KAPITEL 31

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"Na, hast du mich schon vermisst?
Mich vergessen?
Ich werde dich finden, Missgeburt.
Das habe ich immer.
Das werde ich immer."

Vielleicht war es der Anfang vom Ende.
Vermutlich sogar.
In stiller Hoffnung klammerte man sich allerdings noch an die Möglichkeit des Endes und eines vollkommenen Neuanfangs. Aber es war vorwegzunehmen, worauf das Boot zusteuerte.
Willow spürte es in all ihren Knochen. In ihren Blutbahnen. In ihrem Herzen.
Vielleicht sogar in der Luft, die sie atmete und die sie dennoch täglich ein wenig mehr zu ersticken schien.
Es war Oktober.
Sie hatte diesen Monat noch nie gemocht.
Denn er stand in ihrem Leben für eine Menge essenzieller Dinge, die sie tief im Herzen verletzten.
Dieser Monat hatte sie schon immer kaputt gemacht. Ein Tag mehr als der nächste. Oder war das Aberglaube?
Nein. Mit Sicherheit nicht.
Und es handelte sich auch um keine Zufälle mehr.
Ganz und gar nicht. Nichts im Leben geschah durch puren Zufall. Nicht in Willows Leben.
Sie kannte die grauenhafte Handschrift auf dem vergilbten Notizzettel besser als ihre eigene. Die geschwungenen Buchstaben, die krakeligsten Vokale aller Zeiten und der i-Punkt, der eigentlich ein Strich war.
Willow kannte die Schrift.
Und sie kannte den Absender desjenigen, dem sie gehörte.
Leider.
Und sie hatte Angst.
Große Angst.
Wieder.
Immer noch.
Leider.
Die letzte Notiz war ein Jahr her. Willow hatte verdrängt, was für ein Monat war.
Doch nun fühlte sie sich an die Vergangenheit erinnert, die in den letzten Monaten in den Hintergrund gerückt war.
Wie ein bitterer Nachgeschmack, der in den verwinkelten Ecken gelauert hatte, kroch der Schatten zurück aus seinen Versenkungen und legte sich gehässig und dunkel, kalt und furchteinflößend um Willows Gestalt, die sich seit satten drei Stunden nicht auch nur einen einzigen Zentimeter vom Holzboden hinter ihrer Eingangstür fortbewegt oder gar aufgehört hatte, zu weinen.
Dicke und salzige Tränen quollen aus ihren Augen, die vom Weinen aus Angst und Hilflosigkeit ganz rot geschwollen waren.
Willows Haar lag strohig und verknotet um ihren Kopf.
Heute morgen hatte sie sich geduscht, doch von der Frische war nichts mehr zu spüren. Beinahe waren ihre Haare wieder fettig, von den kalten und dann wieder warmen Schauern, die sie überfielen und dem ewigen Haareraufen, das sie einfach nicht abstellen konnte.

Heaver musterte Willow mit ungeheurer Sorge.
Es kam nicht oft vor, dass Willow weinte. Sie war ein Mensch, der das recht ungern tat, weil er viel lieber lächelte. Aber in Momenten wie diesen war das undenkbar. Es gab nichts zu lachen. Es gab keinen Grund zur Freude. Deshalb war auch Heavers Laune in den Keller gefahren. Sie war hilflos. Seit geschlagenen Stunden versuchte sie Willow zu trösten, den Notizzettel zu fressen und damit alles vergessen zu machen.
Doch Willow ließ sie die Nachricht nicht essen und selbst wenn sie es täte, so wusste Heaver, wäre die Sache damit nicht erledigt.
Es blieb ihr also nichts übrig, als sich selbst zu quälen und Willows unendliche Traurigkeit mit ihrem Fell aufzufangen, um die Situation vielleicht ein klitzekleines Bisschen zu verbessern.
Willow hatte ihre Arme um Heavers Hals geschlungen und die weiße Ziege halb auf ihren Schoß gezogen.
Heaver lag ein wenig unbequem. Doch sie würde Tage so verharren, wenn es Willow danach besser ging.
Leider war das der Lage nicht zu entnehmen.
Im Oktober – so wusste Heaver – war es immer heftiger, Willow glücklich zu machen, als in anderen Monaten.
Willow hasste den Anfang des Herbstes. Allerdings nicht für das Wetter. Sondern für seine Existenz. Das verkomplizierte die Dinge.

