9| Gegen jede Vernunft

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Unser Leben wird von tausend kleinen Entscheidungen bestimmt. Tausend Entscheidungen und Zufälle.
Viele sind unwichtig. Doch manche können verheerende Folgen haben.

~ William Spencer

~~

KALIE

Mit leisen Schritten schleiche ich zwischen den großen Eichen seitlich des Hauses vorbei, während ich konzentriert darauf achte größere Blätteransammlungen und trockene Äste zu umgehen. Gar nicht so einfach, denn der halbe Sichelmond am Himmel wirft gerade mal so viel Licht auf den Boden, dass ich besagte Stellen gerade so als dunkle Flecken auf dem Rasen erkennen kann. Dazu kommt noch die Kapuze meines - beziehungsweise Clarys - Pullovers , die ich mir tief ins Gesicht gezogen habe, um nicht so schnell erkannt zu werden.

Falls also einer der Polizisten, die zur Überwachung des Einsatzes im Haus geblieben sind zufällig mal aus dem Fenster sehen sollte, würde er nur eine schattenhafte Gestalt mit Kapuzenpulli erkennen. Den Gedanken, dass ich vermutlich wie ein Einbrecher aussehe beiseite schiebend, lasse ich zielstrebig die sorgfältig in eine Reihe gepflanzte Baumgruppe hinter mir und steuere auf den Wald zu, den man von der Rückseite des Hauses gut erreichen kann.

Der Weg über den Rasen Richtung Wald zieht sich quälend in die Länge. Unter anderem auch, weil ich mir der vielen Fenster an der Rückseite der Villa, von denen man einen herrlichen Blick auf die mondbeschienene Rasenfläche und ihre heimliche Überquererin hat, sehr bewusst bin.

Glücklicherweise kommt der Waldrand mit jedem Meter näher.
Keuchend bleibe ich kurz im Schatten der Bäume stehen, stütze die Hände auf den Knien ab und versuche wieder zu Atem zu kommen.
Zwar bin ich nicht komplett unfit, da joggen damals in Philadelphia mindestens zweimal wöchentlich auf dem Plan stand, aber nach einem 200 Meter Sprint komme ich schonmal außer Atem.

Ob sie schon da sind?

Motiviert wie ich bin, habe ich mich natürlich schon zehn Minuten vor der abgesprochenen Zeit auf den Weg gemacht, da ich meine einzige Chance Teil der Suchaktion zu sein auf keinen Fall aufs Spiel setzen möchte.

Nicht dass Elias es sich im letzten Moment noch anders überlegt, da er ja letztendlich gegen das Verbot seines Vorgesetzten zu handeln scheint und ihm das Risiko dann doch zu groß ist.

Das wäre mehr als ärgerlich.

Leise lausche ich ins Unterholz hinein, um vielleicht schon die ein oder andere bekannte Stimme, den Lichtkegel einer Taschenlampe oder das Bellen eines Spürhundes hören zu können.
Und tatsächlich. Ein paar Meter weiter dringen mehrere gedämpfte Stimmen an mein Ohr.

Ich könnte ja mal versuchen sie zu überraschen..., flüstert ein fieser Gedanke mir zu und ich beginne auf das Gemurmel zuzuschleichen. Je näher ich komme, desto deutlicher kann ich hören worüber die kleine Gruppe, die unter Elias Führung steht, spricht.

"Das hast du nicht gemacht!", fragt eine mir bisher unbekannte Stimme belustigt.

"Du siehst doch, dass er es getan hat." Diese Stimme ist eine Spur tiefer und wirkt eher neutral.

"Ja habe ich - wehe du erzählst es weiter." Elias. Gestresst.

"Na dass ich das nochmal erleben darf...seid wann bricht unser heiliger Elias, Retter der Armen und Hüter der Regeln denn die Anweisungen des Alphas?"

"Ha. Ha. Sehr lustig Jamie. Ich-", plötzlich verstummt Elias Stimme und ich ändere meinen Status gedanklich von -spioniert- zu -entdeckt-.

"Kalie, da bist du ja!", begrüßt er mich mit einem Lächeln, dass trotz seiner angespannten Körperhaltung ehrlich wirkt. Ich trete ein paar Schritte neben dem Busch, hinter dem ich gerade noch gestanden und gelauscht habe, hervor und erwidere sein Lächeln, während ich die anderen Gruppenmitglieder mustere.

Außer mir warten noch vier andere Jugendliche neben einem umgestürzten Baum auf das Startsignal der Suche. Elias, zwei Jungs und ein Mädchen, soweit ich das in der Dunkelheit erkennen kann.

