Ein Licht, das niemals erlischt

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„Fang mich doch!" Hell schallt das fröhliche Lachen des kleinen Mädchens durch die Nacht. Schmunzelnd schenke ich dem Spiel der zwei kleinen Kinder einen kurzen Blick, bevor sich meine Mundwinkel wieder nach unten ziehen und ich meine Aufmerksamkeit erneut auf die alten verrosteten Gitterstäbe lenke, die mir meinen weiteren Weg versperren. Meine Hände zittern leicht, als ich sie auf das kühle Metall der Klinke lege. Nicht vor Kälte – auch wenn es bei den eisigen Temperaturen nicht verwunderlich wäre. Doch ich spüre sie nicht. Ich kann sie nicht spüren.

Noch einmal atme ich tief ein und aus. Vermutlich wäre es das leichteste, einfach einen Schritt nach vorne zu machen, jedoch können die Männchen in meinem Gehirn mir sagen, was sie wollen, meine Füße bewegen sich keinen Zentimeter.

Plötzlich ist ein kurzer, schriller Schrei zu hören. Doch kaum ist das Mädchen hingefallen, ist sie auch schon wieder auf den Beinen und rennt hinter meinem Rücken weiter. Sie sieht mich nicht. Sie kann mich nicht sehen.

Ohne, dass ich es bemerkt habe, habe ich die Klinke bewegt, das Tor geöffnet, bin hindurchgeschritten. Das Quietschen des Gelenks ist das letzte, was zu hören ist, bevor die einnehmende, tonlose Stille den Moment beherrscht. Das Tor ist zu, der Rückweg versperrt.

Langsam, jeden Millimeter auskostend schreite ich nun über den Kiesweg. Normalerweise würde man vermutlich das Knirschen der kleinen Steine hören können, so aber ist es eine Totenstille, die die Wiese, Blumen und Steine, die Steine mit den Inschriften, in sich einhüllt.

Ein Strauß weißer Rosen gerät in mein Blickfeld. Beinahe automatisch bleiben meine Augen an ihm hängen. So einen hat sie auch in der Hand gehalten. Damals. Damals, als sie mich noch sehen konnte. Als ich vorne stand, während sie auf mich zugelaufen kam, einen weißen Rosenstrauß in der Hand. Genauso weiß, wie ihr Kleid; genauso schön, wie sie selber.

Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich stehen geblieben bin. Mit einem Ruck zwinge ich meinen Kopf, wieder nach vorne zu schauen, sich auf den vor mir liegenden Weg zu konzentrieren. Erneut setzte ich mich in Bewegung, Erneut bohren sich meine schwarzen Stiefel in den Untergrund; mein gleichfarbender Mantel legt sich wie eine Hülle um mich, wird durch den windstillen Luftstoß von nichts um mich herumgeschwungen.

Etwas fliegt an mir vorbei. Ein Rotkehlchen landet auf einem dünnen Ast einer Eibe. Kein Laut kommt aus seinem Schnabel. Vielleicht kann ich ihn aber auch einfach nicht hören.

Trotzdem ist es für mich nicht schwer, mir den Klang vorzustellen, er hallt förmlich durch meinen Gehörgang. Oft genug habe ich ihrem Gesang gelauscht. Gemeinsam mit ihr hatte ich viele Stunden im Wald verbracht, hatte seine Schönheit genossen und das beruhigende Zwitschern der Vögel in mich aufgesogen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich zwischen den Steinen vorbeischiebe, jeden einzelnen mit einem kurzen Nicken meinen Respekt zeige. Nicht mehr lange und ich würde da sein. Nicht mehr lange und ich würde mein Ziel erreichen.

Wie in Zeitlupe trete ich um die Ecke, will stehen bleiben, kann nicht anhalten. Immer langsamer komme ich näher – meine Schritte: träge und schwer.

Mit einem letzten quälenden  Schritt komme ich zum Stehen. Zuerst richte ich meinen Blick nur nach vorne. Nicht, weil mich der Grabstein, der dort steht, so sehr interessiert – ich kenne ihn sowieso in- und auswendig – sondern weil ich einen Moment brauche, bis ich es schaffe, die Person daneben anzuschauen.

Sie kniet im Gras, ihr Blick in Richtung Boden, doch aufgehalten von einem Foto, welches sich zwischen sie und den Untergrund schiebt. Ihre langen braunen Haare fallen ihr leicht ins Gesicht. Und doch weiß ich genau, wie dieses darunter aussieht, mit welchem Lächeln sie das Bild betrachtet, welche glitzernden Augen ihr Innerstes wiederspiegeln. Vermutlich weint sie auch ein bisschen. Meistens tut sie das, wenn ich sie hier sehe. Ich möchte dann immer sagen, „Sei nicht traurig, sondern lächel' für uns beide", doch es wäre zwecklos. Sie würde mich sowieso nicht hören.

Einen Moment nimmt sie sich noch, vertieft in ihre Gedanken, bevor sie sich in Bewegung setzt. Eine von der Kälte leicht zitternde Hand greift in die Jackentasche des schwarzen Mantels, aus welchem sie ein Feuerzeug herauszieht. Hell erleuchtet seine Flamme die Nacht und steckt kurz darauf die dicke weiße Kerze an, die auf dem kleinen Stein schon eine Weile wartet, bis ihre Zeit gekommen ist.

Nun steht die Braunhaarige auf. Noch einen langen, warmen Blick schenkt sie dem Grabstein. Jedoch wird diese Stille unterbrochen.

„Mama, Mama! Mir ist kalt! Können wir nach Hause gehen?" Im Augenwinkel kann ich sehen, wie sich die Angesprochene eine einzelne, letzte Träne von der Wange wischt, bevor sie sich mit einem Lächeln im Gesicht umdreht.

Es ist das Kleine Mädchen, das schon vorhin an mir vorbeigelaufen ist, welches sie nun in ihre Arme schließt. Liebevoll, so, als hätte sie Angst, sie zu verlieren.

Auch ich habe ein Lächeln im Gesicht, als ich mich wieder der Dunkelheit, dem Grabstein, der Kerze zuwende.

Jedes Jahr zündet sie eine an. Und jedes Jahr bleibe ich so lange hier stehen, bis das Licht erloschen ist. Erst dann gehe ich wieder. Und hoffe schon beim ersten Schritt, dass wenn ich nächstes Jahr wiederkomme, ich sie wiedersehen werde, sie wieder an meinem Grab knien wird und sie auch wieder eine Kerze für mich anzündet.

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