1 - Sturmnacht

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Genau in dem Moment, in dem ich aus der Haustür trete, fährt ein Blitz vom Himmel und erleuchtet die Nacht taghell, gleichzeitig donnert es, als wäre über den Wolken ein großer Karton mit Bauklötzen umgefallen, und alle Schleusen des Himmels öffnen sich.
Na, großartig! Wenn ich schon mal eine Freundin besuche und etwas länger bleibe, ist natürlich gleich so ein Sauwetter mitten in der Nacht. Gewitter im November? Hat die Affenkälte der letzten Tage nicht gereicht??? 

Ich kratze mir meinen Dreitagebart und überlege, ob ich wieder hoch gehen und das Gewitter abwarten soll.  Aber da fällt schon die Haustür hinter mir ins Schloss. Genervt klappe ich meinen Jackenkragen hoch und ziehe den Kopf ein. Wieder zerreißt ein Blitz die Nacht, und ich sprinte mit gezücktem Schlüssel zu meinem Auto. Der nächste Blitz hilft mir netterweise, schnell das Schloss der Autotür zu finden, und so springe ich im wahrsten Sinne des Wortes blitzschnell hinter das Steuer meines uralten Autos, knalle die Fahrertür hinter mir zu, falte meine breiten Schultern in den schmalen Sitz und schüttele mir den Regen aus den straßenköterblonden Haaren. Ich liebe meinen alten knallroten Käfer, obwohl ich eigentlich viel zu groß dafür bin. Derweil geht draußen dezent die Welt unter.
Ganz toll. Hoffentlich kommt der Scheibenwischer wenigstens von außen gegen die Sintflut an, wenn schon von innen die Scheibe so beschlagen sein wird, dass ich nur Nebel sehe.
Ich starte den Motor, schmeiße das müde röchelnde Gebläse an, sehe im Licht eines weiteren Blitzes, dass die Straße hinter mir leer zu sein scheint, und fädele mich langsam aus der Parklücke. Im Schneckentempo bewege ich mich aus der Hochhaussiedlung in Richtung Hauptstraße. Hier kann ich nichts falsch machen, denn an der Kreuzung steht eine Ampel. Als ich Grün bekomme, fahre ich vorsichtig weiter nach links in Richtung Stadtmitte.
Die Ringautobahn ist bei dem Wetter eher keine gute Wahl, da fahr ich lieber mitten durch die Stadt.

Kalt. Mir ist so kalt. Ich hasse Regen. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.
Worauf warte ich noch??? Da kommt ein Auto. Schluss mit dem Elend.

Kurz vor der nächsten Kreuzung fahre ich an einer Kirche vorbei, deren Glocken grade Mitternacht läuten. Da sehe ich auf einmal einen Schatten vor meinem Auto. Ein Blitz taucht die Szene in gespenstisches Licht. Mitten auf der Straße steht seelenruhig ein Mensch, ein Wesen, ein ... Wahnsinniger??? Ich versuche eine Vollbremsung.

Auuuh! Das Reifenquietschen ... Meine Ohren ... Zu laut! ...
Egal. Ich lasse mich jetzt fallen - mache ein Ende. Ich ertrage es nicht mehr.
Wenigstens, wann ich sterbe, will ich selbst entscheiden!

Und dann lässt sich dieser Verrückte in Richtung meines unter Schlittern zum Stehen kommenden Wagens einfach fallen. Am ruckartigen Halten meines Autos kann ich erkennen, dass ich wohl nicht schnell genug gebremst habe. Total geschockt springe ich aus meinem Auto und rase nach vorne.

Na super! Bei meinem Glück klappt nicht mal das. ...
Da kommt ein Mensch. ... Er riecht nach Krankenhaus. Kein Krankenhaus!

Der Krankenpfleger in mir reagiert sofort. Ich bücke mich zu der Gestalt vor meiner Motorhaube, drehe sie zu mir rum, registriere, dass dieses Wesen in dem Höllenwetter ohne Jacke unterwegs ist – und sehe mich urplötzlich konfrontiert mit einem hochaggressiven Katzenhybriden, der sich mit flatternden Ohren und peitschendem Schwanz aufbäumt, mich mit im Scheinwerferlicht blitzenden Reißzähnen wild anfaucht und seine Hände nach mir schlägt.
Na, da hab ich ja Glück gehabt, dass der keine Krallen hat!

Ich bin zu schwach. Kein Krankenhaus!!!

