach einem alten Fotoalbum. Ich setzte mich auf mein Bett und blättere in den Seiten herum. Ich lasse mich auf eine Zeitreise ein und versetze mich zurück in jedes einzelne Foto.

Es ist kaum zu glauben, aber ich bin das kleine Mädchen, das mit einer sichtbaren Zahnlücke und verstrubelten Haaren zusammen mit ihrem geliebten Papa in die Kamera lächelt. Ich weiß, dass es eine alte Version von mir ist und trotzdem fühlt sie sich durchaus etwas fremd an. Ich kann mich nur dunkel an unseren Urlaub in Venedig erinnern. Wie glücklich wir drei als Familie ausgesehen haben. Es gibt so viele Dinge, die ich meinen Vater gerne fragen würde.

Was war der schönste Moment in deinem Leben?

Hattest du einen ganz bestimmten Traum, den du dir immer schon mal erfüllen wolltest?

Gibt es etwas, was du bereust, nicht getan zu haben?

Ich kann ihm all diese Fragen nicht mehr stellen. Das Einzige, was ich machen kann, ist zu versuchen, selbst eine passende Antwort zu finden. Wenn ich einmal Kinder haben sollte, dann werde ich auch mit ihnen Burgen aus Kissen bauen und ihnen anschließend einen warmen Kakao mit Marshmallows machen. Sie sollen auf keinen Fall ins Bett gehen, ohne von mir eine tolle Gute-Nacht-Geschichte erzählt bekommen zu haben.

Ein Klopfen an meiner Tür holt mich aus meinen Gedanken. Es ist meine Mama, die hereinkommt und sich zu mir setzt. Wir schauen uns zusammen das Fotoalbum an und schwelgen in Erinnerungen.

,,Ich wollte heute zum Friedhof. Wenn du möchtest, kannst du sehr gerne mitkommen'', bietet mir meine Mutter an.

Ich bin verblüfft, doch freue mich sehr über ihr Angebot.

,,Sehr gerne.''

***

Ich halte die Hand meiner Mutter, während wir den Pfad zum Grab meines Vaters entlanglaufen. Wir laufen schweigend nebeneinander und genießen einfach die wohltuende Stille. In meiner Hand halte ich ein Sträußchen Astern, das wir extra für heute gekauft haben.

Zusammen zu seinem Grab zu gehen, ist eine schöne Idee. Das haben wir schon so lange nicht mehr gemacht. Es ist schön, jemanden bei sich zu haben, der mit einem geht. Als wir vor seinem Grab stehen, muss Mama nach einem Taschentuch greifen. Ich lege ihr einen Arm um ihre Schulter und bete in meinen Gedanken leise dafür, dass Papa nun an einem besseren Ort ist.

,,Wir sollten dankbar für jeden Tag sein, den wir auf dieser Welt erleben, mein Schatz. Es ist nicht selbstverständlich, dass wir am nächsten Tag froh und munter aufwachen'', meint meine Mama an mich gewandt.

Und sie hat recht. Gestern noch habe ich mich extrem schuldig gefühlt, dass ich nach so einer langen Zeit wieder glücklich bin. Doch ich brauche mich nicht schuldig fühlen. Mein Papa hätte gewollt, dass ich wieder glücklich werde und auch mal lächeln kann. Er hätte mir ganz bestimmt ein Leben gewünscht, das ich in vollen Zügen genießen kann. Auch Mama hat jedes Glück dieser Welt verdient.

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, das eigene Kind ohne den Vater aufzuziehen. Und wer weiß, vielleicht findet sie eines Tages jemanden, mit dem sie ihr restliches Leben verbringen möchte. Ein orangener Schmetterling fliegt an uns vorbei und irgendwie ist das für mich ein Zeichen. Es ist für mich ein Zeichen, dass man nie die Hoffnung aufgeben sollte. Wir können unser Leben noch nutzen und etwas Wunderbares daraus machen.

