Klirrende Wahrheit

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Langsam und vorsichtig drehte ich mich um. Es brauchte einen Moment, bis ich mich tatsächlich traute, geradeaus zu blicken. Eigentlich wusste ich schon längst, was mich erwarten würde. Und doch war es beinahe, wie ein Schock, als ich die den Kopf hob und endlich sehen konnte, was ich zuvor nur vermutet hatte.

Ein Mädchen. Ihre dunkelbraunen Haare waren in einen ordentlichen Zopf gebunden und lockten sich hinter ihrem Kopf wirr durcheinander. Würden sie offen fallen, würden sie beinahe bis zum Bauch gehen. So hoch zusammengebunden jedoch, wirkten sie viel kürzer. Das Kleid, was das Mädchen trug, erinnerte mich, an mein Innerstes. Genau so schwarz, genau so düster, wie es auf einen wirkte, fühlte ich mich.

Ich hatte keine Lust auf den Tag. Ich hasste ihn. Ich hasste diesen Abend. Es war eine einzige Show aus Rumstehen, Lächeln und so tun, als sei alles in Ordnung. Aber das war es nichts. Nichts in meiner Familie war in Ordnung. Da gab es nicht einmal etwas, was man so wirklich eine Familie nennen konnte, die in Ordnung seien könnte.

Von meiner eigentlichen Konzentration abgekommen, schloss ich einmal kurz die Augen, atmete tief ein und aus und wandte mich wieder an meinen Gegenüber.

Es waren ihre blauen Augen, die mir dieses Mal zuerst in den Blick stachen. Sie bohrten sich mit ihrer Kälte förmlich durch mich hindurch. Und in Kombination mit den dunkelroten Lippen und ebenfalls schwarzen Schuhen, lenkte das helle Blau noch viel mehr die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich.

„Irgendwie sieht du mehr so aus, als wolltest du zu einer Beerdigung gehen." Ein wenig spöttisch blickte ich gerade aus. Doch kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, formte sich sogar ein echtes Lächeln auf meinen Lippen. Irgendwie war an der Aussage ja sogar etwas dran. Jedenfalls fühlte sich das, was da unten von statten gehen würde für mich schlichtweg wie eine Beerdigung an. Wieso also sich nicht wie auf einer anziehen.

Schulterzuckend wandte ich mich einmal kurz ab, um zu meinem kleinen Regal zu laufen, auf welchem bereits die glitzernden Ohrringe lagen – schwarz natürlich. Das Paar angesteckt und die ausnahmsweise silbrige Kette angelegt, drehte ich mich abermals um die eigene Achse, um nun mein vollständiges Werk im Spiegel zu betrachten. „Weißt du", fing ich wieder an, mein Spiegelbild mit unnötigen Informationen zu füttern, „wäre das ganze nicht so unglaublich unnötig, sähst du gar nicht mal so schlecht aus. Findest du nicht?"

Stille. Niemand antwortete. Natürlich antwortete niemand. Wieso sollte auch mein Spiegelbild anfangen, mit mir zu reden?

Es war ja auch gar nicht meine Absicht, irgendeine Antwort zu erhalten. Ich hatte nur das drückende Gefühl, dass ich selber für den Abend die einzige Person sein würde, mit der ich mich anständig unterhalten konnte – also warum nicht schon einmal anfangen, zu üben?

„Eigentlich müsste ich sauer auf dich sein, dass du mich dazu gebracht hast, es wieder zu übertreiben. Aber wenn ich ehrlich bin, ist es mir sowieso egal, ob ich den Maßen entspreche oder nicht." Langsam, jeden einzelnen Schritt auskostend, setzte ich einen Schritt nach vorne, kam mir selbst immer näher. „Denkst du, sie werden es wieder sagen?" Stille. Wie, als wenn der Laufsteg zu Ende wäre, drehte ich mich um, um abermals vom Spiegel wegzulaufen. „Denkst du, sie werden wieder davon reden, dass ich nicht passend angezogen bin, das schwarz bei einem Fest der Liebe nun wirklich nicht das passendste ist?"

„Liebe, das ich nicht lache!" Mit Schwung hatte ich mich zurück zu mir selber gedreht, sodass ich nun meine eigenen Augen anfunkeln konnte. „Liebe ist doch sowieso nur ausgedachter Mist, den-"

Ein Klirren unterbrach meinen Redefluss. Stocksteif blieb ich stehen, als mit einem Mal ein Teil des Spiegels sprang. In der rechten oberen Ecke zogen sich nun viele dünne Risse durch das Glas und zerstörten den wunderschönen Anblick.

Immer noch geschockt von der plötzlichen Unterbrechung, überbrückte ich schwankend die wenigen Meter zwischen mir und meinem Spiegelbild. Zunächst inspizierte ich nur die Risse, doch als mein Blick mit einem Mal ein Stückchen tiefer wanderte, machte ich mit einem mal einen gewaltigen Satz nach hinten.

Man möge meinen, normalerweise erschreckten sich Leute, wenn auf einmal ein Auge vor ihnen auftauchte. In meinem Fall war das wohl das komplette Gegenteil. Denn die Tatsache, dass dort, wo mir eigentlich mein Spiegelbild hätte entgegenblicken müssen, kein Spiegelbild war, lies das Blut in meinen Adern gefrieren.

Zitternd, so als sträubte sich alles in mir, den Blick zu heben, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder geradeaus. Und tatsächlich. Ich hatte es mir nicht eingebildet. Genau, wie ich, kniete mein Spiegelbild am Boden. Doch anders wie ich, hatte es keinen geschockten Gesichtsausdruck auf den Lippen, sondern blickte eher besorgt zu mir herüber.

„Was zur-?" Sprachlos stand ich auf. „Wie-?" Ich machte einen wackeligen Schritt auf mein gegenüberliegendes Ich, das nicht Ich war, zu. „Wer-?" ruckartig blieb ich stehen. Erst jetzt richtete sich die Peron, die mir wie aus dem Gesicht geschnitten aussah, auf.

„Wieso denkst du so?" Ihre Stimme klang hohl und doch hatte sie etwas Freundliches. Dieses Etwas sprach nicht laut, man musste sich wirklich anstrengen, um etwas zu verstehen. „Wie, denke ich worüber?" Total überfordert und nicht verstehend, was hier vor sich ging, zwinkerte ich ein paar Mal mit den Augen. Mein Spiegelbild bewegte sich nicht.

„Wieso denkst du, dass Liebe nicht existiert?" Sprachlos sah ich das Ding vor mir an. Ich hatte weder mit so einer Frage, noch der Tatsache, dass ich mit meinem eigenen Ich reden und eine Antwort erhalten würde, gerechnet.

Schließlich aber, schnipste ich mir einmal vor dem Gesicht herum um meine Konzentration wieder aus der Ecke heraufzubeschwören, in die sie sich verkrochen hatte. Das konnte nur eine Fantasie meines Gehirnes sein. Also warum sich nicht drauf einlassen?

„Wieso sollt ich an etwas glauben, das ich nicht kenne?" Schnippisch zog ich eine Augenbraue hoch. Mein Spiegelbild kommentierte meinen herausfordernden Blick lediglich mit einem tiefen Seufzer. „Du hast früher auch an den Weihnachtsmann geglaubt, obwohl du ihn noch nie gesehen hast." „Wer sagt, dass ich daran geglaubt habe?" „Ich bin du, schon vergessen?" Ein trockenes Lachen erklang aus meinem Mund. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich so gut im Fantasieren war.

„Nun gut, ich habe daran geglaubt. Aber im Endeffekt existiert auch er nicht. Also was spielt es für eine Rolle, ob ich an Liebe glaube oder nicht, wenn sie genauso wenig existiert?" Dieses Mal war es mein Gegenüber, welche ein Lächeln auf ihren Lippen trug. „Wer sagt, dass der Weihnachtsmann nicht existiert?" Erneut konnte ich nicht anders und musste lachen.

Gib es doch zu!" Mit einem Mal verstummte ich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass dieses andere Ich noch einmal lauer werden würde. „Du hast doch nur Angst! Alles, was du hast, ist angst! Du weißt, dass sie existiert. Du weißt, was Liebe ist. Und nur weil du Angst hast, verletzt zu werden, tust du, als seist du unwissend. Mach die Augen auf, Mädchen! Da unten wartet deine Familie auf dich, die dich über alles liebt! Hör auf, dich hinter deiner Angst zu verstecken. Hör auf, an der Vergangenheit festzuklammern. Hör auf-"

Erneut war ein Klirren zu hören. Dieses Mal noch viel durchdringender, als zuvor. Geschockt blickte ich auf meine Hände. Ein wenig Blut lief über meine Fingerknochen. Und dort, wo meine Faust als erstes auf den Spiegel getroffen war, steckte sogar eine einzelne Scherbe. Vorsichtig zog ich sie mir heraus und konnte, als ich das spiegelnde Stück gerade wegschmeißen wollte, gerade noch erkennen, wie mein Ich, mein zerstörtes, zersplittertes Ich traurig mit dem Kopf schüttelte. 

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