63| Werwolfwahrheiten

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Prozess zur Vernichtung des Ungeziefers, Schritt 2 - Ausräumen von Zweifeln

- Solvera Tactics

~~

KALIE

 „Der Mondstein, William", wird Jeffrey nun genauer. „Gib uns unser rechtmäßiges Eigentum zurück, und ich verspreche, mein Rudel wird alles tun, um dieses Bündnis zu stärken."

Nicht nur die Verhandelnden hinter der Schranktür scheinen gespannt den Atem anzuhalten. Auch neben mir kann ich spüren, wie das gleichmäßige Heben und Senken von Elias Brustkorb ins Stocken gerät. Seine Schulter reibt an meiner, als er seine Sitzposition leicht wechselt und den Kopf nach oben reckt, von wo aus man durch ein schmales Schlüsselloch nach draußen linsen kann. Die Luft um uns herum knistert förmlich vor Spannung.

„Schon süß, wie ihr auf die bedingungslose Treue eurer hirntoten Wölfe setzt."

Falls die gewagte Forderung den Alpha des Crescent Rudels überrascht haben sollte, lässt er es sich nicht anmerken. „Aber lasst uns diese ganze Verbündungssache mal aus einer anderen Perspektive sehen." Wieder schaben die Beine des Schreibtischstuhls über die Dielen und Schritte erklingen.

"Ihr seid das heimische Rudel dieser Gegend", erklärt Liam ruhig; nahezu bedrohlich leise. „Euer Alpha wurde schon von diesem Jäger verletzt – weswegen ihr eigentlich diejenigen sein solltet, die auf Knien um eine Waffenruhe bitten. Niemand mag es, von zwei Seiten attackiert zu werden, nicht wahr?"

Ich halte es nicht mehr aus. Mit einer gewisperten Entschuldigung schiebe ich Elias zur Seite, um an seiner Stelle durch das Guckloch schauen zu können. Leider kann ich aus dem Winkel unseres Verstecks nur die angespannte Gestalt von Bryan sehen, dessen zuckende Hände immer wieder Fäuste formen, bis Jeffrey zu ihm an die Seite tritt und eine beruhigende Hand auf seiner Schulter platziert.

„Das McCartney Rudel hat nichts, was es mir anbieten könnte", fährt Liam selbstgefällig fort, während seine Schritte entspannt durch den Raum wandern. „Im Gegenteil – ich tue euch sogar einen Gefallen, indem ich den ganzen Weg durch diesen schrecklich widerspenstigen Wald hier her komme, nur um mit euch zu verhandeln."

Seine Aussage lässt Jeffrey schnauben. „Wie ausgesprochen gnädig von dir."

Ein Piken in meinen Rippe verrät mir, dass Elias wieder spionieren will, doch ich bedeute ihm mit einer flüchtigen Handbewegung, noch kurz zu warten. Denn in Bryans Gesicht bildet sich etwas Seltsames, nachdem Liam ihnen die Fakten der Verhandlungsbasis vor die Füße gespuckt hat. Ein heimtückisches Funkeln wandert allmählich in die Augen des Betas, als wäre ihm etwas wichtiges eingefallen.

„Sind wir uns sicher...", schnurrt er schief grinsend in Jeffreys Richtung, „dass wir nichts haben, was wir dem Kleinen im Austausch für den Mondstein anbieten könnten?"

Die Blicke der beiden treffen sich, und wie durch eine telepathische Verbindung scheint Jeffrey zu verstehen. „Oh richtig." Vom Grinsen seines Betas angesteckt wendet mein Onkel sich wieder an Liam.

„Weißt du, William, wir haben uns in letzter Zeit sehr viel mit unseren... wie sagte er nochmal... ah – hirntoten Wölfen auseinandergesetzt. Dabei ist uns eine Kleinigkeit bezüglich ihrer so hochgeschätzten Treue aufgefallen..."

„Mich interessiert nicht, was ihr mit diesem finster dreinblickenden, schwarzhaarigen Mädchen angestellt habt." Mein Herz macht unwillkürlich einen Satz, als der Oberkörper des dunkelhaarigen Jungen nur wenige Meter von uns entfernt in meinen Sichtkegel tritt. „-Auch wenn das bestimmt ein anständiges Drama gewesen sein muss – war sie nicht die Cousine des Betas oder so?"

Der lauernde Unterton in Liams Stimme raubt Bryan jede Fassung. Der schwarzhaarige Mann macht einen schwungvollen Schritt nach vorne. „Das hier geht nicht um Sharon, du dreckiger-"

„Man könnte glauben, es müsste den Alpha eines Jahrzehnte alten Rudels beunruhigen, wenn er mehrere Tage lang nichts von seinem ach so geschickt einsetzten Spion erfährt", schaltet Jeffrey sich gekonnt ein, bevor die Situation außer Kontrolle geraten kann. Sein lauernder Gesichtsausdruck lässt einen kalten Schauer meinen Nacken hinabwellen. Ich ahne, worauf mein Onkel hinaus will.

„Entgegen meiner Erwartungen scheint dir allerdings noch nichts aufgefallen zu sein..." Neben mir vergisst Elias, meine Rippen mit seinem Zeigefinger zu malträtieren.

„Wer weiß – vielleicht schickt Jamie ja auch Brieftauben aus unserem Kellerverließ heraus", vermutet Bryan scheinheilig im Hintergrund, was dazu führt dass Jeffrey gespielt nachdenklich seine Augenbrauen zusammenzieht.

„Dafür hätte er aber erst ein Fenster graben müssen", schätzt der Alpha ab, ohne mit der Wimper zu zucken. „Höchst unwahrscheinlich, bei diesen dicken, glitschigen Steinwänden."

Ich sehe Liams Finger unruhig zucken, kurz bevor er sie in der Hosentasche verschwinden lässt. Sein Blick streift ausdruckslos durch den Raum und scheint für den Herzschlag einer Sekunde auf meinen zu treffen. Mein Atem stockt.

„Warum so blass, Kleiner?", bohrt nun Bryan wieder nach, immer noch das triumphierende Grinsen auf den kantigen Gesichtszügen. „Sag nicht, deine Einstellungen zu unserer Verhandlungsbasis haben gerade eine unerwartete Kehrtwende erhalten, jetzt wo wir deinen frechen, rothaarigen Lakaien enttarnt haben."

Unerwarteterweise erhält seine Stichelei diesmal nicht die erwartete, wütende oder gehässige Reaktion. Liam schweigt, den Blick auf den Boden gerichtet, das Gesicht in Schatten gehüllt.

Irgendetwas in mir bewegt mich, noch näher an das Schlüsselloch heranzukriechen und die Augen zusammenzukneifen, während ein fast schon befremdlich wirkendes Interesse in meinem Brustkorb erblüht. Ich will sein Gesicht sehen, ich will wissen was er denkt. Denn komischerweise interessiert es mich wirklich.

„Wie gesagt." Liams Stimme ist messerscharf und kalt wie Eisen, als hätte er die letzten paar Sekunden nur damit verbracht sie wie ein Küchenmesser auf Perfektion zu schärfen. „Das McCartney Rudel kann mir nichts anbieten, an dem ich interessiert wäre. Nehmt das Angebot an, oder unterschreibt euer eigenes Todesurteil."

Ein unheimliches Lächeln ziert seine Mundwinkel, als er sich zu den beiden Führern unseres Rudels umdreht. „Und ja – das war eine versteckte Drohung. Man sieht sich."

Dumpfe Schritte sind alles, was eine ganze Weile lang auf diese Aussage folgt. Während Liam sich daran macht, den Raum zu verlassen, lasten die Blicke der Rudelführer schwer auf ihm. Anscheinend wird auch ihnen allmählich klar, was ich viele Tage zuvor schmerzhaft feststellen musste. Der Anführer des Crescent Rudels ist und bleibt unberechenbar.

Er tritt an die Tür, und ich muss meine Sitzposition verändern, um ihn weiterhin im Blick zu behalten. Neben mir gibt Elias einen gepressten Laut von sich, als sich mein Knie in seinen Oberschenkel bohrt.

Ich will mein Bein anheben und verliere dabei fast das Gleichgewicht, Liam drückt die Türklinke hinunter – doch gerade als er das Arbeitszimmer verlassen will, raunt Bryan Jeffrey etwas zu.

