Fliegen, wie ein Engel

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Rechts von mir das leuchtende Grün des herabhängenden Tannenzweiges; links von mir der der hell funkelnde Schein der Kerze; über mir das schillernde Rot der Weihnachtskugel; unter mir...

...nichts. Irgendwo zwischen den vielen weiteren grünen Zweigen lässt sich vielleicht der Boden erahnen, doch ich traue mich nie lange, einen Blick auf ihn zu werfen. Zu groß ist die Angst, den Halt zu verlieren, den Halt zu verlieren, auf dem Untergrund aufzukommen, zu zerschmettern.

Stattdessen richte ich meinen Blick lieber geradeaus, nach vorne; lenke meine Aufmerksamkeit auf die schönen Dinge um mich herum. Aus der breiten heraus Fensterfront kann ich die Dunkelheit der Nacht erkennen. Sie steht so im Gegensatz zu der gemütlichen Helligkeit hier im Raum. Und doch stoßen sich die beiden Faktoren nicht ab. Im Gegenteil. Es wirkt beinahe so, als könne diese ganze Schönheit nur richtig zum Ausdruck kommen, sobald das Tageslicht vergangen ist.

Wenn ich die Augen schließe, kann ich das leise Knistern von Holz hören. Irgendwo muss ein Feuer brennen. Sehen kann ich es nicht. Dafür bin ich zu klein, dafür ist meine Bewegungsfreiheit zu eingeschränkt. Und doch habe ich ein genaues Bild davon, wie es aussehen muss. Woher, kann ich gar nicht sagen. Es gibt vieles, dass ich nie gesehen habe. Und doch weiß ich es. Ich weiß es einfach.

Ich trauere nicht um die fehlenden Erfahrungen. Ändern würde dies sowieso nichts. Und außerdem... gibt es hier, von meinem Ort jedes Jahr so vieles zu entdecken, dass ich nur staunen kann. Manchmal, da würde ich gerne meine schneeweißen Flügel ausbreiten, wegfliegen, die Welt um mich erkunden, nie wieder stehen bleiben.

Und dann richte ich meinen Blick nach unten. Nur für einen Moment. Ganz kurz. Und dann denke ich, dass es ja vielleicht doch ganz gut ist, dass ich hier bin. Hier bin ich sicher. Und hier ist es ja auch schön.

Ein süßlicher Duft steigt mir in meine Nase. Doch das ist nicht der Grund dafür, weswegen ich meine Augen wieder öffne. Ein helles, glückliches Lachen holt mich aus meinen Gedanken, führt mich auf meinem Weg zurück in die Realität.

Es ist das kleine Mädchen mit den langen blonden Zöpfen, welche mich so mit ihrer Fröhlichkeit ansteckt, sodass es auch mir direkt ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Jetzt weiß ich auch, woher dieser süßliche Duft kommt. In den zarten Händen des kleinen Geschöpfes, welches verglichen mit mir wie ein Riese erscheint, befindet sich eine rote Box. Da! Jetzt greift die Kleine abermals in sie und knabbert wenig später an dem bräunlichen Gebäck. Jetzt, wo ich es sehe, kann ich mich wieder genau daran erinnern, wie ihr kindliches Lachen mein ganzes Herz, ja das gesamte Haus mit Wärme erfüllt hat, als das Kind überglücklich und stolz über die selbst verzierten Plätzchen durchs Haus gerannt ist.

Immer wieder fasziniert es mich, mit welcher Neugier die Kleine ihre Umwelt betrachtet, wie behutsam sie die Dinge anfasst, wie viel Liebe sie in die Dinge steckt, die ihr wichtig sind. Noch heute morgen hat sie mir meinen goldenen Kranz zurechtgerückt, was ich nicht machen kann, da meine Arme zu klein sind.

Erneut gleitet mein Blick zum Fenster. ‚Wie gerne ich zu ihr herüber fliegen würde...' Ich seufze. Mein Blick gleitet nach unten. Ich sehe den Boden. Ich könnte auf ihm aufkommen. Ich könnte sterben.

Aber was, wenn ich es schaffen würde, wenn ich wirklich fliegen würde? Durch den Raum, zu dem Mädchen, durch die Welt. Wie gern ich den Wind in meinen glitzernden Haaren, die Freiheit unter meinen Händen, das Gefühl von Vollkommenheit in meinem Herzen spüren würde.

Wieder schließe ich die Augen. Ich weiß, ich habe nicht mehr lange Zeit zum Überlegen. Bald muss ich mich entscheiden. Je schneller, desto besser. Viel Zeit bleibt mir ja nicht.

Nicht lange und alles, was mich wieder umgeben wird, ist die endlose Dunkelheit. Eingebettet zwischen anderen, denen es genauso geht, wie mir.

'Es ist zu gefährlich', sagen sie. 'Ich soll hierbleiben, wo es sicher ist', sagen sie. Ich weiß, dass sie recht haben. Ich weiß, dass es stimmt, was sie sagen.

Ein Ruck geht durch mich. Nein. Durch den Ast, den dünnen schmalen Ast, an dem ich hänge. Ich werde nach vorne geworfen. Nur ein Stückchen. Nur ein kleines Stücken. Und nur wenige Millimeter, dann hätte ich das Ende des Zweiges erreicht. Alles, was mich von dem Sturz ins Ungewisse trennt ist eine Entfernung, kleiner, als die Dauer einer meiner Atemzüge.

Noch ein Ruck. Nein, kein Ruck. Nur ein Stubser. Wenn überhaupt. Doch er reicht. Er reicht aus, dass ich nach vorne gestoßen werden, dass ich den Halt verliere, dass ich herunterfalle.

Ich fliege. Alles zieht an mir vorbei. Die Bilder, die Gerüche, die Stimmen. Ich nehme sie war. Und doch ist es, als wäre ich von nichts umgeben.

Ich spüre den Wind in meinen glitzernden Haaren, die Freiheit unter meinen Händen, das Gefühl von Vollkommenheit in meinem Herzen.

Ich merke gar nicht, wie ich falle. Ich merke gar nicht, dass sich meine Flügel nicht öffnen. Ich merke gar nicht, wie der Boden immer näherkommt.

Wie auch?

Wie soll ich auch?

Wie soll sie auch?

Wie soll es auch?

Wie soll der kleine Engel aus Holz denn überhaupt etwas merken? Er ist doch nur aus Holz. Er ist doch nur eine Figur, an einem Tannenbaum. Eine Figur, welche durch das leichte Rütteln am Baum, als sich das kleine blonde Mädchen versucht hat, daran festzuhalten, herunterfallen ist.

Und jetzt fällt sie. Fällt ins Nichts. Das leichte Lächeln, welches mit schwarzer Farbe auf ihr Gesicht gezaubert wurde, verrutscht kein Stückchen, egal, wie nah der kleine Engel dem Boden näherkommt.

Das Mädchen fängt das kleine, liebliche Figürchen auf, hält es behutsam in ihren Fingern, bevor sie den Engel vorsichtig zurück an den Zweig hängt und mit einem letzten Lächeln sicherstellt, dass es dem kleinen Ding auch wirklich gut geht. Dann hobst sie weiter, hobst zurück zu ihrer Keksdose.

Und würde man genau hinschauen, würde man ein bisschen Sinn für Fantasie kennen und würde wissen, was in dem kleinen Engel vor sich geht, dann würde man sehen, wie das Lächeln zwischen den goldenen Locken ein kleines Stückchen breiter geworden ist.

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