Ich nehme schnell Abstand und rede beruhigend auf ihn ein.
„Ganz ruhig bitte. Ich habe Sie nicht gesehen, das tut mir furchtbar leid. Habe ich Sie verletzt? Darf ich eben nachsehen, ob alles in Ordnung ist? Ich bin Krankenpfl..."
WOW! Was hat DER denn???
Der Fremde ist nach der ersten Attacke sofort wieder in sich zusammen gesackt, sichtlich erschöpft und am Ende seiner Kräfte. Doch ich habe das Wort Krankenpfleger noch nicht zu Ende gesprochen, da bäumt er sich wieder auf und hält mich auf Abstand. Ich kann jetzt erkennen, dass es sich um einen jugendlichen Katzenhybriden mit deutlich menschlichem Körperbau handelt, der wohl Ohren und Schwanz hat, aber normale Kleidung und Schuhe trägt, also vermutlich aus einer eher menschlichen Umgebung stammt und in der Lage ist, selbständig zu leben. Er muss aber total durchgefroren und so klatschnass sein, wie ich es inzwischen auch bin. Wenn der nicht sofort ins Warme kommt, darf er sich mit einer hübschen Lungenentzündung rumschlagen, was für Hybriden nicht so lustig ist, weil sie viele Medikamente nicht vertragen.

Also wage ich noch einen Anlauf.
„Bitte, ich tue Ihnen nichts. Ich möchte nur helfen. Wenn Sie keine Verletzungen haben, würde ich Sie gerne nach Hause fahren. Sie holen sich den Tod, wenn Sie weiter hier draußen rumlaufen ohne Jacke."
Zu meiner Verblüffung gibt das elende Bündel zu meinen Füßen Geräusche von sich, die wie eine Mischung aus sarkastischem Kichern und erstickten Schluchzern klingt.

Ich fasse es nicht. Ein Mensch, der sich ernsthaft Sorgen um einen Hybriden macht. ...
Weißt du was, Kumpel? Ich BIN so gut wie tot.
Da kann die Lungenentzündung gar nicht so schnell um die Ecke kommen, wie ich den Löffel abgeben werde.

Los, komm schon, Hirn. Du hast dein ganzes Leben mit Hybriden verbracht, du arbeitest seit Jahren mit kranken Hybriden. Dir wird doch wohl einfallen, wie du diesem Typen hier helfen kannst!
Ich hole eine Decke aus dem Kofferraum, nähere mich dem erschöpft zusammen gerollten Typ vor meinem Auto, der mich höchst misstrauisch beäugt, und werfe die Decke über ihn. Schnell greife ich zu und hebe das zappelnde Bündel auf. Er würde mir definitiv den Hals umdrehen, wenn er noch die Kraft hätte und dran käme. Aber das nun klägliche Wimmern und Fauchen zeigt, dass er sich geschlagen geben muss. Also setze ich ihn einfach auf meinen Beifahrersitz, schnalle ihn so eingewickelt an, steige selbst wieder ein und fahre los.

Ich bin einfach schon zu schwach. Jetzt hat er mich.
Bitte kein Krankenhaus ... Ich bin müde. Bitte nicht ...

„Wo wohnen Sie? Wo soll ich Sie hinfahren? Wenn ich Ihre Reaktion richtig verstanden habe, möchten Sie erstmal nicht ins Krankenhaus."
Der Kopf oberhalb des Deckenbündels gibt wildes Knurren von sich. Er irritiert mich immer mehr. Hybriden, die so viele menschliche Anteile in ihrer Anatomie haben und so selbstverständlich jedes gesprochene Wort verstehen, sind in der Regel ziemlich intelligent und können normal reden. Dieser hier aber bleibt konsequent bei Fauchen und ähnlichen Unmutsbezeugungen. Kein Wort.

„Schon gut. Aber Sie müssen mir schon verraten, wo Sie wohnen, sonst kann ich Sie nur die ganze Nacht spazieren fahren, um Sie vor dem Wetter zu schützen."
Wieder diese Mischung aus Kichern und Schluchzen. Aber kein einziges Wort.
Scheiße, dieser Typ ist sowas von durch. Das kann ja noch heiter werden.

Witzbold. Selbst, wenn ich dir verraten würde, wo meine letzte Adresse war, kämen wir da nie rein.
Meine Eltern wissen ihr Eigentum zu sichern – auch vor ihrem eigenen Sohn.

„Gut. Wenn Sie mir nicht verraten wollen, wo Sie wohnen, nehme ich Sie mit zu mir nach Hause, da ist es warm, Sie bekommen eine warme Dusche, trockene Klamotten und unser Gästezimmer. Vielleicht können wir so verhindern, dass Sie total krank werden und ich Sie ins Krankenhaus bringen muss."
Während meiner Worte höre ich von rechts von mir unwilliges Fauchen und Maunzen, aber der junge Mann ist einfach inzwischen zu schwach, um sich noch zu wehren. Nach einer Weile geht sein Unmut in heftiges Zittern und lautes Zähneklappern über.

Was solls. Ist doch egal, wo und wie ich sterbe. Interessiert doch eh keinen.
Dieser Typ hier wird mich auch ganz schnell wieder nach draußen befördern, wenn er kapiert, was mit mir los ist. ...
Scheiße, mir ist so kalt ...

