Brennende Erinnerungen

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Ein silberner Rahmen; nur ganz dünn. Sachte umschließt er seinen Inhalt, schützt ihn vor seiner Außenwelt.

Zwei Hände greifen nach dem auf dem Regal stehenden Rahmen, befreien das Bild aus seinem Gefängnis. Es ist ein schönes Bild. Eine Familie. Lachend. Der Jüngste hat einen goldbraunen Hund in seinen Armen, auch dieser scheint noch ziemlich jung zu sein. Man sollte wohl meinen, einem würde beim Betrachten dieses Fotos schöne Erinnerungen einfallen, doch entgegen dieser Vorstellung fließt aus dem braunen Auge des Betrachters eine einzelne Träne. Sie läuft über seine Wange, an seinem Mund vorbei, tropft direkt auf das Bild.

Mit langsamen, bedachten Schritten läuft der junge Mann durch den Raum, bis er am Fenster stehen bleibt. Nicht um die Aussicht zu genießen, die ist ihm völlig egal. Wobei es vermutlich bis auf die Häuserfassade gegenüber, die er sowieso schon in und auswendig kennt, nicht wirklich etwas Spannendes zu entdecken gäbe.

Ein kalter, emotionsloser Blick hat sich in das Gesicht des Mannes geschlichen. Die eine Träne war wohl nur in Ausrutscher gewesen, ein Fehler, etwas, das ihm nicht hätte passieren dürfen.

‚Was die anderen jetzt wohl gerade machen...?', denkt er sich still im Geheimen. Aussprechen würde er diese Frage nie. Niemals würde er zugeben, dass er überhaupt über so etwas nachdachte. Was wäre nur, wenn es jemand mitbekam; jemand von früher, jemand, der wusste, was passiert war?

Nicht oft erlaubte sich der junge Mann mit den kalten braunen Augen solche Gedanken. Fragte ihn einer seiner seltenen Besuche mal, wo seine Familie lebte, antwortete er lediglich, dass sie ganz unterschiedliche Wege gewählt hatten. Damit war das Thema meistens beendet. Für den anderen jedenfalls. Er selber hatte danach immer große Mühe, sich wieder von dem Bild loszureißen und so zu tun, als sei nichts gewesen.

Heute konnte er das nicht. Aber heute musste er das auch nicht. Heute war er alleine. Das war zwar keine allzu große Seltenheit, doch der Unterschied lag im Tag, in der Stunde, am Moment.

Genau zwanzig Jahre war es jetzt her, dass das Bild geschossen wurde. Und jetzt schon beinahe zehn, dass er die Protagonisten des Geschehens gesehen hatte, mit ihnen geredet hatte, sie umarmt hatte. Wobei letzteres womöglich noch länger her war.

Sammy. So hatte der Braunäugige den Hund genannt. Bereits als Welpen hatte der Kleine den Kleinen bekommen. Auf dem Bild war er schon ein paar Monate älter. Wie viel die beiden nur miteinander erlebt hatten... Wie viel sie miteinander geteilt hatten... wie sehr sie für einander da gewesen waren... immer! Bis er gegangen war.

Platsch.

Eine zweite Träne klatschte auf das Bild, hinterließ eine feuchte Spur auf dem Papier. Er vermisste seinen treuen Begleiter. Schon bevor er auch seinen restlichen Halt verlassen hatte, hatte er um ihn getrauert. Viel zu früh war das goldbraune Fellknäul gestorben. Viel zu früh war er gegangen.

Seufzend legte der junge Mann das Bild zurück auf das Regal. Nicht in den Rahmen, nicht zurück an seinen eigentlichen Platz. Er ließ es offen auf dem dunkelbraunen Holz liegen, als wüsste er schon, dass er an einem Tag wie diesem am Ende doch nicht der Versuchung wiederstehen könnte, sich noch einmal über die Fotographie zu beugen.

Neben dem Regal stand ein alter Kamin – das einzige, was der junge Mann wirklich an seiner kleinen Wohnung liebte. Und neben dem Kamin stand fein aufgestapelt Feuerholz. Jedes Stück perfekt passend und auf die Kante genau am Rand liegend, nur darauf wartend angezündet zu werden und seine Wärme an seine Umgebung abzugeben.

