Unendlich glücklich - Noahs Sicht

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,,Und er hat doch tatsächlich gemeint, dass er im betrunkenen Zustand einen Handstand hinbekommt'', gibt Basti lachend von sich, wobei er sich den Bauch hält. Louis stimmt mit ein und ich auch, aber bei mir ist es kein echtes Lachen. Ich habe nicht mal richtig zugehört, als Basti von der Party erzählt hat. Diese habe ich verpasst, weil ich zum Friedhof gegangen bin. Ich kann nur daran denken, dass die drei Wochen um sind und ich gleich in Geschichte zusammen mit Lilly das Projekt vorstellen muss. Ich bin heute extra lange wach geblieben, weil ich einen Text schreiben wollte, der Lilly als Person so gut wie möglich widerspiegelt.

Ich war die letzten Tage über nicht in der Schule, weil ich unser letztes Aufeinandertreffen mit ihr zuhause erst einmal vernünftig verarbeiten musste. Ich kann nun wieder klar sehen und weiß, dass in Selbstmitleid baden keine Option ist. Ich muss weitermachen. Ich bin es mir selbst und Antonia schuldig. Es mag sein, dass ich mich auf dieser Welt verloren fühle, aber noch habe ich mich selbst nicht verloren. Das ist der große Unterschied. Ich habe noch genügend Kraft, um weiterzumachen. Am Ende spielt es keine Rolle, wie tief wir fallen. Die Hauptsache ist, dass wir uns wieder vom Boden aufrappeln und anfangen, vom Abgrund nach oben zu klettern.

,,Hey Noah, könnte ich dich kurz sprechen?''

Vor unserem Tisch steht Lilly. Ich versuche ruhig zu bleiben, doch mein Körper möchte nicht auf mich hören. Mein Herz klopft viel zu schnell und meine Hände sind schwitzig.

Ob sie immer so einen Effekt auf mich haben wird, wenn ich sie sehe?

Ob ich irgendwann in der Lage bin, das abzustellen?

,,Ja, kannst du. Jungs, ich gehe mal eben mit Lilly raus.''

Ich erhebe mich vom Stuhl und verlasse mit ihr gemeinsam die Kantine. Draußen ist die Luft nicht so stickig und es ist etwas ruhiger.

,,Wir müssen heute das Projekt vorstellen. Ich habe beide Texte fertig. Möchtest du vielleicht mit mir kurz den Text durchgehen, den ich über mich selbst geschrieben habe?''

Lilly ist unruhig. Sie wippt von einem Bein aufs andere. Ihr scheint es wohl genauso zu ergehen wie mir.

,,Das wird nicht nötig sein. Ich habe bereits einen eigenen Text über dich verfasst. Wenn du damit einverstanden wärst, würde ich diesen präsentieren und anschließend für unsere Note als Gruppe bei Herrn Hartkamp einreichen.''

Die Verblüffung ist Lilly direkt ins Gesicht geschrieben. Sie hat also nicht damit gerechnet, dass ich doch etwas aus Eigeninitiative zu dem Projekt beigetragen habe. Ich bin sehr gespannt, was sie zu meinem Text sagen wird. Doch noch viel mehr interessiert es mich, was sie  über mich geschrieben hat.

,,Also gut, dann wäre das ja geregelt. Wir sehen uns später in Geschichte.''

Ich meine auch ein klein bisschen Stolz aus ihrer Stimme herauszuhören.

***

,,Guten Mittag, meine Lieben'', begrüßt uns Herr Hartkamp, als er das Klassenzimmer betritt und sich hinsetzt. ,,Ich hoffe, dass Ihr nicht vergessen habt, dass ihr heute eure Gruppenprojekte vorstellen werdet. Ich bin sehr gespannt.'' Herr Hartkamp lässt seinen Blick durch die Klasse wandern und bleibt ausgerechnet an mir haften. ,,Noah und Lilly. Wie wäre es, wenn ihr beide den Anfang macht?''

Ich persönlich habe kein Problem, vor der ganzen Klasse zu sprechen. Aber ich weiß, dass es Lilly nicht einfach fällt. Ich habe sie schon einige Male bei Präsentationen beobachtet. Sie hat immer Karteikarten dabei, obwohl sie diese gar nicht braucht, weil sie sowieso alles auswendig kann. Wahrscheinlich hat sie Angst, sich zu verhaspeln. Sie muss befürchten, ihren Text zu vergessen, weil es sie zu nervös macht, wenn sie alle anschauen. Allein in meiner Gegenwart hat sie nicht gestottert, doch wenn sie vor der gesamten Klasse etwas vortragen muss, tut sie es ein wenig. Als in den Reihen getuschelt wird und wir nach vorne zur Tafel gehen, entgeht mir nicht, dass Lilly etwas blass um die Nase ist. Ich überlege mir, was ich zu ihr sagen könnte, damit sie sich etwas innerlich etwas beruhigt. Es fällt mir sogar etwas ein.