„Ich glaube, jetzt ist er ärgerlich, weil er seine Leute nicht ausreichend unter Kontrolle hat", brummt der Beta so laut in das Ohr seines Freundes, dass seine Worte selbst durch die dicken Türen des Wandschranks dringen.

„Ja, meinst du?", baut Jeffrey die Vorlage aus und fährt mit der Hand nachdenklich über sein stoppeliges Kinn, was Liam dazu bringt, auf der Schwelle zu erstarren.

Sein trockenes Lachen hallt auf gespenstische Weise im leeren Hausflur wider. „Dort unten stehen exakt zwölf meiner ältesten und begabtesten Wölfe", presst der Feind unseres Rudels zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, eine Hand fest um die Türklinke verkrampft. „Ein Kommando und sie werden allen Anwesenden zeigen, wie gut Blut mit dem hellen Boden der Eingangshalle harmoniert. Wie wäre es also, wenn ihr lieber einen Blick in diesen Schrank da werft, anstatt mir etwas von Kontrolle zu erzählen?"

Das kann nicht sein.

Ich spüre wie eine eisige Druckwelle durch meinen Körper rauscht und mich beinahe dazu bringt, ruckartig zurückzuzucken.

Hat er uns bemerkt? Er kann uns nicht bemerkt haben. Hat er mich gesehen?

Fragen zischen durch meinen Kopf; beschleunigen ihre panischen Kreise im Rhythmus meines Herzschlages, der von Sekunde zu Sekunde anschwillt. Es bringt mich fast um, zu erfahren dass wir ausgerechnet von einem feindlichen Alpha entdeckt worden sind, ohne zu wissen woran es lag. Woran ich mich verraten habe.

„Drei Rationen Fleisch, dass er lügt." Glücklicherweise scheint Bryan nicht allzu überzeugt von Liams Andeutung zu sein. Doch ehe Hoffnung in meiner Brust aufkeimen kann, ist Jeffrey auch schon mehrere schwere Schritte auf die geschwungenen Türen des Wandschranks zugetreten.

„Finden wir es heraus."

Elias Finger finden meine Hand und umschließen sie fest, was mich davon abbringt, die Fingernägel in meine Handfläche zu bohren. Gerade einmal ein protestierender Gedanke ploppt in meinem Kopf auf, da löst sich der Schutz unseres Verstecks auch schon mit einem widerlichen Quietschen von Scharnieren auf und ich bin dazu gezwungen, blinzelnd in ein grelles Licht zu starren.

Ein Licht, in dem sich nach und nach ein Fußboden, ein Bücherregal, ein Landschaftsgemälde... und ein grimmig dreinblickender Jeffrey formen.

„Bei der heiligen Mondgöttin."

Ich brauche einen Weile, um die Peinlichkeit dieses Augenblicks zu verdauen. Nachdem meine Augen sich wieder an das Tageslicht und die teils belustigten, teils fassungslosen Blicke gewöhnt haben, mache ich mich daran, möglichst würdevoll aus dem alten Aktenschrank zu klettern.

„E-es tut uns so leid..." Erst als Jeffreys respekteinflößende Gestalt vor mir aufragt, spüre ich das heiße, stickige Gefühl von Scham meinen Nacken hinaufkriechen. „Wir hätten nicht...da war dieser, äh...meine Kette...", stammele ich, doch es ist als hätte mein Gehirn sich unter Jeffreys stechendem Blick in dampfenden Matsch verwandelt. „Die Kette ähm, sie ist..."

Eine sanfte Berührung an meiner Schulter lässt mich schwer schluckend verstummen.

„Wir bitten um Verzeihung für diese...unerwartete Störung", erklärt Elias sachlich, wobei er seine Hand so weit meine Halsbeuge hinaufwandern lässt, dass sie einen Teil des silbernen Kettchens verdeckt, das natürlich nicht verloren ist, sondern sicher auf meiner Brust liegt. Sofort spüre ich, wie meine Wangen warm werden.

„Unerwartet durchaus, Clevehill", knurrt Bryan, dessen Gesicht sich in eine steife Maske verwandelt hat. Er wirft seinem Alpha einen Blick zu, doch aus Jeffreys Kehle löst sich nur ein resigniertes Seufzen.

