KAPITEL 30

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng


Und wieder war es komisch allein zu sein.
Wesley allein in der großen Penthousewohnung mit dem weiten Blick auf Washington D.C. Eine Aussicht auf freie Möglichkeiten, große Träume, hohe Ziele und doch der inneren Leere, weil alles erreichte so unerfüllt schien, wenn er es allein reflektierte.

Er war ein großer Mann.
Er war der Anwalt, der er hatte sein wollen.
Er hatte das Ansehen, die Macht bekommen, die er angestrebt hatte.
Er hatte Freunde und Familien fürs Leben.
Er hatte die halbe Welt bereist.
Konnte vier Sprachen fließend sprechen und schreiben, obwohl er davon nur selten Gebrauch machte.
Er konnte (wenn auch erst seit ein paar Monaten) kochen.
Er hatte alle Harry Potter Bücher gelesen.
Er war gut gebildet und dazu auch noch ziemlich attraktiv.

Eigentlich hatte er alle Dinge im Übermaß erreicht.
Eigentlich hätte er stolz sein müssen und bis vor ein paar Wochen war er das auch gewesen.
Alle Ziele, die er sich im Leben gesetzt hatte, waren in Betracht genommen worden.

Doch jetzt erschien ihm jedes einzelne davon vollkommen irrelevant.
Jetzt waren sie ihm nichts mehr wert. Oder zumindest nicht mehr so viel wert.
Nicht so viel wert wie sie.

Willow hatte sich in seinen Kopf genistet, wie ein Vogel in sein Nest.
Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte, desto klarer wurde ihm die Welt, die sie durch ihre Augen sah. Sie waren immer noch Meilen davon entfernt, sich auswendig zu kennen. Aber mehr und mehr offenbarten sie sich einander, wuchsen in ihrer Zweisamkeit und bildeten eine Einheit.
Dass sie sich nun gestanden hatten, dass sie einander liebten, war ein weiterer Schritt in die Richtung, in denen Wesley sein Ziel sah.
Das helle Licht am Ende des Tunnels, der mehr einem Prozess der Vertrauensbildung glich.

Wesley war positiv gestimmt. Das Wochenende mit Willow hatte ihn beflügelt und trug ihn durch die gesamte Woche mit einem freudigen Lächeln.
Es ging ihm so gut, dass er sich in die Arbeit stürzte und aus lauter Euphorie nicht mal in die schiefe Lage geriet, als ihm ein Mandant absprang und sich lautstark über die schlechte Arbeit in der Kanzlei aufregte – wo sowieso nur irgendwelche Büroesel sitzen und brav ihren Kaffee schlürfen würden.
Es ging ihm so gut, dass er über Malias nervige Anhänglichkeiten hinwegsah und er ihre zuvorkommenden Blicke vollkommen ausblendete.
Es ging ihm so gut, dass er wann immer er in seinem Büro saß einen Videoanruf nach Innerforks startete und sogar dann mit Willow telefonierte, während sie beide ihre Schreibtische abarbeiteten. Seltsam, vielleicht. Doch es genügte ihm für den Moment, das Tablet vor sich zu stellen und seine hübsche Freundin vom anderen Ufer aus dabei zu beobachten, wie sie ebenfalls in ihrem Büro saß und weiter an ihrem nächsten Buch feilte.
Oftmals sprachen sie nicht einmal miteinander. Ihre Blicke huschten nur ab und an wie zufällig zueinander und sie tauschten ein kleines Lächeln, ehe sie sich wieder ihrer Pflichten zuwandten.
Aber gerade diese Kleinigkeiten, die winzigen Dinge zwischen den großen machten ihre Beziehung so wertvoll. Und waren sie tagsüber in eher ruhigem Austausch, ging es abends umso lebendiger zu.

Kaum schloss Wesley nämlich die Haustür hinter sich oder Willow wurde von Heaver aus dem Büro gezerrt, dann saßen sie telefonisch auf dem Sofa und unterhielten sich über den Tag.
Manchmal las Willow aus einem ihrer Bücher vor und fragte Wesley nach Tipps für Formulierungen oder Redewendungen oder aber sie zog sich einen ihrer nächsten Romane hinzu, die sie vor dem einschlafen las, und las Wesley und Heaver die Geschichte laut vor.
Beide genossen es, ihre ruhige Stimme zu hören und die friedliche Atmospähre zu genießen die dadurch entstand. Heaver, kuschelnd direkt neben Willow, am meisten. Sie hatte ihre Menschenfreundin wirklich furchtbar vermisst, selbst, wenn sie nur zwei ganze Tage fort gewesen war.
An anderen Tagen starteten Wesley und Willow zeitgleich einen Film oder eine Serie und unterhielten sich über die Handlung. Sie gehörten zu der Gruppierung Menschen, die es nicht leiden konnte, wenn niemand das Geschehen kommentierte. Also taten sie es – um zufrieden sein zu können – gleich beide und redeten eigentlich ununterbrochen.