Mit einem leisen Klicken knipst Elias seine Taschenlampe an und richtet den Lichtkegel auf den dunkelhaarigen Jungen, der mit verschränkten Armen an den Stamm des Baumes gelehnt steht. Sein durchdringender Blick mustert mich, während sein Gesicht jedoch regungslos bleibt. Von der Statur her erinnert er mich - mit seinem breiten Kreuz und den bemuskelten Armen - stark an einen dieser Footballspieler, die jeden auf dem Feld wie eine Dampfwalze überrollen können.

"Das hier sind die Blackwood Geschwister Ethan", der Lichtkegel der Taschenlampe wandert weiter zu dem Mädchen, welches im Schneidersitz auf dem Stamm sitzt und auf ihrem Handy herumtippt, "und Sharon."

Sharon reagiert nur mit einem flüchtigen Blick in meine Richtung und wendet sich dann lieber wieder ihrem Display zu. Das Licht des Handys erhellt ihr Gesicht und ihre etwa schulterlangen, ebenfalls schwarzen Haare, unter denen ich bei genauerem Betrachten ein paar lila gefärbte Strähnen erkennen kann.

Eine Spur von Enttäuschung macht sich angesichts des Desinteresses, das sie mir gegenüber an den Tag legt, in mir breit. Anscheinend wird es nicht so einfach werden wie gedacht, hier ein paar neue Freundschaften zu schließen, wenn mich das erste Mädchen das mir in New Plymouth vorgestellt wird von vornherein schon gekonnt ignoriert. Wenigstens Ethan scheint ganz okay zu sein.
- Glaube ich zumindest. Denn bis jetzt hat er noch nichts gesagt.

"Mach dir nichts draus, Sharon Blackmuffels einzige Freundin ist ihr IPhone", medet sich der Junge, den Elias mir bisher noch nicht vorgestellt hat, zu Wort, "und das lässt sie uns auch sehr gerne spüren, nicht wahr Sha- heyy hör auf mir mitten ins Gesicht zu leuchten!"

Er hält sich mit einem genervten Stöhnen die Hand vor die Augen, auf die Elias soeben seine Taschenlampe gerichtet hat.

Rotbraune, mit Gel gestylte Haare, eine schwarze Jacke und ein olivgrünes Shirt darunter werden einen Moment vom Lichtkegel bestrahlt, ehe der Blondhaarige so gnädig ist und die Lampe wieder senkt.
"Und der lustige Kommentator da drüben hört auf den Namen Jamie", beendet Elias die Vorstellrunde. "Leute, das hier ist Kalie McCartney. Sie besucht ihren Onkel für ein paar Wochen und wird voraussichtlich den Sommer hier verbringen."

Zwei Augenpaare mustern mich interessiert. Das dritte ist immer noch konzentriert dabei Nachrichten zu schreiben - oder was auch immer zu tun.

"Cool, dann willkommen im langweiligsten Ort der Welt", grinst Jamie mich an, wobei er das Wort 'langweilig' seltsam betont. Wahrscheinlich eine Anspielung auf das Verschwinden des Taxifahrers.
Elias quittiert die Bemerkung mit einem warnenden Blick, der Jamies Lächeln jedoch nur noch breiter werden lässt.

Interessante Freunde hat er da, denke ich leicht belustigt und wende mich dem dunklen Wald zu. "Danke...wollen wir los?", frage ich, wobei ich meine Aufregung nur schwer verbergen kann. Schon seit Stunden habe ich mir über diese Aktion den Kopf zerbrochen, gegrübelt und mich gefragt was wohl mit meinem gutmütigem Fahrer passiert sein mag. Jetzt will ich endlich Antworten auf die vielen Fragen, welche schon die ganze Zeit in meinem Kopf herumschwirren und mich nicht zur Ruhe kommen lassen, bekommen.

Falls der Taxifahrer noch irgendwo dort draußen sein sollte, werden wir ihn finden, hat Onkel Jeffrey mir versprochen. Und auch wenn ich immer noch ein bisschen sauer bin, da er nicht wollte dass ich am Suchtrupp teilnehme, vertraue ich seinem Wort.

Elias nickt und streckt den Arm mitsamt Taschenlampe Richtung Unterholz aus. "Dann wollen wir mal", meint er.
Ich sehe zu wie er voraus in den Wald stapft, Ethan ihm mit den Händen in den Taschen folgt, Jamie Sharon einen kleinen Ast an den Kopf wirft um sie auf unseren Aufbruch aufmerksam zu machen und reihe mich dann zwischen ihr und dem Rothaarigen ein.

Gerade als wir tiefer in den stockfinsteren Wald vordringen wollen, weht eine sanfte Brise auf einmal ein lautes Rufen zu uns hinüber.

