1 | Alltagschaos

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»Noah, beeilst du dich jetzt bitte mal? Wir müssen los!«

»Ja, Mami, Moment. Ich muss nur noch ganz kurz das hier zusammenbauen.«

Genervt stöhnte ich und ließ meine Augen gen Himmel wandern, als ob mir irgendjemand dort oben die Antwort auf die alles entscheidende Frage liefern könnte, warum Kinder immer dann herumtrödelten, wenn man es besonders eilig hatte. Niemand gab mir die Antwort - natürlich nicht. Hätte ich sie und gleichzeitig noch ein Patentrezept für die Lösung, würde ich vermutlich sehr reich werden.

»Noah!«, rief ich jetzt noch lauter und eindringlicher. Meine Lösung für dieses Problem war laut zu werden und meistens unfreundlich. Das war noch nie eine erfolgsversprechende Lösung gewesen, aber es war die einzige, die ich parat hatte.

Bevor ich noch einmal brüllen konnte, flitzte mein Sohn aus seinem Zimmer heraus. Aufgeregt hüpfend kam er zu mir, riss die Jacke vom Haken und begann, sie so umständlich wie möglich anzuziehen.

»Mami, was machen wir heute Nachmittag? Können wir auf den Spielplatz gehen? Simon und Devin sind auch da. Und kannst du mir dann eine Snackbox mit den Laugentierchen und mit Trauben machen? Davon habe ich gestern eine Packung im Schrank gesehen, und die sind soooo lecker.«

»Noah, bitte!« Entnervt hob ich die Hände. »Hör auf herumzuhampeln und halte mal eine Sekunde still, bis deine Jacke an ist. Sonst reißt sie noch kaputt, und ich habe kein Geld für eine neue Jacke!«

Tatsächlich blieb er stehen. Für ganze drei Sekunden. Dann ging die Zappelei weiter.

»Du hast mir noch nicht geantwortet!«, beschwerte er sich und zog die Unterlippe vor.

Ich seufzte und half ihm beim letzten Handgriff, dann war er endlich fertig. »Ich habe dir gestern schon gesagt, dass wir heute einkaufen müssen. Wir haben nichts mehr zu essen im Kühlschrank.«

»Aber ich will nicht einkaufen! Einkaufen ist langweilig!«

»Man kann nicht immer nur Dinge machen, die einem Spaß machen. Wäsche zu waschen, die Wohnung zu putzen, zu arbeiten – das macht mir auch alles keinen Spaß, und trotzdem muss ich es machen, Noah. Wir hatten das gestern so besprochen, wie der Tagesplan ist. Es tut mir sehr leid, aber es geht leider nicht anders. Ich habe ansonsten keine Zeit, einkaufen zu gehen, außer zu dem Zeitpunkt.«

Motzig verschränkte mein Sohn die Arme vor der Brust und zog die Unterlippe noch ein Stück weiter vor.

»Ich will aber trotzdem nicht!«

»Es geht nicht anders, Noah. Bitte! Sonst haben wir nichts zu essen.«

»Ich will zu Opa! Der geht mit mir auf den Spielplatz.«

Ich stöhnte auf und kniff mir in die Nasenwurzel. Wie oft hatte ich mir vorgestellt, dass das Leben mit einem Kind leichter sein würde, dass wir gemeinsam lachen und unbeschwert durch den Tag tanzen würden. Stattdessen stand ich hier, ein verzweifelter Haufen Elternschaft, unfähig, meinem Sohn auch nur den simplen Gang zum Supermarkt schmackhaft zu machen.

Abgehetzt und nassgeschwitzt eilte ich die Treppe in den zweiten Stock nach oben. Mein Büro lag ganz am Ende des Ganges, und ich sah bereits, dass mehrere Personen davor warteten. Leise fluchte ich und beschleunigte meine Schritte. Ich war viel zu spät. Meine Beratungszeit hatte längst begonnen. Die ersten Klienten warteten bereits. Nur ich war immer noch nicht da. Noam hatte noch eine ganze halbe Stunde mit mir diskutiert. Nicht immer um dasselbe Thema. Zuerst ging es um die Nachmittagsgestaltung, dann um die Schuhe, die er anziehen sollte. Dann darum, dass er unbedingt ohne Kindersitz im Auto mitfahren wollte, wie die Großen. Es ist nicht so, dass wir nicht jeden Morgen diskutieren. Eigentlich tun wir das nur noch, wenn wir uns sehen. Aber heute war es besonders schlimm.

»Josephina? Wartest du mal einen Augenblick?«

Die Stimme meiner Abteilungsleiterin ließ mein Herz stolpern. Nicht auch das noch!

Resigniert kehrte ich zu dem Büro um, an dessen Tür ich gerade vorbeigeeilt war.

Diana sah mich mit einem Lächeln an, das irgendwie immer falsch aussah.

»Ich wollte nur kurz mit dir besprechen, dass der Termin für die Schulung inzwischen feststeht. Sie wird am 5.3. von 9 bis 14 Uhr stattfinden. Ich habe es dir bereits im Kalender eingetragen.«

Mein Herz sackte mir in die Hose. Panisch warf ich einen Blick auf den Wandkalender, der hinter Diana an der Wand hing, in der Hoffnung, mich zu irren. Aber nein, Irrtum ausgeschlossen.

»Da kann ich nicht. An dem Tag hat der Kindergarten meines Sohnes Planungstag. Aber das hatte ich dir auch mitgeteilt.«

»Oh, da muss ich mich wohl im Datum vertan haben, entschuldige bitte. Aber das lässt sich jetzt leider nicht mehr ändern. Der Termin wurde bereits kommuniziert.«

»Aber ich kann dann nicht!«, protestierte ich verzweifelt. »Noah ist zuhause. Ich habe niemanden, der ihn betreuen könnte.«

Wieder lächelte sie mich mit diesem falschen Lächeln an. »Du wirst schon eine gute Lösung für dich finden, Josephina. Aber denk bitte daran, dass die Schulung für jeden verpflichtend ist.«

Damit nickte sie mir zu, drehte sich zu ihrem Bildschirm und signalisierte mir so, dass die Unterhaltung für sie beendet war.

