‚Schlaf eine Nacht drüber'.
Das ist der Rat, der einem oft in schwierigen Situationen gegeben wird; nicht selten mit einem angefügten 'Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus'.
Doch in seinem Fall verschärfte es die Reaktionen auf vergangene Ereignisse vielmehr, als dass er sie abschwächte.

Wie nach mehreren Stunden Videospiele spielen, wiederholten sich die Geschehnisse in seinem Kopf, führten die Szenerie der Flashbacks fort und raubten ihm den Schlaf.

Die Auszeichnung, welche aus seinem Regal gefallen und dumpf auf dem Boden aufgekommen war, klang nun mehr nach der Explosion des Abwurfes eines Langstreckenbombers.

Zitternd fuhr sich Alois durch das nassgeschwitzte Gesicht. Der fettige Vorhang einer Frisur, wie er sie zur Zeit trug, klebte an seiner Haut.
Sein Atem ging Stoßweise und abgehakt.
Die bernsteinfarbenen Augen des Sechzehnjährigen hafteten an der Auszeichnung, die er sich im Krieg verdient hatte. Eine Ehrung für seine Verdienste im Auslöschen anderen Lebens.

Niemals hätte er gedacht, dass aus seiner Liebe zu VR spielen im Ganzkörperanzug eine Zwangsrekrutierung fürs Militär werden würde. Er wusste, dass er in den virtuellen Welten ein mehr als nur begabter Scharfschütze gewesen war, aber er hatte nie die Absicht gehabt, ein 'Kriegsheld' zu werden, wie sie es in den Nachrichten gepredigt hatten.
Aus den Pixeln waren echte Menschen und Aliens geworden, deren Absichten nicht einmal immer erfragt wurden;
Aus immer wieder neu spawnenden Animationen,
Zivilisten, die nicht wieder kommen würden und einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren;
Und aus dem berauschenden Gefühl des Erfolges, wenn sein Team durch ihn gewonnen hatte, schlaflose Nächte, die ihn nicht vergessen ließen.

Angst - Er würde niemals finden was er sich so sehnlichst wünschte.

Schock - Er war nun mehr eine andere Person. Seine eigenen Gefühle, so wie er sie damals erlebt hatte, waren völlig fremd und nicht mehr nachvollziehbar geworden.

Wut - Die Menschen um ihn herum, die so weiterlebten, als wäre niemals etwas passiert.
Ein Lachen, ein Grinsen, unangebrachte Witze - Maskerade. Sie wussten nichts. Er und sein Zustand waren unbedeutend. Sie lebten ihr Leben normal weiter, während er aufgrund ihrer Wünsche und Sicherheit litt.

Alois' Augen wanderten langsam zu seinem Scharfschützengewehr, welches unbenutzt in der Ecke seines Zimmers stand.

Wenn es ihnen allen gut ging... war er es mit dem etwas nicht stimmte?

Das war sie. Die Realisierung, dass er sein eigenes Problem war.