»Wieso kann sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?«, weinte Willow leise in die Stille hinein und biss sich fest mit den Zähnen in den Handrücken, als sie ein heftiges Schluchzen einholte.
Wenn sie stark zu weinen hatte, tat sie das öfter.
Sie überspannte es nicht, aber der physische Schmerz ihres eigenen Bisses linderte das Brennen in ihrem Herzen.
Sie bekämpfte Schmerz mit Schmerz. Krank, dass sie dadurch Befriedigung fühlte.

Heaver missbilligte diese Art der Selbstverletzung. Zärtlich zupfte sie an Willows Pulloverärmel, um ihre Hand zu befreien.
Aber Willow ließ erst nach, als der Schmerz sich mit dem Taubheitsgefühl ihres Inneren ausglich.

»All die Jahre ... und ich habe immer noch keinen Frieden. Es ist wie ein Alptraum, aus dem man erwacht und feststellt, dass es kein Traum war, sondern vielmehr das echte Leben«, stotterte Willow schniefend in die Stille und klammerte sich an Heaver, als würde sie ertrinken, sobald sie sie losließ.
Heaver schloss gequält die Augen.
Sie kannte diesen Schmerz.
Sie kannte dieses Loch, aus dem alle Liebe geflossen war, die man sich bewahrt hatte.
Sie kannte den Kummer.
Doch anders als Willow hatte Heaver jemanden gehabt, der ihr aus ihrem schlimmsten Tief geholfen hatte. Der sie aufgepäppelt und aufgenommen hatte.
Der sie geliebt hatte.
Willow hatte ihr jedes kleine Stückchen ihrer verlorenen Ziegen-Seele zurückgegeben. Mehr noch, als eine übliche Ziege im Leben besaß. Heaver hatte alles. Willow war für sie alles!
Aber Willow war ein Mensch.
Und egal wie man es drehte und wendete, Heaver wusste, dass sie für ihre Besitzerin im Gegenzug niemals alles sein konnte.
Es gab Dinge, die Menschen brauchten, die auch Tiere nicht fähig waren zu geben.
Es gab Menschen, die Menschen brauchten, die sich nicht durch Tiere ersetzen ließen.
Es gab Ärzte, Postboten und Kaufpersonal.
Es gab Lila, die weltbeste Waffelbäckerin und Freundin.
Es gab Wesley.
Wesley von dem Heaver glaubte, dass er Willow am meisten Glück verschaffen konnte – neben ihr natürlich.
Wesley, in dessen Nähe Willow sich in der kurzen Zeit von ein paar Wochen zu einem vollkommen neueren, besseren, neugierigeren, zufriedenerem Individuum entwickelt hatte.
Wesley, der sich jetzt seit über einer Woche nicht mehr bei Willow gemeldet hatte und dem Heaver sicher war, einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen, wenn er für seine Ignoranz keine wirklich gute Erklärung hatte.

Willow wusste nicht mehr, wohin sie mit ihren Gedanken sollte.
Eigentlich war sie heute Vormittag mit einem großen Lächeln nach Hause gekommen.
Es war Montag, sie hatte einen finalen Termin für ihre neue Jugendbuchreihe erhalten und endlich einen Veröffentlichungstermin, der dieses Mal sogar rigoros gefeiert werden sollte. Außerdem musste Wesleys Reise nach New York eigentlich beendet sein, so dass sie ihn im Büro wieder anrufen konnte.
Seit ihrem letzten Anruf hatte er sich nicht ein einziges Mal mehr gemeldet.
Sie hatte ihn täglich angerufen, ihm auf die Mailbox gesprochen.
Nachdem er das letzte Telefonat so plötzlich beendet hatte, waren in ihr alle möglichen Selbstzweifel gestreut worden und ihre Enttäuschung hatte sich ausgebreitet wie ein Tumor. Willow hasste Streit und Unstimmigkeiten. Doch sie wusste gar nicht, ob sie überhaupt Streit hatten.
Wesley schien einfach nur sehr gestresst zu sein. Das hatte er zumindest gesagt.
Und sie verstand das.
Sie verstand, dass er beruflich stark eingespannt war und sich deswegen vermutlich auch nicht bei ihr gemeldet hatte.
Der Mandant in New York war ein wichtiger Kunde und sein Anliegen bedurfte Wesleys Konzentration. Sie hatte ihn in Ruhe gelassen.
Aber eine Woche ohne auch nur eine einzige Nachricht?

