Die Flügel der Freiheit

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng


Mulmig schaute ich zu, wie er sich lachend in die Lüfte erhob. Warum wollte er immer fliegen? Er wusste doch ganz genau, dass ich es nicht mehr gerne tat, seit- Nein! Die Erinnerung daran war zu schmerzhaft. „Musst du das immer tun? Wie oft willst du mir eigentlich noch beweisen, dass ich nicht so gut damit klar komme wie du?", schnaubte ich leicht aufgebracht. „Ach komm schon!", versuchte er mich dazu zu bewegen von meinen schneeweißen Flügeln Gebrauch zu machen. „Du weißt, dass ich nicht mehr gerne fliege", sagte ich leise. Als Nachkommen eines Engels hatten wir Flügel, doch jeder vor uns verlor sie nach einer gewissen Zeit. Niemand kannte den genauen Grund dafür, ob es ein bestimmtes Ereignis war oder ob man einfach nur eine bestimmte Zeit mit diesen herrlichen Schwingen beschenkt war.

Tyler schwebte einige Zentimeter über dem Boden, sodass seine gewaltigen grau-weiß gesprenkelten Flügel Schatten auf mich warfen. Ich war weit nicht die einzige Nachkommin, die ungern flog, aber dennoch war es sehr verpönt. Jeder wünschte sich seine Flügel zurück, sobald er sie verloren hatte, wünschte sich in die alte Zeit, als das Fliegen so natürlich war, wie atmen. Alle meinten zu mir, ich sollte die Zeit nutzen, solange ich noch im Besitz meiner Flügel war, dass ich es sonst irgendwann bereuen würde, doch keiner konnte mich wirklich überzeugen.

„Du hast doch nur Angst langsamer als ich zu sein", provozierte Tyler mich, damit ich auch endlich abhob. Und tatsächlich, es funktionierte: ich öffnete meine Schwingen und begann langsam mit ihnen zu schlagen. Das Gefühl des reißenden Windes an meinen geöffneten Haaren war berauschend. Er peitschte sie um mich herum, sodass ich fortwährend den Kopf bewegen musste, um mir meine Haare aus dem Gesicht zu halten. Als wir beide einige Meter in der Luft waren, begannen wir mit einem Wettflug. Natürlich wussten wir beide, dass ich schneller sein würde, doch es machte Spaß zur Abwechslung mal ganz ohne Angst fliegen zu können. Meter um Meter schloss die Landschaft unter uns vorbei und verschwamm zu einem verschwommenen Streifen. Das erste Mal nach langer Zeit fühlte ich mich frei. Voller Freude und Glück stieß ich einen lauten Schrei aus. Ich schrie so laut wie ich konnte und der Gegenwind trug meinen Schrei wieder zu mir heran. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Tyler mich anschaute, auch ihm schien das Lächeln förmlich im Gesicht zu kleben.

Alles schien perfekt zu sein, aber plötzlich spürte ich etwas tief in meinem Bauch. Ein unangenehmes prickeln und rumoren. Nach und nach kam auch der unfassbar große Schmerz, der immer mit dem Fliegen kam. Ruckartig stoppte ich und hing an derselben Stelle in der Luft. Unglücklich schaute ich zu Boden. Dabei war doch dieses Mal alles so gut gelaufen. Nichts hatte mich an ihn erinnert, es gab eigentlich keinen Grund für diesen unbeschreiblichen Schmerz. Diesmal war er so schlimm, dass es mir die Kehle zuschnürte. Keuchend versuchte ich meinen Herzschlag wieder zu verlangsamen und meine Atmung zu beruhigen. Einen kurzen Moment später spürte ich einen leichten Windhauch.

„Kinsey?", fragte mich Tyler besorgt. Inzwischen hatte sich meine Atmung wieder beruhigt. Nervös schaute ich zu meinem Kindheitsfreund auf. „Es ist alles gut", sagte ich wenig überzeugend. „Nein, mit dir stimmt etwas nicht, das sehe ich doch!", widersprach er mir sanft. „Es ist wieder das Gefühl, oder?", riet er und traf genau ins Schwarze. „Es hängt mit Randall zusammen, nicht wahr?". Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Wie war er nur so schnell darauf gekommen? Klar, er war mein bester Freund und der Einzige, dem ich mich seit dem Geschehenen geöffnet hatte, doch so schnell?