***

,,Soll dich dir sagen, woran ich glaube?'', fragt mich Noah, als wir am Abend draußen bei mir auf der Terrasse sitzen.

Es ist schon längst dunkel. Der Mond steht hoch oben am Himmel und taucht zusammen mit den Sternen alles in ein silbernes Licht.

,,Ich glaube daran, dass jeder Stern am Himmel für einen geliebten Menschen steht, der hoch oben im Himmel sein neues Zuhause gefunden hat.''

Ich blicke nach oben und muss zugeben, dass mir diese Vorstellung ziemlich gut gefällt. Das würde bedeuten, dass es am Himmel einen Stern gibt, der für meinen Vater steht und einen anderen, der Antonia gehört.

,,Soll ich dir sagen, woran ich glaube?'', erwidere ich. ,,Ich glaube, das Schicksal wollte, dass unsere Wege sich kreuzen. Es wollte, dass wir jemanden auf dieser Welt finden, der uns versteht.''

Ich rücke etwas näher zu Noah und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Er nimmt meine rechte Hand und verschränkt seine Finger mit meinen. Die Abendluft ist frisch, doch sie tut gut. Sie schenkt uns Kühle nach einem etwas zu warmen Tag.

,,Wie war es heute auf dem Friedhof?'', erkundigt sich Noah.

,,Es war okay, Meine Mutter ist mit mir gegangen. Zusammen ist das Ganze irgendwie etwas erträglicher.''

Ich habe dieses Mal keinen fetten Kloß im Hals, als ich darüber spreche. Und genau das ist ein großer Fortschritt für mich. Es zeigt, dass ich in meinem Trauerprozess etwas weiter bin. Ich stelle mir nicht mehr die ,,was wäre wenn'' Fragen. Stattdessen lebe ich im Moment und versuche alles von ihm in mich aufzusaugen.

Klar werde ich in meinem Leben immer noch Augenblicke haben, in denen ich meinen Papa unglaublich vermissen und die Erinnerung an ihn sehr schmerzen wird. Trauer kommt und geht in Wellen. Ab und zu kann sie uns völlig überwältigen. Gerade in den schlimmen Phasen fragt man sich, ob es nicht besser wäre, den Kampf aufzugeben.

Heute kann ich aus vollstem Herz sagen, dass man es selbst wert ist, sich nicht geschlagen zu geben. Auch für die Menschen um einen herum, die einem wichtig sind, sollte man weitermachen. Sie sind für mich da, wenn es mir mal schlecht geht. Personen, die dich wirklich lieben, werden immer für dich da sein. Sie werden deine Tränen trocknen, dich sprechen lassen, bis du dir alles nur Erdenkliche von der Seele geredet hast und dir einen sicheren Hafen bieten.

Wir sitzen solange draußen, bis es zu kalt geworden ist. Da es schon spät geworden ist, beschließt Noah zu gehen und verabschiedet sich. Ich liege längst schon im Bett, als meine Mama in mein Zimmer kommt, um nach mir zu sehen.

,,Ich habe Noah wirklich falsch eingeschätzt. Er scheint dir gut zu tun, Lilly.''

Sie setzt sich zu mir ans Bett und streichelt mir übers Haar.

,,Läuft da was zwischen euch?''

War ja klar, dass ihr das direkt auffallen muss. So sind nun mal Mütter, vor ihnen kann man auch gar nichts verheimlichen. Da ich sowieso eine schlechte Lügnerin bin, beschließe ich mit der Wahrheit herauszurücken.

,,Wir sind noch nicht zusammen, doch wir haben uns schon mal geküsst. Wir hätten gestern eigentlich zusammen ein Date gehabt.''

,,Soso.''

Meine Mama grinst wie ein Honigkuchenpferd und zwinkert mir verschwörerisch zu.

,,Er scheint ein guter Mensch zu sein. Lass ihn also nicht gehen.''

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