,,Möchtest du anfangen? Dann hast du es hinter dir'', schlage ich ihr so leise vor, dass nur sie meine Worte hören kann.

,,Okay'', willigt sie ein, wobei sie kurz kräftig schluckt.

,,Stell dir einfach vor, du würdest mir den Text vortragen. Versuche zu ignorieren, dass die anderen dich anstarren'', rate ich ihr.

Vielleicht ist das Ganze nicht mehr so beängstigend für sie, wenn sie sich vorstellt, dass sie nur mir ihren Text präsentiert. Herr Hartkamp bringt die anderen dazu, dass sie endlich leise sind und Lilly beginnt zu sprechen. Erst ist ihre Stimme etwas leise und zart, doch mit jedem neuen Satz wird sie kräftiger und klingt selbstsicherer. Sie kopiert meine Körperhaltung, steht gerade und streckt die Brust raus. Und ich bin völlig sprachlos, was sie da über mich erzählt.

Ihre Worte berühren mich und rauben mir den Atem. Sie geben mir ein wohliges Gefühl und sorgen dafür, dass ich mir vorkomme, als würde ich von wärmender Sonne durchflutet werden. Ich kann es kaum fassen, was sie da über mich sagt. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht vor der Klasse zu zeigen, wie sehr sie mich gerade bewegt. Als Lilly fertig ist klatschen alle Beifall. Herr Hartkamp hebt den Daumen nach oben und an Lillys großem Strahlen erkenne ich, dass sie begreift, wie gut sie das eben gemacht hat. Nun überlässt sie mir die Bühne und ich gehe kurz in mich, bevor ich anfange zu sprechen.

,,Die meisten von euch kennen Lilly Schilling als das Mädchen, das eher eine Einzelgängerin ist und nicht viel spricht. Als wir uns das erste Mal bei ihr getroffen haben, hat sie zu mir gemeint, dass sie nichts Spannendes zu erzählen hätte. Ich habe damals zu ihr gesagt, dass das nicht stimmt. Wie würdest du deinen Projektpartner beschreiben? Lilly ist ein zielstrebiger Mensch, wenn es um Dinge geht, die ihr wichtig sind. Sie ist sehr sensibel, doch das ist nichts Schlechtes. Das genau macht sie so feinfühlig. Sie verkriecht sich gerne in ihr Schneckenhaus, das möchte ich gar nicht abstreiten. Aber sobald sie einer Person vertraut, öffnet sie sich und blüht auf. Man denkt zuerst, dass sie nicht unbedingt mutig ist, doch das stimmt nicht. Lilly stellt sich ihren Ängsten und sagt ihnen damit jeden Tag den Kampf an. Genau das finde ich absolut bewundernswert an ihr. Gibt es ein Ereignis im Leben deines Projektpartners, welches ihn stark geprägt hat? Genauso wie bei mir gibt es ein Ereignis, das sie zu dem Menschen gemacht hat, der sie heute ist. Ich habe mich in ihr gespiegelt gefühlt, weil sie ähnliches erlebt hat wie ich. Und irgendwie bin ich dankbar dafür. Sie hat mir das Gefühl gegeben, dass ich nicht alleine bin und es jemanden auf dieser Welt gibt, der mich versteht. Was wünschst du deinem Projektpartner für die Zukunft? Ich wünsche mir, dass du erkennst, was für ein wundervoller Mensch du eigentlich bist, Lilly. Mach dir selbst nicht so viel Druck und tu das, was du möchtest und richte dich nicht immer nach der Erwartungshaltung von anderen. Welche Ziele sollte dein Projektpartner noch erreichen? In dir steckt viel mehr Potential, als du glaubst. Du hast eine Geschichte zu erzählen und ich hoffe für dich, dass du diese eines Tages mit Stolz erzählen kannst. Du brauchst keine Angst zu haben und kannst die Leute wissen lassen, wer du bist. Hat dein Projektpartner schon mal jemand anderen inspiriert? Als ich dir die Autotür vor deiner Nase zuknallen wollte, hast du dir das nicht gefallen lassen und bist hartnäckig geblieben. Und irgendwie fand ich das total bewundernswert. Mir waren vor dem Projekt viele Dinge einfach vollkommen egal. Du hast mir gezeigt, dass es sich lohnt, sich anzustrengen und das Beste aus sich herauszuholen. Du hast mich dazu inspiriert, dass ich etwas mit meinem Leben anfangen und es auskosten soll. Es ist ein Geschenk, wofür wir dankbar sein sollten. Gibt es eine Botschaft im Zusammenhang mit deinem Projektpartner, die du an andere vermitteln möchtest? Verletzlichkeit ist keine Schwäche. Es ist in Ordnung, Gefühle zuzulassen und sich der Emotion völlig hinzugeben. Oftmals sind es nicht die lauten Leute, die viel zu erzählen haben. Manchmal sind es die unscheinbaren Personen, die einem völlig überraschen und inspirieren können. Durch dich weiß ich, wer ich bin und sein möchte. Ich danke dir, Lilly Schilling.''

Alle Personen im Raum sehen mich sprachlos an. Wahrscheinlich hat niemand damit gerechnet, dass ich so einen tiefgründigen Text über Lilly Schilling vortragen werde. Doch genau das fühlt sich verdammt gut an. Das Gefühl wird sogar noch besser, als alle beginnen zu klatschen. Selbst Herr Hartkamp, der mich meistens streng anblickt, schaut mich lächelnd an. Ich bin stolz auf mich und stelle mir vor, wie Antonia von oben auf mich herabblickt. Das hier ist nicht mehr die billige Version von Noah Baumgartner, sondern die echte, die gezeigt hat, dass er anders ist, als die Mehrheit vermutlich denkt. Das ist der  Bruder von Antonia Baumgartner.

***

,,Hey, warte mal.''

Lilly kommt mit ihrem Rucksack auf mich zugestolpert, als ich gerade in mein Auto einsteigen möchte. Ich drehe mich zu ihr um.

,,Hey'', grüße ich sie und ziehe mir meine Basballcap noch tiefer ins Gesicht.

,,Ich wollte mich einfach nur dafür bedanken, was du vorhin über mich gesagt hast. Das hat noch nie jemand für mich gemacht und es war wirklich schön. Du kannst dir einmal lobend auf die Schulter klopfen, Noah Baumgartner.''

Unsere Blicke fixieren sich. Eisblaue Augen treffen auf schokobraune Augen und ich muss wieder zurück an unseren Tag am See denken.

,,Kein Ding. Ich habe das alles genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Du hast das übrigens auch ziemlich toll gemacht. Du kannst stolz auf dich sein, Lilly.''

Ihre Wangen röten sich und mir wird es sofort warm ums Herz.

,,Es tut mir leid, dass ich dir gegenüber so kalt war, als du mich besuchst hast. Ich habe mich zu sehr darauf fokussiert, was meine Mutter will und nicht ich. Ich möchte nicht den Kontakt mit dir abbrechen, Noah. Weißt du, du bist zu einem wichtigen Menschen für mich geworden. Ich will dich nicht vermissen.''

Ich habe geahnt, dass es nicht Lilly war, die an diesem Nachmittag gesprochen hat, sondern ihre Mutter. Das zu wissen, tut unheimlich gut.

,,Du möchtest also weiterhin Zeit mit mir verbringen, Lilly?'', frage ich sie und komme einen Schritt näher auf sie zu. Ich würde gerne einen Arm um ihre Taille legen, doch ich traue mich nicht. Ich halte stattdessen noch Sicherheitsabstand vor ihr und gebe mich damit zufrieden, dass ihr Gesicht meinem ganz nah ist. Ich könnte lauthals einfach vor Freude losschreien, weil ich so glücklich bin. Ich möchte die ganze Welt umarmen und ihr verkünden, dass es mir noch nie so gut ging.

,,Lilly.''

Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände.

,,Ich möchte dich nicht dazu drängen, dich gegen deine Mutter zu stellen. Es ist deine Entscheidung. Du darfst ruhig deine Meinung vertreten, auch vor deiner Mutter. Ich mag dich, Lilly. Denk darüber nach und entscheide dich dafür, was du möchtest und lass dich nicht von ihr unter Druck setzen.''

Lilly weicht nicht vor mir zurück, als ich sie kurz leicht auf ihre Wange küsse. Ich möchte mit ihr Zeit verbringen. Aber ich will auch, dass sie zuerst für sich selbst und ihre Wünsche einsteht.

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