„Sehen wir den Fakten ins Gesicht, William. Zwei verfeindetet Rudel werden leichter von einem Jäger ausgelöscht als zwei verbündete", wendet er sich mit einem müden Ausdruck in den Augen an den anderen Alpha, der die ganze Zeit über im Türrahmen gewartet hat. „Lassen wir uns also nicht gegeneinander ausspielen."

Liams brennender Blick löst sich einen Herzschlag zu spät von einer Stelle irgendwo neben meinem Hals. Als er jedoch wieder auf Jeffreys trifft, werden seine Züge von einem triumphierenden Grinsen erhellt. „Perfekt. Dann sehen wir uns heute bei Sonnenhoch zur Bildung eines Suchtrupps", bestimmt er beschwingt, während er sich vom Türrahmen löst. „Je eher dieser Kerl das Zeitliche segnet, desto geringer die Chance, dass einer von uns den anderen verrät."

Irgendetwas in der Art, wie er den letzten Satz ausspricht, lässt ein ungutes Gefühl in meine Magengegend kriechen. Aber ehe ich den Mut aufbringen kann, um nachzuhaken, wer denn hier wohl wen eher verraten würde, ist der dunkelhaarige Alpha verschwunden und mein Onkel baut sich mit unheilvoll zusammengezogenen Augenbrauen vor uns auf.

„Schön." Seine Bewegungen wirken immer noch etwas steif, als er vorsichtig die Arme vor der Brust verschränkt. „Und nun zu euch..."

~~

In Elias karamellbraunen Augen funkelt ein seltsamer Ausdruck, als sein Blick im Vorbeigehen über die dunklen Zimmertüren streicht. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine persönliche Strafe vom Alpha erhalten würde", murmelt er und klingt dabei eher wie ein Forscher, fasziniert von einer neu entdeckten Pflanzenart als wie jemand, der gerade eine Regel gebrochen hat und dafür bestraft wurde.

So viel Verwunderung lässt mich gequält aufstöhnen. „Drei Wochen Putzdienst?" Der Gedanke, von nun an jeden Nachmittag in den tausenden Zimmern dieses Anwesens für Ordnung sorgen zu müssen, lässt meinen Körper müde werden. Allein schon der Gang, den wir gerade auf dem Weg in mein Zimmer durchqueren, hat zahllose Türen und Abzweigungen.

„Hat Jeffrey das wirklich ernst gemeint?"

Die Frage bringt Elias zum Schmunzeln. „Der Mann steht zu seinem Wort, Kalie. Ich fürchte, darauf können wir uns verlassen." Ein schelmischer Ausdruck breitet sich auf seinen Zügen aus, als er nähertritt und mir einen aufmunternden Stups in die Seite gibt. „Aber hey, irgendwie war es das trotzdem wert."

„Stimmt." Mit einem tiefen Atemzug kläre ich meinen Kopf von all den düsteren Gedanken. „Wir wissen jetzt, dass sie einen Suchtrupp versammeln, um den Jäger ausfindig zu machen und können daran teilnehmen."

Elias gemächliche Schritte geraten ins Stocken. „Du bist verrückt", stellt er fest, offenbar hoffend dass ich nur einen gewagten Scherz mache. Der Blick seiner großen, ungläubigen Augen bewirkt, dass ich beleidigt die Unterlippe vorschiebe.

„Nenn es engagiert", korrigiere ich ihn grummelnd. Wie durch Zufall finden meine Augen das Fenster am Ende des Ganges, von dem aus man weit über das Gelände der Villa hinaus in die Tiefen des Waldes blicken kann.

„Ich meine – wie könnte ich hier drinnen in meinem Zimmer hocken und Karten spielen, mit dem Wissen, dass andere da draußen vermutlich ihr Leben riskieren? Außerdem bin ich ein Mensch – warum sollte ein Jäger, der ausschließlich Werwölfe jagt, auf mich zielen?"

Als ich mich wieder zu ihm umdrehe, zieren die Stirn meines blondhaarigen Freundes mehrere tiefe Falten. „Aber..." Er scheint einen Augenblick nach Worten zu suchen, jedoch keine überzeugenden zu finden. „...Okay", seufzt Elias schließlich resigniert. „Meinetwegen können wir versuchen, uns freiwillig zu melden – vorausgesetzt natürlich du hörst auf alle Befehle des Truppenleiters und begibst dich nicht unüberlegt in Gefahr."

An der Art wie er mich ansieht, erkenne ich, dass er ehrlich besorgt ist. Trotzdem können meine Mundwinkel nicht anders, als ein strahlendes Lächeln zu formen.

„Aye Sir!"

Elias schüttelt den Kopf, kann den Hauch eines Grinsens aber nicht schnell genug von seinen Lippen wischen. „Jamie hatte übrigens recht mit dem, was man sich über dich und Liam erzählt", bemerkt er nach einer Weile, in der wir einfach nur schweigend nebeneinander her gelaufen sind. „Eigentlich müsste meine Hand jetzt löcherig wie ein Käse sein – so intensiv wie er sie angestarrt hat, als ich deine Kette überdecken wollte."

Überraschung verursacht, dass sich meine Lippen ein Stück weit öffnen. Aus Gewohnheit will ich alles abstreiten und den Blick abwenden, doch Elias schaut nicht einmal in meine Richtung.

„Auch wenn er versucht sich nichts anmerken zu lassen, scheint er etwas für dich übrig zu haben, Kalie." Sein Gesicht zeigt geradeaus, aber der Ausdruck darauf ist abwesend.

„Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das die beste oder die schlimmste Nachricht ist, die unser Rudel je bekommen hat."  

~~

ERIC

Ich habe meinen Vater immer für einen gutmütigen und gleichzeitig kompetenten Mann gehalten. Steven Kennway ist stets die Ruhe in Person. Steven Kennway lässt sich nicht verunsichern, handelt sicher, handelt mit Bedacht und klärt so jedes noch so verworrene Missverständnis auf, das unser Dorf hervorbringt.

Manche Kinder wollen Superhelden sein. Sich wie Spiderman durch die Lüfte schwingen und Verbrechen bekämpfen. Mein größtes Idol hat noch nie einen hautengen Anzug, oder ein Cape getragen. Mein größtes Idol hat eine Uniform, verwaschen und vom Sabber unseres Hundes betropft, einen Cowboyhut, und trägt immer noch das Plastikperlenarmband aus Kindergartenzeiten am Handgelenk.

Steven Kennway kennt immer einen Weg, oder sucht nach einer Lösung. Bis heute zumindest.

Als ich nun in die fiebrig glänzenden Augen meines Vaters blicke, wünsche ich mir fast, Ratlosigkeit darin zu finden. Verzweiflung, den Ausdruck einer stummen Bitte – irgendwas, abgesehen von der dumpfen Teilnahmslosigkeit, die seine gesamte Erscheinung fest im Griff hat. Dieser Mann, wer auch immer er ist, hat meinen Vater betäubt wie ein krankes Meerschweinchen.

Ich ignoriere das unangenehme Drücken in meinem Brustkorb und hole tief Luft. Ich kann das regeln. Ich werde das regeln.

„Falls es irgendein Problem mit unseren Wäldern geben sollte", versuche ich den unbekannten Mann, der wohl eine Art abgedrehter Jäger zu sein scheint, betont ruhig abzuwiegeln, „wenden Sie sich am besten an den Leiter der örtlichen Naturschutzvereinigung. Ich bin sicher, dass Jeffrey McCartney mehr für Sie tun kann als der Sheriff."

Etwas in der Art, wie Mr. Solvera mich anlächelt, beschert mir Gänsehaut. „Ich glaube wir verstehen uns noch nicht so richtig", säuselt er und lässt sich kurzerhand Steven gegenüber auf der Schreibtischfläche nieder, wobei ein Ärmel seines dunklen Mantels ein umrahmtes Foto zu Boden fegt. Mein Vater sagt nichts, als ein Spinnennetz an Rissen über das lächelnde Bild meiner Mutter flitzt.

„Ja, ich habe ein Problem, das ich lösen werde. Dieses ganze Dorf hat ein Problem, das gelöst werden muss. Und ein großer Teil dieses Problems, Eric, ist Jeffrey McCartney selbst."

Die wettergegerbte Haut um seine Augen herum wirft kleine Fältchen, als er meinen abweisenden Blick herausfordernd erwidert.

„Dann klären Sie das am besten direkt mit ihm."

Ich verschränke die Arme vor der Brust und kämpfe gegen den Instinkt an, von Norman Solvera abzurücken.

„Wenn die Welt nur so einfach wäre...", seufzt dieser in einem Ton, der mir das Gefühl gibt, ich stünde mitten in einem Theaterspiel. Ein Spiel, in dem ich die Rolle des unwissenden Hauptcharakters verkörpere.

Abgelegene Orte bringen bringen komische Leute ans Tageslicht, hat mein Vater einmal gesagt. Und wenn ich ich mir den spitzen, bleichen Zahn so ansehe, den der schwarzhaarige Mann gerade entspannt durch seine Finger tanzen lässt, habe ich das Gefühl, ein Prachtexemplar eben jener Menschen genau vor meiner Nase stehen zu haben.

„Norman." Die leise Stimme meines Vaters lässt mein Herz hoffnungsvoll flattern. Ich sehe zu dem bärtigen Mann, erwarte halb, dass er wieder zu sich gekommen ist, die Lage erkannt und seinen Gast als das abgestempelt hat, was er ist – verrückt.

Doch Steven erhebt sich nicht mit in die Hüften gestemmten Armen und dem vertrauten mitfühlenden, aber dennoch strengen Zug um die Mundwinkel. Er blinzelt den Eindringling einfach nur müde an.

„Wie wäre es, wenn du ihn erst mal über alles aufklärst?"

Und wieder rutsche ich ein Stück tiefer in das Theater, von dem ich nie ein Teil sein wollte.

„Hab ich das nicht schon längst?" Ungeduldig hebt Mr. Solvera seinen Hut an und streicht sich einzelne pechschwarze Strähnen aus dem Gesicht. Seine Augen verlassen Steven und bohren sich mit einer so irren Intensität in meine, dass ich mich fühle als hätte mir irgendjemand eine Ladung kaltes Desinfektionsgel in den Nacken geklatscht.

„Die Menschen früher haben nicht umsonst an übernatürliche Wesen geglaubt", eröffnet Mr. Solvera mir in gedämpftem Ton und lehnt sich vor, als würde er mir ein wohlbehütetes Geheimnis anvertrauen. „Hexen, Vampire, Nixen, Werwölfe – wer hätte damals genug Zeit gehabt, um sich so etwas auszudenken?" Ein grimmiges Lachen bricht zwischen seinen Lippen hervor. „Nein - damals waren diese Wesen sehr real. Und das sind sie heute noch. Sie können sich nur besser verstecken."

Wieder kann ich nicht anders, als den fremden Mann anzustarren und mich zu fragen, ob mir meine Ohren einen Streicht spielen wollen.

„Und hier kommt Ihr Dorf ins Spiel, Mr. Kennway." Mr. Solvera scheint mein Schweigen als Interesse zu deuten, denn er fährt ungerührt fort, einen hinterlistigen Zug auf den Lippen. „New Plymouth liegt außergewöhnlich tief im Wald, oder? Hier gibt es Häuser, die schon seit Jahrhunderten stehen, und Familien, große Familien, die seit der Gründung dieses Ortes hier hausen. Findet das niemand merkwürdig?"

Ich schweige.

„...Ihrer ratlosen Miene entnehme ich, dass ich immer noch zu weit aushole - deshalb die knappe Wahrheit kurz und schmerzlos: Ihr Dorf ist verseucht von Werwölfen. Ein ganzer Clan hat sich hier eingenistet und führt die Dorfbewohner mit einem trügerischen Lächeln an der Nase herum."

Ein Bündel Büroklammern fällt, gefolgt von einem dicken Block Notizzettel zu Boden, als Mr. Solvera aufsteht, das Kinn feierlich erhoben. „Sie sind eine Gefahr für ihre Mitbewohner, eine Gefahr für die gesamte Menschheit. Deshalb bin ich hier – um jeden einzelnen von ihnen eigenhändig in die Hölle zu befördern."

Er verzieht die Lippen zu einem Grinsen, und schafft es dabei tatsächlich, gleichzeitig unheimlich würdevoll und hoffnungslos irre auszusehen.

Einen Augenblick später finde ich seine ausgestreckte Hand direkt unter meiner Nase wieder. „Also – eine Freude, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Norman. Ich bin Werwolfjäger."

Unschlüssig starre ich auf die langen, für einen Jäger recht gepflegt aussehenden Finger.

„Sie sind verrückt."

Norman lächelt verständnisvoll. „Nein", erwidert er unerwartet sanft. „Sie sind verblendet." Die Hand zieht sich ungeschüttelt zurück und verschwindet in seiner Manteltasche. Mr. Solvera tritt einen Schritt auf mich zu, bis mir der beißende Geruch seiner Kleidung in die Nase steigt.

Seine Stimme ist leise und beinahe mit einer Spur Belustigung versehen, als er lächelnd einen viereckigen Gegenstand ans Tageslicht holt.

„Gut, dass sich das bald ändern wird."

~~

Ich kenne das Gefühl, an einem hohen Abgrund zu stehen. In die Tiefe zu blicken und sich zu fragen, wie es dort unten ist. Ob es sich lohnen würde, zu springen.

Die Mehrheit meiner Freunde war bereits waghalsig genug, sich von einem mittelhohen Vorsprung am Ufer des Waldsees zu stürzen, an dem an warmen Sommerabenden manchmal Strandpartys steigen. Manche brauchten mehrere Flaschen Bier als Mutmacher, manche nur einigermaßen warmes Seewasser, um sich jauchzend über den Abgrund zu werfen.

Ich selbst bin nie gesprungen. Nicht weil ich Angst habe, oder gerne der Spielverderber bin, ich habe einfach nicht das Bedürfnis, zu wissen, wie sich der freie Fall anfühlt. Ich brauche diese Art von Kick nicht unbedingt. Und dennoch habe ich das Gefühl, soeben über den Rand einer ähnlich hohen Ebene gestoßen worden zu sein.

Es gibt Dinge, die man nie erfahren wollte. Es ist unangenehm, wenn der freie Fall deinen Körper zusammenpresst. Der Aufprall tut einen Moment lang weh, und die Welt danach ist nicht mehr dieselbe. Kälter. Und geprägt von einem Erlebnis, das man nicht so einfach vergessen kann.

Ich kann das eisige Seewasser förmlich meinen Rücken hinabrinnen spüren, während Norman redet. Redet und in seinem Handy blättert. Er zeigt mir Fotos. Untersuchungen. Wildkameraaufnahmen. Und sie alle scheinen ein und dieselbe, unglaubliche und vollkommen surreale Wahrheit abzubilden:

Werwölfe. Echte, verdammte Werwölfe.

Mein Wissenschaftlergehirn windet sich unter den Qualen des Unerklärlichen. Sucht nach Logiklücken und Gegenbeweisen. Nach irgendetwas, das den Mann im langen Mantel wieder in die Rolle des verrückten Einsiedlers stopft, die ich ihm eigentlich zugeteilt hatte.

„Das Video ist doch bearbeitet", brumme ich und beuge mich mit zusammengenkiffenen Augen vor, um die verpixelte Aufnahme besser anzusehen, in der eine Gruppe Menschen von mehreren Wölfen eingekreist wird.

„Schau genauer hin." In Normans Stimme liegt ein lauernder Ausdruck. Ein düsteres Versprechen, dass das, was auch immer in dieser Aufnahme passiert, meinen verzweifelten Widerstand endgültig zerschlagen wird.

Er beugt sich zu mir hinunter, und ich weiß nicht ob es seine Nähe, oder der Inhalt des schwarzweißen Films ist, der mein Herz zu Eis gefrieren lässt.

Vier Gestalten stürmen an den angreifenden Tieren vorbei in den Wald. Doch die anderen...

Meine Sicht verschwimmt, als würden meine Augen sich weigern, das Geschehen auf dem mehrere Wochen alten Filmmaterial weiter zu verfolgen. Die verzerrten Grimassen, grotesken Posen und befremdlichen Stadien irgendwo zwischen Mensch und Raubtier versetzen mich in die Geisterbahn von gestern zurück. Nur dass hinter diesen haarigen Gestalten keine schlechtbezahlten Schauspieler stecken.

