-~38~- Nein, das ist das Ende

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Der Donnerstag war ein ruhiger Arbeitstag. Es war kurz vor Feierabend und Sherlock und John hatten versprochen, mich von Ascot abzuholen, um anschließend zu Sherlocks Eltern zu fahren. Es war mein letzter Arbeitstag in Ascot gewesen und ich hatte mich von allen meinen Kollegen verabschiedet. Wie ich mir vorgenommen hatte, hatte ich gekündigt, sobald wir Owens überführt hatten. Ich hatte erstaunlich gute Laune.

Ich schloss die Tür zu meinem Büro zu und machte mich dann auf den Weg zum Eingangsbereich, summte dabei immer wieder eine Melodie vor mir her, die ich von Sherlock kannte. Schon von weitem hörte ich, dass sich zwei Männer im Empfang stritten und beim näheren Hinhören konnte ich Sherlocks und Johns Stimmen erkennen. Sonst war ich nicht die Person, die lauschte, aber etwas in mir wollte, dass die beiden Männer ihren Konflikt allein klärten. Also blieb ich außer Sichtweite hinter einer Wand stehen und wartete ab, trotzdem sah ich im gegenüberliegenden Fenster die Spiegelung der beiden.

,,Die Droge bewirkt eine Leistungssteigerung - und ich muss sagen, es hat außerordentlich gut funktioniert. Ich habe die Wette mit Owens gewonnen", erklärte Sherlock ruhig, auch wenn man den wütenden Unterton durchaus hören konnte.
Ich fragte mich, über welche Droge sie sprachen.
,,Okay, du hast es dir also selbst verabreicht. Aber was ist mit dem Propranolol? Wie ist es in deinen Organismus gelangt? Wer war es?", wollte John wissen. Er war deutlich erzürnter als sein bester Freund.

Propranolol - das neuste Mittel zum Vergessen, von dem wir damals gedacht hatten, dass es jemand Sherlock verabreicht hatte, um ihn von den Ermittlungen abzuhalten, allerdings traf das auch auf das Cylen und die anderen Drogen zu, die er im Körper gehabt hatte.

Der Detektiv schwieg.

,,Du weißt es nicht?", fragte John erstaunt.
,,Ich weiß es", antwortete der Detektiv schnell und klar. Seine Stimme hallte in der Empfangshalle wieder.
,,Dann wer... Oh! Du warst es auch selbst?!", rief John aus und mich durchfuhr diese Erkenntnis wie ein Stich mit dem schärfsten Messer der Welt - tief und irreparabel.

Was? Sherlock hatte sich selbst vergiftet? Er hatte mich damals belogen, als er behauptet hatte, dass er sich die Drogen nicht selbst verabreicht hatte. Wann hatte er noch gelogen? Hatte er überhaupt je unter Gedächtnisverlust gelitten? War er je aus seinem Gedächtnispalast ausgeschlossen gewesen?

,,Du spinnst doch komplett! Hast du eine Ahnung, was hätte passieren können? Diese Droge wurde noch nicht einmal vollständig erforscht und du nimmst sie gleich in Kombination mit noch mehr Opioiden! Das war ein großes Risiko! Du hättest wirklich das Gedächtnis verlieren können!", rief John aufgebracht.
,,Es musste echt wirken", erklärte Sherlock sachlich.
,,Es hätte andere Wege gegeben! Du wolltest nur deine Sucht stillen und gleichzeitig hast du noch fünfzehntausend Pfund verloren!"
Sherlock ignorierte Johns Schimpftirade nun, weswegen dieser tief durchatmete. ,,Wie bist du eigentlich an das Cylen gekommen? Du hattest nie erwähnt, dass du Proben davon besessen hattest", fragte er, hörbar angestrengt, seine Stimme nicht erneut zu heben.
,,Ich fand Restbestandteile in der Blutprobe von Glorious Vision. Es war ein leichtes, die Droge zu reproduzieren", erklärte der Detektiv.
,,Aber warum, Sherlock? Warum hast du es getan?"
,,Owens musste es mir abnehmen. Es musste echt wirken, damit er mir den Gedächtnisschwund abkauft."
John hatte seine Fäuste geballt, auf seiner Stirn waren tiefe Furchen und er schloss die Augen, um sich wieder zu beruhigen. Er atmete schwer. Dann sprach er gefährlich leise weiter: ,,Und das alles - der Krankenhausbesuch, der Gedächtnisschwund, die Lügen - alles für dieses dämlichen Fall?" Er wandte sich von Sherlock ab.

,,Es ist nicht der Fall, John! Nicht der Fall!", stieß Sherlock plötzlich aus. Ob es Wut, Begeisterung oder nur Mittel zum Zweck war, um Johns Aufmerksamkeit zu erregen, die er eigentlich sowieso schon ungeteilt auf sich hatte, wusste ich nicht, aber es funktionierte offensichtlich.
,,Es ist nie die Lösung, es ist der Weg, die Beschäftigung, die Unterbrechung der Langeweile. Es ist nicht der Fall! Die Lösung ist langweilig! Langweilig!", rief der Detektiv nun, sodass nun wirklich alle Aufmerksamkeit im Raum auf ihm lag.
,,Du hast uns alle ausgenutzt! Unsere Sorge, Livs Liebe, genau wie bei Janine damals, aber das ist diesmal etwas anderes!", rief der Arzt.
,,Nein, John. Das ist es! Du interpretierst zu viel, verstehst nicht - immer noch nicht - das ich nicht fühle, wie du es tust. Du verstehst es nicht, mit deinem mickrigen Verstand! Der Fall war brilliant! Die Lösung war langweilig, aber der Fall...! "
Nun starrte John ihn wütend an. War das, was der Detektiv von ihm dachte? All die Jahre die sie sich kannten?

Ich löste mich aus der Starre, in die ich verfallen war, kam aus meiner Deckung und ging auf die beiden zu. John wollte sich gerade umdrehen und gehen, als er mich erblickte und meiner Bitte in Form einer Geste nachkam, noch zu bleiben.

,,Ist das wahr, Sherlock?", fragte ich ihn mit fester Stimme, doch ich kannte die Antwort schon. Es war nicht die Wahrheit, was er gesagt hatte. Es war nur ein weiterer Versuch des Beschützens, des Von-sich-Schiebens. Das musste es sein.

Kurz vor dem Detektiv kam ich zum Stehen, sah in seine sturmgrauen Augen und wollte diesmal nicht nachgeben. Ich wollte diesmal auch störrisch sein und meinen Blick nicht von ihm Abwenden.

Seine Augen sprachen Bände. Eine Kombination aus teilweise gegensätzlichen Emotionen, die sein brillanter Verstand nicht einordnen konnte. Die Schwäche, die keiner erkannte, außer sein Bruder. Und jetzt auch ich.

,,Ja", erwiderte er standhaft, doch trotz keiner Reaktion seines Körpers, wusste ich, dass es eine Lüge war. Perfekte Kontrolle oder vollkommene Verwirrung. Was es war, konnte ich nicht sagen, aber ich ahnte, dass ich tatsächlich die Oberhand gewann.
Sein Atem auf meiner Haut, da wir uns bereits so nah standen.

Gerade jetzt dachte ich an Johns Blogeintrag über Moriarty. Er hatte es geschafft, die Kontrolle zu erlangen, Sherlock in Versessenheit auf ihn zu bringen. Zwar hatte der Doktor es nur skizzenhaft angedeutet, was auf dem Dach des Hospitals vor sich gegangen war, nachdem Sherlock von den Toten wiedergekehrt war, aber von den Erzählungen Sherlocks und seines Bruders konnte ich mir doch noch einiges zusammenreimen.

,,Wusste Mycroft davon?", wollte ich wissen.
,,Anfangs nicht, aber er hat es natürlich herausgefunden", erwiderte er.

Er hatte mir eine Schwäche über sich offengelegt: Der Streit, hier, in Ascot. Warum hatte er das getan? Wollte er, dass ich ihn aus einer solchen Situation herauszog oder war es ein weiterer Fehler, den sein Bruder mit einem Lächeln kommentiert hätte, hinter dem jedoch so viel Sorge steckte?
Würde ich das Raubtier nur noch anstacheln, wenn ich auf solche Methoden zurückgreifen würde, die Sherlock nur von seinem schlimmsten Feind kannte?

