Landstraße I

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"Das ist ja mal wieder typisch!"

Sascha nahm den Blick von der Straße, um seiner Schwester 'das Gesicht' zu zeigen. Vivien konnte diesen Ausdruck in seinen Augen nicht ausstehen. Er demonstrierte ihr nur, welche Enttäuschung sie war. Sie war das schwarze Schaf der Familie und 'das Gesicht' verdeutlichte es ihr immer wieder auf's neue.

"Typisch? Was denn?", sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

"Dass du mit diesem dahergelaufenen Kerl durchgebrannt bist, ist ja selbst für dich ein ganz neuer Maßstab!"

Ihre Lippe begann zu zittern. Der Gedanke an Tiago tat weh. Sie hatte ihn für ihre große Liebe gehalten. Nachdem er auch ihr seine Gefühle gestanden hatte, hatte sie Hals über Kopf ihre Sachen gepackt und gemeinsam waren sie nach Portugal geflogen. Genauso feurig wie ihre Beziehung begonnen hatte, hatte sie geendet. Tiago fand eine Neue und Vivien hatte Sascha völlig verheult angerufen. Er war gekommen, um sie nach Hause zu bringen.

Jetzt fuhren sie seit zwei Tagen und endlich hatte Sascha sein Schweigen gebrochen. Dass er gleich mit einem Vorwurf begann, hatte sie erwartet. Sie hasste es trotzdem.

"Ich bin erwachsen! Ich kann tun und lassen, was ich will!", giftete sie.

"Offensichtlich nicht. Du benimmst dich wie ein bockiges Kleinkind"

"Weil ich nicht jeden Scheiß mache, den Daddy von mir verlangt?"

"Aber sein Geld nimmst du trotzdem, ja?", wieder sah Sascha sie so abschätzig an.

Damit hatte er ihren wunden Punkt getroffen. Vivien hatte versucht in der Modebranche als Model und Designerin Fuß zu fassen. Das Gesicht dazu besaß sie. Große blaue Augen umrahmt von hellblondem Haar, das sie in einer Flechtfrisur trug. Die Sommersprossen um die Stupsnase verliehen ihrer Erscheinung etwas Ungezähmtes. Das Durchhaltevermögen, die Sache tatsächlich durchzuziehen wiederum, besaß sie nicht. So ließ sie sich von Männern aushalten, wobei sie dem  immer gleichen Typus verfiel: Dem, der auch schnell pleite war.

Die Wohnung in Hamburg bezahlte also ihr Vater, nicht sie selbst. Sascha war anders. Sie rutschte auf dem Beifahrersitz herum. Ihr Bruder war der gute Junge. Und das auch schon immer gewesen.

"Wann sind wir endlich da? Hätten wir nicht fliegen können?"

Sascha antwortete nicht sofort. Seine Schwester beobachtete, wie er auf der Unterlippe zu kauen begann. Das tat er nur, wenn er über schwerwiegenden Probleme grübelte.

"Was ist?", fragte sie erneut.

"Sie wissen nichts davon", sagte er schließlich.

"Wer weiß nichts wovon?"

"Vater hat gesagt, dass er dir den Geldhahn abdreht, wenn du dir weiter solche Eskapaden leistet."

"Das weiß ich selber!"

"Selbst", korrigierte Sascha.

"Leck mich!"

Da stieg ihr Bruder unvermittelt auf die Bremse. Schmerzhaft schnitt ihr der Sicherheitsgurt in den Oberkörper und nahm ihr für den Moment die Luft. Beinahe wäre sie mit dem Kopf auf das Armaturenbrett geschlagen.

"Sag' mal, bist du völlig bescheuert?", schrie Vivien ihn an.

"Halt deinen Mund!", befahl er stattdessen. "Ich habe in diesen verdammte vier Tagen, die ich jetzt unterwegs bin, um deine Probleme zu lösen, kaum geschlafen. Du warst plötzlich verschwunden und ich hab' mir, auf gut deutsch, den Arsch abtelefoniert, dich zu finden. Sogar unsere Eltern musste ich belügen. Dann hat mir jemand erzählt, dass du mit diesem Don Juan losgezogen bist."

Sascha war wütend. Das sah sie ihm an, denn schließlich hatte sie ihn oft genug zur Weißglut getrieben.

"Hast du eine Ahnung, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Dir hätte sonst was passieren können!"

Der Ausdruck in seinen Augen wurde weicher. Eine der wenigen Eigenschaften, die Vivien an ihrem Bruder schätzte, war, dass er ihr eben nicht lange böse sein konnte.

"Ich bin dir auch dankbar, dass du mich abgeholt hast. Es tut mir leid. Ich dachte nur, er wäre der Richtige."

Vivien kullerten Tränen über die Wange. Ihr Bruder öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, stattdessen stieg Vivien aus dem Wagen.

"Ich muss eine rauchen", nuschelte sie.

Umständlich fummelte sie eine Zigarette aus der Schachtel und schob sie zwischen die Lippen. Mit abgespreiztem Daumen wischte sie unter ihren Augen entlang, doch ihr wasserfestes Make-up machte wahr, was es versprach. 'Hält die Fassade aufrecht, auch wenn Sie innerlich tot sind' hätte sicherlich einen schönen Slogan abgegeben.

"Hier", Sascha legte ihr seine schwere Lederjacke um die schmalen Schultern. Sie trug nur ein kurzes Sommerkleid, das zu dieser nachtschlafende Zeit mehr als unpassend war.

Schweigend versuchte Vivien ihre Zigarette anzuzünden, aber das verfluchte Ding sprühte nur Funken.

"Warum funktioniert denn nie irgendwas?", schrie sie wütend in die Dunkelheit und schleuderte das Feuerzeug in die Büsche.

Während Sascha im Fahrerraum nach einem Feuerzeug suchte, zog seine Schwester die Jacke an. Die Kälte kroch an den nackten Beinen hinauf und verursachte ihr eine Gänsehaut.

Die Umgebung tat ihr übriges. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen und die Bäume am Wegesrand schienen jedes Geräusch zu absorbieren. Die Stille wirkte drückend. Unsicher blickte sie umher. Die Zweige knackten ein wenig. Dann sah sie einen Schatten im Licht des Scheinwerfers.

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