Für jeden von ihnen war es ungewohnt. Sie hatten in den letzten Jahren nur in Anwesenheit ihrer Freunde oder Familie so viel verbal kommuniziert. In gewisser Hinsicht lockten sie sich gegenseitig aus ihren Schneckenhäusern und sammelten Erfahrungen in einer so intimen Beziehung, in der man sich Herz und Seele teilte.
Sie beide waren nicht auf eine kleine Liebelei aus.
Das hatte schon früh festgestanden.
Das, was sie hatten, sollte länger andauern.
Für Wesley in jedem Fall.
Er genoss jeden noch so kleinen Moment ungemein.
Er war glücklich.

Aber alles Glück währte bekanntlich nur für eine kurze Zeit und viel zu schnell folgte auf das Hoch, das er mit Willow erlebt hatte, ein sattes Tief.
Es kam am Montag.
Hineingezwitschert wie ein Vogel, der den Frühling ankündigte.
Bloß, dass er in Wesley nicht Vorfreude auf den Sommer veranlasste, sondern, vielmehr im Gegenteil, einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ.
Es war wie eine schwarze Krähe, die das Unheil vorhersagte. Ein Unheil, dass Wesley schon immer hatte verhindern wollen. Doch er war unvorsichtig gewesen.

Schon am Tage des Balls, an dem Willow erschienen war, hatte es in der Gerüchteküche zu brodeln begonnen.
Natürlich war es der Washingtoner High Society nicht entgangen, dass sich einer ihrer glorreichsten Junggesellen an diesem Abend plötzlich sehr stark auf eine unbekannte Schönheit fokussiert hatte.
Für gewöhnlich kreuzten Wesley Dillons und Charles Anderson stets im Doppelpack auf Veranstaltungen auf. Sie waren noch nie mit einer Dame auf einem Geschäftsabend gewesen oder hatten eine Beziehung an die Öffentlichkeit gesandt.
Wie jede Person des öffentlichen Lebens gerieten natürlich auch sie in den Fokus der Presse.
Seit Jahren spekulierte man bei beiden Männern, ob sie sich nicht mal langsam zur Ruhe setzen würden, ob sie vielleicht schwul waren, oder – Was für eine Schlagzeile! – vielleicht doch mehr als nur Freunde und Geschäftspartner.
Schon das ein oder andere Mal hatten Klatschzeitschriften sie in die Mangel genommen und sogar im Internet heiße Diskussionen ausgefochten.
Doch das waren zumeist irreführende Konversationen mit leerem Ausgang gewesen.
Nichts Weltbewegendes, nichts Abwertendes oder etwas, das dem Ruf handfest schadete.
Nichts im Vergleich zu dem, was Charles an diesem Morgen mit einem ausdruckslosen Blick vollkommen unkommentiert auf Wesleys Schreibtisch pfefferte und damit seit einer guten Woche endlich wieder ein Lebzeichen von sich gab.

Die ganzen letzten Tage über war er ungewöhnlich in sich gekehrt gewesen.
Meist war er, ohne eine Begrüßung, direkt in sein Büro gestürmt und darin so lange verschwunden, bis irgendwelche Konferenzen, Meetings oder Mandatstreffen anstanden, für die er souverän zu scheinen hatte.
Und er hatte das Pokerface hervorragend drauf. Er wusste, wie man Geschäftliches und Privates trennte.
Aber Wesley wusste auch etwas. Und wenn er eines wusste, dann das Charles alleine sein wollte, wenn er die Türen zu seinem Büro schloss. Das tat er für gewöhnlich nämlich nicht. Nicht einmal, wenn er stinkwütend oder enttäuscht oder wild war.
Nur wenn er allein sein wollte.