Mit einer Behutsamkeit, die beinahe schon verrückt war im Angesicht dessen, was er mit dem Material vorhatte, legte der Besitzer der Wohnung drei Holzstücke in den Kamin. Bevor er sich mit langsamen Schritten in die Küche begab. Wieso sollte er auch schnell machen? Wer wartete schon auf ihn?

In Gedanken scheinbar ganz wo anders zerriss er das hauchdünne Papier der Zeitung Stück für Stück. Eigentlich hatte er die Zeitung schon vor Ewigkeiten abbestellt. Dennoch zog er jeden Sonntag eine neue Ausgabe aus dem Briefkasten. Er wollte und konnte es nicht mehr sehen. Er wollte nicht wissen, was in dem fladrigen Ding geschrieben stand. Er konnte sowieso nur das eine lesen. Für ihn würden sowieso auf ewig ein und dieselbe Schlagzeile eine Rolle spielen.

In der Hoffnung, dass wenn er seine Emotionen nicht äußerlich zeigte, sie ihn auch innerlich in Frieden lassen würden, knüllte er die Stücke zusammen, zerstörte endgültig die Überschrift, die ihm sagte, dass ein 19-jähriger spurlos verschwunden sei. Doch das reichte ihm nicht. Es reichte ihm nicht, die Schlagzeile zu zerknüllen.

Achtlos warf er das Papierknäul zum Feuerholz hinzu. Von einer kleinen Ablage her fischte er sich eine Packung Streichhölzer. Das erste brach ihm schon beim darauffolgenden Wisch durch. Das zweite wollte sich auch nach dem gefühlt tausendsten Wisch über die Raue Oberfläche nicht entzünden. Erst das dritte erhellte die kleine Wohnung mit seinem leuchtenden Schein, sodass der junge Mann es an die Zeitungsfetzten halten konnte, die sogleich lichterloh in Flammen aufgingen und das Holz rechts und links neben sich mit den Funken ansteckten.

Der Braunäugige nahm sich keine Zeit, um ins Feuer zu schauen. Wieso hatte er es eigentlich angemacht? Aus Langeweile vielleicht. Vielleicht war es auch einfach ein automatischer Prozess gewesen. So, wie er es jedes Jahr seit dem einen Jahr gemacht hatte.

Früher hatte er es nie gemacht. Früher hatte er nicht einmal die Möglichkeit dazu gehabt, es zu machen. Sie hatten keinen Kamin besessen. Und egal, wie oft sich der Junge einen gewünscht hatte, dieser Wunsch war ihm verwehrt geblieben.

Der junge Mann blickte zurück in die Küche. Sollte er sich etwas zu essen machen? Und wenn ja, was sollte es sein? Für wen sollte er überhaupt etwas machen? Hier war ja nur er. Und ihm war es egal, was er heute aß. Für ihn war es ja ein Tag, wie jeder andere. Jedenfalls versuchte er sich das einzureden.

Vielleicht wollte er es auch einfach nicht einsehen, wollte nicht einsehen, dass er einen Fehler begangen hatte und zu stolz war, diesen rückgängig zu machen.

Ohne, dass er es überhaupt bemerkte, streckten sich die Finger des jungen Mannes abermals nach dem Bild aus. Er betrachtete es. Wieder. Erinnerungen lammten in ihm auf. Er zuckte zusammen, wollte die Bilder nicht sehen, die in ihm hochkamen. Vielleicht hatte er auch einfach nur Angst vor ihnen, fürchtete sich vor dem, was sie mit seinem Inneren anstellen konnten.

Eine Träne lief aus seinem Auge. Es war die letzte, die er für dieses Thema verschwenden wollte. Er wollte damit abschließen. Vielleicht es auch einfach nur vergessen.

Kalt, ohne jegliche Emotion in seinem Blick, machte der junge Man einen Schritt nach vorne, holte ein wenig aus und lies das Foto in die Flammen segeln.

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