-~16~- Ich genieße die Stille

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,,Was? Wie ist das überhaupt möglich? 'Ausgeschlossen aus Ihrem Gedächtnispalast'?", wollte ich wissen.

Mein Blick schnellte herum, als ich hörte, dass sich die Tür öffnete und eine Krankenschwester mit einem Tablett in der Hand hereintrat. Sie sah uns überrascht an und sagte dann: ,,Mr. Holmes, bitte gehen Sie wieder ins Bett und verabschieden Sie Ihre Besucher. Es ist Zeit für Ihr Abendessen und die Besucherzeiten sind vorbei-"
,,Ich brauche nichts zu Essen, ich muss denken", unterbrach sie der Detektiv harsch und begann wieder um Raum auf und ab zu gehen.
,,Mr. Holmes, das Frühstück-", begann die junge Frau wieder, doch sie wurde erneut von ihm unterbrochen, indem er sie mit einer schrillen Stimme nachahmte und dabei wild den Kopf hin und her warf: ,,Mr. Holmes, das Frühstück haben Sie auch schon nicht gegessen." Er kehrte zu seiner üblichen, tiefen Stimmlage zurück und fuhr dann fort: ,,Ich weiß, ich war dabei, ich muss denken!"

John sprang nun vom Bett auf und stellte sich direkt vor seinen Freund. ,,Sherlock, ich schwöre bei Gott, wenn du das Essen nicht freiwillig isst, zwinge ich dir jeden Bissen hinein."
Sherlock musterte ihn kurz, sah aber offensichtlich, dass jetzt, in diesem Moment, Widerstand zwecklos war. Er rollte mit den Augen, gab einen genervtes Stöhnen von sich und wandte sich dann der Krankenschwester zu, um ihr das Tablett aus der Hand zu reißen und sich auf das Bett zu setzen. Dabei warf er ihr ein falsches, kühles Lächeln zu, das genauso schnell wieder verschwunden war, wie es gekommen war.
Die Krankenschwester machte einen überraschten Laut, fing sich aber recht schnell wieder. Sie warf John einen unsicheren Blick zu und bedankte sich kurzerhand bei ihm, nur um wenige Momente später wieder aus der Tür zu verschwinden.

Sherlock begann, mit dem Rücken angelehnt an das Kopfende des Bettes, die Suppe zu löffeln.
,,Ich wusste nicht, dass man abends im Krankenhaus etwas warmes bekommt", merkte ich an.
Der Detektiv ließ seinen Löffel auf den noch mehr als zur Hälfte gefüllten Teller fallen und stellte ihn neben sich auf den Nachttisch, auf die Akte.
,,Oh, mein geliebter Bruder kümmert sich um mein Wohlbefinden", antwortete er mir dann.
,,Sherlock, mehr", wies ihn John an und deutete auf den Suppenteller. Er rollte erneut mit den Augen, begann dann jedoch weiterzuessen.

,,Ich denke, es wäre angebracht, wenn Sie jetzt gehen würden. Die Besucherzeiten sind vorbei", sagte Mr. Holmes nach einigen Minuten, in denen wir ihm still beim Essen zugesehen hatten.
,,Ich gehe nicht, bevor du aufgegessen hast", stellte John klar und verschränkte die Arme vor der Brust, woraufhin der Detektiv provokant seinen Teller umdrehte und ein langgezogenes ,,Leer" von sich gab.

John seufzte auf, erleichtert und genervt zur gleichen Zeit und ich fragte mich, wie das überhaupt möglich war.
,,Okay, wir lassen dich in Ruhe", sagte er dann.

Wir verließen sein Krankenzimmer und gingen den Gang zurück, zu den Aufzügen.
,,Dieser Gedächtnispalast... Ich habe davon gehört. Es ist eine Memoteschnik, richtig? Jeder kann das erlernen. Wie lange... hat er ihn schon?", fragte ich John.
,,Seit ich ihn kenne und länger. Vielleicht schon sein ganzes Leben lang", erwiderte John. Er sah sichtlich besorgt aus.
,,Ich kenne das Gefühl ausgeschlossen aus seinem eigenen Kopf zu sein nur aus der Theorie, in großen Stresssituationen", erklärte ich. ,,Was setzt ihn so unter Druck, dass er nicht mehr klar denken kann? Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand seine eigene Erinnerungsmetode vergisst..."

John drückte auf den Rufknopf des Fahrstuhls und zog die Schultern nach oben. ,,Ich weiß es nicht. Die Ärzte haben gesagt, dass sich seine Hirnfunktionen wieder im Normalzustand befinden und ihn für Gesund erklärt, aber was ist bei Sherlock schon normal?"
Ich atmete tief ein und wir betraten den Fahrstuhl, der inzwischen gekommen war.

