Der Grund zu leben

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Sie war müde, so unendlich müde. Müde von allem was in ihrem sogenannten Leben passierte. Seufzend richtete sie sich auf und starrte hoffnungsvoll auf die Uhr, die knapp über dem Whiteboard hing. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit seit sie das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte, doch es waren gerade einmal zwei Minuten vergangen. Der Blick ihres Lehrers richtete sich auf sie. „Miss Hours, wenn Sie den Unterricht so aufschlussreich finden, können Sie gerne den Raum verlassen und einen Aufsatz für mich verfassen". Die Blicke der ganzen Klasse richteten sich auf sie. Sola versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie mochte Professor Outlin und auch seinen Unterricht, doch heute wurde sie bereits mehrmals ermahnt und ihre Klasse brauchte nicht noch mehr Lästerstoff über sie. „Entschuldigung", murmelte sie hastig und blickte auf ihre schlammverkrusteten Schuhe. „Ich möchte nach der Stunde noch mit Ihnen sprechen". Ein Raunen ging durch die Klasse. Sola nickte schnell und Professor Outlin ließ sie in Ruhe. 

Den Rest der Stunde bekam sie nicht richtig mit. Erleichtert atmete sie auf, als die das Läuten der Glocke hörte, aber als ihr Professor sie ansah, überkam Sola ein mulmiges Gefühl. Langsam packte sie ihren einzigen Stift und ihren zerflederten Block in ihren abgetragenen Rucksack. Professor Outlin beobachtete sie ruhig. „Sie wollten mit mir sprechen?", fragte Sola zögerlich. Vermutlich wollte er, wie allen anderen Lehrer und Professoren, mit ihr über den Verlust ihrer besten Freundin sprechen- dieses Gespräch hatte sie diese Woche bereits sehr oft geführt und auf noch eines hatte sie wirklich keine Lust. „Wie geht es dir?", mit seinen klugen Augen musterte Professor Outlin Sola aufmerksam. Automatisch antwortete Sola: „Gut". Mit der Zeit hatte sie sich angewöhnt mit keinem mehr offen über ihre Gefühle zu sprechen. Bei der typischen Smalltalk-Frage des Gemütszustandes erwartete man einfach diese Antwort, damit man sich keine Sorgen machen musste. Natürlich wussten alle, dass sie log, dich niemand hinterfragte Sola, was ihr auch ganz Recht war, denn sie verspürte nicht im Geringsten den Drang sich jemandem anzuvertrauen. Wenn Cäcilia noch leben würde, hätte Sola sich ihr anvertraut, doch Cäcilia lag einen Meter unter dem Boden vermodernd in einem Sarg. Davon einmal war die auch der Grund, weshalb Sola mit niemandem mehr redete. Mit einem Blick, der ihr durch Mark und Bein ging, sah Professor Outlin sie an. Leicht schüttelte er den Kopf. „Und jetzt die Wahrheit", sagte er sanft. „Bitte! Wir alle sehen, wie du dich immer mehr zurückziehst und sorgen uns um dich". Sola überlegte. War es klug sich ihrem Lieblingsprofessor anzuvertrauen? Anderseits, was hatte sie zu verlieren? „Schlecht! Es wird einfach nicht besser, wie alle immer sagen!", brach es aus Sola hervor. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst. Oder wende dich an andere Lehrer, wir sind alle für dich da!". Sola schnaubte, alle sagten, sie seien für sie da, doch niemand wollte ihr wirklich helfen. „Ich meine es ernst!", betonte ihr Professor aufrichtig. „Ich möchte dir helfen". Erstaunt blickte Sola auf. So sprach niemand, der es nicht wirklich ernst meinte. „Was kann ich tun? Soll ich mit deinen Eltern sprechen?". Protestierend schüttelte sie ihren Kopf. Wenn er jetzt die Wahrheit über ihre Eltern herausfand, würde es noch schlimmer werden. Ihre Eltern, die sie auf dieses Internat gesteckt hatten, interessierten sich nicht im Geringsten für sie. Sie wussten nichts mehr über sie, weder über Cäcilias Tod noch darüber, dass ihr eigener Bruder sie verleugnete. „Bitte nicht!", flehte sie erstickt. Missbilligend schürzte Professor Outlin die Lippen. „Bist du sicher, dass es dir nicht helfen würde?", hakte er nach, Bedeutsam nickte Sola. „Es würde mir helfen zu wissen, dass Sie sich nicht zu viele Sorgen machen. Weder um mich noch um meinen Bruder Liban- egal was passiert. Wir sind robuster als es scheint", bat sie. Ihr Professor nickte. 