Langsam flog er näher zu mir heran. „Lass uns landen", schlug er vor. Schnell nickte ich. Ich schloss die Augen und wollte mich gerade zu Boden schweben lassen, als die Angst mich nach unten blicken ließ. War der Boden wirklich so weit entfernt gewesen? Sind wir so hochgeflogen? Vor Schreck vergas ich meine Flügel zu bewegen. Panisch versuchte ich mich daran zu erinnern, wie ich sie bewegen konnte, doch so sehr ich mich auch anstrengte, sie bewegten sich nicht. Ich sah es kommen: ich würde genauso enden, wie mein Zwillingsbruder, als eine Pfütze Matsch. Angsterfüllt schrie ich auf. Um nicht den näherkommenden Boden als letzte Erinnerung zu behalten, schloss ich die Augen und dachte an die Zeit vor dem Unfall, stellte mir die Zeit mit Randall und Tyler vor. Fest davon überzeugt, dass mein letztes Stündlein geschlagen hatte, kniff ich die Augen noch ein Stück fester zusammen. Als jemand seine Arme um meine Hüfte legte, war ich zunächst erschrocken, doch im nächsten Moment unfassbar dankbar. 

Sanft wurde ich auf dem Boden abgestellt. „Du dachtest doch nicht ernsthaft, dass ich dich fallen lasse, oder?", fragte mich Tyler erschrocken. Schnell schüttelte ich den Kopf. Wieso hatte ich vergessen, wie ich mit meinen Flügeln schlagen musste, um mich in der Luft zu halten? „Würdest du mich das nächste Mal bitte warnen, bevor du vorhast dich umzubringen?", verschmitzt lächelte Tyler mich an. „Ich ... ich weiß nicht.... was das gerade war. Es war einfach so, als ob ich keine Flügel hätte, ich bin einfach gefallen", flüsterte ich entsetzt und traurig zugleich. Mir war klar was das bedeutete: ich würde meine Flügel bald verlieren.

Traurig schaute mich mein bester Freund an. „Es wird alles wieder gut", meinte Tyler und zog mich in eine feste Umarmung. Instinktiv legte ich meine Flügel an meinen Körper an, damit ich ihn an mich drücken konnte. Auch wenn ich immer gewollt hatte, dass meine Gewaltigen Schwingen verschwanden, war ich nun dennoch traurig über den baldigen Verlust von ihnen. „Genau das muss Randall passiert sein", flüsterte ich. „Er hatte einfach nicht damit gerechnet, sie so schnell zu verlieren und ich habe mich über ihn lustig gemacht, als er mir von seinen Befürchtungen erzählt hat", schluchzte ich, während mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog. „Er wusste es ist so weit und ich habe es ihm ausgeredet! Er ist meinetwegen gestorben!". Inzwischen schrie ich meinen Kummer förmlich in die Welt. Es war einfach unerträglich, zu wissen, dass mein Bruder ohne mein Beisteuern womöglich noch am Leben wäre, war der Horror.

„Ich weiß genau, wie es sich anfühlt so zu sterben. Ich habe all seinen Schmerz gefühlt und die Angst gespürt", weinte ich leise an Tylers Brust. „Ich habe alles mitgefühlt!", schrie ich wieder laut. „Es ist alles meine Schuld!". Ich schrie und weinte mir die Seele aus dem Leib. Nach einer Weile hatte ich mich wieder beruhigt. „Es tut mir so unendlich leid. So etwas sollte niemand miterleben müssen. Als ich dich damals so gesehen habe... Mir ist das Herz stehengeblieben", in seiner Stimme hörte ich den Kummer. Auch ihm fehlte Randall. Er war sein bester Freund gewesen und sie hatten so gut wie alles zusammen gemacht. Wenn ich mich an jenen Tag zurückerinnerte, bekam ich immer noch Angstzustände. Randall wollte zu unserer Tante fliegen und hatte während des Fluges in sehr großer Höhe seine Flügel verloren.

Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich unsere Zwillingsverbindung geliebt, doch an jenem Tag, ist ein Teil von mir mit ihm gestorben. Durch die Zwillingsverbindung hatte ich all seine Gefühle, Eindrücke und Ängste mitbekommen. Es war schrecklich gewesen. „Ich hätte es dir erzählen sollen", murmelte ich leise. „Wenn ich dir gleich davon erzählt hätte, dann wäre es nie zu diesen Flugängsten gekommen". Lange saßen wir auf dem Boden und weinten ein weiters mal um Randall. Tyler stand auf, klopfte sich den Dreck von der Hose und streckte mir seine Hand entgegen: „Komm, lass uns zu seinem Grab gehen!".

Zu Fuß machten wir uns auf den Weg und blickten einer Zukunft ohne unseren geliebten Randall entgegen.

~1264 Wörter

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro