Wertvolle Zeit

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Die Nacht: dunkel. Die Stadt: ausgestorben. Kein Blatt rührt sich, kein einziger Schritt ist zu hören, niemand ist zu sehen. So scheint es jedenfalls auf den ersten Blick.

Denn folgt man diesem stummen, leeren Gefühl an Nichts durch die Straßen, um die Ecken, immer weiter, so kommt man in der Stadtmitte aus, direkt vor dem Rathaus, wo noch der alte Brunnen steht. Zwar wird selbst hier die Geräuschkulissen nicht von plätscherndem Wasser durchbrochen, doch wenigstens der Schleier der Verlassenheit wird dünner und dünner, bis er sich schließlich komplett aufhebt. Wie ein Nebel verschlingt er alle Straßen, jede noch so kleine Gasse. Nur hier, am wasserleeren Brunnen, in der Mitte der Stadt ist es, als würde er von einer unsichtbaren Mauer aufgehalten werden.

Es sind die beiden in schwarze Mäntel gekleidete Männer, die unbewusst und unbemerkt diese Mauer bilden. Sie sind es auch, die die Ausnahme der Verlassenheit bilden.

Sie sagen kein Wort. Sie schauen sich nicht einmal an. Sie kennen sich nicht. Selbst die Erinnerung daran, wie sie überhaupt beide auf diesem steinernen Brunnenrand gelandet sind, ist ihnen entfallen. Wie lange sie wohl schon da sitzen?

„Wieso sind Sie hier?" Mit einem Mal durchdringt die tiefe Stimme des Linken – seine Haare sind viel zu bleich, um sie noch blond nennen zu können und das dünne Brillengestell hängt ihm auch eher schief auf der Nase – die Nacht.

Wie durch einen unsichtbaren Schlag vergrößert sich die ebenfalls nicht existente Mauer und lässt den Nebelschleier ein Stückchen nach hinten weichen.

Der Nebenmann zuckt mit den Schultern. Dabei fallen ihm ein paar seiner dunkelbraunen Strähnen ins Gesicht. Er macht Anstalten, sich den Sichtschutz wieder aus dem Gesicht zu streichen, als dieser jedoch nicht an Ort und Stelle bleibt, ignoriert er das dunkle Zeugs und gewährt ihm über seine Stirn und die Augen zu fallen.

„Und was machen Sie hier?"

„Nachdenken."

Es dauert eine Weile, bis der Rechte antwortet, auch wenn seine Stimme nicht so klingt, als habe er eine anstrengende Diskussion mit sich führen müssen, ob er das Wort aussprechen solle oder nicht. „Worüber?" Der Bleichling klingt nicht interessiert. Seine Stimme ist genau so kalt und trocken, wie auch zuvor. Als Antwort erhält er abermals ein Schulterzucken.

„Denken Sie nicht, Sie sollten ihre Zeit für etwas Besseres nutzen?"

Etwas Besseres...

Einen Moment nimmt sich der Braunhaarige tatsächlich Zeit über das Wort seines Sitznachbars nachzudenken. Was war denn besser? Und wenn das, was besser war, besser als das hier war, war es dann gut? Oder war es nur eben besser, als das allerschlechteste und somit immer noch schlecht, nur eben nicht genauso schlecht, wie das schlechteste?

„Sieht wohl so aus, als hätte ich zu wenig davon.", antwortet er schließlich. „Von was?" „Der Zeit."

Wieder kehrt Stille ein. Nur für einen Moment; nicht lange genug, als dass die Nebelwand wieder näher rücken, die Mauer nachgeben könne. „Was würden Sie tun, wenn Sie mehr Zeit hätten?" Selbst als er spricht ist der Blick des Braunhaarigen nach vorne gerichtet. Starr blickt er ins dunkle Nichts.

„Würden Sie mir welche geben?", stellt der etwas zu blonde Mann eine Gegenfrage. „Würden Sie sie annehmen?"  Es fällt dem Brillenträger schwer, jegliche Emotionen aus der Stimme seines Gesprächspartners zu erkennen. Er kann nicht einmal sagen, ob sie überhaupt existieren. Dabei müsste er doch nur einmal sich selber anschauen, betrachtet man die Kühle, die er in seine Wort legt.

„Wieso sollte ich sie nicht annehmen wollen?", ergreift der Linke schließlich wieder das Wort. „Weil Sie sie mir dann stehlen würden." „Wenn Sie sich um ihre Zeit beraubt fühlen, wie kommen Sie dann überhaupt darauf, mir welche anzubieten?" „Macht man das nicht so?"

Darauf weiß der Brillenträger zunächst nichts zu antworten. Vielleicht hat er auch doch schon eine passende Antwort im Kopf, braucht nur einen Moment, um sie auszusprechen. Oder er feilt noch daran, sie richtig zu formulieren oder-  „Machen Sie das so?"

Endlich wagt der Braunhaarige einen kurzen und zugleich langsamen Blick zur Seite. Genau in dem Moment, in welchem sich die Augen der beiden für einen kurzen Moment treffen, richtet er seinen Kopf wieder in Ausgangsstellung.

„Manchmal", gibt er dann zu. „Wieso?" „Was?" „Wieso schenken Sie Leuten ihre Zeit, wenn Sie das Gefühl haben, dass es diese Zeit nicht wert ist, verschenkt zu werden?"

Dieses Mal ist dem Braunhaarigen anzusehen, wieso er nicht direkt antwortet. Es ist, als könne man den Denkprozess in seinem Kopf förmlich spüren, so angestrengt versucht er, die richtigen Worte zu finden.

„Jede Beziehung zu einem anderen Menschen, egal ob Familie, Freund oder Freundin kann nur bestehen, wenn man ihnen Zeit schenkt. Man kann nicht behaupten, zu einer anderen Person in einer gewissen Beziehung zu stehen, wenn man dieser nicht wenigstens eine Sekunde von seiner Zeit gegeben hat." „Aber wenn einem die Zeit, die man den Menschen, mit denen man in einer gewissen Beziehung steht, einem wie geraubte Zeit vorkommt, ist sie dann nicht an Personen verschwendet, die es nicht wert sind, diese Zeit zu bekommen. Und ist diese Zeit dann nicht ein falsches Geschenk an die falsche Person?"

Kaum, dass der Bleichling mit der immer noch schiefen Brille auf der Nase geendet hat, nickt sein Gesprächspartner. Es ist kein zustimmendes Nicken – jedenfalls wirkt es nicht so. Es ist mehr dieses „ja, ich habe verstanden, was du gesagt hast, ob ich jedoch der gleichen Meinung bin, muss ich noch herausfinden" Nicken. Der Braunhaarige wirkt nicht einmal, als säße er noch am Brunnen. Und doch ist sich der Linke sicher, dass sein Sitznachbar ihn verstanden hat.

Abermals kehrt Stille ein. Dieses Mal nicht nur für einen kurzen Moment. Dieses Mal schleicht Sekunde für Sekunde, Minute, für Minute dahin, in welcher die Nebelwand ihre Arme nach der Mauer ausstreckt und diese schließlich zum Fallen bringt. Die beiden Sitzende merken davon nichts. Lange hocken sie einfach nur da, starren geradeaus, starren ins Nichts, starren geradewegs in die Nebelwand hinein, obwohl sie diese nicht einmal sehen können.

„Wieso sind Sie hier?"

„Um Zeit für mich zu haben." Die Stimme des Braunhaarigen ist genau so trocken, wie zu Beginn des Gesprächs. „Und wieso haben Sie mir dann etwas von ihrer Zeit gegeben?" „Weil Sie es die Zeit wert waren."

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