Ich schluckte. Mehrmals. Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen und meine Kehle enger wurde. Aber ich riss mich zusammen. Ich konnte nicht hier vor ihr zusammenbrechen. Wie mechanisch verließ ich das Büro und begab mich auf den Weg zu meinem. Den Weg nutzte ich, um die Atemtechniken anzuwenden, die ich irgendwann mal gelernt hatte. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass es heute irgendwas nutzen würde. Zu viele Kämpfe hatte ich heute bereits nach dem Aufstehen ausgefochten, zu schlecht hatte ich die Nächte der letzten Woche – ach, was sagte ich, der letzten Monate – geschlafen. Ich war am Ende meiner Kräfte angelangt, und es war gerade einmal halb 9 Uhr morgens.

Auf halbem Weg zu meinem Büro trat mir jemand in den Weg.

»Guten Morgen, liebste Fina. Wie ... Oh!«

Meine Kollegin Anke sah mich an und reagierte sofort. Schnell zog sie mich mit sich und schloss ihre Bürotür fest hinter sich zu. Meine Tasche wurde mir von der Schulter genommen, und Arme zogen mich in eine sanfte Umarmung. Als wäre dadurch irgendein Knopf gedrückt worden, brachen bei mir alle Dämme, und ich begann hemmungslos zu weinen. Anke stand einfach nur da, gab mir Halt, strich unaufhörlich über meinen Rücken und ließ mich einfach heulen.

Irgendwann wurden die Tränen weniger.

»Scheißtag?«

Anke fasste mich mit beiden Händen an der Schulter und betrachtete mich kritisch.

Ich schniefte sehr undamenhaft und nickte. Sie angelte nach der Taschentücherbox auf ihrem Schreibtisch und reichte sie mir. Nachdem ich mir die Nase geputzt hatte, war ich auch wieder in der Lage zu sprechen.

»Ich habe die Nacht kaum geschlafen. Noah schläft aktuell super spät erst ein und wacht mehrmals in der Nacht auf. Jedes Mal ruft er nach mir und weckt mich. Und dann morgens immer diese endlosen Diskussionen, die einfach unberechenbar sind. Man weiß nie, was als Nächstes kommt.« Ich schneuzte noch einmal ins Taschentuch. »Und dann komme ich hierher und werde gleich von der Haselmann abgefangen.«

Anke verdrehte die Augen. »Oh nein, was hat sie diesmal?«

»Diana meinte, der Termin für die Schulung stünde jetzt fest und es sei bereits alles kommuniziert worden.« Ich schluckte schwer, während ich Anke anblickte. »Ich habe ihr extra vier Terminvorschläge gemacht und sie wählt ausgerechnet den Termin aus, an dem ich von vornherein gesagt habe, dass ich da nicht kann. Angeblich hat sie die Termine verwechselt, aber ganz ehrlich, das hat sie doch absichtlich gemacht! Sie hat es einfach in meinen Kalender eingetragen, ohne Rücksicht auf meine vorherige Abmeldung wegen dem Kindergarten-Planungstag.«

Anke seufzte tief und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie trommelte mit den Fingern auf die glänzende Oberfläche, während sie nachdachte. »Hast du schon mal überlegt, Noah für diesen Tag zu mir zu bringen?« Ihre Stimme klang ruhig und überlegt.

»Ich kann dich doch nicht einfach mit meinem Chaoskind belasten«, entgegnete ich zögerlich. »Du hast doch deine zwei eigenen, das ist doch viel zu viel!«

Anke lachte kurz auf. »Chaoskind? Fina, ich habe Zwillinge! Glaub mir, ich bin Schlimmeres gewohnt.«

Ich lächelte matt und spürte, wie die Anspannung in mir nachließ. Ankes Angebot klang verlockend, aber gleichzeitig wollte ich niemandem zur Last fallen. Schon gar nicht ihr. Sie hatte mit den Zwillingen, die im gleichen Alter wie Noah waren und den gleichen Kindergarten besuchten. »Das ist wirklich lieb von dir, Anke, aber...«

»Kein Aber«, unterbrach sie mich entschieden. »Ich habe mir für den Tag freigenommen und bin eh zu Hause. Die Zwillinge freuen sich, wenn sie den Tag mit Noah verbringen können. Sie spielen doch sowieso im Kindergarten ständig miteinander. Im Grunde ist es nur ein Ortswechsel.« Sie zwinkerte mir zu.

»Ja, aber du hast dann das Chaos bei dir.«

Sie lachte laut auf. »Das habe ich sowieso. Auf ein Kind mehr oder weniger kommt es nicht an. Also, gib dir einen Ruck und nimm die Hilfe an!«

»Ich zögerte immer noch, nickte aber dann. Anke sprang auf und umarmte mich herzlich.

»Na also! Und jetzt machst du dir erstmal einen Kaffee.«

Schnell schüttelte ich den Kopf. »Meine Klienten warten auf mich. Ich bin eh schon viel zu spät.«

»Okay, dann gehst du dich jetzt trotzdem erstmal frisch machen. Und ich sage den Leuten vor deiner Tür, dass du sofort da bist. Ich mache dir dann deinen Kaffee und bringe ihn dir vorbei. Abgemacht?«

»Du bist ein Schatz!«, sagte ich leise und fühlte mich ein kleines Stückchen weniger allein in diesem ganzen Wahnsinn.


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