"Haaalloo? Kalie? Eliaas?", schreit eine bekannte Stimme durch die Nacht, "wo seid ihr denn? Ich hab- verdammt, scheiß Ast! Ich hab mich nur noch kurz umgezogen, wartet!"
Elias hält mitten in der Bewegung inne und dreht sich mit weit aufgerissenen Augen zu mir um.
"Du solltest doch niemandem etwas davon erzählen!", zischt er leise und seufzt.

Ich senke schuldig den Kopf. "Tut mir leid...aber ich kann vor Clary einfach nichts geheim halten, wirklich. Sie quetscht mich aus wie eine Zitrone", versuche ich mich zerknirscht zu rechtfertigen.
Er schüttelt den Kopf, doch ich kann in seinen Augen sehen, dass er mir nicht groß böse ist.

"Gut, dann müssen wir sie wohl oder übel auch noch mitnehmen."

~~


Eine gefühlte Ewigkeit später sind wir immer noch im Wald und leuchten jeden Busch, jedes Dickicht und jeden Stein ab. Seit Stunden das Gleiche.

Fröstelnd schlinge ich die Arme um mich und unterdrücke nur mit Mühe ein Gähnen. Mit der einsetzenden Dunkelheit wurde der leichte Wind, der in regelmäßigen Abständen durch die Bäume fegte und die Baumkronen zum Rascheln brachte, immer kälter und der Mond hat sich langsam aber sicher hinter dichten Wolken versteckt.

Jetzt ist es hier so dunkel, dass man nicht mal die Hand vor Augen erkennen könnte, wenn man keine Taschenlampe hätte.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend werfe ich einen Blick in die undurchdringliche Schwärze, die sich wie ein dunkler Schleier vor mir ausbreitet und lausche auf die Geräusche des nächtlichen Waldes.

Es raschelt im Unterholz. Eine Eule schreit. Einmal bin ich mir sogar sicher, einen Wolf in der Ferne heulen zu hören, doch das Geräusch wird von einem brüllenden Jamie unterbrochen.

"Willan!"

"Bist du hier irgendwo?"

"Willaaan!"

Da wir nach dreißig Minuten fast alle heiser vom Schreien sind, haben wir beschlossen uns abzuwechseln. Deshalb ruft jetzt immer einer von uns im Abstand von ein paar Sekunden den Namen des Taxifahrers, den Steven vom Taxiunternehmen bekommen hat. Der kleine, dickliche Mann ist weder in einem der umliegenden Dörfer aufgetaucht, noch hat er sich bei seiner Firma oder Familie gemeldet. Mittlerweile gilt er offiziell als vermisst.

"Jamie, der Mann heißt William Spencer. Nicht Willan", berichtigt Ethan den etwas kleineren Jungen von hinten. Na sowas, seit wann spricht er denn?
Überrascht, da ich seine Stimme nun zum ersten Mal höre, werfe ich kurz einen Blick über die Schulter und kann so sehen wie Jamie beleidigt das Gesicht verzieht.

"Dann ruf doch selber, Besserwisser", murrt er, während er seine Hand an den Hals legt und theatralisch erklärt, dass seine Stimme eh schon fast heiser vom vielen Rufen sei.

Schulterzuckend übernimmt der schwarzhaarige Muskelberg den Job, wobei er sich in der Schlange, die wir gebildet haben, zurückfallen lässt um niemandem direkt ins Ohr zu brüllen.

Seufzend sehe ich an der kommentarlos vor mir herlaufenden Sharon vorbei nach vorne, wo Clary sich an Elias Fersen geheftet und ihn wieder mal in eine Diskussion verwickelt hat. Das belustigte 'Streiten' der beiden wirkt durch die nächtliche Stille, die hin und wieder von einem Geräusch oder Ethans Rufen unterbrochen wird, umso lauter. Beinahe kann ich jedes Wort mithören.

Sharon vermutlich auch, denn sie lässt ab und zu ein genervtes Schnauben vernehmen. Allerdings könnte der lange Marsch durch den Wald oder der fehlende Handyempfang genauso gut ein Grund für ihre schlechte Laune sein.

Gerade als ich überlege sie anzusprechen, fällt der Lichtkegel meiner Taschenlampe in ein Dickicht und ich kann mir gerade noch einen erschrockenen Schrei verkneifen.

Blaue Augen funkeln mich zwischen den Zweigen an und scheinen durch die Reflexion des Lichtes umso heller zu strahlen.

Wieder fährt ein Gefühl von angenehmer Wärme in meine Adern, was dazu führt dass ich perplex stehen bleibe.
Was ist bloß los mit mir?!, beginnt meine innere Stimme der Vernunft sofort zu Schimpfen. Erschreckenderweise kann ich ihr keine Antwort darauf geben.

Ich weiß, wem diese Augen gehören.

Und ich weiß, dass es offensichtlich gefährlich ist.

Eigentlich sollte ich die anderen warnen, dass sich dort im Busch ein riesiger Wolf verbirgt. Oder einfach weitergehen, in der Hoffnung dass dieses Tier eine so große Gruppe von Menschen eher meidet.

Aber nein.

Unauffällig lasse ich mich zurückfallen und nicke Ethan kurz zu, als er an mir vorbeigeht. "Ich kann gleich übernehmen. Muss nur noch kurz mal... aufs Klo?", ich räuspere mich, "ähm, dahinten zu den Büschen." Da er die Augenbrauen mit einem definitiv-mehr-Infos-als-nötig-Blick hochzieht, schließe ich dass er verstanden hat.

So bleibe ich allein, mitten in der Finsternis, mit einem gefährlichen Raubtier mitten im Wald zurück.

Gegen jede Vernunft.

-

Als die Schritte der anderen hinter mir leiser werden, richte ich die Taschenlampe mit klopfendem Herzen wieder auf das Gebüsch. Die zwei blauen Augen sehen mich immer noch unverwandt, beinahe überrascht an.

Irgendwie kann ich es verstehen. Schließlich hätte ich normalerweise selber nicht mal im Traum daran gedacht, so zu handeln wie ich es soeben getan habe.

Doch wenn ich dieses riesige Tier, welches jetzt zögerlich aus dem Busch tritt, ansehe, empfinde ich weder Angst noch Furcht. Im Gegenteil. Ich bin nahezu fasziniert von seinem Auftreten, seinen Bewegungen und den fast schon menschlich wirkenden Reaktionen.
Obwohl ich ahne, dass dieser Wolf mich in Sekunden töten könnte wenn er wollte, weiß ich dass er es nicht tun wird. Es ist als würde meine Intuition mir raten ihm zu vertrauen. Als hätten wir sowas wie eine Verbindung.

Der Wolf verschwindet aus dem Licht der Lampe und tritt ein paar Pfotenschritte auf mich zu. Diesmal kann ich keinerlei Aggressivität aus seiner Körpersprache lesen. Auf leisen Pfoten umkreist er mich, während ich unwillkürlich den Atem anhalte.
Als er seinen Kreis beendet hat, steuert er auf das Unterholz, in dem er sich versteckt hat zu, bleibt stehen und sieht mich eindringlich an. Sein rechtes Ohr zuckt in die Richtung, in die er im Begriff ist zu gehen.

Er will mir etwas zeigen!, schießt es mir durch den Kopf. Ehe ich überhaupt zu der Frage komme, ob es schlau wäre einem Wolf - der sich ganz nebenbei bemerkt absolut nicht wie seine Artgenossen verhält - einfach so ins Unterholz zu folgen, hat meine fast schon ungesund große Neugier die Kontrolle meines Körpers ergriffen und ich finde mich, die Taschenlampe auf den Boden gerichtet, dem Wolf durch den Wald folgend wieder.

Wie in einem dieser Fantasyfilme, in dem die Protagonistin dann durch ein Loch in eine andere Welt kommt. Obwohl - in dem Film war es glaube ich kein Wolf, sondern ein Kaninchen dem sie gefolgt ist.

Wir laufen eine Weile über Blätter, springen über Baumstämme und schlängeln uns durch Büsche. Okay, der Wolf tut dies. Ich umgehe die Stämme, Büsche und jedes andere Hindernis sorgfältig, wobei ich große Mühen habe den schnellen Pfoten meines Führers zu folgen.

Schließlich wird das braune Tier langsamer und bleibt stehen. Als ich nach Luft schnappend zu ihm aufhole, bilde ich mir einen Moment lang ein, eine Art schlechtes Gewissen in seinen funkelnden Augen aufblitzen zu sehen. Doch ehe ich genau realisieren kann was mein Gehirn da gerade erfasst, dreht der Wolf seinen Kopf nach rechts.

Mein Blick fällt auf eine kleine, seltsam dunkle Kuhle neben mir. Stirnrunzelnd richte ich die Taschenlampe auf diese Stelle und mir wird augenblicklich schlecht.

Blut.

Überall.

Ein entsetzter Schrei löst sich aus meiner Kehle, als ich erkenne woher all die rote, klebrige Flüssigkeit kommt.

Ein paar Meter weiter unter einem Busch liegt eine zerfetzte Leiche.

Eine Leiche in Uniform des Taxifahrers.

~~

~~

A/N:

...

*hält eine Schweigeminute für William Spencer* o.o

Hat es jemand von euch erwartet oder geahnt? ^-^

LG Loony ♡

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