Bevor er noch etwas sagen konnte, stand sie auf, nahm sich ihren Rucksack und verließ das Klassenzimmer. Hastig lief Sola in den Nordkorridor, der weniger voll war, als der Rest des Eliteinternats. Sie hievte sich auf ihre Nische, die im Halbschatten lag und beobachtete das rege Treiben auf den breiten Fluren der Schule. Jeden Tag versteckte sie sich hier und wartete darauf, dass keiner mehr unterwegs war. Erst dann stahl sie sich verstohlen in ihr Zimmer. Da das Gespräch mit Professor Outlin eine Weile gedauert hatte, musste sie diesmal nicht so lange warten. Heute nahem sie jedoch einen kleinen Umweg zu ihrem Zimmer. Unbemerkt huschte sie durch den Gang. Bei Libans Zimmer, welches er sich mit ihrem Cousin teilte, blieb sie stehen. Sola zog ihren Rucksack aus und kramte nach dem Brief. Heute würde alles seinen Abschluss finden. Gerade als sie den Brief unter der Tür durchschob, öffnete sich diese. Hastig sprang sie auf. Vor ihr stand Espen, ihr Cousin, in Jogginghose. „Sola?", fragte er sichtlich irritiert. „Was machst du hier?". Seit Liban sie ignorierte, hatte auch er nicht mehr viel mit ihr gesprochen. Mit großen Augen sah Sola ihn an. Sie linste neben ihm vorbei in das geräumige Zimmer. Espen durchschaute sie sofort: „Liban ist nicht hier". Er klang traurig. „Ich geh dann mal wieder", murmelte Sola. Sie drehte sich um und lief in Richtung ihres Zimmers. Espen rief ihr hinterher, doch sie beachtete ihn nicht. Ein Teil von ihr wollte sich umdrehen, zu ihm rennen und einfach in seinen Armen weinen, aber sie wusste, dass das ihren Schmerz auch nicht lindern würde. Sie würde es heute Abend tun, etwas anderes machte einfach keinen Sinn mehr. Sie war des Lebens überdrüssig. Schon zu lange versuchte sie ihrem Leben zu entkommen, doch es gelang ihr nicht. Deshalb würde sie es heute Abend beenden. Sola hoffte so den Schmerzen zu entkommen, die sie seit einem knappen Jahr mit sich herumschleppte. Das allzu bekannte Pochen der Wunde in ihrem Inneren ließ sie zusammenzucken. Keuchend stützte sie sich an der mit Stuck verzierten Wand ab. Wütend richtete sie sich auf- genau deshalb wollte sie all das nicht mehr.

Als sie ihre Zimmertür endlich erreichte, schloss sie diese auf, warf ihren Rucksack weg und ließ sich auf ihr Bett fallen. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihr, dass die Dämmerung bereits eingesetzt hatte. Sole riss sich die unbequeme und sexistische Schuluniform förmlich vom Körper. Ihr Zimmer war penibel aufgeräumt, abgesehen von ihrem Rucksack und der Uniform. Aus ihrem Schrank zog sie ihr Lieblingskleid. Sola hatte sich viele Gedanken darüber gemacht, auch wenn es unsinnig war, schließlich würde sie von ihrer Kleiderwahl nicht so viel haben. Nach einem kurzen Blick auf das Kleid, stürmten die Erinnerungen nur so auf sie ein. Liban hatte es zusammen mit ihr gekauft, kurz bevor der ganze Schlamassel anfing. Sie hatte es anprobiert, aber wollte es ursprünglich nicht, es war für ihren Geschmack zu extravagant, doch als Liban sie in dem Kleid gesehen hatte, bestand er darauf es ihr zu kaufen. Nachdem sie das Kleid angezogen hatte, räumte sie sowohl ihren Rucksack als auch die Schuluniform auf. Sola hatte beschlossen zu warten, bis die Nacht hereingebrochen war und das Zimmer im Mondschein lag. Sie liebte es den Mondschein auf ihrem Gesicht zu spüren. Während sie wartete, setzte sie sich auf die Fensterbank. Geistesabwesend schaute sie nach draußen auf die wunderschöne Parkanlage. Ausnahmsweise einmal ging die Zeit erstaunlich schnell um und raste geradezu auf das Unausweichliche zu. Ehe sie sich versah, stand der Mond hell und klar hoch oben am Himmel. Sola zögerte nicht lange und schluckte schnell so viele der Tabletten, wie sie konnte. Bei dem Gedanken an ihre Worte an Professor Outlin musste sie lächeln. Es stimmte, Liban und Sola waren robuster als es schien, doch es war zu viel für Sola geworden. Professor Outlins Hilfe kam zu spät.

Liban ging nach dem Abendessen direkt zu seinem Zimmer. Der Tag heute war anstrengend gewesen und er wollte nur noch in sein weiches Bett um zu schlafen. Gerade als er die Tür aufschließen wollte, riss Espen sie auf. „Wo warst du so lange?", fragte er gleich. Liban runzelte die Stirn. „Ich war Essen?", antwortete er. Espen reichte ihm einen ordentlich gefalteten Zettel. „Der ist von Sola. Sie war vorhin hier". Bei der Erwähnung ihres Namens zog sich sein Herz schmerzhaft zusammen. Liban vermisste seine kleine Schwester. Kurz nach Cäcilias Tod hatte sein Vater ihn aufgefordert, sich von Sola fernzuhalten. Liban hatte es nicht verstanden, doch er wusste, dass es womöglich furchtbare Konsequenzen für Sola gehabt hätte, wenn er es nicht getan hätte. „Sie hat ziemlich verwirrt gewirkt", fügte Espen hinzu. Liban nickte als Zeichen, dass er verstanden hatte. Vorsichtig öffnete Liban den Zettel und erkannte sofort Solas ordentliche Handschrift.

Liban, 

wenn Du das hier liest, bin ich wahrscheinlich schon tot. Ich wollte nur, dass Du weißt, dass ich Dich immer noch liebe, auch wenn Du mich ignorierst und womöglich sogar hasst. Als ich Dich am meisten brauchte, warst Du nicht da und hast mich im Stich gelassen. Das verzeihe ich Dir, aber in letzter Zeit komme ich nicht mehr damit klar, ich vermisse Dich so sehr und ich weiß nicht mehr, was ich tun kann um Cäcilia zu vergessen. Weißt Du, wie es sich anfühlt von allen immer angestarrt zu werden, nur weil man nicht so toll und perfekt ist wie Du? Vermutlich nicht, aber dafür kannst du nichts. Wie Vater immer sagte, an mir ist einfach nichts Besonderes. Die Blicke und das Getuschel sind mir einfach zu viel geworden. Ich habe beschlossen, all dem ein Ende zu setzten, noch heute. 

Ich liebe Dich! 

Deine Schwester Sola

Sola! Liban warf den Brief mit ihren Worten weg und stürmte zur Tür. „Was ist los?", fragte Espen ihn. Liban antwortete nicht und riss die Tür auf. Liban rannte, als ob sein Leben davon abhängen würde, denn das tat es gewissermaßen ja auch. Ohne Sola würde er nicht leben können. Schüler und Lehrer schauten Liban irritiert an, doch er hatte keine Zeit sie zu beachten. Er stürmte einfach immer weiter zu dem Zimmer seiner kleinen Schwester. Liban hoffte, dass Sola seinen Fingerabdruck nicht aus dem Schloss gelöscht hatte, denn er hatte vermutlich nicht die Zeit einen Schlüssel zu organisieren. Zu seinem Glück öffnete sich die Tür. Er zog sie so schnell wie möglich auf und stürmte ins Zimmer. Auf der Fensterbank lag Sola zusammengesunken. „Sola!", rief er. Sie regte sich nicht. Er machte ein paar vorsichtige Schritte zum Fenster. „Sola!", hauchte er. „Was hast du nur getan?". Liban zog Sola in seine Arme, dabei spürte er einen ganz leichten Puls. „Liban", flüsterte Sola. Sein Gesicht war gezeichnet von Trauer und Furcht. Durch die Worte seines Vaters hatte er selbst Sola in den Abgrund getrieben. „Prinzessin. Wieso?", Tränen liefen Liban über das Gesicht. Schwach hielt Sola ihre Augen offen, es kostete sie sehr viel Kraft. „Ich liebe dich!", brachte sie kaum hörbar heraus. Sie beiden merkten, wie ihr Puls immer schwächer wurde, bis er schließlich aussetzte. „Nein!", schrie Liban. „Bleib bei mir!". Doch so sehr er auch flehte, sie öffnete die Augen nicht mehr. „Nein, nein, nein!". Liban hatte noch nie solch einen Schmerz empfunden. Er klammerte sich an Sola und weinte, wie er es noch nie getan hatte. „Liban!", hörte er hinter sich Espens Stimme. „Komm zurück!", schrie Liban. „Ich brauche dich!". Erst als er Espens Hand auf seiner Schulter spürte, wurde ihm klar, dass er sie nicht zurückholen konnte. „Lass sie los, es hat keinen Zweck mehr", redete Espen ihm gut zu. „Nein! Das ist mein Mädchen, meine Prinzessin!", schrie Liban. „Sie ist meine Schwester!". Er klammerte sich an sie und fühlte, wie er in ein tiefes schwarzes Loch gezogen wurde.

~1914 Wörter

So, das ist meine Abgabe zu dem Thema Einsamkeit. Oschki, ich hoffe, du hast es nicht gelesen, sonst muss ich mich wohl auf ein ernstes Gespräch einstellen. 

Falls ihr euch so fühlt oder Selbstmordgedanken habt, bitte bitte vertraut euch jemandem an. Wenn ihr niemanden habt, dem ihr vertraut, schaut im Internet nach Nummern oder Emails. Beides wird von fachkundigem Personal betreut, das euch weiterhelfen kann-

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