Clara beobachte gespannt den Sekundenzeiger der Uhr. Sie rutschte auf ihrem Sitzplatz auf und ab. Die Natur rief, nein, sie schrie. Allerdings wagte sie nicht ihren Physiklehrer zu fragen, ob sie die Toilette aufsuchen durfte, denn der Mann hatte den Ruf ein sehr unangenehmer Mensch zu sein. Wäre sie doch in der Pause gegangen! Stattdessen hatte sie sich mit einer übellaunigen Sekretärin befasst, die einfach nicht akzeptieren wollte, dass Busfahrkarten verschwinden können.

Beinahe vorsichtig schielte sie immer wieder zum Pult herüber. Herr Lositz studierte die Tageszeitung mit übereinander geschlagenen Beinen. Diese Gemütlichkeit ließ sich jedoch keineswegs auf die Schüler übertragen. Um Clara herum war es mucksmäuschenstill. Alle arbeiteten an den gegebenen Aufgaben. Sie hielt es nicht mehr aus. Langsam hob sie die Hand, während sie unter dem Tisch nervös die Füße bewegte.
Der Lehrer beachtete sie nicht. Sie räusperte sich und sein Blick traf sie wie einen Schlag ins Gesicht.

"Es tut mir Leid, aber kann ich zur Toilette gehen?"

"Ob du das kannst, weiß ich nicht", er schüttelte seine Zeitung, die umgeklappt war. "Wozu hast du Pausen?"

"Da hatte ich ein Gespräch im Sekretariat", antwortete sie. Fast erwartete sie, dass Lositz durch diese Widerworte gereizt werden würde, aber er nickte nur.

"Wenn du zurück bist, stellst du deine Ergebnisse vor - an der Tafel!"

Erleichtert sprang Clara auf und eilte zu den Mädchentoiletten. Als sie die Tür mit dem Fuß aufstieß, schob sie sich schnell hinein, denn das Ding knallte einem auch gern mal ins Gesicht zurück, wenn man zu langsam war. Clara hastete in die zweite Kabine, denn die erste war abgeschlossen, seit sie auf diese Schule ging.

Während sie sich endlich Erleichterung verschaffte, überlegte sie, wie sie die Angelegenheit mit ihrer Busfahrkarte erledigen sollte. Insgeheim verdächtigte sie ein paar ihrer neuen Mitschüler, die wieder einen ihrer wahnsinnig witzigen Späße mit ihr trieben.
Clara hörte ein Knarren und die Tür ins Schloss fallen. Allerdings keine Schritte. Die Schule war alt, aber diese Geräusche konnten nicht von allein entstehen. Jemand musste sich große Mühe geben, nicht gehört zu werden. So sehr sich Clara anstrengte, das einzige, was sie vernahm, waren die gurgelnden Laute eines Abflusses und das leise Klirren ihrer Gürtelschnalle, wenn sie sich bewegte. Clara erstarrte, woraufhin völlige Stille herrschte.

Es war ihr unheimlich. Trotz der Aussicht gleich von Herrn Lositz vorgeführt zu werden, wollte sie zurück in den Unterricht. Während ihre rechte Hand nach dem Toilettenpapier griff, suchten ihre Blicke den oberen Rand der Kabine ab. Sie hatte von Schüler gehört, die man auf dem Klo filmte, um sie später zu erpressen oder bloßzustellen. Ein bisschen paranoid kam sie sich schon vor, aber es gab ihr Sicherheit. An der linken Wand, neben der sich die abgeschlossene Kabine befand, entdeckte sie allerdings ein paar Löcher. Sie stammten von der Aufhängung für den Toilettenpapierkasten. Er war vermutlich entfernt worden, um einen anderen zu ersetzen. Um ihrer Unsicherheit Genüge zu tun, warf sie einen Blick auf die andere Seite. Schwarze Augen starrten zurück.