Sie machte sich Sorgen.
Nirgendwo war er zu erreichen.
Und sie konnte besonders heute wirklich einen guten Ratgeber gebrauchen. Besonders einen, der Ahnung hatte. Jemanden, der sie verteidigen und beschützen würde und ihr sagen konnte, was sie mit dieser Nachricht anstellen konnte, um sich die Person dahinter endlich vom Hals zu halten.
Es musste doch eine Lösung geben. Es musste doch eine Möglichkeit geben.

»Heaver, ich schaffe das kein zweites Mal. Ich kann nicht mehr ...«, hauchte Willow leise fiepend und biss sich wieder in den Handrücken, um erneut aufsteigende Tränen zu unterbinden. Es funktionierte.
Heaver stupste Willows zu Boden gefallenes Smartphone in ihre Richtung.
Kaum hatte Willow die hässliche Haftnotiz in den Händen gehalten, war sie gemeinsam damit zu Boden gesunken.
Doch es war heil geblieben. Anders als Willow.

Heavers Berührung ließ sie ein wenig auftauen.
Es war früher Abend.
Er musste zurück sein.  Charles – den sie im Gegensatz zu Wesley erreicht hatte, wenn auch nur halb bei der Sache und ein wenig verklärt im Kopf – hatte ihr knapp mitgeteilt, dass Wesley Montagmittag wieder landen würde.
Heute hatte sie es noch nicht bei ihm versucht.
In der Stille war die Hoffnung entstanden, dass er ihre vielen Nachrichten auf seiner Mailbox endlich registrieren und sich bei ihr melden würde.
Selbst der beschäftigste Mann musste doch fünf Minuten Zeit haben, um mindestens eine SMS zu schreiben.
New York war eine berechtigte Entschuldigung gewesen, doch selbst dort musste er abends im Hotel mal auf sein Handy geschaut haben.
Oder tat er das mit voller Absicht?
Lehnte er sie bewusst ab?
Wieso erklärte er ihr nicht, was ihn so beschlagnahmte?
Kaum war sie aus Washington verschwunden, verhielt er sich ein paar Tage später merkwürdiger denn je.
Als ob er ganz plötzlich seine Lust verloren hätte, sein Interesse an ihr.
Oder war das jetzt übertrieben interpretiert?
Unterstellte sie ihm tatsächlich, dass er sie nur des Sexes wegen hatte umwerben wollen?
Gab er sich deshalb keine Mühe? War Aufgeben sein Ziel?
Hatte er ihr das alles nur vorgespielt?
Die gesamte Sache mit der Liebe?
Nein. Sie übertrieb!
Die fiese Stimme auf ihrer Schulter täuschte sie. Wie immer!
Oder doch nicht?
Selbstentschlossen wählte Willow auf der Kurzwahltaste Wesleys Handynummer.
Sie biss sich auf die Unterlippe und scheuchte die Zweifel aus ihrem Kopf.
Er hatte nicht mit ihr gespielt! Das war lächerlich.
Sie konnte ihm nicht schon wieder irgendwelche Dinge unterstellen und anhängen, ohne ein vernünftiges Wort mit ihm gewechselt zu haben.
Er stand im Stress. Das war alles. Sie hatte keine Ahnung von Beziehungen. Vermutlich war es normal, dass sie auch einmal an zweiter Stelle platziert war.
Immerhin ging es um Wesleys berufliche Zukunft und auch um ihre eigene.
Außerdem war ihre Beziehung noch ganz frisch.
Sie hatte kein Recht, ihn sofort als Lügner hinzustellen.
Er würde für alles eine Erklärung haben, dachte Willow.
Doch als sie innerhalb von zwanzig Minuten zum fünften Mal seine Nummer abrief, kehrte der Teufel auf ihrer Schulter zurück.
Er grinste hämisch.
Er wusste etwas, das sie nicht wusste. Es tutete viermal.
Beim achten Mal war Willow stets auf die Mobilbox weitergeleitet worden.
Doch zu aller Überraschung oder allem Alptraum nahm dieses Mal eine in Rage gekommene Frau den Anruf entgegen.
»Sagen Sie mal, haben Sie keinen Respekt? Wenn niemand Ihren zweiten Anruf entgegennimmt, dann scheint Ihr Gesprächspartner offensichtlich keine Zeit oder keine verdammte Lust auf Sie zu haben! Hören Sie endlich auf, diese Nummer in Dauerschleife zu wählen!«