Trotz des miesen Wetters und der gefährlich rutschigen Straße lege ich einen Zahn zu. Ich muss ihn schnell ins Warme kriegen. Ich hoffe einfach, dass bei diesem Wetter und um die Uhrzeit nicht noch mehr Leute durch die Gegend fahren. Als ich nach einigen Minuten zu Hause in die Einfahrt und in unsere Garage rolle, ist es still geworden neben mir. Der erschöpfte junge Mann ist eingeschlafen.

Ich trage ihn in meine Wohnung im Souterrain und bringe ihn ins Gästezimmer. Irgendwie schaffe ich es gleichzeitig, ganz viel Wasser für Wärmflaschen zu erhitzen, mich selbst trocken anzuziehen und ihn von seinen klammen Klamotten zu befreien. Vor mir liegt, im Schlaf zitternd und wimmernd, ein bildschöner Junge mit braunen Ohren, rötlich-braun melierten Haaren und einer ebensolchen leichten Tigerzeichnung auf dem Rücken. Vom Kopf bis zum Schwanz hat er feines, weiches Fell. Auch sein ungewöhnlich langer Schwanz ist getigert. Und seine Reißzähne durfte ich ja leider vorhin schon bewundern. Ansonsten ist er sehr menschlich gebaut, wie ich vorhin schon vermutet hatte. Ich rubbele ihn mit Handtüchern vorsichtig einigermaßen trocken, bevor ich die Wechselkleidung im Schrank durchforste, ihm einen Schlafanzug für Langschwanzhybriden anziehe und ihn mit einigen Wärmflaschen und Decken warm einmummele. Nun etwas ruhiger koche ich ihm einen Pfefferminztee, weil die meisten Katzenhybriden das besonders gerne trinken. Ich habe ihn nicht eingehend untersucht, um ihn nicht zu wecken, mache mir aber ein schnelles Bild, während der Tee zieht. Soviel weiß ich sicher: er ist stark unterkühlt, deutlich dehydriert und abgemagert. Ich vermute also, dass er nicht erst heute Abend auf der Straße gelandet ist sondern sich schon ein paar Tage so durchschlägt.

Hoffentlich redet er morgen mit mir. Da muss doch was passiert sein! Außerdem wirkt er vom Alter her, als ob er nicht mehr lange hat bis zum Tag der Entscheidung. Hm. Das könnte es sein! Hätte er sein GEGENÜBER bereits gefunden, würde er bestimmt nicht nachts in diesem ausgeflippten Unwetter herumirren. Er wäre zu Hause bei dem Wesen, was ihm am allernächsten steht. Armer Teufel! Schon wieder einer ...

Ich hole die Thermoskanne mit Tee aus der Küche. Als ich wieder bei ihm bin, hat er allerdings bereits beginnendes Fieber und ist weiterhin nicht ansprechbar. Aber wenigstens zittert er nicht mehr so. Ich beschließe, die Nacht bei ihm zu verbringen, baue mir das kleine Sofa im Gästezimmer zu einem weiteren Bett um, schreibe meinem Vater eine Nachricht, dass ich am nächsten Tag nicht zum regulären Dienst antreten kann, weil ich mal wieder Sonderschicht schiebe. Ich durchsuche kurz die Kleidung des Fremden nach seinen Papieren, bringe die Klamotten in die Waschküche, breite den Inhalt der Hosentaschen auf der Heizung aus und lösche das Licht bis auf eine ganz kleine, stark gedimmte Lampe.

Immer wieder in dieser Nacht murmelt der Junge Worte und Namen, ruft nach seiner Oma, wehrt sich gegen einen nicht vorhandenen Angreifer mit wüsten Worten oder bettelt um Gande.
Alles klar. Er KANN reden, er will nur nicht.
Dann fährt er offensichtlich mit Alpträumen hoch, faucht und knurrt und kämpft mit den Decken. Ich bekomme ihn nie wach, im Gegenteil – er greift mich jedesmal mit gesträubtem Fell und konzentriert starrenden Augen an, ohne es selbst zu merken oder kontrollieren zu können. Dann fällt er wieder erschöpft in sich zusammen. Ich finde sehr schnell raus, dass nichts ihn so gut beruhigt, als hinter dem linken Ohr gekrault zu werden, und nutze dann jeweils die Gelegenheit, ihm etwas Tee einzuflößen, damit sich sein Kreislauf normalisiert und der Körper sich mit dem Fieber auseinander setzen kann.
Armer Kerl! Er muss furchtbare Erfahrungen gemacht haben. Er hat gleichzeitig Angst, den ständigen Impuls, sich zu verteidigen, und noch etwas, was ich nur wage als Resignation deuten kann. Wann immer seine Zeit gekommen ist – bis dahin soll es ihm bei uns gut gehen.

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10.7.2019

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