Charles war ein außergewöhnlicher Mann.
Er handelte ganz anders, als der Großteil.
Die meisten Menschen, die sich stritten, wollten für eine Zeit lang nichts voneinander wissen. Sie fauchten sich an und dann wünschten sie einander den Teufel an den Hals.
Wenn Charles wütend war und am liebsten alles kurz und klein prügeln wollte, dann wurde er erst recht gesprächig. Und das mit demjenigen, mit dem er Streit hatte. Er wollte dann immer sofort und unmittelbar reden und diskutieren, wenn möglich auch schreien.
Aber er ließ einen Konflikt niemals leer im Raum stehen, wich ihm unter keinen Umständen aus.
Wesley wusste also. Wenn er etwas falsch gemacht hätte, dann hätte Charles ihn das längst wissen lassen.
Aber sie hatten kein Problem.
Sie waren gut miteinander.
Und Wesley hatte nichts mit der Krise zutun, in der sein Freund steckte.
Eine Krise, die ihn offensichtlich nichts anging. Denn ansonsten hätte er längst davon erfahren.
Es war ein innoffizieller Pakt, das man dem anderen seine Sorgen beichtete und sich Tipps und Ratschläge abholte.
So war das in einer Familie.
Man half und unterstützte sich – kompromisslos.
Aber hier ging es um keine Kompromisse oder um die Familie.

Das, was Charles im Kopf spukte, wollte er mit sich selbst klären.
Es war ihm emotional unfassbar wichtig und ging ihm nah.
Und er musste nachdenken.
Viel, viel nachdenken und mit sich selbst ausdiskutieren.
Genau deshalb schloss er in diesen Momenten seine Bürotür – und nur in solchen Momenten.
Wenn er die Außenwelt aus seinem Leben heraushalten wollte. Wenn er sich ganz auf seine eigene Welt konzentrieren musste, um sich nicht einengen zu müssen. Er brauchte Platz. Zeit für sich.
Und Wesley schenkte ihm diesen Freiraum.
Für einen Menschen, bei dem jeder Schritt eine Gewichtung hatte, war es wichtig, dass er sich auch mal Zeit für sich selbst nahm. Und diese sollte er bekommen.
Charles so lange wie er wollte.

»Wir haben ein fettes Problem!«

Was er nicht sagte.
Fett war noch zu leicht ausgedrückt. Wesley glaubte seinen Augen nicht zu trauen.
Ihm wurde stockübel, als er sah, was Charles meinte.

Das war ein Scherz.
Das konnte nur ein Witz sein.
Das war nicht echt.
Es war nicht echt.

Es konnte nicht ... Doch es war ...

»Ich wusste gar nicht, dass die Washingtoner Post sich zu so etwas herablassen und damit auch noch ihr Titelblatt – oder sollte ich sagen: Skandalblatt – füllen würde, aber mal wieder hat mich diese kranke Welt eines Besseren belehrt. Was sagt man dazu?«

Was man dazu sagte?
Zu einer Schlagzeile, die da lautete: "Liebelei oder Hochzeitsglocken? – Washingtons beliebteste Anwälte im Liebesrausch!"?
Und einem doppelseitigen Bericht darüber, dass Charles Anderson und Wesley Dillons offenkundig mit Frauen verkehrten, die potentielle Partnerrinnen sein konnten – zumindest, wenn man diesen Bildern traute?

Ganz ehrlich, Wesley wusste nicht, was er sagen sollte.
Er war schockiert, als er seine Willow auf dem Titelblatt sah.
Grauenhaft abgelichtet. Am letzten Sonntag, als er sich von ihr verabschiedet hatte und sie zu ihm auf den Fahrersitz geklettert war.
Auf dem Foto sah man sie nur von hinten. Doch ihr halber Rücken war durch Wesleys Hände freigelegt worden, die Ansätze ihres BHs deutlich sichtbar und seine Hände kurz davor, in ihrer Jeans zu verschwinden.
Dass er sie in diesem Moment küsste, war an ihrem zurückgeworfenen Haar nichts, das man in Frage stellen konnte. Das Foto sah bloß so billig aus, dass nicht eindeutig gesagt werden konnte, ob Willow nicht tatsächlich nur die Frau für eine Nacht war.
Ihre geschwollenen Kusslippen, die geröteten Wangen und das schief sitzende Top auf einem anderen Foto, auf dem sie unglaublich unvorteilhaft getroffen worden war und sich gerade auf die Unterlippe biss, sprachen ihre eigene Sprache.
Auf einem dritten Foto waren Willow und er wieder gemeinsam zu sehen. Das Foto stammte vom Tag des Wohltätigkeitsballs und zeigte den Moment, in dem Wesley Willow fest in seine Arme gezogen und hochgehoben hatte, kurz nachdem er überhaupt realisiert hatte, dass sie echt war. 
Im Verhältnis zu den anderen war dieses Bild beinahe keusch. Willow ging in der Masse von Wesleys Körper unter und ihr Gesicht war zur Hälfte von seiner Schulter bedeckt.
Dennoch erregte das Foto Aufmerksamkeit und kochte die Gerüchte höher und höher, wie Wesley dem Artikel beim Überfliegen entnehmen konnte.
Ziemlich ungehobelt spekulierte die Journalistin mit ihrer Leserschaft über die Beziehung der beiden und schwankte zwischen der skandalös unterständigen Schwiegertochter oder dem lieblichen Zeitvertreib des Anwaltsprinzen. Bei jedem neuen Wort spannten sich Wesleys Muskeln mehr an, sein Kiefer war scharf zusammengepresst und als es auf der nächsten Seite noch weiterging und sich der Artikel auch noch über Lila und Charles das Maul zerriss, die sich auf einem vierten Foto ziemlich erstarrt in die Augen sahen und damit einen Blick der Liebe oder der Lust austauschten, begann Wesley rot zu sehen.
Wütend schmiss er die Zeitung von sich.
»Das ist nicht nur ein fettes Problem. Dieser Artikel ist noch dazu unglaublich schlecht geschrieben, lächerlich recherchiert und im Namen des Datenschutzes ganz sicher nicht mit meinem Einverständnis veröffentlicht worden«, knurrte Wesley.
Charles teilte seinen zornigen Blick. Allerdings war er, wie die letzten Tage auch, stiller als sonst.

»Das nützt uns jetzt auch nichts mehr. Der Artikel ist gedruckt.«

Wesley zog die Augenbrauen zusammen.
»Na und? Das hindert mich nicht daran, diese Frau anzuzeigen und die Zeitung wegen Lügenpressen und zwielichtigem Datenschutz anzuzeigen«, erwiderte er fest entschlossen und sah seinen Freund verwirrt an.
Weshalb war er so antriebslos?

»Außerdem müssen wir uns Gedanken machen, was für ein Bild dieser Artikel auf uns wirft. Willow stellen sie hier wie meine ganz persönliche Hure vor und Lila wie die Frau, die es bald werden könnte. Wenn wir keine öffentliche Mitteilung über diesen Artikel machen und der Zeitung mit einer Anzeige drohen, werden sich solche Artikel häufen. Das geht überhaupt nicht. Wir verlieren doch all unsere Mandanten!«

Charles biss nun ebenfalls die Zähne aufeinander.
Wesley hatte recht. Diese Bilder mussten schleunigst verschwinden und die Leute aufhören, über sie zu recherchieren. Bisher hatte noch niemand einen Namen für die beiden Frauen gefunden, zumal ihre Gesichter auf den Fotos am wenigsten gut zu erkennen waren. Dennoch, diese Paparazzi fanden immer ihre Wege und Quellen und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie hinter die Identität eines Menschen kamen.
In diesem Fall durften sie es nicht. Niemand durfte herausfinden, um wen es sich bei Lilian Stella handelte. Und noch viel wichtiger. Niemand durfte darüber Publik machen, wo sie sich befand.

»Wir müssen uns sofort mit den Anwälten dieser Zeitung auseinandersetzen. Wir müssen klagen und ein Verbot erhängen. Sie dürfen niemals wieder über Lilian schreiben«, platzte es aus Charles und wie ferngesteuert erhob er sich, um sich an die Arbeit zu machen.
Wesley zog die Augenbrauen zusammen.

»Wer zum Teufel ist Lilian? Sie heißt Lila!«, korrigierte er und ließ Charles innehalten.

Verdammt! Immerzu verplapperte er sich. Er konnte es einfach nicht abstellen. Ihr Name lag ihm viel zu präsent auf der Zunge. Es gab keinen anderen für sie. Es gab niemanden wie sie.

»Dann halt Lila. Meine ich doch. Wen auch immer«, wiegelte er das Fettnäpfchen ab und war froh, dass Wesley viel zu sehr auf die halben Nacktfotos seiner Freundin fokussiert war, als auf ihn und seine Probleme zu achten und skeptisch zu werden.