Durch den Tränenschleier vor Willows Augen begann sie plötzlich heftig zu blinzeln.
Wer war das?
Es handelte sich offensichtlich um eine erwachsene Frau.
Willow hielt ihr Handy vom Ohr.
Wes stand in deutlichen Buchstaben auf ihrem Display.
Sie hatte sich nicht verwählt.
»Wer sind Sie?«, hauchte sie leise, schockiert, fassungslos, überrascht, fragend.
Am anderen Ende kicherte es gehässig.
Willow verstand die Welt nicht mehr.
Wo war Wesley?
Wieso kam ihr diese Stimme so bekannt vor?

»Ihr allerschlimmster Alptraum, wenn Sie es wagen, diese Nummer noch einmal zu wählen!«
Wie bitte?
»Wo ist Wesley? Das ist sein Handy. Bitte. Ich muss mit ihm sprechen«, flehte Willow mit zitternden Händen, die immer noch das kleine Blättchen Papier hielten und sich daran verbrannten.
Scheiße.
Sie musste unbedingt seine Stimme hören.
Irgendjemandes Stimme, der sie beruhigen konnte, sie einlullen konnte, sie trösten.
In der Leitung schnaubte es.
»Sie scheinen nicht zu verstehen: Er will nicht mit Ihnen sprechen. Lassen Sie ihn in Ruhe!«
Es klang wie ein gut gemeinter Ratschlag. Gehässig, aber so, als würde es zu Willows Besten sein.
Ironie.
Ironie.
Und sie peitschte Willow wie ein Faustschlag um die Ohren.
Er will nicht mit Ihnen sprechen.
Er will nicht mit Ihnen sprechen.
Er will nicht mit dir sprechen.
Er will nicht mit dir sprechen.
Er hat keine Lust auf Sie.
Lassen Sie ihn in Ruhe!
Rufen Sie nie wieder an!
Haben Sie keinen Respekt?
Er will nicht mit Ihnen sprechen!

Missgeburt.
Missgeburt.
Du warst und bleibst der größte Fehler in meinem Leben.
Bälger wie dich gehören in die Parzelle im Keller gesperrt!
Dreckiges Luder.
Ich werde dich finden.
Ich habe dich immer gefunden.
Hast du mich schon vermisst?
Ich werde dir dein Leben zur Hölle machen! Das verspreche ich dir ...

»Hat er mit Ihnen geschlafen?«
Willow schluchzte zwischen ihrer jetzigen Welt und derer in ihrem Kopf. Dunkelheit und Licht waren nicht mehr, was sie einst waren.
Es war alles grau.
Alles leer.
Alles kaputt.
Ihr Herz tat weh.
Ihr Kopf tat weh.
Ihr Leben tat weh.
Aber sie brauchte eine Antwort.
Sie musste es wissen.
Der durchgängige Ton an ihrem Ohr ließ sie zusammenzucken.
Aufgelegt.
Die Dame hatte den Anruf ohne eine Antwort beendet.
Willow entfuhr ein lautes Schluchzen. Es war vielmehr ein Versuch, nach Luft zu ringen.
Doch das war schwerer, als jemals zuvor.
Sie schlug sich die Hand vor den Mund.
Dann biss sie hinein und krampfte ihre Augen zusammen.
Sie konnte der Realität nicht mehr ins Auge sehen.
Sie wollte gar nichts mehr sehen.
Doch es gab Dinge im Leben, die konnte man nicht einfach vergessen oder ausblenden, wenn man sie nicht mehr ansah. Manches blieb, über alles Existenz hinaus, erhalten. Nur so funktionierte die Realität. Und Willow bewunderte sie für gewöhnlich.
Doch heute war der vierzehnte Oktober.
Heute schien alles über ihr wie ein Trümmerhaufen zusammenzufallen.
Heute stürzte ihr Leben offensichtlich endgültig den Abgrund hinab.

Du wirst niemals glücklich werden, kleine dumme Willow!

Ein Schrei durchbohrte den Abend, als plötzlich ein Stein durch die Terrassentür geflogen kam. Die Glasscheibe zerbarst und zerfiel in Millionen von Splittern.
Mit Horror starrte Willow auf den Brocken, der über den Wohnzimmerboden auf sie zugerollt kam.

Todesangst war ein vollkommen neues Wort.

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