Schlimmer noch.

„Sie hin Junge!" Ich keuche auf, als sich eine dürre Hand um meinen Kiefer schließt und diesen grob in Richtung Bildschirm dreht. „Schau der Wahrheit in ihr pelziges Gesicht!", zischt Norman, dessen Augen wieder dieses wahnsinnige Funkeln angenommen haben.

Seine Erscheinung, mit den fettigen schwarzen Haaren, die unter seinem fleckigen Hut hervorbaumeln, ist beunruhigend. Die Erkenntnis, die er uns bringt, entsetzlich.

Vor allem, nachdem er das Video pausiert und mit dem Finger an einzelne, schemenhafte Gesichter heranzoomt. Dabei murmelt er irgendwas von, „...lohnen, die ganze Käfergrube mit Kameras zu pflastern..."

Und wieder einmal reicht ein einziger Blick, um Chaos in meine vertraute Welt zu bringen.

„Aber...", hauche ich fassungslos und rücke so nah an das Handy heran, dass meine Nase fast den Bildschirm berührt, „...die kenne ich..."

Neben mir ist ein dreckiges Lachen zu vernehmen. „Ganz recht." Mit einem selbstgefälligen Grinsen drückt Norman mir sein Telefon in die Hand, damit ich das herangezoomte Gesicht von dem heraneilenden Jeffrey McCartney in aller Genauigkeit betrachten kann.

Seine wutverzerrte Miene und das Fell, das seine Arme hinaufzukriechen beginnt, machen mir klar, wie blind ich all die Jahre gewesen sein muss. Wie naiv und leichtgläubig das ganze Dorf war. Diesen Kreaturen... diesen Werwölfen ein Zuhause zu bieten.

Jemand schiebt mir ein Papier auf den Schoß, und als ich den Kopf hebe, blicke ich in das bleiche Gesicht meines Vaters. Seine dunklen Augen mustern mich mitleidig, und ich frage mich, ob er bereut, seinen Sohn mit in diesen Albtraum hineingezogen zu haben.

Meine Finger zittern, als ich die schmale Fallmappe öffne – und direkt wieder schließe. Ein kurzer Blick auf die weißen Linien, mit denen die Umrisse eines toten Körpers nachgezogen wurden, und die danebenliegenden, blutbespritzten Blätter reicht aus, um mich an den rätselhaften Mordfall zu erinnern, der sich vor einigen Wochen in diesem Wald ereignet hat.

Der Tod des Taxifahrers. Des Fahrers, der von einem wilden Wolf zerfleischt wurde.

Scheiße.

Ich lasse die Akte fallen, als hätte sie mich verbrannt. Starre auf den Boden. Mein Magen rebelliert. Meine rasenden Gedanken sind verstummt.

Und genau in diesem Moment, in dem mir klar wird, dass ich meine Kindheit in einem Dorf voller Mörder verbracht habe, hallt das helle Bimmeln der Türglocke vom Eingang der Polizeiwache zu uns hinüber.

„Hallihallo!", zwitschert Clary in ihrer typisch fröhlichen Art in die Dunkelheit hinein. „Ich hab Kalie und die anderen irgendwie nicht gefunden, aber in der Villa ist auch gerade die Hölle los. Keine Ahnung welche Hummel Jeffrey in den Hintern gepiekst hat, aber er rennt mit einem Gesicht im Haus rum als würde der Weltuntergang nur auf uns warten." Es folgt eine kurze Pause, in der die Tür wieder ins Schloss fällt.

„Eric? Bist du da? Warum ist es hier so dunkel?" 

~~

Dieses Kapitel hat wirklich lang auf sich warten lassen - ich geb's zu. Aber dafür immerhin über 4.000 Wörter.

Meine Fingerkuppen brennen. :'D

Und wisst ihr wo es noch so richtig schön brennen wird? Also eher metaphorisch gesehen? (Beste Überleitung o.O)

GENAU! Bald in New Plymouth.

>:D

.

Schönen abend euch noch!

LG Loony ♡


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