»Ich muss Willow davon erzählen. Sie verdient die Wahrheit«, Wesley griff zum Telefon auf seinem Schreibtisch. Er war blass im Gesicht.
Zwei Sekunden später schaute er vollkommen neben der Spur auf den Telefonhörer am Boden und das aus der Leitung herausgerissene Kabel in Charles Hand.

»Was zum Teufel?«, murmelte Wesley und sah in Zeitlupe von seinem kaputten Telefon über das Kabel bis zu Charles und musterte ihn dann fragend.

»Du darfst es ihr nicht sagen. Unter. Keinen. Umständen.«

Charles sprach, als wäre er einen Marathon gelaufen.
Vollkommen außer Atem. Seine Brust hob und senkte sich. Panisch?
Wesley verstand die Welt nicht mehr.

»Wieso? Siehst du das nicht? Die haben mein Mädchen aufs Titelblatt gesetzt! Halb nackt! Sie wird es früher oder später sowieso erfahren! Dann ja wohl von mir!«

Charles schüttelte den Kopf.
Nein. Das durfte er nicht.
Denn wenn er es Willow sagen würde, dann würde Willow es Lila erzählen und dann ...

»Sie werden es nicht erfahren«, stotterte er. »Wir ... wir lassen nicht zu, dass sie es erfahren! Sie dürfen es nicht erfahren, verstehst du?«

Um ehrlich zu sein, verstand Wesley es nicht.
Überhaupt nicht.
Kein bisschen.
Aber Charles' unfassbare Unruhe und seine leichte Verstörtheit ließen Wesley innehalten.

»Warum?«, fragte er.
»Warum sollte ich es Willow nicht sagen? Nenn mir einen Grund und die Alternative, die du hast.«
Alle in ihm sträubte sich, ihr das zu verschweigen.
Es bestand nur eine minimale Chance, dass sie nichts davon erfuhren. Dennoch ...

»Ich hab keine Alternative. Noch keine. Aber ich kann sie nicht verlieren. Und deshalb werde ich eine Lösung finden ...«

Damit war er weg.
Hinausgestürmt und fort.
Und ließ Wesley mit mehr als einer Frage zurück.

Wen konnte er nicht verlieren?

Hä ...

»Und was ist mit meinem Telefon!?«

xxxx

Am Abend meldete sich Willow via Handy und kam direkt darauf zu sprechen, dass Wesleys Telefon im Büro nicht funktionieren würde.
Wesley biss die Zähne zusammen. Er hasste es, sie anzulügen und ihr zu verschweigen, was sich zugetragen hatte, aber Charles hatte ihm mit seiner Eindringlichkeit keine Wahl gelassen. Wesley stand zwischen der Loyalität zu seiner Freundin und der zu seinem besten Freund, von dem die unerklärliche Besessenheit ausging, die Bilder und den Artikel geheim zu halten. Ehe Wesley nicht herausgefunden hatte, was es mit Charles auf sich hatte, wollte er das Thema nicht auf den Skandal lenken.

Als Willow also sagte, sie hätte ihn nicht erreichen können, antwortete er bloß:
»Ja. Wir hatten heute morgen einen Schaden an der Leitung. Ich habe schon einen Techniker beauftragt, sich das anzusehen.«

Offen gestanden hatte Wesley keine Ahnung, ob sich so etwas häufte, ob es solche Schäden überhaupt wirklich gab, allerdings hakte Willow nicht weiter nach, sondern wurde stattdessen von Heaver abgelenkt, die in diesem Moment in das Mikrophon pustete und danach einen Laut von sich gab, der nach Lachen und Weinen zugleich klang.
Wesley hielt sich den Hörer vom Ohr, als die Geräusche lauter wurden.

»Entschuldige«, meldete sich Willow ein paar Sekunden später.
»Heaver hat einen schlechten Tag. Miss Crowfield war heute zu Besuch. Zufälligerweise mit ihrer Tochter Dorothea. Die beiden haben mich praktisch über dich ausgelöchert, allerdings Frederick – ihren Hund – vergessen. Heaver war zutiefst gelangweilt und enttäuscht.«

Wesley schürzte die Lippen.
Dass Wesley den kleinen Kläffer der Nachbarn gerne zum Zeitvertreib ärgerte, amüsierte ihn. Es tat ihm leid, dass sie es heute nicht hatte tun können.
Vielmehr leid tat ihm allerdings, dass Willow sich den Tag über mit den Nervensägen von Gegenüber hatte abplagen müssen.
Sie klang nicht nur unglaublich desinteressiert, sondern auch furchtbar müde und erschöpft.
Und er hasste es, dass er nicht bei ihr war. Immer dann nicht, wenn es ihr schlechter ging.