,,Hören Sie, ich will nicht voreilig sein und ich habe auch nicht die Fachkompetenz dazu, aber er zeigt Anzeichen von Asperger. Vielleicht nur eine milde Form, aber bei einem können wir uns sicher sein: Sein Gehirn funktioniert anders als unsere und wer weiß, was die Nebenwirkungen der Drogen beitragen..."
John nickte verstehend. ,,Er reagiert anders. Wer auch immer sie ihm verabreicht hat, war erfolgreich, unsere Ermittlungen zu verlangsamen."

Wir gingen zu meinem Auto und ich kramte in meiner Tasche nach dem Schlüssel, als ich einen einzelnen zu greifen bekam, der nicht am Schlüsselbund hing. Ich nahm ihn heraus und betrachtete den kleinen, metallischen Türöffner. ,,Das ist der Schlüssel zu dem Tor der Stallanlage", stellte ich etwas überrascht fest. ,,Warum hängt er nicht mehr an dem Schlüsselbund?", fragte ich mich rhetorisch selbst.
,,Der Schlüsselring ist durchgerostet. Passiert mir auch ab und zu, bei den älteren Ringen", erwiderte John und deutete auf den Schlüsselbund, der nun deutlich in meiner Tasche sichtbar war. Tatsächlich hing daran ein alter, brauner Schlüsselring, doch ich kannte ihn schon. Ich hatte ihn nie weggeworfen und einfach am Schlüsselbund gelassen.
,,Ja, er ist durchgerostet, aber mein Schlüssel hängt an einem anderen Ring", erwiderte ich und zeigte ihm meinen Schlüssel für die Ställe, der noch mit den anderen zusammenhing. ,,Das ist nicht mein Schlüssel. Es gibt nur fünf und diese sind unter fünf Leuten aufgeteilt."
,,Dann gehört er jemand anderen", erwiderte John.
,,Ich rufe Lesley an", sagte ich und kramte nach meinem Handy.

_______

,,Es ist ihr Schlüssel", sagte ich John einige Minuten später, nachdem ich das Telefonat beendet hatte. ,,Sie dachte wohl, sie braucht den Schlüssel nicht mehr, seit ich das Schloss austauschen lassen will und hat ihn in meine Tasche geworfen, als ich nicht in meinem Büro war. Ich habe allerdings das Gefühl, dass sie mir Ärger verursachen wollte, weil ich zwei Schlüssel gehabt hätte und sie keinen." Ich biss verärgert die Zähne zusammen und sah John in die Augen.
,,Wir sollten sie beobachten", erwiderte dieser und ich nickte.

_______

Der Detektiv wurde am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen und war nun zurück in der 221B.
Ich war hinübergegangen, hatte einige Bücher und meinen Laptop im Schlepptau und stellte nun alles vor dem Lockenkopf auf dem Wohnzimmertisch ab. Er saß auf einem der Stühle und sah fragend zu mir herauf, bevor er die Bücher anstarrte.
,,Es gibt Lichttherapien gegen Gedächtnisverlust. Musik, Bewegung, gesunde Ernährung, Meditation. Das alles hilft gegen Amnesie. Außerdem hilft es, an die Orte zu gehen, die man aus seiner Kindheit kennt, um die Erinnerungen wiederzuholen", erklärte ich und deutete auf die Bücher. ,,Außerdem wäre da noch Johns Blog-"
Der Detektiv seufzte. ,,Hören Sie, danke, dass Sie die ganze Nacht damit verschwendet haben, über etwas zu recherchieren, mit dem ich mich schon längst beschäftigt habe. Ich kenne den Inhalt von Johns Blog und ich bezweifle, dass wir an alle Orte gehen können, an denen ich in meinem Leben jemals war." Der Sarkasmus in seiner Stimme war umwerfend. Wortwörtlich.

,,Und? Werden Sie deshalb gar nichts dagegen tun?"
Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und sah ihn tadelnd an.
,,Die Tatsache, dass ich wohl nicht darum herum kommen werde, dass Sie mich in meinen Kindergarten schleppen, damit ich mich erinnere, wie man die Schuhe zubindet, zwingt mich wohl dazu", erwiderte er und erhob sich von dem Stuhl, um auf mich hinunterzuschauen.
Ich seufzte und rollte mit den Augen, bevor ich ihm dabei zusah, wie er in die Küche ging, um Teewasser aufzusetzen.
,,Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr wundere: Dass Sie nicht mehr wissen, wie man sich die Schuhe zubindet, oder dass Sie in einen Kindergarten gegangen sind", stellte ich fest, da ich wusste, dass ich mit dem vorherigen Thema wohl nicht vorankommen würde. Ich folgte ihm in die Küche und kam neben ihm zum Stehen.
Er antwortete nicht, sondern fragte nur mit einem kalten Lächeln ,,Tee?" und hielt mir eine leere Tasse entgegen, die ich ergriff.
Der Wasserkocher rauschte vor sich hin und ich musterte den Lockenkopf nachdenklich. ,,Wollen Sie Ihren Gedächtnispalast denn gar nicht zurück?"
Ich sah, wie er sich bei dieser Frage verkrampfte und er sich von mir abwandte.
,,Ich genieße die Stille", erwiderte er dann.

Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Gestern war er noch furios gewesen, dass er nicht mehr auf alles Wissen zugreifen konnte, das er gesammelt hatte, doch heute schien er es aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Das Wissen war für ihn eine Last. Unbestreitbar auch ein Vorteil, aber der überwiegende Grund für seine soziale Ausgeschlossenheit. Ich hatte mir Sorgen um ihn gemacht, befürchtet, dass er sich verliert, aber dass er es jetzt genoss, nicht an Reizüberflutung zu leiden... Nein, auf diese Idee war ich tatsächlich nicht gekommen. Wie ignorant war ich gegenüber seiner selbst gewesen?
Schuldbewusst biss ich mir auf die Unterlippe.

Und doch... musste ich ihm einfach noch eine selbstsüchtige Frage stellen: ,,Und... Was ist mit dem Fall?"
Er hielt in seiner Bewegung, den Küchenhängeschrank zu öffnen, inne und sah zu mir.
,,Wir werden den Fall auch so lösen können."
Ich seufzte und er begann mich zu mustern, jedoch fuhr er gleichzeitig in seinem Vorhaben fort, den Schrank zu öffnen.
,,Welchen Tee möchten Sie?", wollte er wissen, doch sobald er die Klappe weit genug geöffnet hatte, fiel ihm die erste Packung entgegen, die er überrascht auffing.
,,Ja, die hätte ich gerne", schmunzelte ich und er schloss vorsichtig die Tür wieder, damit nicht noch mehr Tee herunterfiel.
,,Seit wann haben wir so viel Tee?", murmelte er leise.
,,Seit Sie John angewiesen haben, jeden Morgen einen anderen Tee zu kochen", antwortete ich und deutete auf sein Experiment auf der Küchenzeile. Die Reagenzgläser waren inzwischen reichlich viele geworden und nicht jedes von ihnen hatte einen Platz in dem Gestell gefunden, weswegen einige in einer leeren Tasse verweilten.
Der Detektiv schnaubte kurz verunglimpfend, nahm dann zwei Teebeutel aus der Packung und verschloss sie wieder, bevor er sie mir zuwarf.
,,Gehört Ihnen", kommentierte er seinen Wurf und versenkte dann den einen Teebeutel in seiner Tasse und den anderen in meiner.
,,Danke", sagte ich kurz, wurde aber davon abgehalten noch einmal meinen Sarkasmus durchschimmern zu lassen, als John in die Wohnung kam.
Er trug zwei gefüllte Tüten mit Einkäufen und begrüßte uns schwer atmend.

,,Hallo John, möchten Sie auch einen Tee?", fragte ich und sah dann auf die Beschriftung der Verpackung, die ich in den Händen hielt. ,,Ich habe hier... Spanische Orange."
,,Gerne", erwiderte er und begann dann, die Tüten auszuräumen.
,,Liv und ich fahren dann zur Royal Albert Hall", verkündete der Consulting Detective und ich sah überrascht zu ihm auf.
,,Was?", fragte ich irritiert. ,,Davon weiß ich aber noch nichts."
,,Jetzt wissen Sie es", erwiderte er und wandte sich danach wieder John zu. ,,Du findest etwas über Lesley Weasel heraus." Er biss sich auf die Unterlippe. ,,Ich habe vergessen, warum ich diesen Namen so interessant finde..."
Nachdenklich nahm er den Wasserkocher in die Hand und schüttete in unsere Tassen das heiße Wasser. Für John holte ich eine weitere aus dem Schrank, die der Detektiv auch füllte und in die ich noch einen Teebeutel gab.

,,Die Royal Albert Hall hat wegen Corona geschlossen", erinnerte ich ihn, woraufhin er mich ansah.
In seinem Blick lag so viel Ruhe. Als wäre der Mann, der früher jeden Tag, jede Stunde und jede Minute unter Strom stand, der jede Sekunde damit verbracht hatte, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, plötzlich in vollkommener Entspannung.
,,Der Sicherheitsmann, der heute dort arbeitet, schuldet mir noch einen Gefallen", erklärte er dann.

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