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ein Schritt nach dem anderen, immer die gleiche Größe, den Blick musternd auf Sherlock gerichtet. Langsam ging ich um ihn herum. Er sah mich nicht an, sondern nur die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, sogar durch John hindurch. Was sollte ich nur sagen, um ihn aus seiner defensiven Haltung herauszuholen?
Mir fielen seine Hände auf, die nun nicht mehr entspannt in seinen Manteltaschen verweilten, sondern scheinbar locker an seinen Seiten hingen. Die Hände, die ich wochenlang gehalten, geküsst hatte. Seine Fingerspitzen waren immer noch rau, wie es oftmals bei Geigenspielern der Fall war.

Ich musste schmunzeln und ünterdrückte geflissentlich nicht, dass ich dabei auch ein Geräusch von mir gab. Sein Kopf schnellte zu mir herum und sein Blick verankerte sich wieder mit meinen blauen Augen, als wäre es eine Aufforderung zum Sprechen.
Ich wollte ihn erinnern. Nicht das es nötig gewesen wäre, Sherlock Holmes an etwas zu erinnern, aber vielleicht half es einen Moment in seinem Leben anzusprechen, bei dem er die Kontrolle hatte.
,,Siebzehn Uhr fünfzehn", sagte ich und kam damit seiner Anfrage nach. ,,Wer geht um siebzehn Uhr fünfzehn essen? Dein groteskes Rätsel, als wir uns kennengelernt haben, hat mich damals aus der Bahn geworfen und damit, dass du dann nicht mal zu Hause aufgetaucht bist, hast du es nicht besser gemacht."

Seine Mundwinkel zuckten bei der Erinnerung kurz nach oben, bevor er den Mund öffnete, um zu antworten: ,,Es war ein langer Tag, ein anstrengendes Rennen."
Ich blieb kurz hinter ihm stehen und betrachtete ihn.
,,Du hast nichts gegessen", erwiderte ich dann.
,,Ich esse nicht bei der Arbeit."

Ich legte meinen Kopf in den Nacken und seufzte genervt auf. In Ordnung. Es half also nichts, ihm die Kontrolle zu überlassen. Ich musste sie übernehmen, um eine ehrliche Antwort zu erhalten. Wenigstens heute, in diesem Moment. Ob er wusste, dass meine Geduldlosigkeit gespielt war, wusste ich nicht und ich war mir auch nicht sicher, ob ich das wollte oder nicht, aber es war Mittel zum Zweck, um meine verletzte Seite zu verbergen.

,,Hör auf, dich zu wiederholen", sagte ich in einem genervten Tonfall, der die Wirkung meiner Handlung unterstreichen sollte.
Er sah aus, als würde er etwas sagen wollen, doch ich war schneller und berührte fast mit ausgestrecktem Zeigefinger seine leicht geöffneten Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen.
,,Überlege dir deine folgenden Worte genau. Es hängt davon ab, ob ich dein geliebtes Spiel mit dir weiterspiele oder du dir andere Möglichkeiten zur Lösung deines Falls suchen musst. Also, warum das Rätsel?"

Natürlich wusste ich, dass er Alternativen finden würde, um weitermachen zu können, doch das würde ihn um Monate in seinem Plan zurückwerfen. Ich bot ihm die Gelegenheit, mit Abstand weiterzumachen oder mich vollständig von ihm zu stoßen, auch wenn ich hoffte, dass er sich für ersteres entscheiden würde.

Ich nahm den Finger wieder weg und ging weiter um ihn herum, bis ich wieder vor ihm stand. Genug Zeit, damit sich Sherlock Holmes eine Antwort ausdenken konnte. Sein Blick folgte mir kontinuierlich.

,,Aufmerksamkeit", sagte er dann und ich wusste, dass er sich damit auf meine Frage bezog, warum man um eine solche Uhrzeit essen ging. Nur dieses eine Wort. Nur Lügen brauchten Detail. Seine Stimme war tief und ruhig. Er wollte meine Aufmerksamkeit erregen. Damals, als ich fast vier Stunden auf ihn gewartet hatte. Alles für den Fall?

,,Lügner", erwiderte ich deshalb und bemerkte erst jetzt die verwirrten Blicke von John, der immer noch neben uns stand. Er sah nahezu beschämt aus, dass er nur die Hälfte unseres Gesprächs verstand und dabei nichtmal inhaltlich. Doch keiner konnte es ihm übel nehmen, war ich doch selbst zunehmend überforderter damit, Sherlock wieder in das Hier und Jetzt zu holen und der Arzt war nicht einmal dabei gewesen, bei unserem ersten Gespräch in meiner Wohnung, in dem diese Worte gefallen waren.

Der Detektiv musterte mich aufmerksam.
,,Interesse", war seine nächste Wortwahl.

Wessen Interesse? Dieses Wort war anders, als die Vorherigen. Es war nicht passiv defensiv, eher sogar aktiv und von ihm ausgehend. Sein Interesse? Am Fall? Oder mein eigenes? Aber was hatte das mit mir zutun und warum sollte es mich davon abhalten, seinem Plan einen Strich durch die Rechnung zu machen?

,,Gerechtigkeit", fiel mir dazu nur ein, wobei meine Antwort fragender als gewollt klang. Mein erster Impuls, ihm helfen zu wollen war damals, dass ich einen Betrüger entlarven wollte. Ich hatte Interesse an Gerechtigkeit gehabt.

Diesmal wartete der Detektiv nicht lange mit seiner Erwiderung.
Er deutete ein Kopfschütteln an und sagte dann: ,,Synchronität."

Mit diesem Begriff konnte ich nichts anfangen. Er hatte es nie zuvor erwähnt, in der Zeit, in der wir uns kannten. Was war synchron? Aufmerksamkeit, Lügner, Interesse, Gerechtigkeit... Ich bemerkte, dass sich seine Wortwahl immer auf mich bezog, wobei meine eigene immer in Richtung des Falls zu gehen schien, zumindest von ihrer emotionalen Bedeutung her.

Oder interpretierte ich jetzt schon wieder zu viel in meine Richtung, wie der Detektiv es vorher schon John vorgeworfen hatte? Meinte er meine Synchronität mit John? Oder mit ihm? Zwei einsame Gleiche in einer Welt aus anderen?
Am liebsten hätte ich ihm alles das sofort gefragt, doch damit hätte ich unser Spiel unterbrochen. Ein Spiel, bestehend aus einzelnen Worten unserer Vergangenheit, das er nur mit mir spielte, um seinen Respekt aufzuzeigen. Oder?
Mit Leichtigkeit konnte es einer von uns beenden.

Und in diesem Moment überkam mich die Lösung. Er hatte mich ausgenutzt. Nicht, dass ich nicht gewarnt wurde. Diese Schuld sprach ich mir selbst zu. Ich hatte mich verloren, in unserem Spiel, dessen Regeln ich eigentlich in den Händen gehabt haben sollte. Doch ich begriff, dass unser jetziges Spiel des Respekts nur eine weiterer Schachzug in seinem Plan war, über den ich keine Kontrolle hatte, wie er mir es vorgemacht hatte. Er wollte weiterspielen, egal, was ich davon hielt. Er wolle nur spielen, hatte mir John damals versichert.
Wut kochte in mir auf. Noch einmal ließ ich mich nicht von ihm manipulieren. All die Erinnerungen, die ich mit ihm gesammelt hatte, waren nichts wert.

Aber natürlich! Der Köder! Ich hatte ihn nicht für ihn auslegen wollen, solange es illegal war. Er musste mich irgendwie überzeugen, um in seinem Fall voranzukommen. Er hatte mir alles erklärt. Seinen ganzen Plan.
Und ich war ihm Schritt für Schritt gefolgt. Hatte mich in ihn verliebt, wie er es gewollt hatte, sodass ich ihm freiwillig verhalf, seinen Fall mit seinen Methoden zu lösen.
Wie fing man einen Spieler? Durch ein Spiel.
War ich ein Spieler?
Offensichtlich. 

Normalerweise verabscheute ich das Wort Hass, doch jetzt gerade, in diesem Moment, spürte ich ihn, den Hass. Ein Wort konnte unsere fragil aufgebaute Verbindung beenden: ,,Sentimentalität."

Sentimentalität, Emotionen, waren es, worauf er die Synchronität bezog. Eine geistige Synchronität, aber das wollte er nicht hören, denn es war ein Fehler, ein chemischer Defekt unter dessen Anklage ich ihn stellte.

Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas in seinen Augen aufblitzen, bevor er seinen Blick von mir nahm und sich einen Schritt von mir entfernte.
,,Auf Wiedersehen, Mrs. Oliv Carter", sagte er dann und verließ den Empfangsbereich durch die gläserne Tür. Unsicher schweigsam warf mir John einen Blick zu und folgte ihm dann.

Was war gerade passiert? Hatte ich gewonnen? Warum fühlte es sich dann an, als hätte ich verloren? Als hätte ich alles weggeworfen, was mir in den letzten Monaten geschehen war. Ich sah den beiden hinterher, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Keiner drehte sich nochmal zu mir herum. Ich stand allein in der Empfangshalle. Allein mit meinen Gedanken.

_______

Langsam trat ich die Treppe zu Sherlocks Wohnung hinauf. Ich hörte, dass er Violine spielte. Es war ein Stück, das ich gut kannte. So oft hatte ich es gespielt: Cantabile in D-Dur von Paganini.

Die Tür seiner Wohnung war nur angelehnt, sodass ich sie leicht aufschieben konnte. Er stand mit dem Rücken zu mir am Fenster, doch er sah nicht hinaus, sondern auf sein Instrument, als wollte er seine Aufmerksamkeit von etwas ablenken. Die Melodie, die vorher sanft und fließend erklungen war, begann nun langsam zu zerfallen. Er legte zu viel Kraft auf den Bogen, seine Haltung und besonders sein rechter Arm wurde steif und die Töne klangen ächzend und klagend. Seine Konzentration lag deutlich an einem anderen Ort und seine Körpersprache verriet mir, dass er mich längst bemerkt hatte.
Schließlich beendete er sein Klagespiel, nahm die Geige von seiner Schulter und sah aus dem Fenster.

Eine Weile beobachtete ich ihn einfach nur schweigend, abwartend, ob er vielleicht etwas sagen wollte. Doch entweder hatte er nicht das Bedürfnis dazu oder er wusste nicht, was er sagen sollte.
Ich bewegte mich nicht von der Stelle. So viele Sätze hatte ich mir auf dem Herweg ausgedacht, die ich jetzt hätte sagen wollen, so viele Vorwürfe, so viel Verständnis, doch nun war all das weg. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, an keinen meiner vorgefertigten, floskelhaften Vorträge.

,,Es tut mir leid."

Ich war mir nicht sicher, wie er reagieren würde, als ich diesen Satz aussprach, doch ich erschrak fast, als er sich zu mir umdrehte, in seinen Augen eine schier unergründliche, nahezu traurige Tiefe. So viele Emotionen, die er sonst nie zugelassen hatte. Er blickte mich an, aus diesem ungreifbaren Wolkenmeer. Ich meinte Verwirrung darin liegen zu sehen, aber auch etwas anderes, etwas, das ich nicht verstehen konnte.
Es fragte mich 'Warum?'.
Warum entschuldigte ich mich oder vielleicht auch warum ich das vorhin gesagt hatte?

Ich schätze, ich wusste es selbst nicht genau, aber ich wollte ihm eine Antwort geben, auch wenn wir wohl nicht genug Zeit haben würden, dass ich ihm all meine Gedanken in diesem Moment mitteilen konnte.
,,Es... Es war falsch von mir, das Spiel vorhin mit diesem... Wort, zu beenden." Ich seufzte. ,,Die Wahrheit ist, dass-"
,,Liv", unterbrach er mich. Er hatte sich nun vollständig zu mir umgedreht. Seine Miene hatte sich wieder verhärtet und er wirkte kühl und abweisend, wie zuvor.
,,Nein, lass mich aussprechen und hör auf, mich von dir wegzuschieben. Die Wahrheit ist, dass ich Angst vor dir hatte. Ich hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren, über mich, über dich, über unseren Deal, den wir ganz am Anfang hatten. Es hieß, dass es kein Risiko für mich geben würde und dass ich es beenden konnte, wann ich es wollte. Du weißt, warum ich Kontrollverlustängste hatte, über den Deal, du weißt, warum über dich und ich bin mir sicher, dass du auch weißt, warum ich Angst hatte, über mich die Kontrolle zu verlieren. Und ich habe es."

Er starrte mich an. Vielleicht lag etwas Enttäuschung in seinen Augen, ich war mir nicht sicher. Enttäuschung darüber, dass ich nur war, wie alle anderen, aber das wusste er schon zuvor. Vielleicht realisierte er es nur jetzt erst.

,,Ich fühle nicht, auf die Art und Weise wie du und John es tun", sagte er dann. ,,Es war utopisch von dir zu denken, dass..." Er sprach nicht weiter. Vielleicht, weil er es nicht aussprechen wollte oder konnte.

Ich sah ihn nicht an. Er hatte recht.
,,Ich weiß. Mycroft hat es mir erzählt", begann ich und musste nun doch zu ihm aufsehen, um seine Reaktion mitzubekommen. Doch er regte sich nicht. Er sah mich immer noch unverändert versteinert an, hatte die kalte Maske aufgesetzt, die ihn vor jedem und allem schützen sollte.
Ich schaute erneut zu Boden, konnte seinem Blick nicht standhalten. Ich war mir unsicher, wie ich mich verhalten sollte. ,,Er hat mir alles erzählt. Ganz am Anfang unseres Deals, es war wohl der dritte Tag, hatte ich ihn getroffen und er hatte mir von Moriarty erzählt. Er hatte auch von Magnussen erzählt und von Janine. Er hatte prophezeit, dass es so enden würde, dass du mich ausnutzen würdest, aber ich... Schließlich warst du doch derjenige, der wollte, dass er all das sagt..."

Er machte einen Schritt auf mich zu.
,,Wie ich bereits sagte, utopisch-"
,,Sei still - bitte. Bitte höre mir einfach nur zu. Ich will es sagen, einmal, und dann nie wieder." Ich zögerte. Es war arrogant. Arrogant von mir diesem Mann, der nahezu alles wusste, den Mund zu verbieten. ,,Es war dumm von mir zu denken, dass es anders werden würde und insgeheim wusste ich, dass es nicht wahr sein würde, aber... Es hat mir Spaß gemacht. Das Spiel - Es hat Spaß gemacht. Deshalb bin ich geblieben, trotz der Warnung. Und ich muss dir dafür danken. Und mich bei dir entschuldigen. Du hast mir das Spiel geschenkt, als wir uns getroffen haben und ich habe es zerstört. Du bist ein faszinierender Mann, Sherlock Holmes. Und wer hätte wohl nicht gerne an deiner Seite gestanden? Wer hätte sich wohl nicht in dich verlieben können?" Ich lächelte. Es war ein bitteres Lächeln, aber ich war froh, all das ausgesprochen zu haben. ,,Oder eher, wer hätte sich wohl in dich verliebt, wenn du nicht gespielt hättest? Ich schätze, am Ende bis du es, der verletzt. Dich und andere. Es ist eine Unumgänglichkeit"
Er schwieg kurz, bevor ihm noch ein einziger Satz einfiel: ,,Ist es das?"
Der Satz traf mich wie glühende Lava und ich musste mich zusammenreißen, um mich nicht den Erinnerungen dieses Traumes hinzugeben. Ich starrte ihm entgeistert entgegen und schluckte schwer.
,,Gute Nacht, Sherlock Holmes."

Ich verließ die Wohnung, verließ die 221B. Das erste Mal wünschte ich mir, dass mein Heimweg länger wäre, doch letztendlich war es doch nur wieder der Weg über die Straße, durch die Haustür und die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Der Kloß in meinem Hals war groß und mein Herz krampfte.

Stille empfing mich in meinem Heim, in dem ich lange nicht mehr gewesen war. Stille und Dunkelheit.

Nein, das war kein Anfang, das war das Ende.

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