»Wie lange hast du die letzte Nacht geschlafen, Schäfchen?«, fragte er streng und zog die Augenbrauen zusammen, als sie sich Zeit ließ, bevor sie antwortete.

»Nicht sehr lange. Ich stecke mitten in den Endzügen meines Buchs. Eigentlich bin ich rund um die Uhr mit Feinschliffen und letzten Designideen beschäftigt. Ich bin so kurz davor ...« Ihr eigenes Gähnen unterbrach sie.

»Wie lange?«, fragte Wesley ein zweites Mal und fügte hinzu: »Und hast du etwas vernünftiges gegessen heute?«

Wieder Stille.

»Etwa vier Stunden. Ich bin erst gegen halb zwei nach Hause gefahren. Davor saß ich mit meinen Verlegern zusammen. Es waren wirklich gute Gespräche und wir haben uns länger nicht mehr gesehen. Gegessen habe ich ... nun ... Hunger hatte ich bis jetzt auf jeden Fall nicht sonderlich«, gab sie ausweichend bekannt und entlockte Wesley damit ein Knurren.
Er mochte es nicht, wenn sie sich gesundheitlich so unter Druck setzte. Sie war aufgeregt und nervös, wegen ihres neuen Buches – größtenteils aus purer Vorfreude. Aber in den Gesprächen der letzten Tage war sie immer wieder ehrlich gewesen und hatte behauptet, weniger zu schlafen und noch weniger zu essen. Wesley gefiel das kein bisschen.
Er wollte nicht, dass sie krank wurde oder in einen Zustand fiel, wie einige seiner Mandantinnen, denen er in seinem Leben schon begegnet war.
Es gab so viel Schlechtes auf dieser Welt, so viele Schäden und Probleme.
Und er wollte Willow bestmöglich von alledem fern halten. Er wollte nicht, dass sie der Dunkelheit begegnete.
Der unfassbare Beschützerinstinkt, den ihn zuvor nur selbst und seine Familie eingeschlossen hatte, war bis auf Willow ausgedehnt worden, seit er ihr begegnet war.
Und jetzt wollte er bei jeder noch so kleinen Negativität für sie in die Bresche springen. Aus so weiter Entfernung klappte das allerdings nicht. Über das Telefon konnte er sie schließlich nichts ins Bett zwingen oder es ihr anderenfalls schmackhaft machen.
Frustrierender Weise konnte er sie nicht einmal vor der Klatschpresse beschützen und das ließ nicht nur seinen Hass auf sich selbst auflodern, nein, es pushte auch dein unglaubliches Schamgefühl.
Wesley fühlte sich widerwärtig. Das hatte er nie gewollt.

»Ist alles in Ordnung? Du bist so still? Ist etwas passiert?«

Das war es. Allerdings.
Aber er vermochte es ihr nicht zu sagen.

»Nichts, worüber du dir Sorgen machen solltest. Es geht um die Arbeit.«

Sie seufzen beide gleichzeitig.
Gespräche über das Handy zu führen, waren einfach nur anstrengend.
Beide konnten sie einander nicht in die Augen sehen. Konnten sich nicht umarmen, vernünftig trösten oder umsorgen.
Vielleicht war das das Schlimmste. Vielleicht machte das am meisten krank.

»Anscheinend hat uns alle eine Art der Depression erwischt. Du klingst nicht sonderlich erfreut. Ich stehe unter Stress, das weiß ich. Und um mich herum geht es niemandem besser. Muss Crowfield ist unglaublich aufgebraucht, wegen der Gesundheit ihres Mannes. Dorothea untröstlich, da sie die Chance eines potenziellen Ehemannes vertan hat – obwohl mich das, aus Eifersuchtsgründen nicht sonderlich stört – und Lila ... Lila verhält sich komisch.
Ich hatte in der letzten Woche nicht viel Zeit für sie, aber ... wenn ich einmal ins Café kam war sie unglaublich verwirrt und aufgebraucht, als könne sie nächtelang nicht schlafen.
Als ich sie darauf angesprochen habe, schien sie mich kaum anzuhören. Als wäre sie Meilen weit mit ihrem Kopf entfernt.«

Wesley biss sich auf die Zunge. Besonders die letzten Worte erregten seine Aufmerksamkeit.
Lila verhielt sich ja beinahe genauso wie ... Charles.

Er fasste sich an den Kopf.
Aber ... war das möglich?
Woher? Wie?

"Ich habe keine Alternative. Noch keine. Aber ich kann sie nicht verlieren."

Sie?
Hatte er etwa von Lila gesprochen? Oder wie nannte er sie noch gleich? Lilian?
War das absichtlich gewesen? Hieß sie wirklich so?
Aber woher sollte Charles das Wissen? Woher sollten sie sich kennen? Er hatte noch nie von einer Frau gesprochen. Und Lila gewiss nicht von einem Mann.
Das hätte Willow doch erwähnt, besonders als sie von dem Kontakt zwischen Wesley und Charles gewusst hatte.
Aber sie hatte ihn gar nicht gekannt! Und Charles hatte sie nicht gekannt.

Worum ging es dann?
Oder war es bloß Zufall?
Es musste Zufall sein.

»Du verschweigst mir doch etwas. Was ist wirklich mit dir los? Kann ich dir helfen?«

Willow wollte nicht bohren. Aber sie hatte schnell bemerkt, dass Wesleys Stimmung ganz anders war, als noch am Tag zuvor.
Die Woche über hatte er so viel gelacht, als wären sie gar nicht voneinander getrennt.  Jetzt spürte sie das Unheil wie einen Schatten über sich aufragen und das obwohl sie sich nicht einmal in die Augen sehen konnten.
Etwas war entschieden anders. Doch er schien nicht darüber sprechen zu wollen.
Ging es um sie?

»Nein. Es ist nichts. Hör auf darüber nachzudenken. Du solltest dich viel eher auf genügend Schlaf und etwas zu Essen konzentrieren.«
Wesley klang barscher als er wollte. Willow zuckte am anderen Ende der Leitung ein wenig zurück.
Wieder seufzte er.
Willow nickte.

»Okay. Schon in Ordnung. Aber du sollst wissen, dass ich für dich da bin. Immer.«

Wesley schloss die Augen.
Jetzt hörte sie sich auch noch wegen ihm verletzt an.
Er rieb sich über die Augen.

»Es tut mir leid. Ich stehe kurz vor einer Reise nach New York. Einer meiner ältesten Mandanten steht in einem Krisenkampf, um die Immobilienrechte seines Firmensitzes. Es ist ein zäher Prozess für den ich noch einiges vorzubereiten habe.
Außerdem verhält sich Charles in letzter Zeit ungefähr genauso komisch, wie Lila, was bei ihm äußerst selten ist. Also muss ich mich darum auch noch kümmern.
Ich weiß gerade einfach nicht, wo mir der Kopf steht.«

Das war gelogen.
Wesley wusste, wo sein Kopf stand. Und das seit drei Monaten an derselben Stelle.
Aber er konnte gerade nicht mit Willow sprechen.
Er bekam die Bilder aus der Zeitung einfach nicht aus dem verdammten Kopf.
Er hatte Willow davor nicht beschützen können.
Und das triggerte ihn ungemein.

Sein Ruf stand auf dem Spiel.
Ihr Ruf und ihre gut gehütete und goldige Identität, die er unter keinen Umständen mit seinem Schmutz besehen wollte, standen auf dem Spiel.
Und dann gab es da noch die allgemeine testosterongesteuerte Zivilgesellschaft, die sich eventuell an den aufreizenden Fotos seiner Freundin ergötzten.

Er platzte vor Aufruhr!
Diese verdammte Zeitung!

»Dann sollte ich dir wohl ein bisschen Raum geben.
Viel Glück bei deiner Reise. Ich hoffe, du kommst wohl behalten zurück.«

Ihre Stimme klang sanft, aber enttäuscht, wenn auch verständnisvoll.
Wesley wusste, dass ein Keil zwischen sie getrieben war.
Sie erhoffte sich, dass er noch etwas versöhnliches sagen würde. Etwas, das ihre eigene Laune hob.
Er fühlte sich schlecht.
Doch er sagte kein Wort.
Stattdessen legte er ganz plötzlich einfach auf.

Du bist ein Arschloch, Dillons.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro