13 - Skypen mit Oma

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Zu Hause angekommen, will Paul erstmal wieder schlafen. Es ist eindeutig. Zum Schwindel kommt nun auch die Müdigkeit dazu. Ich verdränge den Stich im Herzen, bringe ihn ins Bett und kraule ihn, bis er ganz schnell eingeschlafen ist. Ich greife mir den Pieper und gehe leise raus. Draußen auf dem Flur empfängt mich meine Mutter.
„Tagebuch oder Mutter? Suchs dir aus!"
Es ist zum Haareraufen. Ihr entgeht nichts.
„Später vielleicht, Mama. Aber jetzt erstmal Tagebuch. Ist das O.K. Für dich?"
Sie lächelt.
„Wenigstens deine Antwort war wieder wohl überlegt und einigermaßen professionell. Ja, das ist O.K. so."
Dann geht sie wieder nach oben, um mit den „Kandidaten" die Zeiten für morgen zu vereinbaren. Ich schnappe mir das Lederbuch und falte mich in meinen Lieblingssessel am großen Wohnzimmerfenster.

Zunächst beschließe ich, einfach unsere gemeinsame Geschichte bis hierher zu erzählen. Wie wir uns begegnet sind, wie ich versucht habe, sein Vertrauen zu gewinnen. Ich horche viel in mich hinein, achte auf meine Gefühle dabei. Als nächstes male ich ein Bild von Paul in Worten – seine Katzenanteile, seine Menschlichkeit, sein Humor, sein Verstand, seine Vorlieben. Ich versuche, sein Wesen zu erfassen.

Ich erzähle meinem Tagebuch seine Geschichte, wie er sie mir erzählt hat, schreibe über diese tolle Oma und diese süße Plüschmaus. Dann trage ich meine Beobachtungen zusammen, in welchen Schritten er sich mit seiner Suche und mit seinem Sterben auseinander setzt. Wieder fühle ich Ehrfurcht davor, wie tapfer er sich all dem stellt.

Und nun bin ich endlich bereit, mich mir selbst zuzuwenden. Ich spüre dem nach, wie meine Liebe zu ihm eigentlich so schnell wachsen konnte. Was bedeutet mir dieser Junge? Was heißt es für mich, nicht sein GEGENÜBER zu sein, sondern stattdessen nach diesem oder dieser anderen zu suchen, obwohl das bedeutet, dass ich ihn hergeben muss. An einen oder eine andere – oder an den Tod.

Irgendwann taucht meine Mutter neben mir auf, stellt mir einen Tee hin und umarmt mich kurz von hinten, bevor sie wieder geht. Beim Rausgehen sagt sie noch:"Du machst das gut, Nicki!"
Mein Blick fällt in den Garten. Überall liegt eine dicke Schneeschicht. Und das passt. Der Schnee ist rein und klar, die Luft kalt, alle Konturen sind verwischt, die Natur wirkt wie tot und begraben.

Ich reiße mich zusammen. Noch ist Paul nicht tot! Ich erinnere mich an meine Gedanken vom Nachmittag.
Nimm Pauls Leben nicht als etwas Selbstverständliches, das du hergeben musst. Nimm Pauls Liebe als ein besonderes Geschenk, das dir für ein paar Tage anvertraut ist. Dann wird es leichter sein, ihn loszulassen.
Auch diese Worte halte ich in meinem Tagebuch fest. Und setze mit bangem Herzen dahinter die Schlussfolgerung, dass ich also auf keinen Fall seinen vielleicht-GEGENÜBERN morgen im Weg stehen darf. Lieber bleibe ich draußen auf dem Flur und schicke Mama mit ihm rein, damit Paul nicht durch meine Anwesenheit abgelenkt ist.

Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist. Aber allmählich fühle ich, wie der Sturm in mir sich ausgetobt hat. Ich klappe das Tagebuch zu, nehme es in den Arm und schaue mir auf meinem Handy das Bild von Paul an, das ich am ersten Morgen von ihm gemacht habe, als er schlief. Er ist wunderschön. Meine Mutter kommt und sagt mir die Zeit fürs Abendbrot, streicht mir leicht über die Schulter und schaut sich mit mir das Bild an. Sie kennt es ja schon. Aber da war das für uns beide noch „der Hybrid, den Niklas heute Nacht aufgegabelt hat". Jetzt ist es für uns beide unser Paul. Und meine Mutter spricht aus, was ich in dem Moment denke.
„Er ist einzigartig!"

Kurz danach meldet sich mein Piepser. Paul ist wach. Ich bringe ihn erst auf Toilette, dann gehen wir nach oben zu meinen Eltern, um gemeinsam zu Abend zu essen. Paul kann wieder mit uns am Tisch sitzen, weil er den Schwindel soweit im Griff hat.
„Du, Paul? Darf ich eigentlich ab und zu ein Foto von dir machen? Als Erinnerung?"
Paul nickt.
„Klar! Und am besten auch ein paar Bilder von uns beiden und mit der ganzen Familie, damit ich meiner Oma zeigen kann, mit was für Typen ich mich zur Zeit so rumtreibe."
Meinem Vater fällt die Kinnlade runter, und meine Mutter spuckt fast den Saft quer über den Tisch, den sie grade getrunken hat. Ich muss grinsen.
Pauls Humor ist wie Gute-Laune-Medizin. Wer Paul hat, braucht keine Kopfschmerztabletten und keinen Zirkusclown und keine Schokolade mehr. Ja, Mama. Paul ist einzigartig!

„Niklas? Hast du Lust, nach dem Essen mit mir in den Schuhkarton und in die Alben zu schauen? Das wäre zwar die perfekte Sonntagsbeschäftigung, aber ich weiß nicht, ob ich dann nicht schon zu müde bin ..."
Seine Klarheit schockt mich immer wieder.
„Sehr gerne. Ich frage mich schon seit heute Morgen, was in deiner Schatzkiste wohl drin ist."

Mein Vater hilft meiner Mutter beim Tischabdecken und schickt mich weg.
„Geh nur. Wer weiß, wie lange Paul heute noch durchhält."
Aber meine Mutter hakt ein.
„Jungs, skypen mit Oma nicht vergessen!"
Also trage ich meinen liebenswerten Gast wieder ins Wohnzimmer zum Sofa.
„Niklas? Der Sessel ..."
Fast lasse ich Paul fallen, so sehr muss ich lachen. Dann gebe ich ihm die Flasche und lasse ihn trinken.

Yes! Got you!!! 

„Wenn du nicht bald einen anderen Weg zum Sofa läufst, ist die Flasche leer. Dann musst du auch noch dran denken, da eine neue Flasche hinzustellen. Ob du das wohl schaffst?"
Mit einem verschmitzten Lächeln reicht er mir das Wasser zurück.
„Duuuuu? Wenn du nicht aufpasst, kitzele ich dich so durch, dass der Schwindel dir so toll vorkommen wird wie Ostern und Weihnachten auf einen Tag!"
Paul kichert, und eh ich es ahne, kitzelt er mich mit seiner Schwanzspitze im Ohr.
„Das wagst du nicht. Dazu hast du mich viel zu lieb."
Stimmt. Sowas von.

Ich gebe auf und steuere das Sofa an. Im Grunde bin ich heilfroh, dass Paul die Warnung so ernst nimmt und ganz selbständig daran denkt. So müssen wir uns um das Thema keine Sorgen machen. Ich lege ihn hin, gehe in meine Abstellkammer und komme mit mehreren Flaschen Wasser wieder, die ich im Wohnzimmer verteile.
„Nicht, dass du noch auf den Gedanken kommst, mich drumrum zu dirigieren."
Paul kuckt empört.
„Hei! Du bist derjenige, der immerzu dran vorbei latscht!"
Wir müssen beide grinsen.
Da entsteht grade unser ganz persönlicher kleiner Running Gag ...

Als nächstes hole ich mein Laptop und gehe auf Skype. Ein Hybriden-Netzwerkfreund namens Jack aus ihrer Stadt, den Mama per Aufruf gefunden hat, hat sich heute den halben Tag die Zeit genommen, Pauls Oma mit einem Gerät zu versorgen, den Anschluss zu regeln und ihr geduldig alles zu erklären, was sie wissen muss. Und das ganze unter den misstrauischen Augen des höchst unkooperativen Krankenhauspersonals dort. Es ist doch immer dasselbe. Eine Hybridin will sich von ihrem sterbenden Enkel verabschieden? Erstmal: nö. Eine Menschenfrau im Bett daneben jammert über einen Mückenstich – die ganze Station springt. Ich bin einfach unglaublich dankbar für unser tolles Netzwerk und jedes einzelne Wesen, das dieses Netz tragfähig macht.

Es dauert nicht lange, bis wir eine Verbindung zu Pauls Oma hergestellt haben. Der Netzwerker Jack ist bei ihr, einfach um dafür zu sorgen, dass sie in Ruhe gelassen wird. Und dann sehe ich sie zum ersten Mal. Es ist eine liebenswerte, rundliche ältere Dame, der ich sofort ansehe, dass sie eine Katzenhybridin ist. Auch wenn ihr eigener Vater dafür gesorgt hat, dass sie schon als Baby Ohren und Schwanz verloren hat. Ich lehne Paul an mich, damit er gut kucken kann, ohne selbst das Gleichgewicht halten zu müssen, und nehme mich dann ganz zurück. Paul strahlt mit sich selbst um die Wette. Die Liebe zwischen den beiden knistert förmlich durch den Äther. Sie lachen und weinen und erzählen und schweigen. Ab und zu kraule ich ihn hinter den Ohren, damit er sich wieder fassen kann. Ich weiß nicht, ob ich diese Frau jemals persönlich kennen lernen werde. Aber ich liebe sie jetzt schon.
Das Grinsen und den Humor hat Paul jedenfalls von ihr. Und den Überlebenswillen auch.
Irgendwann werde ich vor die kleine Kamera geschoben und vorgestellt.
„Das ist Niklas, Oma. Er hat mich gefunden, und er wird auch ganz bis zum Schluss bei mir bleiben. Du musst dir also keine Sorgen machen. Egal, was kommt. Ich werde bestimmt nicht alleine sein."
Wir winken uns durch den PC fröhlich zu.

Aber ich brauche keine Ohren an ihrem Kopf aufgerichtet zu sehen, um zu wissen, dass sie mich grade ganz genau mustert und einzuschätzen versucht. Im Gegensatz zu diesen feige davon gelaufenen Eltern ist ihr Paul sehr, sehr wichtig, wie es ihm geht und wer um ihn herum ist. Nach einer Minute schweigender Prüfung, der ich gelassen standhalte, fangen Pauls Ohren an zu kreiseln. Er wird nervös.

Was geht denn hier ab??? Mag Oma Niklas nicht?
Sie kuckt so skeptisch. Sie soll ihn aber mögen!

„Oma, Niklas ist der liebste Mensch der Welt, du musst dich wirklich nicht sorgen!"
Da fängt sie an zu lächeln.
„Ich weiß, mein Paulchen. Ich sehe es. Und du glaubst nicht, wie glücklich ich für dich bin. Es beruhigt mich sehr, dass ich dich in so fürsorglichen Händen weiß. Du wirst geliebt. Von mir sowieso. Und entweder findest du morgen dein GEGENÜBER, oder Niklas wird dich in Liebe bis zur letzten Sekunde tragen."

Auf einmal laufen bei beiden die Tränen. Ich lege meinen Arm um Paul. Und ich freue mich sehr zu sehen, dass Jack dort ein paar hundert Kilometer weiter in diesem anderen Krankenhaus sich nun Pauls Oma zuwendet und einfach ihre Hand nimmt und hält. Diese Frau verliert grade alles. Tochter und Schwiegersohn hat sie im Moment des Verrats verloren. Das zu verzeihen ist schier eine Unmöglichkeit. Und Paul verliert sie nun auch noch. Den Enkel, in dem so viel von ihr weiterleben sollte. Und der übermorgen vermutlich für immer gehen wird, ohne dass sie ihn noch einmal in den Arm nehmen, ihn mit all ihrer Liebe umhüllen und trösten kann.

Nach einer Weile fassen sich beide wieder und verabreden sich für morgen Abend um die selbe Zeit. Ich fahre den PC runter und stelle ihn beiseite. Kaum ist Platz dafür, dreht sich Paul in meinen Armen um, drückt die Maus an seine Brust und sich selbst an meine – und beginnt, herzzerreißend zu weinen. Zwischen all dem Wimmern und Schniefen höre ich nur immer wieder den einen Satz.
„Ich will meine Oma hier haben!"
Zu mehr ist Paul nach diesem furchtbar langen und anstrengenden Tag nicht mehr in der Lage.

„Ich will meine Oma hier haben!"

Nach einem erstaunten Blick zur Uhr, wie spät es schon ist, trage ich Paul schließlich in sein Bett, ziehe ihn um und decke ihn zu. Der Schuhkarton muss warten. Sein Weinen wird inniger, stiller, und langsam fallen ihm die Augen zu. Als ich leise gehen will, hält er sich jedoch sofort an meiner Hand fest.
„Lass mich nicht allein!"
Ich hocke mich zu ihm runter.
„Paul, ich verspreche dir, ich komme ganz schnell wieder. Auch wenn du inzwischen einschläfst – ich lasse dich bestimmt nicht allein. Aber ich muss mich auch umziehen, und ich möchte noch gaaaaanz kurz mit meinen Eltern reden. Schaffst du das?"
Eine Weile noch klammert er sich an meine Hand. Dann nickt er und lässt mich gehen.

Lass mich nicht allein! Bitte, komm ganz schnell wieder.
Ohne dich halte ich das alles nicht aus!

Ich sprinte die Treppe hoch und finde meine Eltern wartend im Wohnzimmer vor. Sie sehen gleich an meinem Gesicht, dass das eine harte Nummer war. Ich gebe in ICE-Geschwindigkeit einen Bericht über den Verlauf ab. Dann hole ich tief Luft und springe über meinen Schatten.

„Und .. und – ich muss noch was loswerden. Mir ist heute irgendwann klar geworden, dass es eigentlich nicht geht, dass ich Paul liebe und versuche, ihm zu helfen, das Wesen zu finden, dass er dann lieben soll. Und dabei weiß, dass er doch auch mich liebt. Das ist die Quadratur des Kreises. Ich werde Paul morgen fragen, ob es für ihn in Ordnung ist, wenn ich draußen die Gäste betreue und du, Mama, mit ihm rein gehst. Draußen kann ich auf die Routine bauen. Drinnen würde ich aus allen Poren quetschen:'Finger weg, der gehört mir!' Und das ist der reine Blödsinn. Dann können wir uns den Kraftaufwand sparen."

Ich sehe sehr wohl, dass meine Mutter erleichtert aufatmet.
„Entschuldige, mein lieber Sohn, dass ich an deiner Urteilsfähigkeit gezweifelt habe. Du machst das ganz, ganz wunderbar und genau richtig. Wir werden sehen, was Paul morgen früh dazu sagt. Aber jetzt ab mit dir. Lass ihn nicht zu lange alleine! Gute Nacht."

Wie erwartet schläft Paul tief und fest vor lauter Erschöpfung, als ich kurz danach zu ihm ins Bett krabbele. Aber er spürt meine Anwesenheit sofort. Er greift sich gleich wieder meine Hand, und sein Schwanz ringelt sich so fest um meine Hüfte, als wolle er verhindern, dass ich ihm irgendwie entwischen kann.
Zwei Tage und drei Stunden noch ...

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16.7.2019    -    26.9.2019

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